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Erschienen in: neuropsychiatrie 4/2016

Open Access 01.12.2016 | originalarbeit

Psychiatrische und psychosomatische Tageskliniken in Österreich

verfasst von: Mag. Janet Evans, Dr. Verena Dummer, Univ.-Prof. Dr. Johann Kinzl

Erschienen in: neuropsychiatrie | Ausgabe 4/2016

Zusammenfassung

In der vorliegenden Arbeit zu psychiatrischen und psychosomatischen Tageskliniken in Österreich wurde einerseits die Gesamtsituation österreichischer Tageskliniken erfasst und andererseits psychiatrische und psychosomatische Tageskliniken voneinander unterschieden. Zu diesem Zweck wurde ein Fragebogen entwickelt und an alle psychiatrischen und psychosomatischen Tageskliniken in Österreich gesendet. In einem ersten Teil wurden mit geschlossenen Fragen die Bereiche Rahmenbedingungen, Funktion und Aufgabe, therapeutische Paradigmen, Indikation und Kontraindikation, Diagnostik, Organisation, interdisziplinäre Zusammenarbeit und das Angebot an den Tageskliniken erfasst und ausgewertet. In einem zweiten Teil wurden mit offenen Fragen Wirkfaktoren, Schwierigkeiten, Besonderheiten und Zukunftswünsche tagesklinischer Behandlung erfasst und ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass es einen Trend zu mehr Tageskliniken gibt. Im Vergleich zu psychiatrischen Tageskliniken sind psychosomatische Tageskliniken ein noch neues Phänomen. Die Unterscheidung zwischen psychiatrischen und psychosomatischen Tageskliniken ist wichtig, um Patienten zukünftig unterscheidbare Behandlungsoptionen bieten zu können. Es zeigt sich, dass psychiatrische und psychosomatische Tageskliniken einen starken psychotherapeutischen Schwerpunkt haben und die Wirkfaktoren der Psychotherapie nach Grawe erfüllen.

Einleitung

Trotz zunehmender Beliebtheit von Tageskliniken für psychisch und psychosomatisch Kranke ist ihre Geschichte noch relativ jung. Psychotherapeutische und psychosomatische Tageskliniken sind erst knapp 30 Jahre alt, psychiatrische Tageskliniken können auf eine etwas längere Geschichte zurückblicken. Am jüngsten ist die Geschichte störungsorientierter Tageskliniken [1].
Die ersten Tageskliniken in Deutschland wurden in den 1960er-Jahren eröffnet. Sie dienten dem kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich oder auch dem chronisch psychisch Kranken. Vor allem in den 1970er-Jahren wurden Tageskliniken durch eine Welle von chronisch Kranken notwendig. In den Jahren 1980–1983 gab es so viele Neueröffnungen wie im Jahrzehnt davor. Seit dem Jahre 1995 verfügt beinahe jedes psychiatrische Krankenhaus über eine Tagesklinik [2].
In den 1980er-Jahren waren die Hauptziele der Tageskliniken die medizinische Rehabilitation und Abkürzung der vollstationären Behandlung [3]. Damals waren monatelange sozialpsychiatrische Behandlungssettings für chronisch psychisch Kranke üblich. Mit dem Boom der Tageskliniken in den darauf folgenden 20 Jahren verschob sich ihre Funktion in Richtung einer Behandlungsalternative zur Klinik [4]. Bei einer Studie zu psychiatrischen Tageskliniken in Österreich aus dem Jahr 1999 konnten insgesamt 16 psychiatrische Tageskliniken in Österreich verzeichnet und somit ein großer Nachholbedarf festgestellt werden [5].

Ziele der Untersuchung

Ziele der Untersuchung waren:
1.
Die Erhebung der Situation der tagesklinischen Versorgung in Österreich.
 
2.
Die Erhebung von Unterschieden zwischen psychiatrischen und psychosomatischen Tageskliniken.
 

Methode

Folgendes Erhebungsinstrument wurde verwendet:
Ein auf zweier bereits in Deutschland verwendeter Fragebögen basierender und für diese Untersuchung adaptierter paper-pencil Fragebogen, welcher an 25 psychiatrische und psychosomatische Tageskliniken in Österreich gesendet wurde, bestehend aus:
  • Einleitung (kurze Vorstellung der Untersuchung und Bitte um Mitarbeit)
  • 41 (geschlossene) Fragen zu:
    • Rahmenbedingungen
    • Funkionen und Aufgabe
    • therapeutische Paradigmen
    • Indikationen und Kontraindikationen
    • diagnostische Maßnahmen
    • Organisation der Tageskliniken
    • Interdisziplinäre Zusammenarbeit
  • 3 (offene) Fragen zu:
    • Wirkfaktoren
    • Schwierigkeiten
    • Erweiterungsmöglichkeiten
Im Folgenden wird kurz die Stichprobe der Untersuchung beschrieben:
Im September 2013 wurden die Fragebögen an 25 psychiatrische und psychosomatische Tageskliniken geschickt. Sechs Tageskliniken retournierten in den folgenden Wochen einen ausgefüllten Fragebogen. In einem erneuten Schreiben wurden die noch ausstehenden Tageskliniken per Mail an die Rücksendung des Fragebogens erinnert. Daraufhin wurden nochmals sechs Fragebögen zugesandt. Im Februar 2014 konnte durch Telefonate bei denjenigen Tageskliniken, die noch nicht geantwortet hatten, weitere fünf Tageskliniken konnten zur Teilnahme an dieser Untersuchung motiviert werden. Insgesamt wurden 30 psychiatrische und psychosomatische Tageskliniken kontaktiert.
Die Stichprobe setzt sich somit aus 17 österreichischen Tageskliniken zusammen. Davon sind 14 psychiatrische und 3 psychosomatische Tageskliniken. Um die Anonymität der Untersuchung zu gewährleisten wurde, aufgrund der relativ kleinen Stichprobe, darauf verzichtet offen zu legen, welche Tageskliniken an der Untersuchung teilnahmen.
Wegen der geringen Anzahl an psychosomatischen Tageskliniken wurde auf Signifikanztests verzichtet. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Tageskliniken sind daher nur deskriptiv zu verstehen.

Ergebnisse

Rahmenbedingungen österreichischer Tageskliniken

Die älteste Tagesklinik wurde im Jahr 1978 eröffnet, die jüngste 2010. Es zeigt sich ein deutlicher Trend zu mehr Tageskliniken in den letzten Jahren. Vor 2001 wurden 6 Tageskliniken eröffnet, nach 2001 fast doppelt so viele, nämlich 11 Tageskliniken. Dies ist in Abb. 1 dargestellt.
Bei dem Vergleich der Mittelwerte der Gründungsjahre der Tageskliniken fällt auf, dass psychiatrische Tageskliniken schon länger bestehen als psychosomatische Tageskliniken. Psychosomatische Tageskliniken stellen somit ein eher neueres Phänomen dar. Weiters sieht man bei dem Vergleich der verfügbaren Patienten-Plätze, dass psychiatrische Tageskliniken (MW: 13,34 Patienten-Plätze) weitaus größer sind als psychosomatische Tageskliniken (MW: 8,67 Patienten-Plätze). Ein weiterer Unterschied zeigt sich bei der durchschnittlichen Dauer der Behandlung: Während PatientInnen in einer psychiatrischen Tagesklinik im Durchschnitt 10,5 Wochen behandelt werden, liegt die durchschnittliche Behandlungsdauer in einer psychosomatischen Tagesklinik bei 8 Wochen. Die durchschnittliche Patienten-Anzahl, Behandlungsdauer und Gesamtgröße der Tageskliniken ist in Tab. 1 angegeben.
Tab. 1
Anzahl der Patienten, Behandlungsdauer und Größe der Tagesklinik
 
Psychiatrische Tageskliniken
Psychosomatische Tageskliniken
Durchschnittliche Patienten-Anzahl
13,34 Patienten-Plätze
8,67 Patienten-Plätze
Durchschnittliche Behandlungsdauer
10,5 Wochen
8 Wochen
Durchschnittliche Gesamtgröße der TK
372,68 m² + 272,5 m² Grünfläche
12,74 Räume
180 m², keine Grünfläche
9,5 Räume
Es ist davon auszugehen, dass alle Tageskliniken Montag bis Freitag tagsüber geöffnet haben. Die durchschnittliche Wartezeit für einen Behandlungsplatz in einer Tagesklinik beträgt 44 Tage. Sie reicht von 8 bis 180 Tagen. Die meisten Tageskliniken werden von einem „anderen öffentlich-rechtlichen Träger“ finanziert. Ein Großteil der Tageskliniken ist direkt in ein Klinikgelände eingegliedert. Zwei der Einrichtungen, die sich außerhalb des Klinikgeländes befinden geben einen oder sechs Kilometer als Entfernung zu dem Klinikgelände an.
Der Stellenwert der jeweiligen Tagesklinik im Gesamtkonzept der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung der PatientInnen ist in Abb. 2 dargestellt.
Psychosomatische Tageskliniken reihen teilstationäre psychotherapeutische Einrichtungen an oberste Stelle ihres Aufgabenverständnisses. Psychiatrische Tageskliniken sehen eine besondere Funktion in der Abkürzung der stationären Behandlung und als Ergänzung zum ambulanten Behandlungsangebot.
Bezüglich der therapeutischen Paradigmen in Tageskliniken zeigen die Ergebnisse, dass psychiatrische Tageskliniken vor allem das sozialpsychiatrische und das systemtheoretische Paradigma hoch halten. In psychosomatischen Tageskliniken wird vor allem das tiefenpsychologische Paradigma genannt. Weiters auffallend war, dass von einem Großteil der Tageskliniken mehrere Therapieschulen angegeben wurden.
Als Aufnahmediagnosen für die Aufnahme in die Tagesklinik werden psychische Störungen aus allen Bereichen genannt (Abb. 3).
Somit zeigt sich, dass psychosomatische Tageskliniken hauptsächlich PatientInnen mit Diagnosen aus dem Bereich der Psychosomatik aufnehmen. Psychiatrische Tageskliniken weisen hier eine größere Bandbreite an Diagnosen auf.
Die Ergebnisse bezüglich der Kontraindikationen für eine Aufnahme in der Tagesklinik sind in Tab. 2 dargestellt.
Tab. 2
Kontraindikation psychiatrischer und psychosomatischer Tageskliniken
Kontraindikation
Psychiatrische TK in %
Psychosomatische TK in %
Fehlende Motivation
85,71
100
Akute Suizidalität
85,71
100
Akute psychotische Dekompensation
78,57
100
Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit
78,57
100
Drogenabhängigkeit
78,57
100
Geistige Behinderung
64,29
100
Fehlende eigene Wohnung
50
100
Zu langer Anfahrtsweg
42,86
50
Nicht ausreichende Sprachkenntnisse
42,86
50
Anfallsleiden
28,57
Überlastung der Familie
7,15
Die Ergebnisse bezüglich der diagnostischen Maßnahmen zeigen, dass in den meisten Tageskliniken die körperliche Untersuchung vom auch psychotherapeutisch tätigen Arzt durchgeführt wird. In psychosomatischen Tageskliniken werden insgesamt mehr Untersuchungen pro Patient durchgeführt.
Die personelle Zusammensetzung des therapeutischen Teams ist in Tab. 3 dargestellt.
Tab. 3
Personal psychiatrischer und psychosomatischer Tageskliniken im Vergleich
Berufsgruppe
Psychiatrische TK
Psychosomatische TK
Arzt/Ärztin
2,07 Stellen
54,54 h/Woche
2,34 Stellen
51,67 h/Woche
Psychotherapieausbildung:
65,16 %
75 %
PsychologIn
1,36 Stellen
33,38 h/Woche
1 Stelle
20,83 h/Woche
Psychotherapieausbildung:
46,15 %
100 %
Pflegepersonal
2,57 Stellen
81,83 h/Woche
4,33 Stellen
40 h/Woche
Psychotherapieausbildung
16,67 %
50 %
ErgotherapeutInnen
1,14 Stellen
31,54 h/Woche
0,33 Stellen
8 h/Woche
Psychotherapieausbildung:
100 %
100 %
MusiktherapeutInnen
0,69 Stellen
10,31 h/Woche
0,33 Stellen
5 h/Woche
Psychotherapieausbildung:
22,22 %
100 %
KunsttherapeutInnen
0,25 Stellen
3,58 h/Woche
0,67 Stellen
8,33 h/Woche
Psychotherapieausbildung:
50 %
PhyiotherapeutInnen
0,79 Stellen
8,62 h/Woche
0,67 Stellen
4,33 h/Woche
Psychotherapieausbildung:
SozialarbeiterInnen
0,92 Stellen
16,75 h/Woche
1 Stelle
7 h/Woche
Psychotherapieausbildung:
16,67 %
33,33 %
TanztherapeutIn
0,23 Stellen
2,54 h/Woche
Psychotherapieausbildung:
33,33 %
SporttherapeutIn
0,08 Stellen
0,08 h/Woche
Psychotherapieausbildung:
SekretärInnen
0,54 Stellen
11,42 h/Woche
1 Stelle
7,67 h/Woche
Psychotherapieausbildung:
Insgesamt gibt es in psychiatrischen Tageskliniken durchschnittlich 10,64 Stellen, die zusammen 253,6 Stunden in der Woche arbeiten. In psychosomatischen Tageskliniken sind es durchschnittlich 11,67 Stellen, die 152,83 Stunden in der Woche beschäftigt sind. Die Anzahl der MitarbeiterInnen mit Psychotherapieausbildung ist auffallend hoch.
Teamsitzungen sind ein wichtiger Bestandteil des therapeutischen Settings. Die meiste Zeit wird für Fallbesprechungen aufgebracht. In 93,8 % der Tageskliniken wird ein von der Einrichtung unabhängiger Berater oder Supervisor hinzugezogen.

Ergebnisse der „offenen Fragen“

Hier sollen noch kurz die am häufigsten genannten Antworten der „offenen Fragen“ genannt werden. Von 56,25 % der befragten Einrichtungen wurde Struktur und Kontinuität (Tages- und Wochenstruktur) als Wirkfaktor tagesklinischer Behandlung angegeben. Von 50 % der befragten Einrichtungen wurden die Vorteile eines halbstationären Settings (Gelerntes kann im Alltag geübt werden) als Wirkfaktor genannt. Als Schwierigkeit tagesklinischer Behandlung wurden „Struktur einhalten (Fehlen, Absagen, zu spät kommen)“ von 36,36 % der befragten Einrichtungen, „Überforderung durch intensives Programm“ von 18,18 % der befragten Einrichtungen und „problematische Familien- und Bezugssysteme“ auch von 18,18 % der befragten Einrichtungen angegeben. Als Wünsche bzw. Forderungen für die tagesklinische Behandlung in Zukunft wurden Raumerweiterung, Personalaufstockung, Aufstockung der Behandlungsplätze, besseres Nachbetreuungsangebot und mehr therapeutische Angebote genannt.

Diskussion

Die Tatsache, dass in den letzten 10 Jahren doppelt so viele Tageskliniken eröffnet wurden, wie in den 10 Jahren davor, zeigt, welchen Stellenwert das „Modell Tagesklinik“ in den letzten Jahren erlangt hat und wie unabkömmlich Tageskliniken heute in der psychiatrischen Versorgung sind.
Psychosomatische Tageskliniken reihen teilstationäre psychotherapeutische Einrichtungen an oberste Stelle ihres Aufgabenverständnisses. Psychiatrische Tageskliniken sehen dagegen eine besondere Funktion in der Abkürzung der stationären Behandlung und verstehen sich vermehrt als Ergänzung zum ambulanten Behandlungsangebot. Somit stehen psychiatrische Tageskliniken eher an dem Pol „tagesstrukturierende Einrichtung“, wohingegen sich psychosomatische Tageskliniken eher als „alternative psychotherapeutische Einrichtung“ sehen. Dies kann man auch anhand der Inhalte der Interventionen sehen, bei denen psychosomatische Tageskliniken keine tagesstrukturierenden Angebote wie direktive Tagesstruktur oder Arbeitstraining anbieten. Weiters ist an dem heutigen Aufgabenverständis von Tageskliniken auch der Wandel der letzten 30 Jahre zu sehen. Waren früher die medizinische Rehabilitation und Abkürzung der vollstationären Behandlung vorrangige Ziele der tagesklinischen Behandlung [3], so werden heute die „Alternative zur stationären Behandlung“ und die „Teilstationäre psychotherapeutische Einrichtung“ als wichtigste Funktion und Aufgabe von Tageskliniken genannt.
Bezüglich der vorherrschenden therapeutischen Paradigmen in Tageskliniken ist eine relativ breite Verteilung über alle Therapieschulen zu erkennen. Es ist somit davon auszugehen, dass ein eklektisches Paradigma überwiegt.
Aus der Übersicht der Aufnahmediagnosen geht eine große Schnittmenge zwischen psychiatrischen und psychosomatischen Tageskliniken hervor, sodass zu vermuten ist, dass aufgrund der geringen Anzahl an psychosomatischen Einrichtungen viele der „psychosomatischen Störungen“ auch an psychiatrischen Tageskliniken behandelt werden. Die geringe Anzahl an speziell psychosomatischen Einrichtungen könnte damit erklärt werden, dass solche Spezialeinrichtungen vor allem eher in größeren Städten entstehen, wovon es im Vergleich zu Deutschland in Österreich nur wenige gibt.
Hinsichtlich des Personals werden die Ergebnisse von Veltin (1986) [6] unterstützt, dass es keinen als verbindlich akzeptierten Personalschlüssel gibt und generell eine große Variationsbreite zu verzeichnen ist. Bei allen Tageskliniken besteht ein multiprofessionelles Team. Auffallend hoch ist die Anzahl des Personals (vor allem Ärzte/Ärztinnen, PsychologInnen, PflegerInnen und ErgotherapeutInnen) mit einer Psychotherapieausbildung. Der große Bedarf an Austausch und Absprache unter den Teammitgliedern zeigt sich auch in der wöchentlich miteinander in Teamsitzungen verbrachten Zeit von durchschnittlich mehr als 4 Stunden pro Woche. Die Forderung von Veltin (1986) [6] einen von der Einrichtung unabhängigen Berater oder Supervisor hinzuzuziehen wird weitgehend erfüllt.
Als herausstechende Wirkfaktoren zeigten sich die „Tagesstrukturierung“ und „Kontinuität der Behandlung“, sowie die „Besonderheit des tagesklinischen Settings“. Dies meint, dass den PatientInnen einerseits ermöglicht wird an einem intensiven Therapieangebot teilzunehmen und gleichzeitig in der gewohnten Umgebung zu bleiben, sodass Konflikte der Alltagsrealität tagtäglich therapeutisch behandelt und Alltagsressourcen genutzt werden können.
Bezug nehmend auf das Konzept zu Charakteristika tagesklinischer Arbeit an der PPTK von Seewald et al. (2005) können die Ergebnisse der vorliegenden Studie bestätigt werden. Diese Autoren beschreiben ein psychodynamisches Konzept, in dem der Patient durch die verpflichtende Teilnahme an einem Therapieplan eine allgemeine Aktivierung erfährt, in Kontakt mit MitpatientInnen und Teammitgliedern kommt und so Teil der therapeutischen Gemeinschaft wird. Dadurch eröffnet sich im Hier und Jetzt der Gruppensituation ein interaktionelles Geschehen, in dem sich psychische Erkrankungen unmittelbar in ihrer Auswirkung auf das, oder direkt als Beziehungsgeschehen diagnostizieren lassen. Im Unterschied zur stationären Behandlung kann durch das Verbleiben in dem gewohnten Umfeld auch deren Auswirkung auf die Beziehungs-, Arbeits- und Genussfähigkeit draussen exploriert und behandelt werden [7]. Damit gehen Seewald et al. (2005) auch auf die „Besonderheit des tagesklinischen Settings“ ein, welches von vielen Tageskliniken als Wirkfaktor angegeben wurde.
Die Bedeutung der Psychotherapie sowohl bei psychiatrisch als auch psychomatischen Tageskliniken ist nicht nur durch die hohe Anzahl des Personals mit Psychotherapieausbildung, sondern auch in den Ergebnissen der Aufgaben und Funktion ersichtlich. Das umfassende Angebot an Tageskliniken und die „Besonderheit des tagesklinischen Settings“ bieten die ideale Voraussetzung, dass alle Wirkfaktoren für Psychotherapie, die Grawe (1995) [8] benennt, nämlich die therapeutische Beziehung, die Ressourcenaktivierung, die Problemaktivierung, die aktive Hilfe zur Problembewältigung und die Klärungsperspektive wirksam werden können.

Limitationen

Eine Schwierigkeit bei der Studie war, dass der Fragebogen mit der Paper-Pencil-Methode durchgeführt wurde, also ein gedruckter Fragebogen war. Einmal sind durch das mehrfache Ankreuzen bei Fragen, bei denen nur ein Item hätte ausgewählt werden sollen, Schwierigkeiten bei der Auswertung entstanden. Weiters war oft die Handschrift bei der Beantwortung der offenen Fragen unleserlich, sodass es nicht möglich war alle Angaben auszuwerten. Zu guter Letzt können sich Übertragungsfehler bei der Auswertung einschleichen. Diese Schwierigkeit hätte mit einem computer-unterstützten Fragebogen umgangen werden können.
Der Fragebogen ist sehr ausführlich konzipiert und entsprechend lang, sodass man einige Zeit braucht, um ihn auszufüllen. Dies könnte manche abgeschreckt haben, sich an der Studie zu beteiligen.
Es ist, bei einer Fragestellung zu den Leistungsmerkmalen und zur Ausstattung einer Institution, in den Antworten eine Tendenz zur günstigen Darstellung des eigenen Leistungsangebotes zu erwarten. Falsche Angaben konnten somit nicht identifiziert oder überprüft werden. Die Ergebnisse sollen daher kritisch betrachtet werden.
Leider ist auch die Stichprobe zu klein, um wirklich verallgemeinerbare Aussagen treffen zu können. 17 Tageskliniken ist bereits eine sehr kleine Stichprobe. Dazu kommt noch die Schwierigkeit 14 psychiatrische und 3 psychosomatische Tageskliniken miteinander zu vergleichen.

Ausblick

Für zukünftige Studien wäre es wünschenswert diese Studie mit einer größeren Stichprobe durchzuführen. Vor allem der Vergleich der Konzepte von psychiatrischen und psychosomatischen Tageskliniken wäre wichtig, um PatientInnen zukünftig unterscheidbare Behandlungsoptionen bieten zu können. Wie in den Ergebnissen zu sehen ist, sind Tageskliniken ein eher noch neues Phänomen und daher noch in der Entwicklung begriffen. Somit könnte der Wandel der tagesklinischen Behandlung untersucht werden.
Auch wäre wünschenswert ein Vergleich der Ergebnisse dieser Studie mit den Ergebnissen ähnlicher Studien in Deutschland und der Schweiz. Bei solch einem Vergleich könnte man eventuell feststellen, ob und welchen Bedarf es in Österreich noch abzudecken gibt oder anders herum österreichische Tageskliniken in manchen Aspekten als Modell dienen können.
Ebenso wäre es interessant die spezifischen therapeutischen Möglichkeiten, welche Tageskliniken im Vergleich zu stationärer bzw. ambulanter psychiatrischer/psychotherapeutischer Behandlung bieten, zu untersuchen. Somit könnte man eine bessere Unterscheidbarkeit außerhalb der offensichtlichen Kriterien wie den Öffnungszeiten, zwischen außer-, teil- und stationärer Behandlung erreicht werden. Ein solcher Vergleich wäre wiederum wichtig, um PatientInnen zukünftig besser unterscheidbare Behandlungsoptionen bieten zu können.

Schlussfolgerung

Entgegen der zweifelnden Haltung vor 30 Jahren haben sich psychiatrische und psychosomatische Tageskliniken in unserem heutigen Versorgungssystem etabliert. Es gibt sogar einen deutlichen Trend zu mehr Tageskliniken. Dabei sind psychosomatische Tageskliniken im Vergleich zu psychiatrischen Tageskliniken eine eher neueres Phänomen, von denen es auch noch nicht sehr viele gibt. Die Unterscheidung zwischen psychiatrischen und psychosomatischen Tageskliniken ist vor allem auch wichtig, um PatientInnen zukünftig unterscheidbare und noch spezifischere Behandlungsoptionen zu bieten. Des weiteren zeigte sich, dass psychiatrische und psychosomatische Tageskliniken einen starken psychotherapeutischen Schwerpunkt haben und die Voraussetzung bieten die Wirkfaktoren der Psychotherapie nach Grawe (1994) weitgehend zu erfüllen.
Open access funding provided by University of Innsbruck and Medical University of Innsbruck.

Interessenkonflikt

J. Evans, V. Dummer und J. Kinzl geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.

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Literatur
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Metadaten
Titel
Psychiatrische und psychosomatische Tageskliniken in Österreich
verfasst von
Mag. Janet Evans
Dr. Verena Dummer
Univ.-Prof. Dr. Johann Kinzl
Publikationsdatum
01.12.2016
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
neuropsychiatrie / Ausgabe 4/2016
Print ISSN: 0948-6259
Elektronische ISSN: 2194-1327
DOI
https://doi.org/10.1007/s40211-016-0207-9

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