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Ärzte Woche

21.03.2023 | Studium

Die Lizenz zum Leben retten

verfasst von: Caterina Schilirò

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Nur einmal im Jahr findet das Aufnahmeverfahren für das Medizinstudium an den heimischen Universitäten statt. Dabei entscheiden 201 Multiple-Choice-Fragen, wer den weißen Kittel tragen darf und wer nicht. Aber werden die richtigen Kriterien überprüft? Müssen Herr und Frau Doktor der Zukunft beispielsweise ihre Empathie unter Beweis stellen?

Alex, Jonathan und Kevin haben einen Traum: Mediziner werden. Um sich diesen zu erfüllen, stellen sie sich 2022 dem berühmten Medizinaufnahmetest (MedAT). Sie kämpfen mit hunderten Mitstreitern und Mitstreiterinnen um begehrte Studienplätze. Am selben Tag, im selben Test wird geprüft, wer in der Lage ist, sowohl chemische Vorgänge als auch Emotionen zu erkennen. Kann ein Kreuz in einem Kästchen ein Attest für Empathie und soziale Kompetenz sein? Im Gespräch sprechen die drei Studierenden über den sozial-emotionalen Abschnitt des Tests, die notwendigen Vorbereitungen und ihre Eindrücke von einem der diskutiertesten Aufnahmeverfahren an Österreichs Universitäten. Haben die drei das Zeug, um aufgenommen zu werden?

Die Protagonisten

Alex Reischl (19) aus Osttirol versucht sich nach der AHS-Matura bereits 2021 an der Aufnahme in die MedUni Wien. 2022, nach einem Jahr Aus- und Vorbereitungszeit, tritt sie erneut an. Bereits in ihrer Kindheit taucht sie in die Welt der Medizin ein. Einerseits mit dem Vater als Vorbild, der in seiner Zahnarztpraxis seine Patienten behandelt und andererseits durch das ewige Insulinmessen und die strikte glutenfreie Ernährung. Diabetes mellitus und Zöliakie begleiten Alex von klein auf. Daraus entstand eine Faszination für den Körper, seine Funktionen. Wie ihr Vater will sie lernen, Schmerzen zu lindern. „Soweit ich mich zurückerinnern kann, war die Begeisterung für die Medizin schon immer da“, verdeutlicht Alex.

Jonathan Steinberger (23) aus Kärnten tritt zum zweiten Mal beim MedAT der öffentlichen Universität Graz und zusätzlich bei der Paracelsus Medizinischen Privatmedizin (PMU) in Salzburg an. Hinter ihm liegt der Abschluss einer HTL, Zivildienst beim Roten Kreuz und ein Semester Chemie an der TU Graz. Als besonders prägend beschreibt er die Zusammenarbeit mit Notärzten, die immer genau wissen, was zu tun ist und den verängstigten Patienten helfen können. Außerdem sei die aufrichtige Dankbarkeit der Patienten das schönste Gefühl, das es gibt. Jonathan erinnert sich an die letzten Augenblicke seiner Großmutter und an die Hilflosigkeit, die er in jenen Momenten verspürt hat. Um dieser Hilflosigkeit entgegenzuwirken, zugleich aber auch den eigenen Ehrgeiz zufriedenzustellen, steht für ihn zweifellos fest, dass „die Medizin der richtige Weg ist“.

Kevin Schinwald (20) aus Salzburg beschließt nach der Matura ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in einem Altersheim in Salzburg zu absolvieren und bewirbt sich daraufhin bei der öffentlichen, medizinischen Universität Linz und der PMU. Menschen in ihren schwierigsten Momenten zur Seite stehen und das „Recht auf Gesundheit jedes Menschen“ schützen zu wollen, machen die Medizin für Kevin zu einer natürlichen Berufung. „Ich will hiermit meinen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten“, bestätigt Kevin. Erinnerungen aus dem eigenen Umfeld und an das Schicksal von Bekannten stärken dieses Bedürfnis.

Der Tag des Tests

Es beginnt um etwa acht Uhr morgens. Nach dem Einlass in das Gebäude bekommt jeder einen Sitzplatz zugeordnet. Hier werden Aufregung und Angst sichtbarer. Vom Musikhören bis zum panischen An-die-Wand-Starren – jeder versucht, sich zu fassen. Nicht erlaubte Gegenstände werden abgegeben. Einzig ein durchsichtiges Sackerl und die Jause dürfen mit in den Saal. Dann noch eine Erläuterung des Tagesablaufs, und der große Test wird eingeleitet. Es gilt 201 Multiple-Choice-Fragen zu beantworten. Der Vormittag ist den naturwissenschaftlichen Fähigkeiten – den sogenannten Basiskenntnissen – gewidmet. Vor der einstündigen Mittagspause findet der Untertest „Textverständnis“ statt. Die kognitiven Fähigkeiten sind am Nachmittag an der Reihe. Den Abschluss bildet die Testung der sozial-emotionalen Fähigkeiten. Die Kompetenzen „Soziales Entscheiden und Emotionen erkennen“ werden hier auf die Probe gestellt. Textbasiert werden moralische Entscheidungsszenarien simuliert.

Eine soziale Herausforderung

Unlängst kritisierten Studierende, Ärzteschaft sowie Politiker diesen Aspekt des MedAT. Die authentische, soziale oder gar praktische Erfahrung wird so nicht erfasst. Erleichterungen oder gar Ersatz des traditionellen Aufnahmeverfahrens durch ein Pflegepraktikum oder ein Freiwilliges soziales Jahr (FSJ) – diese Vorschläge werden nun zumindest geprüft. Könnte ein sozialer Dienst stärker zum Tragen kommen, etwa als Voraussetzung für die Teilnahme am MedAT? An der PMU ist dies bereits ein Auswahlkriterium. Im ersten Schritt des Aufnahmeprozesses muss unter anderem ein mindestens vierwöchiges Volontariat nachgewiesen werden.

Einen Zivildienst oder ein FSJ als Voraussetzung hält Jonathan für keine gute Idee. Das würde vor allem Quereinsteigern, die mit 30, 40 Jahren noch einen Freiwilligendienst „nachholen“ müssten, schaden. Außerdem seien Verpflichtungen allgemein zu vermeiden. Sie hätten selten das gewünschte Resultat. Alex und Kevin widersprechen: Praxisorientierte Erfahrungen seien sinnvoller als reines Lernen, denn sie geben einen besseren Einblick in die Welt der weißen Kittel und roten Blutkörperchen. Nicht geeignete Kandidaten können schon im Vorhinein ausgesiebt werden. Für ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, Harald Mayer, ist ein verpflichtendes Pflegepraktikum jedenfalls keine Lösung: „Angehende Ärztinnen und Ärzte sind keine Lückenbüßer für den über Jahre hindurch von der Politik verursachten akuten Pflegemangel. Hinzu kommt, dass es unmöglich ist, jedes Jahr tausende junge Menschen, die Medizin studieren wollen, in Spitälern für Pflegedienste unterzubringen.“ „Besonderes soziales Engagement“ bei der Aufnahme einzubeziehen, schließt er dennoch nicht aus.

Der Weg zum Erfolg

Viel lernen, dennoch braucht es Glück, um es zu schaffen. Jonathan empfiehlt die psychische Vorbereitung nicht aus den Augen zu verlieren, er billigt ihr sogar eine zentrale Rolle zu. Beim zweiten Mal habe er sich von der Nervosität seiner Mitstreiter regelrecht abgekapselt. Ein Erfolgsrezept? Um seinen Traum zu verwirklichen, würde Jonathan so lange antreten, bis es klappt. Ohne Familie und Staat eine Last zu sein, bekräftigt er dabei. Ähnliches trifft für Alex zu. Den Test bereits einmal durchgeführt zu haben, zählen der Kärntner und die Osttirolerin auf jeden Fall als Vorteil, da nun Formalitäten und Ablauf bekannt sind. Dass man nur einmal pro Jahr und nicht einmal pro Semester, wie Jonathan vorschlägt, zum MedAT antreten kann, kritisiert auch Alex. Auch wenn Jonathan von einem grundsätzlich fairen Test spricht. Die transparente Kommunikation des Stoffes und des Prüfungsformates stellen dies aus seiner Sicht unter Beweis. „Der Test wird nur als unfair empfunden, weil so viele Personen keinen Studienplatz bekommen. Das sagt sich im Nachhinein leichter“, schmunzelt er. Aber es ist eine bittere Pille.

Auch sehen die Aspiranten die grundlegende Notwendigkeit des Tests. Kurse wie das Mikroskopieren müssen in kleinen Gruppen koordiniert und durchgeführt werden. Die Kapazitäten der Universitäten sind also schnell ausgelastet. Und doch: „Wir brauchen mehr Studienplätze“, sagt Alex, „das Interesse unserer Generation ist da, um dieses anspruchsvolle Studium zu beginnen.

Kommt man auf den sozial-emotionalen Bereich zu sprechen, wirken die Bewerber unzufrieden. Jonathan argumentiert: „Der Untertest ist extrem subjektiv – wer entscheidet, welche soziale Entscheidung die beste ist? – und außerdem undurchsichtig, denn keiner weiß, wie der Untertest bewertet wird.“ Vorbereiten könne man sich auf diesen Aspekt ohnehin nicht und soziale Begabung sei kein garantierter Vorteil für die Aufnahme. Die soziale Ader eines Menschen auf Papier untersuchen zu wollen, scheint eine umstrittene Vorgehensweise zu bleiben. „Was wir suchen, sind die besten Ärztinnen und Ärzte für unser Land und für unsere Patienten und Patientinnen und wie wir diese treffsicherer herausfiltern – und nicht nur gute Studenten. Das muss sich unserer Ansicht noch stärker widerspiegeln. Und auch, was die Zulassungskriterien angeht, sind neue Wege erlaubt“, äußert sich ÖÄK-Vizepräsident Mayer diesbezüglich.

Einen optimalen Vorbereitungszeitraum für den MedAT scheint es nicht zu geben. Sechs Monate bis ein Jahr schlagen Alex und Jonathan vor, aber das sei individuell festgelegt. Kevin setzt auf Lockerheit. Drei Monate für den schriftlichen Test der PMU und dann versuchen, so entspannt wie möglich in das finale persönliche Interview zu gehen. Für den MedAT in Linz wendet er eine ähnliche Strategie an. „Sozial sein üben“ steht jedenfalls bei keinem der drei am Lernplan.

Etwas Statistik

Seit 2022 gibt es in Österreich 1.850 öffentliche Studienplätze für Human- und Zahnmedizin. Mit 760 Plätzen die meisten in Wien, gefolgt von Innsbruck, Graz und Linz. 75 Prozent der Studienplätze für Humanmedizin sind für österreichische Staatsbürger reserviert, 20 Prozent für EU-Bürger und fünf Prozent für EU-Auslandsbürger. An der PMU gibt es jährlich 75 Plätze in Salzburg und 50 Plätze am zweiten Standort Nürnberg. Alex, Jonathan und Kevin haben insofern einen Vorteil, da sie in die größte Kategorie fallen. Ein Haaresbreiten-Vorteil. 2022 kamen nämlich auf die insgesamt 1.850 Plätze 14.696 Bewerberinnen und Bewerber. Ein Verhältnis, das die Kompetenz Glück in ein gänzlich neues Licht stellt.

Kevin und Jonathan hatten das Glück auf ihrer Seite. Beide schafften es, sowohl in die PMU als auch an den öffentlichen Universitäten aufgenommen zu werden. Kevin entscheidet sich, in Salzburg zu bleiben und studiert Medizin an der PMU. Das Gegenteil gilt für Jonathan. Die Uni Graz bildet ihn seit Oktober zum Humanmediziner aus. Alex sucht ihr neues Glück im Biologiestudium und nimmt sich vor, nach dessen Abschluss einen weiteren Antritt zu wagen. Und noch etwas steht für alle drei fest: Wenn man den Traum vom Medizinstudium verfolgt und die Aufnahmeprüfung – egal ob an einer öffentlichen oder privaten Universität – nicht beim ersten Versuch schafft, soll man nicht gleich aufgeben, sondern es immer wieder versuchen.

Quellen: Interviews mit Alex Reischl, Jonathan Steinberger, Kevin Schinwald

studymed. (2022, 5. Oktober);

Alles über studymed: Dein Wegzum MedAT 2023 (YouTube-Video), https://bit.ly/3TgLkww (2022, 7. November);Erneute Debatte über Medizinaufnahmetest, https://bit.ly/3mHTCkW.


Metadaten
Titel
Die Lizenz zum Leben retten
Schlagwörter
Studium
Praxis und Beruf
Publikationsdatum
21.03.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 12/2023

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