Psychiatr Prax 2007; 34(4): 162-164
DOI: 10.1055/s-2006-951952
Debatte: Pro & Kontra
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Behindert Sponsoring den Erkenntnisprozess in der Medizin?

For and Against: Does Sponsoring Impede the Growth of Knowledge in Medicine? Pro:Asmus  Finzen, Kontra:Jürgen  Fritze
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Publication Date:
23 May 2007 (online)

Pro

Eines fällt auf: Wenn wir über Sponsoring reden, meinen wir selbstverständlich die Pharma-Industrie - nicht Daimler-Chrysler, die deutsche Bank, Versace oder Aldi. Wir meinen die Förderung medizinischer Forschung und Fortbildung durch einen medizinisch-industriellen Komplex, der weltweit jährlich mehr als 500 Milliarden Dollar umsetzt und der ein massives Interesse daran hat, dass wir als Gate Keeper der Arzneiverordnung ihm wohlwollen. Und die meisten von uns wollen ihm wohl, wir dankbaren Ärzte, die wir seit unserer Ausbildung unsere Freude an den kleinen und großen Gaben der Arzneimittelhersteller haben [1].

Die Kugelschreiber auf unserem Schreibtisch, unsere Terminkalender, ein Teil unserer Fachbücher sind solche Geschenke - wenn wir wichtig sind, gelegentlich sogar ein Laptop. Die meisten Fortbildungsveranstaltungen, die wir besuchen, sind industriegesponsert. Und wenn wir Vorträge halten, nehmen wir (ich auch) gern - ordentliche - Honorare entgegen, von denen wir wissen, dass sie gesponsert sind.

Wir sind nicht bestechlich, natürlich nicht - dazu braucht es mehr als einen Kugelschreiber. Aber wenn wir ehrlich mit uns sind, wissen wir, dass es nichts umsonst gibt. Es ist schlicht ein Gebot der Höflichkeit, dass wir uns als Referenten nicht allzu kritisch über das Präparat des Hauptsponsors äußern, das diesen erst zum Sponsoring motiviert. Und es ist nur menschlich, dass wir dem sympathischen Repräsentanten dieses Sponsors, mit dem wir einen netten Abend verbracht haben, bei seinem nächsten Besuch aufmerksamer zu hören als einem beliebigen anderen. „Ärzte sind wie andre Menschen”, schreibt Bernhard Shaw in seiner Vorrede über die Ärzte vor ziemlich genau 100 Jahren [2]; und daran hat sich nichts geändert.

Warum soll es nicht möglich sein, dass die einkommensstarken Mitglieder eines Zweigs des Gesundheitswesens, der allein in unserem Land mehrere 100 Milliarden Euro umsetzt, ihre Fortbildung aus eigener Kraft finanzieren? Ich bin nicht weltfremd. Ich weiß, dass wir uns seit 50 Jahren zunehmend auf die Fremdfinanzierung durch die Industrie eingelassen haben, und dass wir nicht rechtzeitig gegengesteuert haben. Wir haben uns auf dem Gebiet der Fortbildung unseren Sponsoren mehr oder weniger ausgeliefert. Wir sind auf ihren guten Willen angewiesen; und im Zeichen knapper Kassen ist es nur schwer möglich, die öffentlichen Träger des Gesundheitswesens davon zu überzeugen, den Stab zu übernehmen. Wir müssten also in unsere eigene Tasche greifen. Aber da wir nicht bestechlich sind, sehen wir nicht ein, warum wir das tun sollen. Also bleibt vorerst alles beim Alten.

Schließlich bietet auch unsere Fachgesellschaft fast nur obligatorische Fortbildungsveranstaltungen an, die industriegesponsert sind. Schließlich finanzieren auch unsere Standesorganisationen ihr offizielles Mitteilungsblatt über Anzeigen der Industrie und, wie man hört, aus den Überschüssen sich selber, statt einen Beitrag zu einer werbefreien unabhängigen medizinischen Zeitschrift, wie etwa dem British Medical Journal, zu leisten. Zu glauben, dass das allgegenwärtige Sponsoring zu einer unabhängigen Meinungsbildung von uns Ärzten beiträgt, ist Traumtänzerei. Aber jede Beeinträchtigung dieser Unabhängigkeit behindert zwangsläufig den medizinischen Fortschritt: Gesponsert wird immer aus dem Budget jener Medikamente, die die Sponsoren aktiv bewerben, auch wenn die Themen der gesponserten Veranstaltungen damit primär nichts zu tun zu haben scheinen.

Jürgen Fritze ist in seiner Verteidigung des Sponsoring ausschließlich auf die klinische Forschung eingegangen, genauer auf die klinische Prüfung von Medikamenten. Diese ist notwendig. Und Fritze fordert mit Recht, dass dafür zahlen soll, wer den größten Vorteil davon hat. Aber ist das Sponsoring? Ist die klinische Prüfung von neuen Arzneimitteln nicht vielmehr Auftragsforschung? Sollte die Mitwirkung daran nicht durch Werkverträge geregelt werden, die neben den wissenschaftlichen Rahmenbedingungen die Erstattung der Vollkosten an die prüfenden Institutionen und angemessene Entschädigungen für die mitwirkenden Probanden enthalten müssen?

Es steht außer Frage, dass die Arzneimittelforschung - wenn sie denn innovativ ist - den medizinischen Fortschritt fördert. Das Problem liegt auf einer anderen Ebene. Weil es um so viel Geld geht, dient solche Forschung allzu häufig vorrangig dem Ziel, den Patentschutz zu verlängern, ohne dass die Kranken davon profitieren, z. B. durch zweifelhafte Indikationserweiterungen auf Kinder. Zugleich stellen die Arzneimittelhersteller fast immer jede Forschung und die Förderung bewährter Medikamente ein - einschließlich des damit verknüpften Sponsoring - , sobald die ersten Generika auf den Markt kommen. Das hat gelegentlich dramatische Folgen für die Förderung von Fortbildungsmaßnahmen, etwa wenn sich ein Produzent als Konsequenz aus einem Fachgebiet, etwa der Psychiatrie, zurückzieht.

Aus der Sicht des Arzneimittelherstellers ist das nur legitim. Aber es behindert den medizinischen Fortschritt, wenn Stund an die Fortbildung über solche bewährten Substanzen nicht mehr finanzierbar ist und entsprechend nicht mehr stattfindet - noch mehr allerdings, wenn die Förderungsmittel von da an mit der Werbung für pseudoinnovative Homologe verknüpft werden, etwa gereinigte Razemate oder methysierte desmethylisierte Substanzen, die dann als besonders wirksam verkauft werden. Das wiederum behindert den medizinischen Fortschritt. Wer mehr wissen will, möge bei Marcia Angell [3] nachlesen, der langjährigen Herausgeberin des New England Journal of Medicine: „The Truth about Drug Companies - How they deceive us, and what to do about it”. Sie stellt in ihrem bitterbösen Buch neben vielem anderen vor allem auch die fortschrittsbehindernden Aspekte von industriegeförderter Fortbildung und Forschung an den Pranger: Marketing masquerading as Education und Marketing masquerading as Research. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Abhängigkeit der Medizin von ihren Sponsoren ist ein Dilemma. Es kann nicht darum gehen, es hier und jetzt aufzulösen. Als erstes muss uns bewusst werden, dass es eins ist. Wir können getrost unterstellen, dass es unseren Sponsoren ähnlich wie uns darum geht, kranken Menschen auf die bestmögliche Weise zu helfen. Aber jenseits dieses gemeinsamen Anliegens, das uns verbindet, trennen uns widerstreitende Interessen. Das ist von der Natur der Sache her unvermeidbar. Denn die Medizin ist zugleich ein Markt, auf dem es weltweit um Billionen geht. Zu glauben, dass man dessen Versuchungen durch Verhaltenskodizes regeln kann, ist mehr als naiv. Das Ziel der Gewinnmaximierung konkurriert dort zwangsläufig mit dem Ziel des medizinischen Fortschritts und, was wichtiger ist, mit dem Patientenwohl.

Literatur

  • 1 Finzen A. Wir dankbaren Ärzte.  Dtsch Ärztebl. 2002;  99 A 766-769
  • 2 Shaw G B. Des Doktors Dilemma. Frankfurt; Suhrkamp 1991
  • 3 Angell M. The Truth about the Drug Companies. NY; Random House 2004
  • 4 Lexchin J, Bero L A, Djulbegovic B, Clark O. Pharmaceutical industry sponsorship and research outcome and quality: systematic review.  BMJ. 2003;  326 (7400) 1167-1170
  • 5 Heres S, Davis J, Maino K, Jetzinger E, Kissling W, Leucht S. Why olanzapine beats risperidone, risperidone beats quetiapine, and quetiapine beats olanzapine: an exploratory analysis of head-to-head comparison studies of second-generation antipsychotics.  Am J Psychiatry. 2006;  163 (2) 185-194
  • 6 Chan A W, Hrobjartsson A, Haahr M T, Gotzsche P C, Altman D G. Empirical evidence for selective reporting of outcomes in randomized trials: comparison of protocols to published articles.  JAMA. 2004;  291 (20) 2457-2465
  • 7 Brennan T A, Rothman D J, Blank L, Blumenthal D, Chimonas S C, Cohen J J, Goldman J, Kassirer J P, Kimball H, Naughton J, Smelser N. Health industry practices that create conflicts of interest: a policy proposal for academic medical centers.  JAMA. 2006;  295 (4) 429-433
  • 8 Fenning T M. Fraud offers big rewards for relatively little risk.  Nature. 2004;  427 (6973) 393
  • 9 Office of Research Integrity, Office of Public Health and Science, Department of Health and Human Services .Scientific Misconduct Investigations 1993 - 1997, 1998. http://ori.dhhs.gov/documents/misconduct_investigations_1993_1997.pdf
  • 10 Verein „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.” .FS Arzneimittelindustrie-Kodex. http://www.vfa.de/de/vfa/fs-arzneimittelindustrie/fsam-dokumente/fsa-kodex.html
  • 11 Moher D, Cook D J, Eastwood S, Olkin I, Rennie D, Stroup D F. Improving the quality of reports of meta-analyses of randomised controlled trials: the QUOROM statement. Quality of Reporting of Meta-analyses.  Lancet. 1999;  354 (9193) 1896-1900
  • 12 Moher D, Schulz K F, Altman D. CONSORT Group . The CONSORT Statement: revised recommendations for improving the quality of reports of parallel-group randomized trials 2001.  Explore (NY). 2005;  1 (1) 40-45

Prof. Dr. Asmus Finzen

Spalenvorstadt 3

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Email: asmus.finzen@vtxmail.ch

Prof. Dr. med. Jürgen Fritze

Verband der privaten Krankenversicherung e. V.

Bayenthalgürtel 26

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Email: juergen.fritze@dgn.de

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