Skip to main content

16.09.2021 | Schlafmedizin

Im Einklang mit dem Organismus

verfasst von: Mag. Christopher Waxenegger

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

© AaronAmat

Der korrekte Einsatz von Hypnotika gestaltet sich schwierig. Vor allem bei älteren Menschen sollte die Verordnung speziell bei Schlafproblemen hinterfragt werden.

Schwierigkeiten mit dem Ein- und/oder Durchschlafen sind weit verbreitet. Bis zu 70 Prozent der Bevölkerung berichten über gelegentliche Schlafprobleme, bei Älteren gehören Schlafstörungen mit einer Prävalenz von etwa 50 Prozent sogar zu den häufigsten Beschwerden überhaupt. Insomnie liegt vor, wenn die Dauer oder Qualität des Schlafes an zumindest drei Tagen pro Woche unzureichend sind und zu Müdigkeit oder Leistungsdefiziten am Folgetag führen. Für primäre Schlafstörungen werden keine pathologischen körperlichen oder psychischen Korrelate gefunden. Den sekundären hingegen liegen somatische oder neurologisch-psychiatrische Erkrankungen zugrunde, die sich negativ auf die Schlafarchitektur oder die zirkadiane Rhythmik auswirken. Daneben kommen schlafstörendes Verhalten (u.a. inaktiver Lebensstil, Koffeinkonsum, Mittagsschlaf), Umweltfaktoren (v.a. Lärm, Licht, Zimmertemperatur) und nicht zuletzt Medikamente als Auslöser infrage. Aus diesem Grund bietet sich, insbesondere mit zunehmender Polypharmazie im Alter, immer eine Kontrolle der Medikation an. Arzneistoffe, die zu Schlafstörungen beitragen, sind unter anderem Antidepressiva, vor allem SSRI, selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSNRI) und Bupropion, Schilddrüsenhormone, Diuretika und lipophile Betablocker.

Bedeutung von ausreichend Schlaf


Generell verändern sich die physiologische Schlafarchitektur und das Schlafverhalten im Laufe des Lebens. Die Gesamtschlafdauer nimmt ab, der Anteil der tiefen Deltaschlaf-stadien III und IV sowie des REM-Schlafes ebenfalls. Für Frauen spielen darüber hinaus Hormonschwankungen eine wichtige Rolle, da Ös-trogen und Progesteron nicht nur stimmungs- sondern auch schlafregulierend wirken. In der Peri- und Postmenopause können sich zusätzlich vasomotorische Symptome wie Hitzewallungen und Nachtschweiß hinzugesellen und zu Schlafunterbrechungen beitragen.

Schlechter Schlaf hat vielfach negative Auswirkungen auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, das soziale Umfeld, schulischen bzw. beruflichen Erfolg sowie die Lebensqualität. Studien belegen zudem ein erhöhtes Risiko für affektive Störungen wie Depressionen und kardiovaskuläre Ereignisse als direkte Folge von Schlaf, der immer wieder unterbrochen und damit nicht erholsam ist. Eine australische Metastudie etwa kommt jüngst zu dem Schluss, dass Frauen mit einem Anteil von mehr als 6,5 Prozent Arousal-Burden („Aufwachbelastung“) am Gesamtschlaf, ein doppelt so hohes Risiko haben an einem kardiovaskulären Ereignis zu versterben als gleichaltrige Frauen. Für Männer mit derselben Belastung war das CV-Risiko immerhin noch um ein Drittel erhöht. Der Bedarf an wirksamen und gut verträglichen schlaffördernden Arzneien ist daher groß. 

Problematik der Benzodiazepine


Ein häufiger Fehler in der Therapie von Schlafstörungen ist die frühzeitige Verordnung eines Hypnotikums, ohne zuvor nicht-medikamentöse Optionen ausgeschöpft zu haben. Zu diesen zählen die Patientenschulung hinsichtlich gewisser Verhaltensregeln zur Schlafhygiene, Bettzeitrestriktionen und Stimuluskontrolle. Auch Optimierungen der Schlafumgebung (elektronische Geräte, Lüftung, Beleuchtung etc.) sind hilfreich. Für verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapien zur Behandlung der chronischen Insomnie liegt sehr gute Evidenz vor. Die spezialisierte kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) hat gute Effektstärken, dies gilt sowohl für die Gruppen- als auch die Einzeltherapie. Im Gegensatz zu pharmakologischen Ansätzen wirkt die KVT-I auch nach Beendigung über den eigentlichen Behandlungszeitraum hinaus.

Persistiert die Schlafstörung, sind kurzfristig sedierende Arzneistoffe, zur Wiederherstellung eines normalen Schlafrhythmus, durchaus indiziert. Benzodiazepine (BZD) besitzen eine große therapeutische Breite und sind trotz ihres Abhängigkeitspotenzials äußerst beliebte Arzneistoffe. Sie vermitteln ihre Wirkung als allosterische Modulatoren an GABA A -Rezeptoren, indem sie die Bindungswahrscheinlichkeit des natürlichen Liganden γ-Aminobuttersäure durch Konformationsänderung des Rezeptors erhöhen. Dadurch wirken BZD sedierend/hypnotisch, anxiolytisch, muskelrelaxierend und antikonvulsiv. Die substanzspezifische Pharmakokinetik und Pharmakodynamik wird für die unterschiedlichen Wirkprofile verantwortlich gemacht.

Tatsache ist allerdings, dass sich die schlaffördernde, angstlösende, muskelentspannende und krampflösende Wirkung der BZD nicht komplett voneinander trennen lassen. Unerwünschte Nebenwirkungen der zentralen Dämpfung sind mitunter Benommenheit, Schwindel, Ataxie, Sehstörungen und bei hohen Dosen anterograde Amnesie – Beobachtungen, die das gesteigerte Sturzrisiko (einschließlich Frakturen) erklären. BZD beeinflussen außerdem die Merkfähigkeit und vermindern die Gedächtnisleistung, was auf Dauer Affektabflachung und Gleichgültigkeit der Betroffenen fördert. In diesem Zusammenhang interessant ist, dass einige neuere epidemiologische Studien auf das Risiko für die Entwicklung einer Demenz unter BZD-Einnahme hinweisen, wenngleich dies in Folgearbeiten widerlegt wird. Rezent zum Beispiel in einer dänischen Populationsregisterstudie an Bewohnern mit einem stationären Aufenthalt wegen einer affektiven Erkrankung und BZD-Einnahme im Zeitraum von 1969 bis 2016. Beim Vergleich von jeglichem BZD-Gebrauch gegenüber der Gruppe ohne BZD-Gebrauch ergab sich keine Veränderung des Demenzrisikos. Grundsätzlich sollte man das im Raum stehende Demenzrisiko jedoch im Hinterkopf behalten.

Pharmakologische Alternativen


Falls die Insomnie sekundärer Natur ist, können je nach Diagnose die sedierenden Eigenschaften von diversen Antidepressiva, Antipsychotika oder Antihistaminika genutzt werden. Chloralhydrat und Clomethiazol sind als Reservemedikamente, etwa bei paradoxen Reaktionen auf BZD oder therapieresistenten Schlafstörungen zu sehen. Im Apothekenalltag kommt den Arzneipflanzen Baldrian, Melisse, Passionsblume, Hopfen und Lavendel eine große Bedeutung zu. Auch die European Medicines Agency (EMA) spricht eine Empfehlung für die drei erstgenannten Phytotherapeutika aus. Phytopharmaka sind bei Schlafproblemen auf jeden Fall einen Therapieversuch wert: Die Verträglichkeit der genannten Vertreter ist ausgezeichnet, Arzneimittelinteraktionen und Hangover am Folgetag bisher nicht bekannt.

Melatonin ist ein wichtiger Baustein bei der Regulation des zirkadianen Rhythmus. Das körpereigene Hormon besitzt antioxidative immunmodulierende Eigenschaften, wird tageszeitenabhängig in den Pinealozyten der Epiphyse gebildet und beginnend mit der Abenddämmerung vermehrt freigesetzt. Exogen zugeführtes Melatonin erfüllt dieselben Aufgaben und wird bei Insomnien in Dosen von ein bis fünf Milligramm supplementiert. Retardierte Darreichungsformen haben den Vorteil, dass ein anhaltend hoher Wirkspiegel über die ganze Nacht erreicht wird. Als sogenanntes Chronobiotikum kann Melatonin auf diese Weise den desynchronisierten Schlafrhythmus wiederherstellen.

In der Pipeline befinden sich die seit 2014 in den USA zugelassenen Orexin-Rezeptorantagonisten, welche 2019 mit Lemborexant Zuwachs erhielten. Ob und wann eine europäische Zulassung erfolgt, ist derzeit nicht bekannt.

Literatur auf Anfrage beim Verlag

Metadaten
Titel
Im Einklang mit dem Organismus
Publikationsdatum
16.09.2021