Psychiatr Prax 2008; 35(1): 5-7
DOI: 10.1055/s-2007-986217
Debatte: Pro & Kontra

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rauchfreie Psychiatrie - eine Illusion

Psychiatry Without Smoking is an Illusion Pro: Katja  Cattapan-Ludewig, Kontra: Anil  Batra, Friederike  D.  Wernz
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Publication Date:
08 January 2008 (online)

Pro

Es ist nicht zu leugnen: Rauchen hat schwerwiegende Folgeschäden und lange Zeit wurde Nikotinabhängigkeit (ICD-10 F17.2) von den Psychiatern zu wenig als Suchterkrankung wahrgenommen. Bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen ist die Prävalenz des Rauchens im Vergleich zur psychiatrisch gesunden Allgemeinbevölkerung zwei- oder mehrfach erhöht; ungefähr 45 - 88 % der Schizophreniepatienten (bei Hospitalisierung: 82 %), 53 - 66 % der Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung und 40 - 60 % der Depressionspatienten im Vergleich zu 23 % der Allgemeinbevölkerung sind Raucher; auch andere psychiatrische Erkrankungen gehen mit einer erhöhten Prävalenz des Rauchens einher (Daten aus den USA, zusammengefasst in [1]). Psychiatriepatienten sind oft sogenannte „heavy user”, d. h. die Anzahl an Zigaretten pro Tag und die Menge an inhalierter psychoaktiver Substanz pro Zigarette ist im Durchschnitt höher als bei vergleichbaren, psychiatrisch gesunden Kontrollpersonen, auch ist die Rückfallrate nach Entzug erhöht. Der Schweregrad der psychischen Störung ist assoziiert mit der Abhängigkeit von Nikotin. Schwere Nikotinabhängigkeit wird dabei als Ausdruck der individuellen psychopathologischen Vulnerabilität erachtet [2].

So sehr es zu wünschen wäre, dass all diese Patienten auf das Rauchen verzichten könnten, so halte ich dennoch die Forderungen für eine absolut rauchfreie Psychiatrie nicht für sinnvoll, werden dabei doch wichtige Aspekte des Zusammenhanges zwischen Nikotinkonsum und -entzug mit dem psychischen Befinden außer Acht gelassen. Folgende Argumente sprechen gegen ein generelles Rauchverbot in der Psychiatrie:

Die erhöhte Prävalenz an Rauchern unter psychiatrisch Erkrankten und deren hohe Rückfallrate nach Nikotinentzug ist kein Zufall. Neben der mangelnden sozialen Stimulierung, die auch zum erhöhten Nikotinkonsum beitragen kann, gibt es biologische Faktoren, die für die stärkere Abhängigkeit, den besonders belastenden Nikotinentzug und die selten lang anhaltende Abstinenz bei Psychiatriepatienten relevant sind. Biologische Faktoren, die eine Nikotinabhängigkeit begünstigen, sind bei der Schizophrenie gut untersucht (zusammengefasst in 3). Der cholinerge Nikotinrezeptor ist direkt involviert in die Pathophysiologie der Erkrankung. Nikotinkonsum kann als eine Art „kurz anhaltende Selbstmedikation” verstanden werden, um Störungen von Informationsverarbeitung, Aufmerksamkeit und Kognition - also Basisdefizite dieser Erkrankung - zu verbessern. Nikotin hat auch einen neurobiologischen Bezug zu anderen psychiatrischen Erkrankungen, z. B. setzen Patienten mit Depression Nikotin zur Reduktion der Anhedonie ein 4. Versuche einer rauchfreien Psychiatrie zeigen, dass die Patienten nach der Entlassung aus der Institution nicht nikotinabstinent bleiben können. Psychiatrische Patienten, die in einer rauchfreien psychiatrischen Klinik in Kalifornien hospitalisiert waren, wurden nach Entlassung mittels Verlaufsuntersuchungen bezüglich ihrer Rauchgewohnheiten untersucht: Nach drei Monaten hatten alle der 90 untersuchten Patienten wieder begonnen zu rauchen, 76 % sogar schon am Tag nach der Entlassung, viele sogar schon innerhalb von fünf Minuten nach ihrem Austritt aus der Klinik 5. Dies zeigt, wie wenig nützlich ein generelles Rauchverbot in einer psychiatrischen Klinik ist. Rauchen verändert die Plasmaclearance einiger Psychopharmaka über eine durch den Zigarettenrauch vermittelte Induktion der für den Abbau von Psychopharmaka relevanten Zytochrome P450 CYP1A2 und CYP2E1 und der Glukuronidierung (Pharmakokinetik). Außerdem kann die psychopharmakologische Therapie aufgrund nikotinassoziierter pharmakodynamischer Prozesse verändert werden. Daher können Veränderungen der Rauchgewohnheiten einen Einfluss auf die Medikamentenwirkungen haben; der Einfluss des Rauchens wird insbesondere auf die Plasmakonzentrationen einiger Antipsychotika wie Clozapin und Olanzapin, aber auch in geringerem Ausmaß bei Antidepressiva wie Imipramin, Clomipramin, Fluvoxamin und Mirtazapin und verschiedenen Benzodiazepinen beschrieben (zusammengefasst in 6). So kann ein plötzlicher Nikotinentzug potenziell gefährlich sein, wenn der Spiegel des Psychopharmakons deshalb in einen toxischen Bereich steigt 7. Auch eine Veränderung in die andere Richtung, die Wiederaufnahme des Rauchens, kann Folgen haben. Ein Beispiel: Ein in einer rauchfreien psychiatrischen Klinik mit Clozapin eingestellter Schizophreniepatient beginnt nach der Entlassung zu Hause wieder zu rauchen - wovon man aufgrund der extrem hohen Rückfallrate auszugehen hat 5 -, bei diesem kann es aufgrund der oben beschriebenen Interaktionen und der daraus resultierenden Abnahme des Plasmaspiegels an Clozapin zu einer deutlichen Verminderung der antipsychotischen Wirkung kommen. Deshalb wäre es für eine effiziente und nebenwirkungsarme Einstellung der Pharmakotherapie sinnvoll, wenn Patienten keine größeren Veränderungen der Rauchgewohnheiten während und nach dem Klinikaufenthalt hätten. Bei Veränderungen der Rauchgewohnheiten muss die Psychopharmakotherapie sorgfältig monitorisiert werden. Bis zu 30 % der Patienten kommen unfreiwillig in unsere psychiatrischen Kliniken. Diese Menschen befinden sich meist in einer existenziellen Krise, sie erleben bei ihrer Aufnahme oft bedrohliche psychotische Zustände oder quälende Suizidimpulse. Der Eintritt in die meist geschlossenen Abteilungen unserer Kliniken ist für diese Patienten ein großer Einschnitt in ihre persönliche Freiheit. Aufgabe der Klinik ist es, die Grunderkrankungen zu behandeln und Einschränkungen der Autonomie nur dann vorzunehmen, wenn sie relevant sind für eine effiziente Therapie oder wenn die Verhaltensweisen unzumutbar für die Umwelt sind. Es erscheint ethisch und juristisch sehr fragwürdig, ob die Persönlichkeitsrechte unter solchen ohnehin sehr schwierigen Umständen stärker beschnitten werden dürfen, als unbedingt nötig.

Fazit

Ein erzwungenes Rauchverbot hat keinen nachhaltigen Nutzen für psychiatrische Patienten, da die Rückfallrate sehr hoch ist. Erkenntnisse über die biologischen Zusammenhänge zwischen der Pathophysiologie psychiatrischer Erkrankungen und dem Konsum von Nikotin weisen zudem auf objektive und subjektive Effekte hin, die bei der individuellen Beurteilung der Vor- und Nachteile eines ohnehin nur vorübergehenden vollständigen Nikotinentzugs ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Schließlich können Veränderungen des Nikotinkonsums zu gefährlichen Veränderungen der Serumspiegel von Psychopharmaka führen. Unter diesen Voraussetzungen würde es sich bei einem generellen Rauchverbot in der Psychiatrie um eine unzumutbare Einschränkung der Patientenautonomie handeln.

Diese Positionierung gegen ein generelles Rauchverbot schließt natürlich keineswegs aus, psychiatrische Patienten zu motivieren und zu unterstützen, ihren Nikotinkonsum zu reduzieren oder aufzugeben. In unserer eigenen Institution haben wir zudem sehr gute Erfahrungen mit Rauchfreiheit in allen öffentlichen Zonen gemacht, was von Nichtrauchern und Personal sehr geschätzt und selbst von den rauchenden Patienten praktisch ausnahmslos akzeptiert und respektiert wird. Raucherentwöhnungen sollten nicht mit der Behandlung einer akuten psychischen Erkrankung vermischt werden, sondern vor allem im ambulanten Rahmen oder in Rehabilitationseinrichtungen bei motivierten Patienten in Phasen psychischer Stabilität und - aufgrund der pharmakologischen Interaktionen - unter ärztlicher Überwachung durchgeführt werden.

Literatur

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PD Dr. med. Katja Cattapan-Ludewig

Universitätsklinik und Poliklinik für Psychiatrie, Universität Bern

Murtenstraße 21

3010 Bern, Schweiz

Email: katja.cattapan@puk.unibe.ch

Prof. Dr. Anil Batra
Dr. Friederike D. Wernz

Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen

Osianderstraße 24

72076 Tübingen

Email: anil.batra@med.uni-tuebingen.de

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