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Ärzte Woche

17.03.2020 | Tekal

Ein Land sperrt zu

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist

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Corona verpflichtet nun zum viralen Biedermeier in den eigenen vier Wänden.

Einen derartigen Ausnahmezustand hat es in den vergangenen Jahrzehnten in Österreich nicht gegeben. Ich kann mich zwar dunkel an die Maul-und Klauenseuche erinnern, wo man 1973 vor jeder Ortstafel Seuchenmatten auf die Straße gelegt hat. Und als 1986 das AKW-Tschernobyl auch unser Land verstrahlte, haben wir zumindest im Nachhinein erfahren, dass wir zuvor eigentlich im Freien nicht Fußball spielen hätten dürfen.

Nun ist wirklich Notstand. Wenn man bedenkt, dass eine minimale Änderung der Ladenöffnungszeiten in der Regel bürgerkriegsähnlichen Zustände hervorruft, ist die Reaktion auf die derzeit erlassenen Maßnahmen verhältnismäßig gemäßigt. Homeoffice ist das Gebot der Stunde, schließlich können viele berufliche Tätigkeiten auch von zu Hause erledigt werden, denken wir an Bäcker, Piloten oder Proktologen.

Apropos Darmspezialisten: Vor allem Toilettenpapier ist vielerorts ausverkauft. Menschen nehmen es also in Kauf, zu verhungern oder zu verdursten, so der Toilettenbesuch in gewohnter Weise erfolgen kann. In den Kirchen werden weiterhin die Messen gefeiert, allerdings ohne „physische Anwesenheit der Gläubigen“, wie es heißt. In vielen Gemeinden also business-as-usual. Für die Schulkinder des Landes ist der Begriff „Covid-19“ durchaus positiv konnotiert. Beneidenswerte vier Wochen schulfrei, wo wir seinerzeit nicht einmal bei 40 Grad im Schatten einen einzigen hitzefreien Tag herausschlagen konnten. Für die Wirtschaft indes ein veritables Desaster, so man nicht unbedingt Desinfektionsmittel oder Klopapier produziert. Ebenfalls für Künstler, die die kommenden Wochen oder Monate die Bretter, die die Welt bedeuten, langsam aber sicher verheizen können. Man kann aus Holz aber auch Klopapier herstellen. Not macht erfinderisch.

Es wird erst die Zukunft weisen, ob nun die Mahner, die Vorsichtigen, die „mit-der-Grippeschutzmaske-am-Arbeitsplatz-Erscheinenden“ oder die „aus-Prinzip-in-die-Hohlhand-Hustenden“ retrospektiv Recht gehabt haben werden. Spätestens, wenn in ein paar Monaten die statistischen Daten zur Pandemie zur Verfügung stehen, so wird sich jede Gruppe genau jene Zahlen rauspicken, die ihre Herangehensweise bestätigt. Positiv gesehen hat man nun in den eigenen vier Wänden Zeit, sich biedermeierlich häuslich einzurichten. Soziale Kontakte sollen aber auch hier auf ein Minimum reduziert werden. Also ein „Guten Morgen“ für den Partner ist in Ordnung, ein „Gute Nacht“ wäre schon wieder eine nicht notwendige Handlung.

So man das Glück hat, weiterhin seinen Lohn zu bekommen, kann man Online-Banking betreiben und Geld an freiberufliche Künstler überweisen. Oder an Menschen, die zur selben Zeit, im Schatten der Krise, an den europäischen Grenzen in Flüchtlingslagern ausharren und mit den ersten Corona-Fällen konfrontiert sind. Dann hätte man die Auszeit sinnbringend genutzt.

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Metadaten
Titel
Ein Land sperrt zu
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
17.03.2020
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 12/2020

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