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Erschienen in:

Open Access 04.07.2022 | Pruritus und Prurigo | Originalien

Chronischer Pruritus

verfasst von: Prof. Dr. med. Andreas E. Kremer, PhD, MHBA

Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie | Ausgabe 1/2022

Zusammenfassung

Chronischer Pruritus ist ein häufiges Symptom mit einer Prävalenz von rund 15 %. Neben klassischen Hauterkrankungen wie der atopischen Dermatitis oder Psoriasis leiden auch zahlreiche Patienten mit internistischen, neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern an Pruritus. Die häufigsten internistischen Ursachen des chronischen Pruritus sind chronische Niereninsuffizienz, Leber- und Gallengangerkrankungen, lymphoproliferative Neoplasien sowie Medikamentennebenwirkungen. Seltener sind Patienten mit endokrinen oder metabolischen Störungen, Malassimilationssyndromen, Infektionskrankheiten oder soliden Tumoren betroffen. Die Basistherapie besteht aus rehydrierenden und rückfettenden Topika. Bei chronischer Niereninsuffizienz ist die Wirksamkeit der Kalziumkanalblocker Gabapentin und Pregabalin gut belegt. Agonisten des κ‑Opioidrezeptors stellen neuartige Therapieansätze dar. Bei hepatobiliären Erkrankungen werden Gallensäurebinder, Rifampicin, Fibrate, μ‑Opioidrezeptor-Antagonisten und Antidepressiva eingesetzt. Zukünftig werden auch ileale Gallensalz-Wiederaufnahme(IBAT)-Hemmer Anwendung finden. Bei lymphoproliferativen Erkrankungen sind häufig JAK-STAT-Inhibitoren effektiv.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Abkürzungen
ATX
Autotaxin
CKDaP
„Chronic kidney disease-associated pruritus”
HBV
Hepatitis-B-Virus
HCV
Hepatitis-C-Virus
HIV
Humanes Immundefizienzvirus
H.p.
Helicobacter pylori
HSV
Herpes-simplex-Virus
IBAT
Ilealer Gallensalz-Transporter
JAK-STAT
Januskinase-Signal Transducers and Activators of Transcription
KOR
Kappa-Opioid-Rezeptor
MRGPRX2
Mas-related G‑Protein-gekoppelter Rezeptor X2
PUO
Pruritus unklarer Ätiologie
PV
Polycythaemia vera
UDCA
Ursodeoxycholsäure
UVB
Ultraviolettes B‑Licht
VZV
Varizella-Zoster-Virus
Chronischer Pruritus ist definiert als Juckempfinden, das über einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen besteht. Der Terminus „Juckreiz“ wird häufig im klinischen Alltag verwendet, ist allerdings eine unpräzise Bezeichnung. Die Empfindung „Jucken“ wird durch einen „Juck-Reiz“ ausgelöst, analog zu „Schmerzen“ und „Schmerz-Reiz“. Der Begriff „Juckreiz“ sollte daher in einem wissenschaftlichen Zusammenhang nicht verwendet und stattdessen als Jucken, Pruritus oder Juckempfindung bezeichnet werden [19]. Die Global Burden of Diseases Study zählt den chronischen Pruritus zu den 50 zentralen und stark belastenden Erkrankungen. Dezidierte Daten zur Prävalenz und Inzidenz in der Schweiz liegen nicht vor. In Deutschland beträgt die Prävalenz des chronischen Pruritus in der Allgemeinbevölkerung rund 15 %, die Lebenszeitprävalenz wird mit rund 22 % angegeben [19].

Klinisches Bild und Einteilung

Chronischer Pruritus betrifft viele Patienten mit dermatologischen, internistischen, neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern, kann aber auch im Alter oder als Nebenwirkung von Medikamenten auftreten. Im Rahmen einer klinischen Abklärung sollte dieses Symptom zunächst anhand der Anamnese und Untersuchungsbefunde einer der drei klinischen Gruppen zugeordnet werden (Abb. 1):
1.
chronischer Pruritus auf primär läsionaler Haut, also bei Vorliegen einer Hauterkrankung,
 
2.
chronischer Pruritus auf primär nichtläsionaler Haut, also ohne Vorliegen einer Hauterkrankung oder Hautveränderungen,
 
3.
chronischer Pruritus mit Kratzläsionen; es herrschen sekundäre Kratzläsionen wie Exkoriationen, chronische Prurigo oder Lichen simplex vor, die eine Einteilung in die erste oder zweite Gruppe nicht ermöglichen.
 
Anschliessend sollten differenzialdiagnostische Überlegungen und eine entsprechende weiterführende Diagnostik festgelegt werden. In der aktuellen Übersichtsarbeit wurde dabei ein Fokus auf die wichtigsten internistischen Krankheitsbilder gelegt (Tab. 1).
Tab. 1
Internistische Erkrankungen assoziiert mit chronischem Pruritus
Häufigkeit
Organsystem
Erkrankungen
Häufig
Renale Erkrankungen
Chronische Niereninsuffizienz jeglicher Genese
Hepatobiliäre Erkrankungen
Primär biliäre Cholangitis, primär/sekundär sklerosierende Cholangitis, IgG4-assoziierte Cholangiopathie, medikamentöse/toxische intrahepatische Cholestase, Alagille-Syndrom, familiäre Cholestasesyndrome (BRIC, PFIC), intrahepatische Schwangerschaftscholestase, Leberzirrhose jeglicher Genese, obstruktive Cholestase jeglicher Genese wie Gallengangsteine, -adenome, -karzinome, Pankreaskopfkarzinome
Hämatopoetische Erkrankungen
Polycythaemia vera, essenzielle Thrombozythämie, myelodysplastisches Syndrom, M. Hodgkin, Non-Hodgkin-Lymphome, Hypereosinophilie-Syndrome, Mastozytose
Selten
Endokrine Erkrankungen
Hypo‑/Hyperthyreose, Hyperparathyreoidismus, Karzinoidsyndrom, Diabetes mellitus
Malassimilationssyndrome
Laktoseintoleranz, Zöliakie, Anorexia nervosa, Eisenmangel, Vitamin-B/D-Mangel
Infektionskrankheiten
Akute/chronische HBV-/HCV-/HIV-/HSV-Infektionen, H.p.-Infektionen, VZV-Reaktivierung (postherpetische Neuralgie), Parasitosen
Solide Tumoren
Karzinome in Schilddrüse, HNO-Bereich, Mamma, Lunge, Magen, Pankreas, Kolon/Rektum, Prostata, Uterus und Sarkomen
Im Gegensatz zum Pruritus bei Hauterkrankungen liegen bei Patienten mit systemischen, neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen keine läsionalen Hautveränderungen vor. Allerdings kann intensives Kratzen zu sekundären Veränderungen führen, die eine Abgrenzung zu dermatologischen Ursachen erheblich erschweren können. Sekundäre Hautveränderungen beinhalten Hautabschürfungen, Exkoriationen, Blutungen und Krusten. Darüber hinaus führt fortgesetztes Kratzen zu hyperkeratotischen, lividroten oder hyperpigmentierten pruriginösen Papeln, Plaques oder Knoten entsprechend der unterschiedlichen Formen der chronischen Prurigo und flächigen oder papulösen Lichenifikationen (Abb. 2). Diese Sekundärschäden heilen oft mit Hyper- oder Depigmentierung oder teils Narbenbildung ab (Abb. 2). Die Ausprägung dieser sekundären Hautveränderungen variiert zwischen den einzelnen Krankheitsbildern, lässt aber keine Rückschlüsse auf die zugrundeliegende Erkrankung zu. Unspezifische Kratzläsionen können dadurch das typische klinische Bild einer juckenden Dermatose wie etwa die Lichenifizierung bei atopischer Dermatitis, Stauungsdermatitis oder Lichen planus vollständig überlagern. Daneben können bestimmte Dermatosen wie Morbus Duhring oder bullöses Pemphigoid das Bild der chronischen Prurigo imitieren. Daher sollte im Zweifel eine dermatologische Mitbeurteilung erfolgen.
Chronischer Pruritus kann mild und tolerabel sein, aber auch moderate bis schwere Formen annehmen. Moderate bis schwerwiegende Intensitäten belasten die betroffenen Patienten häufig sehr und können deren Lebensqualität deutlich reduzieren. Vor allem quälender nächtlicher Pruritus kann gravierenden Schlafmangel verursachen, der Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Depression und sogar Selbstmordgedanken zur Folge haben kann. Der Schweregrad des Pruritus kann im klinischen Alltag einfach mittels verbaler oder numerischer Ratingskala erhoben werden, wobei 0 „kein Pruritus“ und 10 dem „schwersten vorstellbaren Juckempfinden“ entspricht.

Diagnostisches Vorgehen bei chronischem Pruritus

Bei Pruritus auf primär läsionaler Haut liegen meist dermatologische Erkrankungen vor. Differenzialdiagnostisch kommen entzündliche Dermatosen wie atopisches Ekzem, Lichen ruber, Psoriasis oder Urtikaria, infektiöse Dermatosen wie bakterielle oder virale Infektionen, Skabies oder Mykosen, Autoimmundermatosen wie bullöses Pemphigoid oder Dermatitis herpetiformis Duhring, Genodermatosen wie Ichthyosen oder Neurofibromatose, Schwangerschaftsdermatosen wie atopische Eruption oder polymorphe Exantheme der Schwangerschaft sowie Neoplasien wie malignes Melanom oder kutanes T‑Zell-Lymphom in Frage. Diagnostisch kommen bakteriologische, mykologische, allergologische und autoimmunserologische Untersuchungsverfahren zum Einsatz (Tab. 3). In unklaren Fällen wird häufig eine Hautbiopsie mit entsprechender Aufarbeitung benötigt.
Liegt chronischer Pruritus auf primär nichtläsionaler Haut vor, sollten innere, neurologische und somatoforme Erkrankungen oder eine Medikamenteneinnahme (Tab. 2) als Auslöser erwogen werden. Anamnese und klinische Untersuchung können hierbei wichtige Hinweise für das Vorliegen einer entsprechenden Erkrankung erbringen. Ergibt dies keine richtungsweisenden Befunde, empfiehlt sich die in Tab. 3 aufgezeigte Stufendiagnostik, die sich an der Häufigkeit der mit Pruritus assoziierten Erkrankungen orientiert. Die Basisdiagnostik erlaubt insbesondere auf hausärztlicher Ebene eine kostengünstige und gezielte Abklärung für die häufigsten internistischen Ursachen des chronischen Pruritus. Bei auffälligen Befunden soll eine weitergehende Abklärung erfolgen, etwa durch mögliche weiterführende Untersuchungen (Tab. 3). Dennoch können neurologische oder psychiatrische Erkrankungen sowie manche Tumorerkrankungen wie etwa Prostatakarzinome, lymphoproliferative Neoplasien, gastrointestinale Malignome oder kleine, neuroendokrine Tumoren unentdeckt bleiben. Allerdings sind Malignome nur selten die Ursache eines chronischen Pruritus. Bei der Abklärung des chronischen Pruritus auf primär nichtläsionaler Haut konnten in zwei großen Kohortenstudien mit 8744 und 12.813 Patienten erhöhte Malignomraten lediglich bei hämatologischen Erkrankungen, insbesondere Lymphome und lymphoproliferative Neoplasien, sowie Gallengangkarzinomen nachgewiesen werden [9, 14].
Tab. 2
Beispiele für Medikamente, die Pruritus induzieren können. (Adaptiert nach [17])
Akuter Pruritus (<6 Wochen Dauer)
Spontanes Abklingen nach Absetzen des Medikaments oder Übergang in chronischen Pruritus
Opioide und Antagonisten
Codein, Fentanyl, Levomethadon, Morphin und Derivate, Pentazocin, Sufentanil (bis 25 %), Tramadol
Antimalariamittel
Chloroquin, Hydroxychloroquin (1,5 %), Amodiaquin (23,8 %)
Antihypertensiva
Amlodipin
Antineoplastische Agenzien
z. B. Paclitaxel, Carboplatin (17 %), Cisplatin, Mitomycin C, Bleomycin, Gemcitabin, Imatinib, Erlotinib, Rituximab
Desinfektionssubstanz für Dialysegeräte
Ethylenoxid
TNF-Inhibitoren
Etanercept, Infliximab
Urikostatikum
Allopurinol, Febuxostat
Chronischer Pruritus (>6 Wochen Dauer)
ACE-Hemmer
Captopril, Enalapril, Lisinopril
Antiarrhythmika
Amiodaron, Disopyramid, Flecainid
Antibiotika
Amoxicillin, Ampicillin, Cefotaxim, Ceftriaxon, Chloramphenicol, Ciprofloxacin, Clarithromycin, Clindamycin, Co-trimoxazol, Erythromycin, Gentamycin, Metronidazol, Minocyclin, Ofloxacin, Penicillin, Tetracyklin
Antidepressiva
Citalopram, Clomipramin, Desipramin, Doxepin, Fluoxetin, Imipramin, Lithiumsalze, Maprotilin
Antidiabetika
Glimepirid, Metformin, Tolbutamid
Antihypertensiva
Clonidin, Doxazosin, Hydralazin, Methyldopa, Minoxidil, Prazosin, Reserpin
Antikonvulsiva
Carbamazepin, Clonazepam, Lamotrigin, Phenobarbital, Phenytoin, Topiramat, Valproinsäure
Antiphlogistika
Acetylsalicylsäure, Celecoxib, Diclofenac, Ibuprofen, Indometacin, Ketoprofen, Naproxen, Piroxicam
Antirheumatika
Goldpräparate wie Natriumaurothiomalat
Betablocker
Acebutolol, Atenolol, Bisoprolol, Metoprolol, Nadolol, Pindolol, Propranolol
Bronchodilatator, Broncholytikum, Respirationsstimulanz
Aminophyllin, Doxapram, Ipratropiumbromid, Salmeterol, Terbutalin
Kalziumantagonisten
Amlodipin, Diltiazem, Felodipin, Isradipin, Nifedipin, Nimodipin, Nisoldipin, Verapamil
Diuretika
Amilorid, Furosemid, Hydrochlorothiazid, Spironolacton, Triamteren
FXR-Agonisten
Obeticholsäure
Immunsuppressiva
Cyclophosphamid, Mycophenolatmofetil, Tacrolimus (bis 36 %)
Lipidsenker
Clofibrat, Fenofibrat, Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Simvastatin
Neuroleptika
Chlorpromazin, Haloperidol, Risperidon
Plasmaexpander, Durchblutungsfördernde Mittel
Hydroxyethylstärke, Pentoxifyllin
Tranquilizer
Alprazolam, Chlordiazepoxid, Lorazepam, Oxazepam, Prazepam
Urikostatika, Urikosurika
Allopurinol, Colchizin, Probenecid, Tiopronin
Tab. 3
Diagnostik bei chronischem Pruritus. (Adaptiert nach [19])
Basisuntersuchungen
Labordiagnostik
– Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und C‑reaktives Protein (CRP)
– Blutbild mit Differenzialblutbild, Ferritin
– Bilirubin, Transaminasen (GPT [ALAT], GOT [ASAT]), Gammaglutamyl-Transferase (GGT), alkalische Phosphatase
– Kreatinin, Harnstoff, errechnete glomeruläre Filtrationsrate (eGFR), K+, Urin (Streifentest)
Blutzucker nüchtern
– Laktatdehydrogenase (LDH)
– Thyroidea-stimulierendes Hormon (TSH)
Bei primären oder sekundären Hautveränderungen ggf.
– Bakteriologische/mykologische Abstriche
– Hautbiopsie (Histologie, direkte Immunfluoreszenz, Elektronenmikroskopie)
– Skabiesmilben-Nachweis
Pruritus in der Schwangerschaft
– Bei auffälligem Hautbefund: Dermatologische Untersuchung zum Ausschluss atopische oder polymorphe Eruption der Schwangerschaft (AEP/PEP), Pemphigoid gestationis
– Bei unauffälligem Hautbefund: Basis-Labordiagnostik (siehe oben) plus Gallensäuren (nüchtern)
Mögliche weitergehenden Untersuchungen
– Bei analem Pruritus: Parasiten, Wurmeier, digital-rektale Untersuchung, PSA
– Bei aquagenem und genitalem Pruritus, Pruritus unklarer Genese: Laktose‑/Sorbit-Intoleranztest
– Bei Blutbildveränderungen/V. a. lymphoproliferative Erkrankungen: Vitamin B12, Folsäure, Eiweißelektrophorese, Immunfixation, JAK2-Status, ggf. KM-Punktion mit (Immun‑)Zytologie und Histologie
– Bei Eisenmangel/Stuhlunregelmäßigkeiten: Stuhluntersuchung auf okkultes Blut
– Bei pathologischen Leberwerten: Hepatitisserologie (anti-HVA-IgM/IgG, HBsAg, anti-HBc, anti-HCV), ggf. direkte Virusnachweise HAV-RNA, HBV-DNA, HCV-RNA, HEV-RNA, Gallensäuren, antimitochondriale Antikörper (AMA), gp210, sp100, antinukleäre Antikörper (ANA), glatte Muskulatur-Antikörper (SMA), Soluble-liver-antigen-Antikörper (SLA), Liver-Kidney-mikrosomale Antikörper (LKM), Gewebstransglutaminase-AK, Alpha-Fetoprotein (bei Leberzirrhose/hepatischer Raumforderung)
– Bei pathologischer Nüchternglukose: HBA1c, Glukose-Toleranztest
– Bei primären oder sekundären Hautveränderungen: direkte und indirekte Immunfluoreszenz, Autoantikörper gegen dermale Proteine (BP 180, 230, Desmoglein)
– Bei V. a. Allergie: Gesamt-IgE, ggf. spezifische IgE, Prick-Testung, Epikutantestung
– Bei V. a. endokrine Erkrankungen: Parathormon, Phosphat, Ca2+, fT3, fT4, 25-OH-Cholecalciferol, TSH-Rezeptor-AK (TRAK), Thyreoperoxidase-AK (TPO-AK)
– Bei V. a. HIV: HIV-Serologie, ggf. Lues-Serologie
– Bei V. a. Mastozytose: Tryptase
– Bei V. a. neuroendokrine Tumoren: Chromogranin A
– 24 h-Sammelurin: Porphyrine (Porphyrien), 5‑Hydroxyindolessigsäure (neuroendokrine Tumoren), Methylimidazolessigsäure (Mastozytose)
Bildgebende Verfahren (auch wenn in der Anamnese, bei der körperlichen Untersuchung und der Labordiagnostik kein spezifischer Krankheitsverdacht besteht, können ein Röntgenbild bzw. eine Computertomographie des Thorax und eine Sonographie des Abdomens veranlasst werden, um Hinweise auf eine eventuell bestehende maligne Erkrankung gewinnen zu können)
Interdisziplinäre Kooperationen
– Kooperation mit weiteren (Fach‑)Ärztinnen/en: Allgemeinmedizin, Allergologie, Dermatologie, Innere Medizin (Gastroenterologie, Hepatologie, Endokrinologie, Hämatologie und internistische Onkologie), Urologie, Gynäkologie etc.
– Neurologischer und/oder psychiatrischer Fachbefund
Trotz intensiver Abklärungen bleibt die Ursache des chronischen Pruritus bei einem Teil der Patienten ungeklärt, je nach Literaturangabe und untersuchtem Kollektiv in 13–50 % der Fälle [18]. Dabei sei angemerkt, dass Pruritus eine lange Zeit vor dem Auftreten der auslösenden Erkrankung bereits als prämonitorischer Pruritus auftreten kann, bei der Polycythaemia vera kann diese sogar viele Jahre betragen. Eine Kontrolle der Basisdiagnostik kann daher zu einem späteren Zeitpunkt je nach Verlauf und Befund erwogen werden.

Pruritus bei chronischer Niereninsuffizienz

Während Patienten mit akutem Nierenversagen und Patienten mit Nierenerkrankungen ohne Einschränkung der Nierenfunktion nicht an Pruritus leiden, sind solche mit chronischer Niereninsuffizienz häufig betroffen. Patienten mit schwer eingeschränkter Niereninsuffizienz, die noch keiner Dialysebehandlung bedarf, leiden ebenfalls zu einem erheblichen Prozentsatz unter chronischem Pruritus. Diese Form wird als „chronic kidney disease-associated pruritus“ (CKDaP) oder auch als urämischer bzw. nephrogener Pruritus bezeichnet. Laut der sehr großen, multinationalen DOPPS-Kohorte mit über 35.000 Dialysepatienten leiden über 40 % der Dialysepatienten an mäßigem bis sehr starkem Pruritus [16]. Patienten an der Peritonealdialyse sind vergleichbar häufig oder etwas seltener betroffen als Patienten an der Hämodialyse. Bezüglich der Lokalisation berichten Patienten häufig über Pruritus an Kopf und Rücken, 25–50 % klagen über generalisierten Pruritus.
Die Therapie des urämischen Pruritus ist aufgrund des limitierten Wissensstandes über die pathophysiologischen Veränderungen und zugrundeliegenden Signalwege weitgehend empirisch. Zum Teil erbrachten verfügbare Therapiestudien widersprüchliche Resultate. Zunächst sollte bei urämischem Pruritus die Dialyseeffizienz überprüft und gegebenenfalls optimiert werden. Als Basistherapie sowie bei milder Pruritusintensität werden zunächst topische Therapien empfohlen. In klinischen und Beobachtungsstudien beeinflussten Capsaicin‑, Gammalinolensäure- und Tacrolimus-haltige Cremes insbesondere milden urämischen Pruritus günstig. Bei moderatem bis schwerwiegendem Pruritus können die Kalziumkanalblocker Gabapentin (max. 100 mg/Tag) oder Pregabalin (max. 75 mg/Tag) in sehr niedriger und einschleichender Dosierung angewandt werden (Tab. 4; [27]). Mehrere randomisierte placebokontrollierte Kurzzeitstudien unterstreichen einen positiven, vergleichbaren Effekt für beide Substanzen [7]. Aufgrund der rein renalen Elimination beider Medikamente sollten diese in niedriger Dosierung eingeschlichen werden. Mögliche Nebenwirkungen sind Benommenheit, Schwindel und v. a. bei älteren Patienten eine erhöhte Sturzgefahr mit Frakturrisiko [13]. Die publizierten Daten zum µ‑Opioid-Rezeptor-Antagonisten Naltrexon sind widersprüchlich, einschleichende Dosierungen beginnend mit 25 mg/Tag können im Einzelfall aber erwogen werden (Tab. 4). Antihistaminika weisen keinen Nutzen jenseits des Placeboeffekts auf. Insbesondere ältere, sedierende Antihistaminika sollten aufgrund der zunehmenden Fatigue und Tagesmüdigkeit vermieden werden [24].
Tab. 4
Therapieempfehlungen bei urämischem Pruritus
Medikamenta
Dosierung
Gabapentinb
Max. 100 mg/Tag (p.o.)
Pregabalinb
Max. 75 mg/Tag (p.o.)
UVB-Lichttherapie
1- bis 2‑mal/Woche
Naltrexonc
25–50 mg/Tag (p.o.)
Naloxonc
0,002–0,2 μg/kgKG und min (ggf. 0,4 mg Bolus)
Experimentelle Behandlungen/klinische Studien
aAlle Medikamente fallen unter den „off-label use“
bDosis einschleichen; Cave: insbesondere bei älteren Patienten/innen Schwindel und Sturzgefahr
cCave: mögliche opioidähnliche Entzugssymptomatik; daher einschleichende Dosierung, ggf. mittels Naloxon-Perfusor mit sukzessiver Dosissteigerung und Oralisierung
Neuere Therapieansätze basieren auf einer postulierten verstärkten µ‑Opioid-Rezeptor(MOR)- und verminderten κ‑Opioid-Rezeptor(KOR)-Aktivierung bei Patienten mit CKDaP. Mit dem Ziel, dieses Ungleichgewicht wieder in Einklang zu bringen, sind mehrere KOR-Agonisten entwickelt worden. Während der zentralwirksame κ‑Opioid-Rezeptor(KOR)-Agonist Nalfurafin aufgrund seines geringen therapeutischen Effekts nur in Japan zugelassen ist, wurde kürzlich der peripher wirkende KOR-Agonist Difelikefalin von der FDA als erstes Medikament zur Behandlung des urämischen Pruritus zugelassen [10]. Bisher ist dieses Medikament aber noch nicht von EMA oder Swissmedic zugelassen.
Nichtmedikamentöse Behandlungsoptionen sind die ultraviolette Lichttherapie (UVB), Akupunktur oder Elektroakupunktur (Tab. 4). Nach einer erfolgreichen Nierentransplantation sistiert meist der Pruritus.

Pruritus bei Leber- und Gallenwegserkrankungen

Chronischer Pruritus ist ein klassisches Symptom zahlreicher hepatobiliärer Erkrankungen, insbesondere, aber nicht ausschließlich, bei laborchemischer Cholestase. Die Prävalenz des hepatischen Pruritus variiert je nach zugrundeliegender Erkrankung. Er ist das krankheitsdefinierende Symptom bei der intrahepatischen Schwangerschaftscholestase und bestimmten genetischen Varianten der benignen wiederkehrenden intrahepatischen Cholestase (BRIC) sowie deren progressiven familiären Formen (PFIC). Pruritus wird in bis zu 70 % der Patienten mit primär biliärer Cholangitis (PBC) sowie primär bzw. sekundärer sklerosierender Cholangitis (PSC/SSC), in 15–45 % bei benignen und maligen extrahepatischen Gallengangveränderungen und in 5–15 % bei chronischer Hepatitis-C-Virus-Infektion (HCV) berichtet. Aktuelle Studiendaten deuten darauf hin, dass Pruritus auch bei Erkrankungen ohne Cholestase wie der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) in einem relevanten Umfang auftritt.
Viele Patienten berichten über eine Lokalisation des hepatischen Pruritus an den Extremitäten, insbesondere an den Handinnenflächen und Fußsohlen, häufig wird der Pruritus aber auch als generalisiert beschrieben [4]. Bei Patientinnen intensiviert sich das Juckempfinden typischerweise prämenstruell, durch Hormonersatztherapien und am Ende der Schwangerschaft. Cholestatischer Pruritus ist unabhängig vom Ausmaß der Cholestase, findet sich häufig bereits in frühen Krankheitsstadien oder kann prämonitorisch auftreten, also vor Diagnosestellung.
Die Behandlungsmöglichkeiten beschränken sich auf wenige evidenzbasierte und einige experimentelle medikamentöse und interventionelle Therapien. Therapieansätze sollten primär auf die adäquate Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankung fokussieren, da sich hierdurch der Pruritus häufig bessert oder zurückbildet. So kann Pruritus aufgrund einer extrahepatischen Obstruktion des Gallengangsystems effektiv mittels einer endoskopischen Dilatation gegebenenfalls mit Stentimplantation, perkutanen oder nasobiliären Drainage therapiert werden. Chronischer Pruritus aufgrund einer intrahepatischen Cholestase kann dagegen bei einigen Patienten eine therapeutische Herausforderung darstellen.
Milder Pruritus, Xerosis und Hautläsionen werden effektiv mittels rehydratisierender, rückfettender und gegebenenfalls kühlender, z. B. mentholhaltiger Topika behandelt. Diese sollten täglich und nach jedem Duschen oder Baden angewandt werden. Ursodeoxycholsäure (UDCA) ist die Basistherapie vieler cholestatischer Erkrankungen wie primär biliärer Cholangitis (PBC), primär sklerosierender Cholangitis (PSC), Schwangerschaftscholestase und pädiatrischer Cholestasesyndrome [3]. UDCA in Dosierungen von 13–15 mg/kgKG und Tag ist eine sichere und zumindest temporär effektive Therapie des Pruritus bei Frauen mit Schwangerschaftscholestase [11]. In randomisierten, placebokontrollierten Studien bei PBC- und PSC-Patienten verringerte UDCA allerdings den Pruritus nicht. Wenngleich im klinischen Alltag häufig eingesetzt, weisen Antihistaminika keinen Nutzen jenseits des Placeboeffekts auf und werden daher nicht empfohlen.
Rifampicin erwies sich in mehreren randomisierten, placebokontrollierten Studien als wirksam [21]. Eine einschleichende Dosierung beginnend mit 150 mg/Tag wird empfohlen. In vielen Fällen sind 150–300 mg/Tag ausreichend und auch über lange Zeiträume effektiv. Allerdings soll das Interaktionspotenzial mit anderen Medikamenten wie oralen Antikoagulanzien, oralen Kontrazeptiva, Immunsuppressiva oder Antiepileptika bedacht werden. Eine Hepatotoxizität tritt in bis zu 5 % der Fälle in der Langzeitanwendung auf, weshalb die Transaminasen nach 2, 6 und 12 Wochen sowie einer Dosisänderung kontrolliert werden sollen [23]. Patienten sollten auf eine orange-rötliche Färbung von Körperflüssigkeiten wie Urin unter Rifampicin-Therapie hingewiesen werden.
Bezafibrat wirkt nicht nur anticholestatisch, sondern weist auch antipruriginöse Effekte auf. In einer 3‑wöchigen randomisierten, placebokontrollierten Studie verbesserte Bezafibrat in einer Dosierung von 400 mg/Tag die Juckintensität um mindestens 50 % in knapp der Hälfte der eingeschlossenen PBC-, PSC- und SSC-Patienten [6]. Die häufigste Nebenwirkung ist eine Myopathie, die in etwa 20 % der Fälle beobachtet wird. Ferner trat in der BEZURSO-Studie in 6 % der Patienten eine Hepatotoxizität auf, die teils einer Glukokortikoidtherapie bedurfte [5]. Daneben sollte Bezafibrat aufgrund einer möglichen Nephrotoxizität nicht in Patienten mit einer eGFR unterhalb von 60 ml/min verschrieben werden. Für Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose liegen bisher keine Daten vor, weshalb diese nicht behandelt werden sollten.
Eine weitere Option stellen die MOR-Antagonisten Naltrexon und Naloxon dar. Mehrere randomisierte, placebokontrollierte Studien haben einen, wenngleich geringen Vorteil über Placebo erbracht [21]. Aus klinischer Erfahrung ist der Nutzen dieser Substanzen gering, allerdings kann im stationären Setting eine intravenöse Naloxon-Infusion mit konsekutiver Dosissteigerung insbesondere bei fortgeschrittenen Krankheitsstadien erfolgreich sein. Aufgrund einer möglichen opiatähnlichen Entzugssymptomatik sollten diese Substanzen in einschleichender Dosierung angewandt werden (Tab. 5). Um einem Gewöhnungseffekt vorzugbeugen, kann es hilfreich sein, die Medikation an ein oder zwei Tagen pro Woche zu pausieren. Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren Sertalin und Paroxetin können ebenfalls als antipruriginöse Therapie bei hepatischem Pruritus erwogen werden.
Tab. 5
Therapieempfehlungen bei cholestatischem Pruritus
Medikamenta
Dosierung
Cholestyraminb
4–16 g/Tag (p.o.)
Rifampicinc
150–600 mg/Tag (p.o.)
Bezafibratd
200–400 mg/Tag (p.o.)
Naltrexone
25–50 mg/Tag (p.o.)
Naloxone
0,002–0,2 μg/kgKG und min (ggf. 0,4 mg Bolus)
Gabapentinf
100–3600 mg/Tag (p.o.)
Pregabalinf
25–600 mg/Tag (p.o.)
Sertralin
75–100 mg/Tag (p.o.)
UVB-Lichttherapie
1- bis 2‑mal/Woche
Experimentelle Behandlungen/klinische Studien
aNur Cholestyramin ist für die Behandlung des cholestatischen Pruritus zugelassen; alle anderen Medikamente fallen unter den „off-label use“
bCave: Einnahme anderer Medikamente mit zeitlichem Abstand von 4 h
cHäufig sind 150–300 mg/Tag ausreichend. Cave: Interaktionspotenzial; bei Langzeitbehandlung Hepatotoxizität in bis zu 5 %: laborchemische Kontrolle nach 2, 6 und 12 Wochen sowie Dosisänderung
dCave: Dosisreduktion bei eingeschränkter Nierenfunktion; kontraindiziert bei Dialyse; Myopathie sowie erhöhte Rhabdomyolysegefahr bei gleichzeitiger Statineinnahme; bei Langzeitbehandlung Hepatotoxizität in bis zu 5 %: laborchemische Kontrolle nach 2, 6 und 12 Wochen sowie Dosisänderung
eCave: einschleichende Dosierung, um Nebenwirkungen zu reduzieren, ggf. mittels Naloxon-Perfusor mit sukzessiver Dosissteigerung und Oralisierung
gBei älteren Patienten/innen und eingeschränkter Nierenfunktion Dosis einschleichen/anpassen (s. auch „Dosierung urämischer Pruritus“)
Eine wichtige zukünftige therapeutische Option sind Inhibitoren des ilealen Gallensalztransporters (IBAT), die selektiv die Rückresorption von Gallensäuren aus dem Darmlumen in den Enterozyten unterbrechen. Aufgrund der positiven Daten der Phase-3-Studien PEDFIC‑1 und -2 wurde der IBAT-Inhibitor Odevixibat (BylvayTM; Albireo, Boston, MA, USA) bereits im Juli 2021 durch die FDA zur Behandlung des hepatischen Pruritus bei PFIC-Kindern ab dem 3. Lebensmonat zugelassen [bisher nicht als Manuskript veröffentlicht]. Die eindrucksvollen Ergebnisse der ICONIC-Studie führten ebenfalls zur FDA-Zulassung von Maralixibat (LivmarliTM; Mirum, Foster City, CA, USA) im Herbst 2021 zur Behandlung des hepatischen Pruritus bei Kindern mit Alagille-Syndrom ab dem 1. Lebensjahr [12]. Weitere IBAT-Inhibitoren wie Linerixibat (GSK, Philadelphia, PA, USA) und Volixibat (Mirum, Foster City, CA, USA) befinden sich in Phase-2- und Phase-3-Studien. Das Nebenwirkungsprofil basiert insbesondere auf der enteralen Ausscheidung von Gallensäuren mit entsprechender gastrointestinaler Symptomatik sowie teils relevanten und Therapie-limitierender Diarrhoe. Die Substanz Elobixibat (EA Pharma, Tokyo, Japan) nutzt allerdings diesen Effekt als therapeutische Anwendung bei chronischer Obstipation und wurde hierfür in Japan zugelassen.
Bei unzureichendem Therapieansprechen dieser medikamentösen Therapieoptionen können interventionelle Verfahren wie Plasmapharese, Albumindialyse, transkutane oder nasobiliäre Drainage eingesetzt werden. Nach erfolgreicher Lebertransplantation sistiert meist der hepatische Pruritus.

Pruritus bei hämatoonkologischen Erkrankungen

Bei generalisiertem Pruritus unklarer Ursache sollte immer auch an eine hämatologische Erkrankung gedacht werden. Eine prospektive Studie mit 95 Patienten mit Pruritus unklarer Ätiologie zeigte bei 7 % der Patienten eine bislang unerkannte hämatoonkologische Erkrankung [1].
Insbesondere bei der Polycythaemia vera (PV), einer seltenen myeloproliferativen Erkrankung, berichten bis zu 30–65 % der Patienten über Juckempfinden. Häufig handelt es sich hierbei um einen aquagenen Pruritus mit stechendem Jucken nach Wasserkontakt, etwa nach dem morgendlichen Duschen. Am häufigsten sind hierbei Patienten mit einer homozygoten JAK2-617V-Mutation betroffen. Interessanterweise verbessern entsprechende Inhibitoren des überaktivierten JAK-STAT-Signalwegs wie Ruxolitinib nicht nur die Grunderkrankung, sondern auch den Pruritus [15, 22].
Im Gegensatz zur PV, bei der es sich um eine Erkrankung der myeloiden Blutzellreihe handelt, ist der M. Hodgkin eine lymphoproliferative Erkrankung. Auch hier berichtet mit 15–50 % eine große Anzahl der Patienten von Jucken auf nichtläsionaler Haut [25]. Dies kann sogar Jahre vor Ausbruch der Erkrankung auftreten oder einem Rezidiv vorausgehen. Mit bis zu 30 % etwas seltener tritt Pruritus bei Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen auf. Auch bei Leukämien kann es zu chronischem Jucken kommen, dies ist häufiger mit lymphatischen als myeloiden und öfter mit chronischen als akuten Verlaufsformen assoziiert. Therapieempfehlungen sind Tab. 6 zu entnehmen.
Tab. 6
Therapieempfehlungen bei Pruritus mit hämatoonkologischer Grunderkrankung
Medikamenta
Dosierung
Gabapentinb
100–2400 mg/Tag (p.o.)
Pregabalinb
25–600 mg/Tag (p.o.)
Paroxetin
20 mg/Tag (p.o.)
Acetylsalicylsäure
300 mg/Tag (p.o.)
Mirtazapin
7,5–30 mg/Tag (p.o.)
Naltrexonc
25–150 mg/Tag (p.o.)
UVB-Lichttherapie
1- bis 2‑mal/Woche
Experimentelle Behandlungen/klinische Studien
aAlle Medikamente fallen unter den „off-label use“
bBei älteren Patienten/innen und eingeschränkter Nierenfunktion Dosis einschleichen/anpassen (s. auch „Dosierung urämischer Pruritus“)
cCave: einschleichende Dosierung, um Nebenwirkungen zu reduzieren, ggf. mittels Naloxon-Perfusor mit sukzessiver Dosissteigerung und Oralisierung

Pruritus bei soliden Tumoren

Ähnlich der hämatoonkologischen Erkrankungen können auch solide Tumoren zu einem paraneoplastischen Pruritus führen. Die Pathogenese ist dabei bis dato nicht geklärt. Am häufigsten tritt Pruritus bei gastrointestinalen Tumoren auf. Umgekehrt muss man allerdings sagen, dass nur ein sehr geringer Anteil der Patienten mit Pruritus unklarer Ätiologie („pruritus of unknown origin“ [PUO]) im Verlauf ein Malignom entwickeln. Erhöhte Malignomraten wurden in großen Kohorten lediglich für hämatologische Erkrankungen sowie Gallengangkarzinome nachgewiesen (s. auch „Diagnostisches Vorgehen“; [14]). Eine Tumorsuche mittels abdomineller Sonographie oder weitergehenden bildgebenden Verfahren kann daher bei solchen Patienten durchgeführt werden.

Pruritus bei metabolischen und endokrinen Störungen

Der Diabetes mellitus führt zu zahlreichen Endorganschäden u. a. im enterischen, peripheren und zentralen Nervensystem. Auswirkungen können im Gastrointestinaltrakt etwa die Gastroparese oder im peripheren und zentralen Nervensystem die diabetogene Polyneuropathie mit Parästhesien und teils Schmerzen sein. Neuere Daten belegen auch, dass Pruritus in bis zu 27 % der Typ-2-Diabetiker auftritt und mit lokalisiertem Pruritus v. a. am Rumpf assoziiert ist [26]. Als Risikofaktoren gelten dabei die Dauer des Diabetes mellitus und das Vorhandensein einer diabetogenen Polyneuropathie.
Chronischer Pruritus kann ferner bei Hyperthyreose auftreten. In einer Studie berichteten bis zu 11 % der Patienten mit M. Basedow über Juckempfinden, insbesondere solche mit thyreotoxischer Krise. Der Pruritus könnte durch eine verstärkte Aktivierung von Kininen infolge des erhöhten Metabolismus ausgelöst werden. Der häufiger bei Hypothyreose berichtete Pruritus ist wahrscheinlich durch die Xerosis cutis verursacht und spricht meist gut auf rehydrierende und rückfettende topische Therapien an. Häufig ist v. a. der sekundäre, gelegentlich aber auch der primäre Hyperparathyreoidismus mit Pruritus assoziiert.
Auch bei Essstörungen wie der Anorexia nervosa tritt in bis zu 20 % der Fälle ein generalisierter Pruritus auf [20]. Man vermutet, dass insbesondere die Xerosis cutis ursächlich ist, die in etwa 60 % der Patienten zu beobachten ist. Es konnte zudem eine reverse Korrelation zwischen BMI und Juckempfinden sowie eine deutliche Besserung nach Gewichtszunahme gezeigt werden.
Auch Malassimilationssyndrome sind oft mit chronischem Pruritus assoziiert. Insbesondere bei Patienten mit aquagenem Pruritus konnte gezeigt werden, dass etwa 25 % an Laktoseintoleranz litten. So konnte eine laktosefreie Diät den Pruritus bei 64 % der Patienten in dieser Gruppe mildern. Auch bei der Gluten-sensitiven Enteropathie (Zöliakie) kann es zu generalisiertem Pruritus kommen. Als pathogenetische Faktoren spielen hier in Einzelfällen auch die assoziierte primär biliäre Cholangitis, die Dermatitis herpetiformis oder der im Rahmen der Zöliakie auftretende Eisenmangel eine Rolle. So kann generell Eisenmangel mit einem generalisierten oder lokalisierten Pruritus, insbesondere anogenital einhergehen. Dieser verschwindet unter Eisensubstitution. Wie genau der Eisenmangel zum Pruritus führt, ist unklar. Es sollte jedoch auch bei Besserung des Pruritus unter Substitution nicht vergessen werden, die Ursache des Eisenmangels zu klären und nach einer chronischen Blutungsquelle zu suchen. Im Gegenzug kann auch eine Eisenüberladung, wie sie im Rahmen der Hämochromatose auftritt, zu generalisiertem Pruritus führen.

Pruritus bei Infektionserkrankungen

Patienten mit bestimmten chronischen Infektionen leiden häufiger an chronischem Pruritus. Die meisten Patienten mit einer humanen Immundefizienzvirus(HIV)-Infektion berichten im Laufe ihrer Erkrankung über Pruritus, teils durch HIV-assoziierte Hauterkrankungen wie papulosquamöse Veränderungen, Hautinfektionen oder Xerosis. Aber auch in Abwesenheit jeglicher Hautveränderungen kann chronischer Pruritus das erste Symptom bei HIV-Infektion darstellen.
Eine Reaktivierung des Varizella-Zoster-Virus im Sinne eines Herpes Zoster kann zu sehr schmerzhafter postherpetischer Neuropathie führen. Einige der betroffenen Patienten erleiden dabei auch einen teils schwerwiegenden, meist auf das betroffene Hautareal lokalisierten Pruritus. Eine Zoster-Impfung reduziert nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer Neuralgie, sondern sollte auch pruriginöse Erscheinungsbilder größtenteils verhindern.
Zahlreiche weitere parasitäre wie virale Infektionen mit Hepatitis‑B und -C, Herpes simplex- oder Dengue-Fieber-Viren können mit lokalisiertem oder generalisiertem Pruritus einhergehen. Ohne primäre Hautveränderungen betrifft dies v. a. die chronischen viralen Hepatitiden. Unbehandelte HCV-Infektionen sind mit 5–15 % deutlich häufiger betroffen als chronische HBV-Infektionen, die seltener mit chronischem Pruritus einhergehen.

Pruritus im Alter

Jenseits des 65. Lebensjahres ist chronischer Pruritus ein häufiges Symptom und kann durch verschiedene dermatologische und internistische Erkrankungen verursacht werden [2]. Aber auch ohne solche Erkrankungen kann Pruritus entstehen. Alternde Haut ist charakterisiert durch Atrophie, reduzierte Hautbarriere und Xerosis aufgrund eines geringeren Wassergehaltes. Diese Trockenheit kann die Expression pruritogener Faktoren in der Haut induzieren und könnte Juckempfinden auslösen oder verstärken. In einem Tiermodell war in alternder Haut insbesondere eine reduzierte Anzahl an den für das Tastempfinden relevanten Merkel-Zellen von pathophysiologischer Relevanz für verstärktes Kratzverhalten [8].

Medikamenteninduzierter Pruritus

Eine wichtige Differenzialdiagnose bei chronischem Pruritus sind Medikamente [17]. Prinzipiell kann jedes Medikament Pruritus verursachen, die relevantesten medikamentösen Auslöser wurden in Tab. 2 zusammengefasst. Oft geht medikamentenassoziierter Pruritus mit morbilliformen und urtikariellen Hauterscheinungen einher. Dabei handelt es sich meist nicht um eine echte Allergie, sondern um eine pseudoallergische Reaktion, die über den Mas-related G‑Protein gekoppelten Rezeptor X2 (MRGPRX2) auf Mastzellen vermittelt wird. Dies gilt insbesondere auch für viele Antibiotika. Allerdings induzieren einige Medikamente chronischen Pruritus auch über bisher unbekannte Signalwege ohne primäre Hauterscheinungen, teils auch mit einer deutlichen Latenzzeit.

Fazit für die Praxis

Chronischer Pruritus ist ein häufiges Symptom zahlreicher internistischer Erkrankungen und entsteht, in Abgrenzung zu dermatologischen Ursachen, meist auf nichtläsionaler Haut. Die Diagnosestellung erfordert häufig eine interdisziplinäre Abklärung. Quälender Pruritus kann die Lebensqualität der betroffenen Patienten drastisch mindern. Die antipruriginöse Therapie zielt zunächst auf eine effektive Behandlung der Grunderkrankung. Ist dies nicht möglich oder persistiert der Pruritus, stehen je nach Grunderkrankung mehrere empirische medikamentöse Therapieoptionen zur Verfügung. Zahlreiche neuartige therapeutische Ansätze werden aktuell in klinischen Studien untersucht.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A.E. Kremer gibt an Berater- und Vortragshonorare von CymaBay, Escient, FMC, GSK, Intercept und Viofor Pharma bestehen.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Metadaten
Titel
Chronischer Pruritus
verfasst von
Prof. Dr. med. Andreas E. Kremer, PhD, MHBA
Publikationsdatum
04.07.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Schweizer Gastroenterologie / Ausgabe 1/2022
Print ISSN: 2662-7140
Elektronische ISSN: 2662-7159
DOI
https://doi.org/10.1007/s43472-022-00063-5

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