Psychiatr Prax 2008; 35(5): 262
DOI: 10.1055/s-2008-1081449
Serie ˙ Szene ˙ Media Screen
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Replik zur Schilderung von Lubenau J. Elektrokrampftherapie aus der Sicht des Patienten Psychiat Prax 2008; 35: 48-49

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Publication Date:
14 July 2008 (online)

 

Eine andere Sichtweise

Als ich erstmals, in der Mitte des 4. Lebensjahrzehnts, mit der Elektrokrampftherapie behandelt wurde, lagen bereits mehrere Jahre fortlaufender melancholischer Erkrankung hinter mir. Eine Vielzahl von Medikamenten hatte sich als unzureichend erwiesen. Schon seit einiger Zeit drängte ich selbst auf einen solchen Behandlungsversuch. Mit der einschlägigen psychiatrischen Fachliteratur (Ende der 70er-Jahre) hatte ich mich so weit vertraut gemacht, wie sie für eine Nichtmedizinerin mit naturwissenschaftlichem Hintergrund verständlich war. Die öffentliche Meinung zu diesem Thema war für mich irrelevant.

Als wieder ein neuer pharmakotherapeutischer Versuch (diesmal ganz) ohne Erfolgt blieb, legte ich dem behandelnden Arzt dar, dass ich nun am Ende angekommen, meine Leidensbereitschaft erschöpft und ich nicht mehr bereit sei, mein Leben mit dieser Erkrankung fortzusetzen. Vor diesem Hintergrund fiel die Entscheidung für die Elektrokrampftherapie in einer Zeit, in der dieses Behandlungsverfahren wie auch seine Anwender öffentlicher Verunglimpfung ausgesetzt waren. Ich weiß das bis heute zu würdigen.

Die erste Behandlung fand in meinem Krankenzimmer statt (ebenso die übrigen dieser Serie). Über die notwendigen Vorbereitungen war ich informiert, - fixiert wurde ich nicht -, auf etwaige unerwünschte (Nach-)Wirkungen war ich eingestellt. Angesichts meines Befindens gab es für mich keinen Zweifel, dass sie in Kauf genommen werden mussten, sollten sie eintreten. Sie standen in meinen Augen in keinem Verhältnis zu den Folgen einer Unterlassung dieser Therapie. Die Frage des Arztes nach etwaiger Angst unmittelbar vor Behandlungsbeginn verneinte ich mit Nachdruck: "Angst?? Ich kämpfe doch darum." Hier enden meine Erinnerungen, die Narkose setzte ein.

Als ich wieder zu mir kam, saß eine Pflegerin an meinem Bett. Ich war müde, stand aber im Tagesverlauf auf. Nun war für mich erwiesen: Objektiv betrachtet und paradoxerweise nimmt der Patient von einer so durchgeführten Krampfbehandlung überhaupt nichts wahr - was man nach meiner nicht geringen Erfahrung von anderen medizinischen Behandlungen im Allgemeinen nicht sagen kann. Ihre Skandalisierung konnte daher nur auf Vorurteilen, überholten Durchführungsformen oder einer Anpassung an den "Zeitgeist" beruhen.

Nach dieser ersten EKT war ich nicht etwa geheilt, das hatte ich auch nicht erwartet, aber ich bemerkte schon jetzt, dass eine auf das Zentrum des melancholischen Geschehens zielende Veränderung eingetreten war. Jeweils im Abstand von einigen Tagen wurden noch drei weitere Behandlungen durchgeführt. Nach der dritten (bilateralen) EKT stellten sich leichte Gedächtnisstörungen ein, die bald wieder verschwanden, nach der vierten war mein Zustand so sehr gebessert, dass die Serie beendet und meine Entlassung ins Auge gefasst werden konnte. Erstmals seit Jahren erlebte ich wieder, was es bedeutet, psychisch nahezu gesund zu sein.

Leider, wie ich rückblickend sagen muss, verwendete ich meine wieder gewonnene Handlungsfähigkeit auch darauf, meine physische Gesundheit in Form der Krebsvorsorge überprüfen zu lassen. Es wurde mir ein Eierstocktumor "sicher" diagnostiziert und zu sofortiger Operation geraten. Ich befolgte den Rat nicht und holte zunächst eine zweite Meinung ein. Eine Laparoskopie ergab, dass kein Tumor existierte. Unmittelbar nach dieser Laparoskopie (Narkose?) stellte sich noch im Krankenhaus ein schwerer melancholischer Rückfall ein, der weitere zwei Lebensjahre überdeckte.

Bei meiner inzwischen fünften stationären Aufnahme in die psychiatrische Klinik, in deren Behandlung ich mich kontinuierlich befand, wurde ohne weitere pharmakotherapeutische Versuche unverzüglich eine Elektrokrampftherapie eingeleitet. Nach nur drei (jetzt unilateralen) Behandlungen, wieder jeweils im Abstand von einigen Tagen, erneuten passageren Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und insgesamt vierwöchigem Aufenthalt konnte ich dienstfähig entlassen werden und nahm meine Hochschullehrertätigkeit sofort wieder auf. Danach blieb ich unter ununterbrochener prophylaktischer Medikation 26 Jahre lang rückfallfrei. Ebenso lange bin ich unverändert fest entschlossen, im Fall einer hinreichend ausgeprägten erneuten melancholischen Erkrankung nur dann einer vorgeschlagenen Behandlung zuzustimmen, wenn sie den unmittelbaren Einsatz der Elektrokrampftherapie vorsieht und dieser auch unverzüglich durchgeführt wird.

Walburga Rödding, Münster

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