Suchttherapie 2007; 8(4): 127-128
DOI: 10.1055/s-2007-993198
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Tabak - Tabakpolitik - tabakbezogene Behandlung

Tobacco - Tobacco Control Policy - Tobacco Related TreatmentJ. Körkel 1 , C. B. Kröger 1
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Publication Date:
20 December 2007 (online)

Viele Raucher verbinden mit dem Rauchen einen Zugewinn an Genuss, Entspannung, Geselligkeit und anderen erwünschten Effekten. Die 19,5 Mrd. € (-2,2% gegenüber 2004) für Zigaretten und 3,7 Mrd. € (+67% gegenüber 2004) für Feinschnitt, die die Raucher im Jahr 2005 hierzulande gemäß Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) ausgegeben haben, erfreuen Finanzministerium, Tabak- und Werbeindustrie (um nur die wichtigsten zu nennen) und kommen der gesamten Gesellschaft, wie z. B. der Inneren Sicherheit zu Gute. Die Tabaksteuereinnahmen - nach der Mineralölsteuer (2005: 40,1 Mrd. €) die zweitwichtigste Einnahmequelle unter den Verbrauchssteuern - betrugen (im Jahr 2005) 14,247 Mrd. €. Für die Tabakindustrie ist der Verkauf ihrer Produkte ein so einträgliches Geschäft, dass sie horrende Regressforderungen tabakgeschädigter Raucher offenbar ohne großen Schaden zu nehmen begleichen und ihren Gewinn durch neue Absatzmärkte (z. B. in Osteuropa und Asien) steigern kann. Auch die Werbeindustrie profitiert vom Tabakrauchen. Die Werbeausgaben der Tabakindustrie beziffert die DHS für das Jahr 1999 auf 315 Mio. €. Nicht zu vergessen und um (manchen) Politikern das Wort zu reden: Durch Anbau, Verarbeitung, Verkauf und Bewerbung von Tabakprodukten sowie die Behandlung tabakassoziierter Erkrankungen werden Arbeitsplätze geschaffen bzw. erhalten.

Zwischenresümee: Das Rauchen von Tabakprodukten erbringt für die Mehrzahl der Raucher, aber auch diverse Interessengruppen einen spezifischen Nutzen.

Die Kehrseite der Medaille: „Der Tabakkonsum ist das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko unserer Zeit. 33 Prozent der Erwachsenen in Deutschland rauchen. Das durchschnittliche Einstiegsalter in den Zigarettenkonsum liegt bei etwa 13 Jahren. Jährlich sterben an den direkten Folgen des Rauchens etwa 140.000 Menschen.” ([Bundesministeriums für Gesundheit, 2007]). Die DHS beziffert für das Jahr 1996 die Kosten in Folge tabakbedingter Krankheiten und Todesfälle auf 16,6 Mrd. €.

Daneben bleibt das Tabakrauchen auch für Nichtraucher nicht ohne Konsequenzen. 64% der passiv rauchenden Nichtraucher fühlen sich durch den Tabakrauch gestört ([DHS, 2007]). Darüber hinaus bedeutet Passivrauchen ein Gesundheitsrisiko in Form von akuten und chronischen Krankheiten, einschließlich Lungenkrebs und koronarer Herzkrankheit. Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg sterben jährlich etwa 3.300 NichtraucherInnen an den Folgen des Passivrauchens (vgl. [Bundesministeriums für Gesundheit, 2007]).

Zum Schutz der Nichtraucher hat am 25.5.2007 der Bundestag und sodann am 6.7.2007 der Bundesrat das Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens verabschiedet. Dieses hat ab 1.9.2007 ein Rauchverbot in allen öffentlichen Einrichtungen des Bundes, im öffentlichen Personenverkehr und in Bahnhöfen nach sich gezogen. Zudem wurde im Jugendschutzgesetz die Altersgrenze für das Rauchen auf 18 Jahre angehoben. Gesetze der Bundesländer, die ein Rauchverbot in geschlossenen Räumen in allen Behörden, Gerichten, Schulen, Gesundheits- und Kindereinrichtungen, Gaststätten und Discotheken nach sich ziehen, folgten oder werden wohl bis Anfang 2008 folgen.

Rauchen hat somit viele Facetten, die von der ethischen Betrachtung (z. B. Soll man mündige Bürger - in diesem Falle erwachsene Raucher - bevormunden und ihnen durch „Ächtungskampagnen” das Rauchen madig machen?) über die finanzpolitische Ebene und gesundheitspolitische Ebene bis zur Ebene der einzelnen konsumierenden Person reichen. Letztendlich kommen sodann auch ÄrztInnen, SuchthilfemitarbeiterInnen und andere Berufsgruppen nicht an dieser Thematik vorbei.

Diesem Segment, sprich dem Erkennen und Behandeln von Rauchern, gilt dieses Themenheft der Zeitschrift Suchtherapie. In der vorliegenden Ausgabe der Suchttherapie sind Beiträge versammelt, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln damit beschäftigen, wie Raucher bei der Veränderung - ggf. Einstellung - ihres Tabakkonsums unterstützt werden können.

Kröger, Flöter und Piontek geben einen Überblick über die Palette verbreiteter Maßnahmen, um Raucher zu einem Rauchstopp zu motivieren und aufhörwillige Raucher durch geeignete Interventionen (z. B. strukturierte verhaltenstherapeutische Programme und Nikotinpräparate) zu einem rauchfreien Lebensalltag hinzuführen. Deutlich wird in ihrem Beitrag, dass die empirische Absicherung vieler in der Öffentlichkeit propagierter Maßnahmen zur Tabakentwöhnung (z. B. Akupunktur, Hypnose) nicht gegeben ist.

Groß, Ulbricht, Rüge, Rumpf, John und Meyer zeigen in ihrem Übersichtsbeitrag auf, dass Hausärzte rauchende Patienten durch einfache Screening- und Diagnoseverfahren erkennen und durch wenig zeitintensive Kurzinterventionen wirksam auf dem Weg zur Rauchfreiheit unterstützen können - dies aber oft nicht tun. Diverse Empfehlungen, an dieser Situation etwas zu ändern, schließen sich an.

Batra und Schröter stellen die potenziellen „Fallen” heraus, die sich in der Tabakentwöhnungsbehandlung bei depressiven Rauchern sowie Rauchern mit Gewichtsproblemen ergeben, und zeigen Möglichkeiten auf, die Behandlung adaptiv darauf auszurichten.

In der Regel wird in der Raucherbehandlung wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass es nur das Ziel der Tabakabstinenz gäbe. Drinkmann spricht sich - auf die aktuelle Forschungsliteratur und ein selbst entwickeltes Programm gestützt - in seinem Beitrag für eine zieloffene Suchtarbeit aus, was heißt, neben dem Ziel der Tabakabstinenz auch das des reduzierten, kontrollierten Rauchens zuzulassen. Gradl hält diese Option für unzulässig und überflüssig und bringt entsprechende Belege und Argumente für ihre Position vor. Die mit diesen beiden Beiträgen eröffnete und auch für zukünftige Hefte der Suchttherapie vorgesehene Pro-Kontra-Diskussion möchte die Leserschaft einladen, sich bei kontrovers diskutierten Themen am Diskurs zu erfreuen und dabei ihre eigene Position zu überprüfen.

Auf die Auseinandersetzung mit dem eigenen Rauchverhalten und dessen Veränderung bleibt nicht ohne Einfluss, ob die Rahmenbedingungen, in denen jemand seinen Alltag verbringt, veränderungsfreundlich sind. Kühnel, Metz und Kipke zeigen in diesem Sinne auf, wie Suchtrehabilitationskliniken durch Beeinflussung von sieben „Stellgrößen” (z. B. Regelungen zum Rauchen für Mitarbeiter, Patienten und Besucher; systematische Erfassung der Tabakabhängigkeit; Tabakentwöhnungsmaßnahmen für rauchende Patienten und Mitarbeiter) Einfluss auf das Rauchverhalten nehmen können.

Neben der Rubrik „Pro und Kontra” führen wir mit dieser Ausgabe der Suchttherapie eine Rubrik ein, in der spezielle Internettipps ausgesprochen werden. In diesem Heft hat Kröger einige empfehlenswerte Internetseiten zum Thema „Rauchen und Tabakentwöhnung” zusammengestellt und kommentiert.

Neben dem Schwerpunkt „Interventionen bei Tabakkonsum/Tabakabhängigkeit” finden Sie in diesem Heft weitere „freie” Beträge: zum Case Management bei chronisch Alkoholabhängigen (Banger, Paternoga und Hotz) und zur psychosomatisch begleiteten Hepatitis-C-Therapie bei Drogenabhängigen (Eirund, Jaus und Giebel). Mitteilungen der beiden Fachgesellschaften DGS und dgsps sowie „Buch-Neuerscheinungen”- ebenfalls ein neuer Service für die Leserschaft, der Kurzdarstellungen neuer Buchpublikationen aus dem Suchtbereich enthält - schließen das Heft ab.

Wir freuen uns, wenn die in dieser Ausgabe der Suchttherapie zusammengestellten Beiträge ein Gewinn für Sie sind und die Diskussion um die entsprechenden Themen anregen.

Literatur

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