Die Macht der ungefragten Belehrung
Nicht nur Männer erklären leidenschaftlich gerne. Mansplaining, auf gut Deutsch „Herrklärung“, gilt als patriarchale Form der Kommunikation, bei der ein Mann einer Frau, meist ungefragt, die Welt erklärt. Womit ich gerade Kolumnistensplaining betrieben habe, da Sie das vermutlich ohnehin bereits wussten. Ich fahre daher auch ungefragt fort: Als Kofferwort besteht es aus den Begriffen Man und splaining. Laut der Wortschöpferin Rebecca Solnit ist es eine Methode, im höflichen Diskurs Macht auszuüben.
Der Erläuterungsdrang ist übrigens nicht zu verwechseln mit Manspreading, wo ein Mann, meist in der U-Bahn, breitbeinig Platz und mehr Raum einnimmt, als ihm für einen Einzelfahrschein zusteht. Oder SUV-Spreading auf Parkplätzen, bei dem selbstbewusst mit einem einzigen Fahrzeug drei Flächen verstellt werden. Oder auch Office-Messie-Spreading, wo die meterhohen Türme alter, jedoch irgendwann garantiert noch zu verwendender Unterlagen und Magazine langsam auf den Schreibtisch der Bürokollegen wabern.
Beim Mansplaining machen sich indes nicht die selbstbewussten Männerbeine, sondern lediglich die Worte breit. Doch wer noch nie gesplaint hat, werfe den ersten Stein – ein Spruch, der von einem der wohl bekanntesten höflichen Mansplainer stammt. Dabei muss es gar kein Man sein, der da splaint.
Vor allem in der Ärzteschaft sind solche Erläuterungen überaus beliebte Tools. Wir neigen dazu, unsere Kunden zu belehren – am liebsten dann, wenn sie gar nicht belehrt werden wollen. Schließlich ist die Gesundheit des Einzelnen keineswegs Privatsache, sondern geht uns alle etwas an. Immerhin zahlen brave Steuerzahler für schlimme Raucher Sozialversicherungsabgaben und haben daher Interesse daran, dass diese von uns auch entsprechend gemaßregelt werden. Bittet ein Patient um einen Tag Krankenstand, nachdem er sich beim Scooterfahren seinen Unterarm malträtiert hat, laufen wir zur Höchstform auf, sprechen über die Gefahren des Scootens an sich, die Notwendigkeit des Tragens von Helm und Protektoren, geben wertvolle Alltagstipps: „Schau links, schau rechts, schau geradeaus …“ und klären zudem über das Risiko von Übergewicht und Diabetes auf, wenn wir schon mal im Redefluss sind.
Auch wenn der Grat zwischen Fürsorge und Übergriffigkeit schmal ist, kann die Erklärung des Offensichtlichen oft Wunder bewirken: „Wenn Sie sich gesünder ernähren, so werden Sie gesünder“. Das sind Weisheiten, die, bei aller Unbescheidenheit, das Leben mit einem Schlag verändern.
Allerdings gibt es auch Patientensplaining, denn Formulierungen wie „… dann nehme ich noch die Statine, wissen Sie, die sind wegen dem Cholesterin, Herr Doktor!“ kommen auch in der Praxis immer wieder vor. In diesem Sinne bitte ich alle jedweden Berufs und Geschlechts inständig, das Splaining künftig zu unterlassen. Bis zur nächsten Kolumne in einer Woche. Denn die Ärzte Woche erscheint, das ist vielen nicht bekannt und überaus bemerkenswert, wie der Name schon sagt, wöchentlich!