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Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Österreich 1/2022

Open Access 09.03.2022 | Originalien

Sinn und Nutzen des Präeklampsiescreenings im 1. Trimenon

verfasst von: Univ. FÄ Dr. med. univ. Christina Stern, Univ.-Prof. Dr. med. univ. Barbara Pertl

Erschienen in: Gynäkologie in der Praxis | Ausgabe 1/2022

Zusammenfassung

Die Präeklampsie (PE) ist eine Systemerkrankung der Schwangerschaft und Teil des Spektrums der plazentaassoziierten Schwangerschaftserkrankungen. Sie ist durch einen neu aufgetretenen Bluthochdruck und eine weitere Organmanifestation, wie z. B. Proteinurie oder andere, bzw. pathologisch erhöhte PE-spezifische Markersysteme definiert. Entsprechend dem Manifestationszeitpunkt werden frühe und späte Formen unterschieden, welchen auch eine unterschiedliche Pathogenese zugrunde liegt. Insbesondere die frühen Formen können mit schweren Verläufen und Frühgeburtlichkeit einhergehen und sind, über die unmittelbaren peripartalen Komplikationen hinaus, auch mit einer erheblichen Langzeitmorbidität für Mutter und Kind assoziiert. Der PE-Screening-Test, der im ersten Trimenon durchgeführt wird, berechnet die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer PE und wird aus dem A‑priori-Risiko aus mütterlichen Anamnesedaten sowie aus biophysikalischen (mittlerer arterieller Druck und Farbdoppler der Arteriae uterinae) und biochemischen Parametern („pregnancy-associated plasma protein A“, PAPP‑A, und „placental growth factor“, PLGF) errechnet. Diese Screeningmethode wurde für verschiedene Populationen validiert und von der International Society of Ultrasound in Obstetrics and Gynecology (ISUOG) als effektivstes Instrument zur Identifikation von Risikopatientinnen anerkannt. Niedrig dosiertes Aspirin, d. h. 75–150 mg einmal täglich zur abendlichen Einnahme spätestens ab der 16. SSW, ist derzeit als einzig effektive Maßnahme zur Prävention der PE etabliert und bewirkt eine signifikante Risikoreduktion. Das PE-Screening ermöglicht nicht nur, Risikopatientinnen sehr früh in der Schwangerschaft (vor dem Auftreten klinischer Zeichen) zu identifizieren, sondern auch, durch die Gabe niedrig dosierten Aspirins eine nachweislich risikosenkende, prophylaktische Maßnahme einzuleiten.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Präeklampsie – Pathogenese und Inzidenzen

Die Präeklampsie (PE) ist eine Multisystemerkrankung, die als jeder neu aufgetretene Bluthochdruck in der Schwangerschaft mit zusätzlich mindestens einer neu aufgetretenen Organmanifestation, die keiner anderen Ursache zugeordnet werden kann, oder pathologischem Befund PE-spezifischer Markersysteme (auch wenn andere Organmanifestationen fehlen) definiert ist [1]. Nach dem Zeitpunkt der Manifestation wird eine frühe („early onset“ < 34. SSW) bzw. eine „preterm“ (< 37. SSW) von einer späten („late onset“ ≥ 34. SSW) bzw. „term“ (≥ 37. SSW) PE unterschieden, die auch ätiologisch unterschiedlich sind. Insbesondere die frühen Formen gehen mit einer hohen mütterlichen und kindlichen Morbidität und Mortalität einher. Die „fetoplazentare PE“ entsteht durch eine Störung der Trophoblastinvasion im ersten Trimenon, mit konsekutiv unzureichender Endothelumwandlung bzw. ungenügender Erweiterung der mütterlichen Spiral- und Radialarterien („poor placentation“) und resultierendem erhöhtem fetoplazentarem Widerstand. Hingegen ist die „maternale PE“ eine Folge vorbestehender mütterlicher kardiovaskulärer, immunologischer oder Stoffwechselerkrankungen („exceeded placental capacity“; [2]).
Hypertensive Erkrankungen treten in ca. 6–8 % aller Schwangerschaften auf und sind für bis zu 25 % der perinatalen Morbidität verantwortlich. Die Gesamtinzidenz der PE beträgt weltweit ca. 5 %, in Europa ca. 2–3 % bzw. ca. 0,3 % für die frühe Form („early onset PE“; [3]). Weltweit, wie auch in Europa, aber insbesondere in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen, ist die PE eine der 3 häufigsten Ursachen von Müttersterblichkeit und global jährlich für 70.000 der mütterlichen sowie 500.000 der kindlichen Todesfälle verantwortlich [1, 47]. In Österreich sind ca. 2000 Schwangere pro Jahr von einer PE betroffen, davon ca. 600 mit einer Manifestation vor der 34. SSW. Es wird vermutet, dass über 90 % der mütterlichen Todesfälle durch Präeklampsie/Eklampsie in Europa vermeidbar wären [8].

Risikofaktoren und Komplikationen

Anamnestische bzw. schwangerschaftsassoziierte Risikofaktoren sind Erstparität, Alter > 40 Jahre, afroamerikanische Ethnizität, PE bzw. andere Komplikationen einer Plazentainsuffizienz wie z. B. fetale Wachstumsrestriktion, vorzeitige Plazentalösung oder intrauteriner Fruchttod in einer vorherigen Schwangerschaft, BMI > 30 kg/m2, Mehrlingsschwangerschaften, Konzeption nach assistierter Reproduktion, chronische arterielle Hypertonie, vorbestehender und Gestationsdiabetes (GDM), vorbestehende Nierenerkrankungen, Autoimmunerkrankungen, Antiphospholipidsyndrom und ein erhöhter Widerstand in den Arteriae uterinae [1, 3]. Eine zunehmende Anzahl an Frauen im reproduktiven Alter leidet an Adipositas, Insulinresistenz (wie bei Typ-II-Diabetes und GDM), Dyslipidämie und arterieller Hypertonie, die als metabolische Risikofaktoren für die Entwicklung einer Präeklampsie bzw. für kardiovaskuläre Erkrankungen gelten. Die globale Prävalenz von Adipositas stieg von 1980 bis 2015 von 9 auf 15 % [9].
Die Präeklampsie ist Teil des Spektrums der plazentaassoziierten Schwangerschaftserkrankungen; unbehandelt bzw. in schwerer Manifestation können diese zu mitunter lebensbedrohlichen Komplikationen sowohl für die Mutter als auch für das Kind führen. Dazu gehören Frühgeburtlichkeit, fetale Wachstumsrestriktion bis zum intrauterinen Fruchttod und vorzeitige Plazentalösung sowie mütterlicherseits zerebrovaskuläre Komplikationen und Eklampsie bzw. neurologische Manifestationen, HELLP-Syndrom, Leberdysfunktion, Gerinnungsstörungen, akutes Nierenversagen und Lungenödem [1, 6].

Spätfolgen für Mutter und Kind

Frauen haben nach einer PE (insbesondere nach der frühen Form < 34. SSW) lebenslang ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen, wie Bluthochdruck, peripher arteriosklerotische Gefäßerkrankung, koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, zerebrovaskuläre Erkrankungen und Typ-II-Diabetes, metabolisches Syndrom oder chronische Nierenerkrankungen. 30 % jener Frauen, die eine „term PE“ hatten, leiden 2 Jahre nach der Geburt an arterieller Hypertonie und 25 % an einem metabolischen Syndrom [2, 5, 10]. Dieses Risiko ist durch wiederholte Schwangerschaften mit PE bzw. frühem Beginn der Erkrankung und mit fetaler Wachstumsrestriktion zusätzlich erhöht [11]. Weltweit stirbt eine von drei Frauen an einer kardiovaskulären Erkrankung; sie zählt somit global zu den häufigsten Todesursachen bei Frauen [12]. Darüber hinaus prädisponieren PE und GDM per se zur Entwicklung von kardiometabolischen Erkrankungen. Der Zusammenhang zwischen prädisponierenden kardiometabolischen Risikofaktoren und Frauen nach Präeklampsie ist die persistierende Endotheldysfunktion. Eine wesentliche pathogenetische Rolle spielen die zwei großen endokrinen Organe Plazenta und Fettgewebe [13].
Offen ist die Frage, ob dieses Risiko durch einen durch die PE bedingten und nach der Schwangerschaft persistierenden Endothelschaden hervorgerufen wird oder die Prädisposition für vaskuläre Herz-Kreislauf-Erkrankungen bzw. für ein metabolisches Syndrom schon vor der Schwangerschaft bestanden hat (klinisch manifestiert durch den „physiologischen Stresstest Schwangerschaft“; [14]).
Ein physiologisches intrauterines Milieu ist essenziell für die gesunde Entwicklung des Fetus; intrauterine Veränderungen können eine Prädisposition des Neugeborenen für chronische Erkrankungen bewirken („fetale Programmierung“). Die PE kann mit einer fetalen Wachstumsrestriktion und/oder mit Frühgeburtlichkeit einhergehen, welche wiederum per se isolierte Risikofaktoren für z. B. arterielle Hypertonie und andere kardiovaskuläre Erkrankungen darstellen [15]. Kinder von Müttern mit PE haben im Jugendalter einen höheren Blutdruck und ein höheres Infarktrisiko im späteren Leben sowie ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes und Adipositas [1618]. Aktuelle Studien evaluieren, ob es sich bei diesen Veränderungen um eine genetische Assoziation handelt, ob dieses Risiko durch die Lebensumstände in der nachgeburtlichen kindlichen Entwicklung bedingt ist oder ob es sich um schwangerschaftsassoziierte epigenetische In-utero-Veränderungen handelt [19, 20].

Schwangerenvorsorge – Präeklampsiescreening

Bis dato steht keine kausale Therapie der manifesten PE zur Verfügung und die Entbindung stellt nach wie vor die einzige Therapieoption dar. Da sowohl die maternofetale perinatale Morbidität und Mortalität als auch die Langzeitmorbidität hoch sind, sind die frühzeitige und korrekte Identifikation von Risikoschwangeren, deren risikoadaptierte Schwangerschaftsbetreuung, das Einleiten prophylaktischer Maßnahmen sowie das rechtzeitige Erkennen klinischer Zeichen und die Entbindung zum optimalen Zeitpunkt zur Senkung der perinatalen Morbidität und Mortalität essenziell.
Die Primärprophylaxe der PE beginnt für Frauen mit chronischen Erkrankungen (z. B. chronischer Hypertonie, Diabetes mellitus, Adipositas, Autoimmunerkrankungen etc.) bereits in der Kinderwunschphase. Eine präkonzeptionelle Abklärung bzw. adäquate Behandlung der Grunderkrankung kann den gesamten Schwangerschaftsverlauf positiv beeinflussen [21].
Das PE-Screening bietet die einmalige Möglichkeit, nicht nur Risikopatientinnen sehr früh in der Schwangerschaft (vor dem Auftreten klinischer Zeichen) zu identifizieren, sondern durch die Gabe niedrig dosierten Aspirins auch eine nachweislich risikosenkende, prophylaktische Maßnahme einzuleiten [22].
Das PE-Screening entsprechend der Empfehlung der Fetal Medicine Foundation (FMF, London, UK) ist ein Test, der im ersten Trimenon (SSW 11 + 0–13 + 6) das Risiko der Frau, im Verlauf ihrer Schwangerschaft an einer PE zu erkranken, berechnet. Die Wahrscheinlichkeit wird aus dem A‑priori-Risiko (Ausgangsrisiko) aus mütterlichen Basisdaten (Alter, Gewicht, Größe, ethnische Herkunft) bzw. Anamneseparametern (Parität, vorangegangene Schwangerschaft mit Präeklampsie, Familienanamnese bzgl. Präeklampsie, Konzeptionsmodus, arterielle Hypertonie, Diabetes, systemischer Lupus erythematodes und Antiphospholipidsyndrom) sowie aus biophysikalischen (mittlerer arterieller Druck [MAP] und Farbdoppler der Arteriae uterinae [Pulsatilitätsindex, UTPI]) und biochemischen Parametern („pregnancy-associated plasma protein A“ [PAPP-A] und „placental growth factor“ [PLGF]) errechnet [23, 24]. Dieses Risiko wird für das Auftreten der „early onset“ (< 34. SSW), der „preterm“ (< 37. SSW) und der „term“ (≥ 37. SSW) PE separat berechnet, ist für jede Frau individuell unterschiedlich und für jede Schwangerschaft neu zu evaluieren.
Die mütterlichen Daten sind nach einem standardisierten Fragebogen und der Blutdruck nach standardisierten Messvorgaben zu erheben. Die korrekte Messung des Dopplers der Uterinarterien erfolgt nach einem vorgeschriebenen Protokoll (Messung dreier gleichartiger Flusskurven in einem Sagittalschnitt der Cervix uteri im Bereich des Orificium internum im transabdominalen Ultraschall unter einem Insonationswinkel < 30°), erfordert Schulung, Zertifizierung sowie eine regelmäßige Qualitätskontrolle der Messergebnisse der Untersuchenden, um inkorrekte Messungen, die signifikant die Detektionsrate verschlechtern können, auszuschließen [25].
Wird eine Risikostratifikation allein aus mütterlichen Anamnesefaktoren durchgeführt, werden nur ca. 40 % der gesamten PE-Fälle und ca. 50 % aller PE-Fälle vor 37. SSW („false positive rate“ [FPR] 10 %) detektiert. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte jener Frauen, die von einer PE-Prophylaxe mit Aspirin profitieren könnten, diese nicht erhalten würden. Aufgrund des mangelnden prädiktiven Werts einzelner (biophysikalischer oder biochemischer) Parameter wird die Risikoberechnung mit nur einzelnen Faktoren nicht empfohlen [1, 26]. Wird die Risikoberechnung jedoch mittels Kombination aller Faktoren durchgeführt, verbessert sich die Erkennungsrate wesentlich und es wird eine Detektionsrate (DR) von bis 96 % für die „early onset“ und 77 % für die „preterm PE“ (FPR 10 %) erreicht; für die „late onset PE“ zeigt der Test jedoch deutlich schlechtere Ergebnisse (DR 36 %; FPR 5 %; [23, 24]). Das kombinierte Screeningverfahren zeigt einen hohen negativen Vorhersagewert für die „early onset PE“ und für die Entwicklung der fetalen Wachstumsrestriktion [1].
Weitere Studien haben verschiedene Screeningmodelle evaluiert, mit dem Ziel, durch Identifikation bestgeeigneter Marker die Detektionsrate, auch jene der „term PE“, zu steigern:
So erzielt ein Modell aus Anamnesefaktoren, MAP, UTPI und PLGF (ohne PAPP-A) eine DR von 75 % bzw. 47 % für die „preterm“ bzw. „term PE“ (FPR 10 %; [27]). Eine DR von 81 % bzw. 40 % (für „early onset“ bzw. „late onset PE“, FPR 10 %) wurde erzielt, wenn anstelle von PLGF PAPP‑A als alleiniger biochemischer Parameter verwendet wurde [28, 29]. Eine rezente Arbeit zeigt keinen signifikanten Unterschied in der Test-Performance mit der Bestimmung von PAPP‑A im Vergleich zu PLGF [30].
Sowohl die „guidelines“ des National Institute for Health and Care Excellence (NICE, UK) als auch die des American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG, US) empfehlen eine Risikostratifikation basierend auf maternalen Anamnesefaktoren allein; nach diesem Prinzip liegen die Detektionsraten für die „preterm PE“ (< 37. SSW) bei 39 % und für die „term PE“ (≥ 37. SSW) bei 34 % (FPR 10 %) bzw. für die „preterm PE“ bei 90 % und für die „term PE“ bei 89 % (FPR 64 %; [31, 32]).
In Vergleichsstudien wurde die Überlegenheit des kombinierten, standardisierten Screeningtests unter Berücksichtigung physikalischer und biochemischer Parameter versus der Risikoevaluierung ausschließlich mittels Anamnesefaktoren gezeigt [26, 33, 34]. Die kombinierte Screeningmethode wurde für verschiedene Populationen validiert und von der International Society of Ultrasound in Obstetrics and Gynecology (ISUOG) als effektivste Screeningmethode auf PE anerkannt [35]. Die International Federation of Gynecology and Obstetrics (FIGO) empfiehlt, das kombinierte PE-Screening jeder Schwangeren anzubieten, wobei in ressourcenarmen Ländern adaptierte, kostengünstigere Screeningmethoden (z. B. Anamnesefaktoren + MAP ohne biochemische Faktoren) mit niedrigerer Detektionsrate zu erwägen sind [7].

Sekundärprävention – Aspirin

Niedrig dosiertes Aspirin (Acetylsalicylsäure [ASS]; „low dose aspirin“ [LDA]), d. h. 75–150 mg einmal täglich zur abendlichen Einnahme ab der 12. SSW (bzw. spätestens ab der 16. SSW) bis zur 36. SSW bzw. Geburt, ist als Prophylaxe der PE für die Gruppe jener Schwangeren, die dem Risikokollektiv zugeordnet werden, derzeit als einzig effektive Maßnahme zur Prävention der PE anerkannt [3639]. Acetylsalicylsäure gehört zur Gruppe der nichtsteroidalen entzündungshemmenden Substanzen, wirkt über eine Blockade der beiden Isoformen der Cyclooxygenase (COX‑1 und COX-2) auf die Prostaglandin‑, Prostazyklin- und Thromboxansynthese und hat thrombozytenaggregationshemmende, vasoaktive und antiinflammatorische Eigenschaften, die die frühe Phase der Plazentation positiv beeinflussen sollen [31, 40].
Aktuelle Daten zeigen bei Einnahme von ASS 150 mg täglich beginnend vor der 16. bis zur 36. SSW eine Risikoreduktion für die „late onset PE“ von > 60 % und für die „early onset PE“ von > 80 % für jene Frauen, die durch den Ersttrimesterscreeningalgorithmus aus Anamnesefaktoren, MAP, UTPI, PAPP‑A und PLGF als Risikopatientinnen detektiert wurden [22]. Ein dosisabhängiger Effekt wird vielfach postuliert, zur optimalen Dosierung konnte bislang international kein Konsens gefunden werden [31, 32, 36]. In den deutschsprachigen Ländern ist aktuell eine Dosis von 150 mg täglich empfohlen [1].
Absolute Kontraindikationen sind eine ASS-Allergie und Asthma bronchiale mit bekannter aspirininduzierter Bronchokonstriktion, als relative Kontraindikationen gelten zunächst gastrointestinale Blutungen oder aktuell blutende Magen-Darm-Ulzera bzw. ein schwerer Leberschaden. Nebenwirkungen sind in niedriger Dosierung selten, in erster Linie werden gastrointestinale Beschwerden angeführt. Auch Blutungskomplikationen, wie vorzeitige Plazentalösung oder postpartale Hämorrhagie, sind im Zusammenhang mit der ASS-Einnahme nicht vermehrt beschrieben. Ursprüngliche unerwünschte Wirkungen auf die fetale Entwicklung, wie vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus Botalli, fetale Blutungskomplikationen oder kongenitale Anomalien, wurden ebenso nicht gehäuft beobachtet [31], wenngleich Langzeitdaten zum kindlichen Outcome fehlen.
Bei Frauen mit Risikoanamnese ist ein Beginn vor dem Ersttrimesterscreening nicht empfohlen, jedoch sollte die ASS-Gabe bis spätestens zur 16. SSW eingeleitet werden.
Ein vorzeitiges Absetzen soll bei Auftreten einer allergischen Reaktion oder hypertensiven Schwangerschaftskomplikation und bei Geburt erfolgen.
Einer Nahrungsergänzung mit Magnesium, Selen, den Vitaminen C, E, D, Kalzium oder Fischöl konnte bislang keine eindeutig präventive Wirkung nachgewiesen werden [1, 31]. Niedermolekulares Heparin (NMH) ist ebenfalls nicht in der Indikation zur Prävention der PE vorgesehen, jedoch bei Thrombophilie in der Schwangerschaft, wie z. B. dem Antiphospholipidsyndrom, indiziert. Die Datenlage zum potenziell präventiven Effekt von Heparin ist sehr heterogen, neueren Studienergebnissen zufolge könnte NMH einen günstigen Effekt in der Prävention der PE bzw. plazentamediierter Schwangerschaftskomplikationen zeigen [40, 41]. Prinzipiell gilt auch die Anwendung von Heparin in der Schwangerschaft als sicher [1]. Das Risiko für eine PE ist in Mehrlingsschwangerschaften 3‑ bis 4‑fach höher als in Einlingsschwangerschaften. Es kann dieselbe Screeningmethode zur Anwendung kommen, die Detektionsraten erreichen fast 100 % („screen positive rate“ 75 %; [42]).
Vor der Durchführung dieses Screeningtests ist eine Aufklärung der schwangeren Frau über das Krankheitsbild „Präeklampsie bzw. hypertensive Schwangerschaftskomplikationen“ und seine Komplikationen sowie die Teststrategie und eventuelle konsekutive prophylaktische Maßnahmen durchzuführen. Die Kosten für die Risikokalkulation werden nicht von den Krankenkassen getragen, auch nicht bei Vorliegen von Risikofaktoren.

Vorgehen im 2. und 3. Trimenon

Es gibt mittlerweile verschiedene theoretische Modelle der Risikoreevaluierung im 2. und 3. Trimester, um auch die leichtere, aber häufigere „late onset PE“, für die sowohl das PE-Screening im 1. Trimester eine geringere Detektionsrate als auch die ASS-Prophylaxe eine geringere Wirksamkeit zeigt, rechtzeitig zu erkennen [33]. In der aktuellen klinischen Praxis wird jenen Schwangeren, die im ersten Trimester als Risikopatientinnen identifiziert wurden, eine intensivierte, engmaschige Schwangerschaftsbetreuung empfohlen. Durch adäquate Aufklärung sollen die Patientinnen eine Aufmerksamkeit für PE-spezifische Prodromalsymptome erlangen und zu häuslichen Blutdruckmessungen bzw. ggf. zur Kontrolle der Harneiweißausscheidung angeleitet werden. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen enthalten klinische Parameter (klinisches Zustandsbild, Blutdruck, Harn), Laborwerte inkl. angiogener Marker („fms-like tyrosine kinase 1“ [sFlt-1], „placental growth factor“ [PlGF]) und die Sonographie (Doppler der Aa. uterinae, fetales Wachstum).
Die korrekte Blutdruckmessung soll sitzend, nach 5 min Ruhe, an beiden Armen und jedenfalls mit einer dem Umfang angepassten Oberarmmanschette erfolgen [1].
Eine Eiweißausscheidung im Spontanurin von einem Grad ≥ 1+ (entspricht einer signifikanten Proteinurie mit ≥ 30 mg/mmol Albuminausscheidung) soll weiter abgeklärt werden. Hierfür bietet die Berechnung des Protein/Kreatinin-Quotienten aus Spontanurin eine einfache und rasche Methode [1].
Die Ödeme sind ein unspezifisches Zeichen, allerdings können sie bei starker Gewichtszunahme (≥ 1 kg/Woche im 3. Trimenon) bzw. auffallendem Gesichtsödem Bedeutung erlangen [1].
Die Messung des „pulsatility index“ der A. uterina (UTPI) mit oder ohne postsystolische Inzisur („notching“) ist als bester Marker für die Prädiktion der PE im 2. Trimenon beschrieben (Sensitivität bis 93 %) und kann daher zur Risikoabschätzung – mit der Bestimmung angiogener Faktoren – herangezogen werden; dies gilt jedoch nicht für das Niedrigrisikokollektiv und nicht für die Detektion der späten PE [1]. Bei Patientinnen mit auffälligem Uterina-Doppler im 2. Trimester ist ein Einleiten einer ASS-Prophylaxe nicht empfohlen.
Die Bestimmung der angiogenen Marker (sFlt-1/PlGF) kann die korrekte Interpretation klinischer Parameter in der Prädiktion der PE ergänzen und unterstützen [1]. Die Anwendung des Quotienten aus löslicher fms-ähnlicher Tyrosinkinase-1 (sFlt-1) und plazentarem Wachstumsfaktor (PlGF) zum Ausschluss einer PE konnte erfolgreich nachgewiesen werden [43, 44]. Ein Screening mit diesen Faktoren soll jedoch nicht bei allen Schwangeren durchgeführt werden [1].
Eine dem präkonzeptionellen Body-Mass-Index (BMI) angepasste Gewichtszunahme ist insbesondere bei Schwangeren mit präexistenter Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) zu empfehlen, da diese eine Risikoerhöhung um den Faktor 3 bis 5 bewirkt. Ein erhöhter BMI stellt den wichtigsten Prädiktor sowohl für die Entwicklung der PE als auch für die Entwicklung des Gestationsdiabetes dar [45]. Daher soll Schwangeren bei Übergewicht (ab BMI 25 kg/m2) die Risikokalkulation für PE im ersten Trimenon angeboten bzw. allen Schwangeren ab einem BMI > 35 kg/m2 eine PE-Prophylaxe mit 150 mg ASS täglich empfohlen werden [46].
Die unmittelbar perinatalen Komplikationen der PE und ihre potenziell langfristigen Folgen bzw. deren Folgekosten, wie z. B. durch Frühgeburtlichkeit, sind bekannt. Neuere umfassende Erkenntnisse über die beträchtliche Langzeitmorbidität für Mütter und Kinder bekommen nun zusätzlich gesundheitsökonomische Bedeutung, da diese Folgeerkrankungen mittlerweile epidemische Inzidenzen erreichen [19, 4750].
Offene, in zukünftigen Studien zu bearbeitende Fragestellungen sind z. B. die Evaluierung effektiver Strategien zur Primärprävention für Frauen mit Kinderwunsch und potenziell hohem PE-Risiko (z. B. chronische Hypertonie, metabolisches Syndrom), die Etablierung neuer Biomarker bzw. die Erweiterung der Anamnesefaktoren zur Verbesserung der Detektionsrate des PE-Screenings im ersten Trimester, die Verbesserung der Prädiktion und die Einführung präventiver Maßnahmen für die „term PE“, die Steigerung des präventiven Effekts bzw. Alternativen zur ASS-Prophylaxe, Modelle zur weiteren Risikostratifizierung im 2. und 3. Trimester für Risikoschwangere und Managementstrategien für Patientinnen mit hohem Risiko für die sehr frühe und schwere PE.

Fazit für die Praxis

  • Die PE ist eine schwere Schwangerschaftskomplikation, die mit hoher mütterlicher und kindlicher Morbidität einhergeht. Um die Rate insbesondere an den schweren, frühen Formen zu senken, ist die frühe Identifikation von Risikoschwangeren essenziell, um nachweislich risikoreduzierende prophylaktische Maßnahmen, die den Verlauf und das Outcome der Schwangerschaft wesentlich günstig beeinflussen können, rechtzeitig einleiten zu können. Das PE-Screening liefert dafür dzt. die höchsten Detektionsraten.
  • Der Nutzen eines generellen Screenings auf PE fokussiert nicht nur auf die Chance, die Inzidenz zu reduzieren, sondern bietet dadurch insbesondere auch die Möglichkeit, die Langzeitfolgen der PE zu verringern. Die Möglichkeit, vorausschauend diesen Frauen und ihren Kindern langfristige Maßnahmen zur Gesundheitsprävention anzubieten, wäre generationenübergreifend förderlich und darüber hinaus möglicherweise von beträchtlichem gesundheitsökonomischem Interesse.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

C. Stern und B. Pertl geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autorinnen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
12.
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Metadaten
Titel
Sinn und Nutzen des Präeklampsiescreenings im 1. Trimenon
verfasst von
Univ. FÄ Dr. med. univ. Christina Stern
Univ.-Prof. Dr. med. univ. Barbara Pertl
Publikationsdatum
09.03.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Gynäkologie in der Praxis / Ausgabe 1/2022
Print ISSN: 3005-0758
Elektronische ISSN: 3005-0766
DOI
https://doi.org/10.1007/s41974-022-00214-1

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