Skip to main content
Ärzte Woche

16.01.2023 | Sexualität

Objekte der Begierde

verfasst von: Sonja Streit

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Wer seinen Körper feilbietet, tut dies doch unmöglich aus freien Stücken? Was, wenn doch? Das landläufige Vorurteil über Sexarbeit ist stark zu hinterfragen. Wie auch die Annahme, dass nur Männer sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Weit gefehlt!

Empfehlung der Redaktion
Kevin

16.01.2023 | Sexualität

Callboy Kevin: „Bei mir bekommen Frauen Liebe auf Zeit“

Die Lust, im Bett Neues auszuprobieren, vergeht vielen Frauen, die in Langzeitbeziehungen leben. Bei Callboy Kevin entdecken sie sich selbst neu.

Frauen haben Bedürfnisse. Kevin stillt sie. Kevin ist Sexarbeiter, Callboy. Der umtriebige Deutsche ist über die Grenzen seiner Heimat hinaus auch in Österreich und der Schweiz bekannt. Warum die Begegnung mit ihm und seine Berührungen so gefragt sind? „Manche Frauen haben nach einer Trennung, nach dem Verlust ihres Partners oder aufgrund häuslicher Gewalt lange keine Intimitäten mehr erfahren, daher suchen sie sich einen Callboy wie mich, um wieder zurück ins Leben zu finden“, sagt Kevin, der hauptberuflich als Glühtechniker in leitender Position tätig ist.

Kevin, das ist übrigens sein richtiger Name, hat sich entschlossen, Frauen und Paaren nebenberuflich seine erotischen Dienste zu offerieren. Er geht sowohl in seinem Privat- als auch seinem Berufsleben offen damit um. „Mein Arbeitgeber, meine Arbeitskollegen, meine Familie, Freunde und Nachbarn wissen von meinem Job als Callboy. Ich habe mehr positives Feedback von meinem Umfeld erhalten als negatives.“

Wir leben in aufgeklärten Zeiten – dafür ist Kevin der lebende Beweis – , dennoch ist Sexwork, die Dienstleistung, ein Tabuthema, weil es landläufig mit Zwang gleichgesetzt und in erster Linie mit Frauen assoziiert wird, die Männern zur Verfügung stehen. Um Missverständnisse auszuräumen: Das Sex-Gewerbe geht für viele darin Tätige mit Gewalt, Missbrauch, Menschenhandel einher, und dass solche Zustände beendet und zukünftig verhindert werden müssen, wird in diesem Text vorausgesetzt. Doch davon auszugehen, dass man sexuelle Dienstleistungen auf gar keinen Fall freiwillig anbieten kann bzw. bei den Menschen, die dies doch tun, „irgendetwas schief gelaufen“ sein muss, ist auch falsch, wie sich nach langer Recherche zu diesem Thema herausstellt.

Schaut man sich etwa auf Social Media-Kanälen um, auf denen Sexworkerinnen und jene, die deren Dienstleistungen in Anspruch nehmen, aus ihrem Alltag und von ihren Begegnungen berichten, zeigt sich die ganze Bandbreite dieses Berufs. Es wird deutlich, dass sich Einvernehmlichkeit sowie gegenseitiger Respekt und Sexwork keinesfalls ausschließen müssen und dass es tatsächlich Frauen gibt, die sich diesen Beruf bewusst ausgesucht haben und diesem außerdem gerne haupt- oder nebenberuflich nachgehen. Ein heißes Eisen. Die Organisation Terre des Femmes bringt Prostitution ausnahmslos mit Frauenhandel in Verbindung. Die Aktivistin und ehemalige Sexarbeiterin mit Gewalterfahrungen, Huschke Mau, stellt die Freiwilligkeit in Abrede und fordert vehement das Nordische Modell für Prostitution. Dieses besagt, dass die Person, die die Dienstleistung anbietet, nicht bestraft wird, wohl aber jene, die diese in Anspruch nimmt. Das hieße also, dass Kundinnen und Kunden empfindliche Strafen zu erwarten hätten, wenn das Nordische Modell, im Grunde also ein Sexkaufverbot, eingeführt würde.

Bei Lichte besehen, handelt es sich bei käuflichem Sex um eine Dienstleistung, sei es im Verborgenen oder auf legale Weise. Die Sexarbeit zu kriminalisieren, wäre fatal. So sieht das Julia Köhl, die für SOPHIE, das Wiener BeratungsZentrum für Sexarbeiterinnen der Volkshilfe, tätig ist: „Wir sprechen uns dafür aus, dass Sexarbeit in Österreich weiterhin als legale Tätigkeit angesehen wird. Hierzulande kann man sich Ansprüche erarbeiten, versichern und etwas für die Altersvorsorge tun, was unerlässlich ist. Rechte und eine rechtliche Absicherung sind wesentlich für einen sicheren Arbeitsplatz als Sexarbeiterin. Die Einführung des Nordischen Modells würde dies zunichtemachen.“

Sie gibt aber auch zu bedenken, dass die Strafen für Verwaltungsübertretungen oder Verstöße gegen das Prostitutionsgesetz recht hoch sind. Die verschiedenen Regelungen in den neun Bundesländern – in Vorarlberg wird Sexwork als „Unzucht“ bezeichnet, die nur in bewilligten Bordellen erlaubt ist, allerdings gibt es kein einziges bewilligtes Bordell in Vorarlberg – sieht sie kritisch. Allerdings: „Wenn sich alle Bundesländer auf ein Modell einigten, hätte das vermutlich negative Auswirkungen auf Sexarbeiterinnen, da man Abstriche machen müsste. Deshalb ist die derzeitige Regelung sicher vorteilhafter. Mein Wunsch wäre, dass in die Gesetzesgestaltung Sexarbeitende und NGOs stärker eingebunden werden. Das wäre sinnvoll.“

Ein harter Job bleibt es

Der Gesetzgeber schränkt Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Bezug auf Festanstellung sowie die Anmeldung als Gewerbe ein. Die Damen und Herren, die dieser Tätigkeit nachgehen, sind Neue Selbstständige, die alle sechs Wochen zur Gesundheitsuntersuchung erscheinen und alle drei Monate einen HIV-Test machen müssen. Köhl erkennt darin Vor- und Nachteile: „Ein Angestelltenverhältnis birgt natürlich eine gewisse Weisungsgebundenheit, die mit sich bringt, dass der Betreiber oder die Betreiberin von den Sexworkerinnen und Sexworkern verlangen kann, auch jene Kunden bzw. Kundinnen zu bedienen, auf die sie keine Lust haben. Selbstständige sind nicht weisungsgebunden. Allerdings besteht die Gefahr der Scheinselbstständigkeit, wenn die Sexarbeitenden angewiesen werden, mit den Kunden bzw. Kundinnen Alkohol zu konsumieren. Des Weiteren haben Selbstständige keinen Urlaubsanspruch und verdienen, wenn sie sich freinehmen, kein Geld.“

„Sexwork is Work“ wird immer mehr zum englischen Schlachtruf all jener, die sich gegen Klischees wehren, die es rund um das Schmuddelthema Sexarbeit so gibt. Ein Auszug, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: „Die Frau wird zur Ware, die von triebgesteuerten Männern benutzt wird“; „Sex kann niemals eine normale Dienstleistung sein, die freiwillig erfolgt“; „Wer seinen Körper verkauft, hat in der Kindheit Missbrauch erlebt und weiß es nicht besser“. Dass Sex, Nähe und Intimität zur seelischen Gesundheit beitragen können, selbst wenn dafür bezahlt wird, wird in Diskussionen gerne ausgespart. Ebenso die Tatsache, dass auch Frauen sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen.

Hier kommt Kevin ins Spiel. Denn es ist hierzulande nicht ganz so einfach, Callboys zu finden. In Deutschland gibt es Agenturen, über die frau sicher und diskret verschiedene Dienstleistungen, zum Beispiel Social Time ohne und Sweet Time mit Sex, buchen kann. In Österreich ist der Markt zu klein, um das Business professionell aufzuziehen. Kundinnen gehen also das Risiko ein, „irgendwen“ zu buchen. Solche auf einschlägigen Plattformen registrierten Männer bieten sich auf eigene Rechnung und selbstständig an. Kundinnen wissen nie genau, worauf sie sich einlassen, wenn der Sexworker kostenlose Vorab-Treffen in der Öffentlichkeit oder ein Telefonat ablehnt. Frauen haben außerdem andere Erwartungen und Bedürfnisse als Männer. Laufhäuser, Bordelle oder Studios zählen eher nicht dazu.

Sexarbeit ist Teil der Gesellschaft

Sexarbeiterinnen sind häufig Diskriminierung ausgesetzt, werden von manchen Medizinern nicht behandelt oder nicht ernst genommen, wenn sie jemanden anzeigen. Köhl erläutert: „Es ist eine Illusion, zu glauben, Sexarbeit findet nicht statt. Wenn es diesen Beruf gibt, muss ich ihn nach den besten Rahmenbedingungen ausüben können. Das heißt, ich habe als Sexarbeiterin oder Sexarbeiter ein Recht auf gewaltfreies Arbeiten, auf ein stigmatisierungsfreies Arbeiten, denn der Beruf hat eine Berechtigung in unserer Gesellschaft. Ich würde mir wünschen, dass er entsprechend anerkannt wird. Es gibt genügend Menschen, die das aus voller Überzeugung tun. Ich verstehe natürlich die Debatten – sobald es um Sexualität geht oder um Sex, ist es immer wahnsinnig privat und intim und tabu und eigentlich nur etwas, das in Partnerschaften stattfindet. Aber Sexwork ist ein Teil unserer Gesellschaft, der auf jeden Fall einen Platz haben sollte, und Personen, die der Sexarbeit nachgehen, sollten nicht dafür diskriminiert werden.“

Dass gerade Sexarbeiterinnen gefährlich leben, ist kein Geheimnis. Hausbesuche sind besonders riskant, wie der Fall einer jungen Frau zeigt, die kürzlich in Oberösterreich von einem Kunden getötet wurde. In Laufhäusern oder Studios sind Frauen in einer geschützteren Umgebung, können sich im Notfall bemerkbar machen oder um Hilfe rufen. Allerdings zahlen sie dafür Miete. „Wie hoch das Risiko ist, kommt aufs Setting an“, sagt Julia Köhl. „Prinzipiell ist ein Sicherheitsnetz immer möglich, aber man muss bedenken, dass Frauen hierzulande generell gefährlich leben. Wir müssen Strukturen schaffen, in denen Sexarbeiterinnen sicher leben und arbeiten können. Das ist nicht gewährleistet, wenn der Straßenstrich immer weiter in die Peripherie ausgelagert wird, wo es keine Stundenhotels um die Ecke gibt, sondern nur Verrichtungsbusse oder, was illegal ist, ein Gebüsch, und die Frauen teilweise gezwungen sind, zum Kunden ins Auto zu steigen und ins nächste Hotel zu fahren.“ Auch der Umgang mit Sexworkerinnen sei mitunter indiskutabel: SOPHIE erhalte immer wieder Nachrichten von Frauen, die geschlagen oder um ihr Honorar betrogen wurden. Häufig werde abgewunken und das als Berufsrisiko abgetan. „Wir haben immer wieder Frauen, die berichten, dass sie die Polizei gerufen haben und diese sich Zeit ließ. Es wäre natürlich wünschenswert, dass Sexarbeitende von allen Seiten denselben Respekt erfahren wie Menschen, die einer anderen Tätigkeit nachgehen. Sie sind ein Teil unserer Gesellschaft und erbringen eine Dienstleistung, die ihre Berechtigung hat und die nicht als gesellschaftliches Tabu gelten sollte.“

Escort Kevin bietet laut eigenen Angaben „Wellness für Frauen“, sieht sich selbstverständlich als Teil der Gesellschaft an und schreibt auf seiner Homepage. „Es geht nicht, wie die meisten immer nur denken, um Sex, sondern um eine schöne Zeit, die wir zusammen verbringen und genießen.“ Doch das ist es nicht allein, sein Frauendienst geht noch weit darüber hinaus. „Ich helfe vielen Frauen wieder zurück ins Leben und gebe ihnen die Möglichkeit, ihren eigenen Körper lieben zu lernen.“

Podcasttipp: Callboy. Der Talk "Don’t use a toy, call a boy – Die Callboys Dino aus der Schweiz, Kevin und Noah beantworten auf ihrem eigenen Podcast Hörer-Fragen. https://open.spotify.com/show/07cS6vQj6Wf0C8BznkBx7N

print
DRUCKEN
Metadaten
Titel
Objekte der Begierde
Schlagwort
Sexualität
Publikationsdatum
16.01.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 03/2023

Weitere Artikel der Ausgabe 03/2023

Redaktionstipp

Post mortem