Gebrechlichkeit (Frailty) hat seine biomedizinischen Ursachen. Eine der Kernkomponente von Frailty stellt der altersbedingte Verlust an Muskelmasse, die Sarkopenie, dar. Neben degenerativen Veränderungen und hormonellen Umstellungen im Alter spielen insbesondere Vitamin-D-Mangel und die unzureichende Zufuhr von Eiweiß (EW) eine zentrale Rolle. Proinflammatorische Zytokine, insbesondere Interleukin‑6 und Tumornekrosefaktor‑α, die bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen (u. a. der rheumatoiden Arthritis) erhöht sind, fördern massiv den Muskelabbau; ein Prozess, der als „inflammaging“ bezeichnet wird. Neben dem Krafttraining sind ausreichende Vitamin-D-Substitution und die Sicherstellung einer adäquaten Menge an EW (1,2–1,5 g/kg Körpergewicht täglich) Eckpfeiler in der Prophylaxe und Therapie der Sarkopenie. Die Zufuhr von essenziellen Aminosäuren, insbesondere Leucin (3 g täglich), ist dabei unerlässlich. Die beste Quelle dafür stellt Molkeprotein dar. Generell erscheint eine mediterrane Kostform die günstigste Zusammensetzung zu haben, um Frailty entgegenzuwirken und unsere Funktionalität im Alter bestmöglich zu erhalten.
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Das Phänomen der Gebrechlichkeit
Das, was der Volksmund als Gebrechlichkeit bezeichnet, ist für uns nicht nur eine Blickdiagnose, sondern hat auch seinen medizinischen Hintergrund. Fried et al. haben vor mehr als 20 Jahren erstmals den Phänotyp der Gebrechlichkeit (Frailty) mit Kriterien beschrieben. Darin enthalten sind Aspekte der körperlichen Leistungsfähigkeit, Funktionalität und Kraft sowie Ernährung (Tab. 1).
Die Folgen von Frailty sind vielfältig und münden in einer erhöhten Vulnerabilität gegenüber verschiedenen Stressoren. Diese können unter anderem akute Erkrankungen, medizinische Maßnahmen oder Interventionen sein [2]. Gebrechliche Menschen haben ein höheres Risiko, im Fall von Erkrankungen oder bei medizinischen Interventionen Komplikationen zu erleiden. Zudem geht Frailty mit einer erhöhten Mortalität einher. Die protrahierte Rekonvaleszenz führt oft zur Chronifizierung akuter Leiden, die Störungen in der Mobilität erhöhen das Sturzrisiko und letztlich laufen diese Menschen Gefahr, durch den Verlust der Funktionalität, oft ausgelöst durch eine akute Erkrankung, pflegebedürftig zu werden [3].
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Sarkopenie als Kernkomponente von Frailty
Ungefähr 10 % der über 65-Jährigen sind als „frail“ zu betrachten, 40 % sind gefährdet („pre-frail“), in einen solchen Zustand zu schlittern. Kernkomponente der Gebrechlichkeit ist die Sarkopenie, der altersbedingte Muskelmasseverlust. Dabei wird schleichend Muskelmasse durch Fettgewebe ersetzt. Diese setzt ungefähr ab dem 50. Lebensjahr ein, ab dem 70. Lebensjahr verliert man ca. 15 % der Skelettmuskulatur pro Lebensdekade. Liegt die Prävalenz der Sarkopenie bei über 65-Jährigen bei etwa 10 %, steigt sie bei den über 80-Jährigen auf mehr als die Hälfte der Personen in dieser Altersgruppe [4, 5].
Zahlreiche Studien zeigen den Zusammenhang von Restlebenserwartung und Ganggeschwindigkeit, woraus ersichtlich ist, wie bedeutungsvoll Mobilität für unseren Gesundheitszustand und unsere Funktionalität sind [6]. Die Hälfte der Skelettmuskulatur befindet sich in den unteren Extremitäten. Die Genese der Sarkopenie ist vielfältig, neben Alterungsprozessen (Neuronenabbau, Proteinabbau, Rückgang der Durchblutung), sind es auch die hormonellen Umstellungen im Alter. Wesentliche Faktoren sind jedoch auch der im Alter zunehmende Eiweißmangel und der fast als endemisch zu betrachtende Vitamin-D-Mangel älterer Menschen. Insbesondere chronisch-entzündliche Zustände, wie sie auch bei der rheumatoiden Arthritis (RA) vorherrschen, sind als „Muskelkiller“ zu betrachten, sind doch die proinflammatorischen Zytokine Interleukin(IL)‑6 und Tumornekrosefaktor(TNF)‑α die Haupttrigger für den Muskelabbau im Sinne des „inflammaging“ (Abb. 1, adaptiert nach [7]).
Abb. 1
Pathogenese der Sarkopenie (GH growth hormone; IGF insuline like growth factor)
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Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, wie sehr die RA mit der Entwicklung der Sarkopenie assoziiert ist. Ein Drittel der Patienten mit RA weisen auch eine Sarkopenie auf; sowohl die Skelettmuskelmasse wie auch die Handkraft zeigen eine inverse Korrelation mit der Krankheitsaktivität. Längere Krankheitsdauer und höhere Krankheitsaktivität korrelieren mit der Entwicklung einer Sarkopenie. Darüber hinaus haben RA-Patienten mit Sarkopenie signifikant mehr Komorbiditäten [8‐10].
Therapeutische Ansätze
Aus dem Spektrum der vielen verschiedenen muskelaufbauenden physikalisch-therapeutischen Maßnahmen und Möglichkeiten ist nach wie vor das Krafttraining der beste Stimulus für Muskelaufbau und Kraftzuwachs (Tab. 2).
Tab. 2
Effekt der verschiedenen Trainings- und Therapieformen auf die Muskulatur [11]
Therapieform/
Effekt auf
Krafttraining
Aerobes Training
Neuromuskuläre Elektrostimulation
Muskelmasse
+++
+
+++
Kraft
+++
+
+
Funktionalität
+++
++
+
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Neben einer ausreichenden Versorgung mit Vitamin D ist natürlich die Sicherstellung einer adäquaten Eiweißzufuhr erforderlich. Die tägliche Substitution von 800–1000 Einheiten Vitamin D reduziert nicht nur das Risiko für hüftnahe Frakturen, sondern auch die Häufigkeit von Stürzen um 20 % und verbessert Kraft und Funktionalität [12]. Dabei kann die erforderliche Vitamin-D-Dosis von täglich bis einmal monatlich gegeben werden. Bei höheren Abständen der Vitamin-D-Verabreichung geht dieser Effekt wieder etwas verloren [13].
Die Empfehlung des täglichen Eiweißbedarfs bei älteren Menschen liegt bei 1,2 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. Im Krankheitsfall steigt dieser auf 1,5 g pro Kilogramm Körpergewicht und Tag [14]. Unabdingbar für einen erfolgreichen Muskelaufbau ist die ausreichende Versorgung mit essenziellen Aminosäuren, insbesondere mit Leucin. Der tägliche Bedarf liegt hier bei 3 g. Leucin scheint über den mTOR-Signalweg den Muskelstoffwechsel zu regulieren, es reduziert die Proteolyse, steigert die Proteinsynthese, fördert die Glukoseaufnahme in der Muskulatur und die Insulinsekretion des Pankreas. Die beste Nahrungsquelle für Leucin stellt Molkeprotein dar. Den besten Effekt hinsichtlich eines Muskelaufbaus erreicht man durch Einnahme von Molkeprotein im Anschluss an Krafttraining [2, 15]. Der Eiweißgehalt von Nahrungsmitteln ist unterschiedlich, natürlich stellt Fleisch in einem Speiseplan noch die wichtigste Proteinquelle dar (Tab. 3) und die Verwertbarkeit der in der Nahrung enthaltenen Aminosäuren ist ebenso von der Eiweißquelle abhängig ([16]; Tab. 4).
Biologische Wertigkeit: Anteil der Aminosäuren, die in Körpereiweiß umgewandelt werden können [16]
Nahrungsmittel
Biologische Wertigkeit
Ei
100
Fisch
70–90
Fleisch
70–90
Milch
75
Soja
73
Kartoffeln
50–70
Brot (Zerealien)
50–70
Linsen, Bohnen
40–50
Aber auch das gute alte Frühstücksei ist nach wie vor ein guter Eiweißlieferant [17]. Taurin wird ein positiver Effekt auf den Eiweißkatabolismus zugeschrieben, es kommt jedoch natürlich fast nur in tierischem Eiweiß vor [18]. Leider gibt es keine ausreichend wissenschaftliche Evidenz, ob Taurin aus diversen Energydrinks hier einen positiven Effekt auf den Muskelaufbau hat. Auch die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren hat möglicherweise einen positiven Effekt auf die Muskelkraft der unteren Extremitäten und der Funktionalität bei älteren Menschen [19]. Hinsichtlich einer Ernährungsstrategie gibt es Evidenz, dass die mediterrane Diät sich günstig auswirkt, um die Entwicklung von Gebrechlichkeit zu reduzieren und auch Gehgeschwindigkeit zu erhalten [20]. Zusammenfassend ist die qualitative Zusammensetzung der Ernährung gemeinsam mit körperlichem Training wesentlich, um der Entwicklung von Frailty und Sarkopenie entgegenzuwirken (Tab. 5).
Zufuhr an essenziellen Aminosäuren sichern – Leucin 3 g/Tag
Molkeproteinsupplementation („fast protein“) – innerhalb 15 min im Blut
Vitamin-D-Substitution bei Mangel
Omega-3-Fettsäuren haben möglicherweise positiven Effekt
Traditionelle mediterrane Kost erscheint allgemein am besten geeignet
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. Köller gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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