Sport bei Krebs: Warum er sich für Patienten wirklich lohnt

Wer es als Tumorpatient schafft, ein regelmäßiges Sportpensum zu absolvieren, kann sich damit nicht nur mehr Lebensqualität erarbeiten. Immer mehr Studien weisen darauf hin, dass durch das Training therapiebedingte Nebenwirkungen abnehmen, die Mortalität sinkt und wohl auch Rezidive verhindert werden. Bewegung und körperliches Training steigern bei Krebspatienten sowohl in der Akut- als auch in der Nachbehandlungsphase ganz ohne Frage das Wohlbefinden und erhöhen die Lebensqualität (QoL). Die positive Wirkung sportlicher Akltivitäten geht jedoch weit über solche subjektiven Effekte hinaus, und zwar nicht nur beim Brustkrebs, für den bei Weitem die meisten Studien vorliegen, sondern offenbar auch bei einer ganzen Reihe anderer Tumoren. Als „effektiven Nebenwirkungsmanager“ bei Krebsleiden bezeichnete PD Dr. Joachim Wiskemann vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg die Bewegungstherapie. Damit könne man unter anderem: Einfluss auf unmittelbare therapiebedingte Nebenwirkungen wie Osteopenie oder Polyneuropathie nehmen, Langzeitkomplikationen abmildern, die sich durch toxische Wirkungen von Krebsmedikamenten ergeben (z.B. Kardiotoxizität) und psychosoziale Krankheitsfolgen wie Fatigue, Depressivität und Ängstlichkeit bessern bzw. verhindern. Mit das Wichtigste aber: Bei Patientinnen und Patienten mit Brust-, Darm- oder Prostatakrebs ließ sich abhängig vom Aktivitätsniveau eine um bis zu 40% reduzierte Sterblichkeit nachweisen. Interessanterweise konnte bei Brustkrebspatientinnen zudem die Rezidivrate gesenkt werden, wenngleich es sich hierbei um nicht signifikante Effekte handelte. Positiver Effekt auf die Langzeitprognose Nach Wiskemann kann man aufgrund der Studienlage insgesamt von einem „positiven Effekt von Bewegung auf die Langzeitprognose von Krebspatienten“ ausgehen. Der Experte, der das Patientenprogramm "Bewegung und Krebs" am NCT leitet, beobachtet z.B. bei Patientinnen mit Mammakarzinom regelmäßig, dass sie im Verlauf der Krankheit sehr starke Leistungseinbußen zeigen. Mit ihrem Risikoniveau seien die Patientinnen oft fast schon an der Schwelle dessen, was man nach einer Herztransplantation vorfände. Auch schwer Erkrankte sprechen an Diese reduzierte Leistungsfähigkeit, die Krebspatienten über fast alle Tumorentitäten hinweg zu schaffen macht, entscheidet nach Wiskemann mit über die Prognose. In Studien waren klinische Marker wie Sarkopenie und ein ungünstiges Verhältnis von Muskel- zu Fettmasse mit einem „deutlich erhöhten Mortalitätsrisiko“ assoziiert. Andererseits konnte jedoch auch gezeigt werden, dass der Körper selbst bei schwerer Erkrankung auf Trainingsreize adäquat reagiert, sprich, leistungsfähiger wird. Worauf es dabei ankommt, ist dem Experten zufolge der richtige Stimulus. Bei der Frage, welches Bewegungspensum im Einzelfall sowohl wirksam als auch zumutbar ist, kann man sich mittlerweile an Leitlinien orientieren. In der Konsensusleitlinie des American College of Sports Medicine1 ist laut Wiskemann „wie in einem Beipackzettel“ aufgeführt, wie intensiv Krebspatienten bei bestimmten Problemen und Komplikationen trainieren dürfen und sollten ( Abb. 1: Empfehlungen des American College of Sports Medicine). Während Fachgesellschaften im Allgemeinen ein Pensum von insgesamt 150 Minuten pro Woche empfehlen, gibt es für bestimmte Situationen Hinweise, dass auch deutlich kürzere Einheiten ausreichend sind. Bei krebsbedingter Fatigue hilft auch ein verkürztes Pensum Das gilt vor allem für die krebsbedingte Fatigue. Hier ist die Evidenz für den Effekt von körperlichem Training eindeutig am stärksten. Wiskemann: „Bewegung wirkt hier letztendlich immer!“ Das gelte für alle Diagnosegruppen, zu allen Zeitpunkten, also sowohl vor als auch während und nach der Therapie, und auch bei bereits vorhandenen Metastasen. Wirksam seien sowohl Ausdauer- als auch Krafttraining, wobei die Betreuung durch einen Therapeuten den Effekt nachweislich verstärke. Gerade wer initial ein hohes Fatigue-Niveau aufweise, profitiere am meisten, betonte Wiskemann. Allerdings lassen sich gerade diese Patienten erfahrungsgemäß eher schlecht aktivieren. Hier hilft die Botschaft, dass bereits ein minimales Wochenpensum von 2 × 45 Minuten effektiv ist, wobei sich die Dosis sogar stückeln lässt, beispielsweise auf 4 × wöchentlich jeweils etwas mehr als 20 Minuten. Impact- plus Krafttraining bremst Knochenabbau Eine der häufigsten Folgen einer antihormonellen Therapie, z.B. bei Brust- oder auch bei Prostatakrebs, ist die Osteopenie. Mit Bewegung könne man erreichen, dass die Knochendichte weniger abnimmt bzw. unter Therapie sogar nahezu gleichbleibt, berichtete Wiskemann. Dies belegt etwa eine australische Studie des Sportmediziners Prof. Rob Newton und Kollegen mit Prostatakarzinompatienten unter medikamentösem Androgenentzug.2 Hier resultierte ein 2 × wöchentlich durchgeführtes leichtes Sprungtraining in Kombination mit Krafttraining über insgesamt zwölf Wochen in deutlich besseren Knochendichtewerten als die Standardversorgung. Der Dichteverlust war nach einem Jahr nur halb so groß wie in der Kontrollgruppe. Ein Vergleichsprogramm mit Konditions- plus Krafttraining führte dagegen in der Untersuchung zu keinen signifikanten Resultaten. Laut Wiskemann werden durch das Impacttraining Mechanorezeptoren innerhalb der Knochenstrukturen angesprochen, was letztlich bewirkt, dass der Knochenabbau gebremst wird. Der Experte hält es für sinnvoll, solche kombinierten Maßnahmen über einen längeren Zeitraum, z.B. über fünf Jahre, zu verordnen. „No-Load-Approach“: gezieltes Krafttraining trotz Knochenmetastasen Gerade beim Prostatakarzinom, aber auch bei anderen Tumorentitäten sind Knochenmetastasen eine häufige Komplikation. Dies müsse allerdings kein Grund sein, einem Patienten von körperlichem Training abzuraten, betonte Wiskemann. Beim „No-Load-Approach“ werden diejenigen Strukturen, die von Metastasen betroffen sind, vom Training ausgespart. Liegen die Metastasen z.B. im Bereich von Wirbelkörpern, können Arme und Beine trainiert werden, dagegen sollten etwa Übungen mit Drehung des Oberkörpers ausgelassen werden. Mit speziellen isometrischen Übungen (z.B. dem Vierfüßerstand mit wechselndem Strecken der Extremitäten oder Ruderbewegungen mit einem Theraband) kann zudem die Wirbelsäulenmuskulatur auftrainiert werden. Dies kann auch parallel zu einer Bestrahlung erfolgen. In einer Pilotstudie am Heidelberger NCT3 waren sogar Teilnehmer mit instabilen Wirbelkörpermetastasen (Taneichi-Score ≥D) in der Lage, bei laufender Strahlentherapie ein Pensum mit vier Übungen täglich an zehn Tagen zu absolvieren. Auch wenn nur etwa die Hälfte der Patienten alle Übungen schafften, ließ sich die Muskelkraft insgesamt steigern. Wie Wiskemann betonte, ist bei solchen Übungen jedoch ein enges Monitoring durch einen erfahrenen Therapeuten obligat. Training erhöht Verträglichkeit der Chemotherapie Besonders relevant für die Patienten dürfte das Argument sein, dass die Bewegungstherapie in vielen Fällen die Verträglichkeit einer onkologischen Therapie erhöht. Nachgewiesen hat das unter anderem eine Studie aus dem Jahr 2020.4 Hier war die Chemotherapiedosis, die den Patienten letztlich appliziert werden konnte, bei körperlichem Training deutlich höher. Vor allem Dosisreduktionen aufgrund von Neutropenie, Infektionen und Fatigue konnten im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant gesenkt werden. „Hier scheint die mechanistische Therapie klare Angriffspunkte zu haben“, so Wiskemanns Fazit. Wie Sport das Tumorwachstum bremst Warum Krebspatienten ein geringeres Mortalitätsrisiko haben, wenn sie trainieren, lässt sich folgendermaßen erklären: Bei überwiegend inaktiven Patienten liegt ein Milieu vor, in dem vor allem tumorfördernde Faktoren wie chronische Entzündungsreaktionen, eine Aktivierung der Insulinkaskade und erhöhte Konzentrationen an Steroidhormonen in den Vordergrund treten. Umgekehrt trägt regelmäßiges Training dazu bei, dass sich dieses Milieu längerfristig zum Positiven verändert. Auf der Ebene des Tumors wurden konkret folgende Effekte beschrieben: Durch die verbesserte Herz- und Lungenfunktion und die vermehrte Produktion von roten Blutkörperchen steigt insgesamt der Sauerstoffumsatz. Damit wird auch das Tumorgewebe besser durchblutet und belüftet, möglicherweise auch die Immunantwort im Tumor verstärkt. Die Verbesserung der intratumoralen Hypoxiesituation könnte therapeutisch relevant sein: So ist eine ausreichende Oxygenierung des Gewebes z.B. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Strahlentherapie. Grundlagenstudien weisen zudem darauf hin, dass sich der durch Bewegung verursachte Scherstress in den Blutgefäßen über Mechanorezeptoren auf zirkulierende Tumorzellen auswirkt. Zusammengenommen könnten die genannten Effekte sogar dazu beitragen, Metastasierungen oder Rezidive zu verhindern. Referenzen: 1.) Campbell KL et al., Med Sci Sports Exerc 2019; 51(11): 2375-2390. doi: 10.1249/MSS.0000000000002116 2.) Newton RU et al., Med Sci Sports Exerc 2019; 51(4): 607-614; doi: 10.1249/MSS.0000000000001831 3.) Rosenberger F et al., Cancers 2021; 13(2): 201; doi: 10.3390/cancers13020201 4.) Kirkham AA et al., J Natl Compr Canc Netw 2020; 18(12): 1670-1677 doi: 10.6004/jnccn.2020.7603 Quelle: MMW – Fortschritte der Medizin, Ausgabe 5/2021, https://doi.org/10.1007/s15006-021-9693-1

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