Ein Bereich, in dem Anpassungen erforderlich sein können, betrifft die Ebene und Wirkung von Interventionen. Viele psychotherapeutische Interventionen stellen das Individuum und seinen Wirkungsbereich in den Mittelpunkt (Kirmayer
2007), während therapeutische Anliegen in interkulturellen Settings häufig durch soziale, kulturelle und politische Sachverhalte bedingt werden. Zudem hat organisierte Gewalt, vor der viele zugewanderte Menschen fliehen, die Zerstörung von gesellschaftlichen Strukturen als Ziel und Folge (Blanco et al.
2016). Wenn soziale Gemeinschaften mit Absicht zerstört und Menschen getötet oder existenziell bedroht werden, sind die eigenen Emotionen eine beträchtliche aber unvollständige Komponente des Erlebens von Betroffenen. Gleichzeitig mit dem Bedarf, zu trauern und mit belastenden Gefühlen umzugehen, sind Überlebende einerseits mit praktischen Angelegenheiten wie ihrer Existenzsicherung und andererseits mit Fragen sozialer Ungerechtigkeit konfrontiert. Aus diesem Grund können individuell fokussierte Interventionen unter Umständen an Grenzen stoßen, wenn sie etwa Probleme mit sozialen Wurzeln medikalisieren und die eigenverantwortliche Förderung des individuellen Wohlbefindens als einzige Antwort bieten (Hernández
2002; Summerfield
2004). Ähnlich kann ein enger Fokus auf Selbstkontrolle und persönliches Wachstum soziale und politische Ungerechtigkeiten verschleiern und Betroffene zusätzlich viktimisieren, wenn er als Zuschreibung mangelhafter Motivation kommuniziert bzw. interpretiert wird (Yakushko
2018). Gleichzeitig ist es wichtig, zu beachten, dass nicht Interventionen an sich zwangsläufig negative Effekte in interkulturellen Settings haben, sondern dass ihre Wirkung von der Einbettung in den sozialen Kontext des Problemursprungs und den aktuellen Lebensbedingungen abhängt. In diesem Zusammenhang hebt Erim (
2009) spezifische Übertragungs- und Gegenübertragungskomponenten hervor, die sich aus der ethnischen Zugehörigkeit der Beteiligten ergeben und als solche in interkulturellen Psychotherapiesettings behandelt werden sollen. So kommt häufig vor, dass Klient*innen Psychotherapeu*innen mit gemeinsamen Wurzeln idealisieren und ihnen besondere Fähigkeiten zuschreiben, psychische und kulturelle Sachverhalte zu verstehen. Möglich ist auch, dass sich Psychotherapeut*innen mit sozialen und politischen Anliegen von Klient*innen identifizieren, was diese Komponenten eines Problems überbetont und zur Vernachlässigung des therapeutischen Auftrags führen kann. Aspekte einer Opfer-Täter-Beziehung können ebenso die Übertragungs- und Gegenübertragungsebene färben und sollten erkannt und behandelt werden. Beispielsweise kann die Staatsbürgerschaft, die ethnische Zugehörigkeit oder der rechtliche Status der Psychotherapeut*innen latent oder explizit zu Annahmen über Ihre Fähigkeit oder Bereitschaft führen, die Situation der Klient*innen zu verstehen.