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23.08.2024 | Tekal

Das Oratorium der Erschöpfung

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist , Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist, Markus Hechenberger

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Müde Gesellschaften hat es immer schon gegeben.

Sind Sie auch so fertig? Wenn Sie jetzt seufzend nicken, gehören Sie zur Mehrheit einer erschöpften Bevölkerung, die sich diese Erschöpfung nicht erklären kann, weil sie einfach zu erschöpft ist. Man ist dieser Tage nicht alleine, wenn die Kraft fehlt, einem das Immunsystem im Stich lässt oder man sonst komplett von der Rolle ist. Kräfte, Immunsysteme und Rollen sind in diesen Zeiten bekanntlich Mangelware. Und man muss kein großer Epidemiologe sein, um zu erkennen, dass wir gerade in den letzten beiden Jahren als Gesellschaft eine große Erschöpfung erleben. Nach der Post-Moderne kommt nun das Zeitalter des Post-Covid.

Doch war es tatsächlich das Virus, dessen Namen du nicht nennen sollst? Oder der Klimawandel? Die Überforderung oder auch das Weltgeschehen, mit all seinen zahlreichen Bedrohungen, die uns lähmen? Die meisten Hausärzte kennen indes den Grund: Ein Vitamin-D-Mangel. Der kann immer als Erklärung herhalten, die Tropfen sind schnell verschrieben, dann wird alles gut.

Eine ebenfalls gerne ins Rennen geführte Erklärung ist der zunehmende Stress. Der wurde übrigens vom Österreicher Hans Seyle erfunden. Dass dies international nur wenig bekannt ist, mag daran liegen, dass sich Mozartkugel, Donauwalzer und die Stadt der Musik nun mal besser touristisch vermarkten lässt, als der Slogan „Österreich – wo der Stress zu Hause ist!“. Zumindest ist der Stress selber hausgemacht, eine „Anpassungsstörung des Organismus auf Belastungen“. Die Belastung selbst kann dabei oft gar nicht viel dafür. Sie hat meist nicht mal böse Absichten, ist ein neutrales Wesen, wie das schlechte Wetter, dem es völlig egal ist, wie die Menschen damit zurechtkommen.

Das moderne Burnout wurde auch bereits in den 1970er-Jahren erfunden und ist eigentlich bereits wieder out, da die Psychiater, ob dieses profanen Ausdruckes, mit den Augen rollen. Man spricht lieber von Belastungsreaktion oder emotionaler Erschöpfung. Darin finden sich einerseits auch all jene Ausgebrannten wieder, die niemals zuvor gebrannt haben. Vor allem aber findet man im ICD 11 auch eine passende Zahl dazu, um mit den Kassen abrechnen zu können.

Und die Gen E (Exhaustion) ist bei weitem nicht die erste fertige Generation. Vor über 150 Jahren definierte der US-amerikanische Arzt George Miller Beard die Neurasthenie als „reizbare Schwäche“, die bis zur totalen Ermüdung führen konnte. Als ursächlich sah er das Fortschreiten der Zivilisation: Die rasanten Entwicklungen, die Großstädte, die Dampfkraft, Presse und Telegraf, die Wissenschaften sowie die geistige Aktivität der Frauen. Die gute, alte Zeit, in der man als Forscher frontal enthemmt alles zu Papier bringen konnte, was einem in den Sinn kam.

Die müde Sache hat also viele Namen, die therapeutischen Empfehlungen schwanken zwischen „Mehr Bewegung!“, „Mehr Spurenelemente“ und „Geht’s was arbeiten, faules Pack!“. Quasi pauschale Fertiggerichte für individuelles Fertigsein. Da kann man nur sagen: Gute Nacht, Österreich!

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Metadaten
Titel
Das Oratorium der Erschöpfung
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
23.08.2024

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