Psychiatr Prax 2005; 32(3): 154-156
DOI: 10.1055/s-2005-866748
Fortbildung und Diskussion
Konferenzbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Symposion zum Thema "Lebensqualitätsmessung in Medizin und Gesundheitsökonomie" am 3.12.2004 in Leipzig

Symposium on the Measurement of the Quality of Life in Medicine and Health Ecology on December 3rd 2004 in Leipzig
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Publication Date:
07 April 2005 (online)

 

Im Dezember 2004 veranstaltete das Zentrum für Prävention und Rehabilitation der Universität Leipzig ein Symposion zur Lebensqualitätsmessung in Medizin und Gesundheitsökonomie. Die Zielsetzung bestand darin, unterschiedliche Konzepte der Lebensqualitätsmessung vorzustellen und deren praktische Anwendung zu diskutieren.

Im Einführungsreferat zum Thema "Konzepte und Messmethoden der gesundheitsbezogenen Lebensqualität" gab Professor Monika Bullinger vom Institut und der Poliklinik für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf einen Überblick über den Stand der Lebensqualitätsforschung. Ausgehend von der Definition von Gesundheit der WHO solle Lebensqualität nicht nur über rein objektive klinische Parameter, sondern auch über eine Selbstbeschreibung des Patienten erfasst werden. Allerdings führe diese subjektive Perspektive zu der Schwierigkeit, Lebensqualität wissenschaftlich zu definieren und zu operationalisieren. Mit Hilfe von Lebensqualitätsmessinstrumenten solle ein Informationszugewinn zur Situation des Patienten, zum Einfluss klinisch-medizinischer und psychosozialer Parameter, zum Ergebnis von Interventionen, zur Kosten-Nutzen-Analyse sowie zur Qualität der Versorgung erhalten werden. Am Beispiel einer bevölkerungsrepräsentativen Studie zur Normierung des Lebensqualitätsfragebogens Short Form-36 Health Survey (SF-36) verdeutlichte Professor Bullinger, dass psychosoziale Faktoren, aber nicht notwendigerweise klinische Daten mit der Lebensqualität korrelieren. Darum sah die Referentin weiteren Forschungsbedarf bei der theoretischen Fundierung und in der Interpretation von statistischer Signifikanz versus klinischer Relevanz von Lebensqualität.

"Lebensqualität im Outcome-Konstrukt des einzelnen Patienten - konzeptionelle und empirische Aspekte" - so lautete der Titel des Vortrags von Privatdozent Dr. Michael Koller vom Institut für Theoretische Chirurgie der Universität Marburg. Der Referent griff die Fragestellung auf, wie das Konzept der Lebensqualitätsmessung in die Versorgung von Patientinnen mit Mammakarzinom implementiert werden kann. Am Anfang des mehrstufigen Prozesses der Implementierung habe die vom Arzt erhobene und vom Patienten selbst beschriebene krankheitsbezogene Lebensqualität gestanden. In der nächsten Phase habe man in enger Anlehnung an die Leitlinien der deutschen Krebsgesellschaft die Ergebnisse der Lebensqualitätsmessung in den klinischen Behandlungspfad eingeführt. Eine aus Fachvertretern gebildete Expertengruppe habe beraten, ob und welche weiteren Therapieoptionen man zur Verbesserung der Lebensqualität empfehlen könne. Eine zukünftige Evaluationsstudie soll eine Steigerung der Lebensqualität durch eine empfohlene Therapie gegenüber einer Standardtherapie nachweisen.

Im anschließenden Referat mit dem Titel "Lebensqualitätsmessung in der Onkologie" stellte Professor Joachim Weis von der Klinik für Tumorbiologie der Universität Freiburg das Anwendungsspektrum der Lebensqualitätsmessung in der Onkologie vor. Die Aspekte der Lebensqualität eines onkologischen Patienten beziehen sich auf körperliche Symptome/Funktionen, psychisch/geistige Funktionen und soziale Funktionen. So kommen in der Onkologie neben der Basiserhebung der Lebensqualität vermehrt verschiedene modulare diagnose-, behandlungs- und symptomspezifische Instrumente zum Einsatz. Lebensqualität sei ein Kriterium bei der Auswahl der onkologischen Rehabilitation. Die Evaluation psychoonkologischer Gruppeninterventionen (EPOG-Studie) zeige, dass eine ambulante psychoedukative Gruppentherapie signifikant die Lebensqualität onkologischer Patienten verbessere. Zukünftige Aufgaben der Lebensqualitätsforschung in der Onkologie lägen vor allem bei der Entwicklung neuer computerunterstützter adaptiver Testverfahren.

Privatdozentin Dr. Ulrike Ravens-Sieberer von der epidemiologischen Forschungsgruppe des Robert Koch-Instituts Berlin ging in ihrem Referat "Lebensqualitätsmessung bei Kindern" auf die Frage ein, welche Messinstrumente für Kinder geeignet sind. Erfahrungen aus der Entwicklung des Kinderlebensqualitätsfragebogens "KINDL" hätten gezeigt, dass sich die Lebensqualität von Kindern in sechs Bereichen ausdrücke: dem eigenen Körper, der Psyche, dem Selbst, der Familie, den Freunden und der Schule. Inzwischen gebe es auch eine Computer-Assisted-Touch-Screen Version (CAT-Screen), die zu einer höheren Akzeptanz bei den Kindern führe. In einer Studie mit insgesamt 1050 chronisch erkrankten Kindern habe sich gezeigt, dass der KINDL Lebensqualitätsunterschiede vor und nach der Therapieintervention differenziert wiedergeben kann. Die Referentin zog das Fazit, dass der Einsatz von kindgerechten Lebensqualitätsinstrumenten zur Bedarfsermittlung, Entscheidungsfindung und Qualitätskontrolle beitragen könne, aber angesichts möglicher Fehlerquellen beim Selbstbericht der Kinder das direkte Arzt-Patienten-Gespräch nicht ersetzen solle.

In seinem Referat "Subjektive Lebensqualität schizophrener Patienten - ein sinnvolles Evaluationskriterium?" stellte Dr. Michael Franz von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Gießen die Frage, welche Vor- und potenziellen Nachteile die Anwendung von Lebensqualität in der Evaluation von psychiatrischen Behandlungsangeboten habe. Anhand der Ergebnisse von Evaluationsstudien zeige sich häufig eine hohe Zufriedenheit unter objektiv schlechten Lebensbedingungen und eine mangelnde Abbildung verbesserter Lebensbedingungen durch subjektive Bewertungen. Unter dem sozialpsychologischen Paradigma der Adaptionsmechanismen stellte der Referent die Bedeutung sozialer Vergleiche als Erklärung für die Höhe von Lebensqualitätsbewertungen heraus. Der Referent stellte die Forderung auf, die Voraussetzungen der subjektiven Lebensqualität als Indikator bei schizophrenen Patienten besser zu berücksichtigen.

Die Entwicklung eines spezifischen Instruments zur Lebensqualitätsmessung bei Senioren, basierend auf dem World Health Organization Quality of Life Instrument (WHOQOL-100) stellte Dr. Herbert Matschinger von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie der Universität Leipzig in seinem Referat "Lebensqualitätsmessung bei alten Menschen" vor. Das Instrument umfasse die Dimensionen "Sinnesfunktionen", "Autonomie", Aktivitäten in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft", "Partizipation/Isolation", "Tod/Sterben" und "Intimität". Bei befriedigender Reliabilität habe eine Analyse der Konstruktvalidität eine Heterogenität des Konstrukts "Lebensqualität im Alter" gezeigt. Dabei seien die Facetten Partizipation, Unabhängigkeit und Aktivität die wesentlichsten Komponenten der Lebensqualität. Die Facetten "Befürchtungen und Angst vor Tod und Sterben" sowie "Sinnesfunktion" seien unabhängige Teilkonstrukte der Lebensqualität.

In seinem Einführungsreferat zum zweiten Teil des Symposions, der dem Themengebiet "Lebensqualität und Gesundheitsökonomie" gewidmet war, schlug Professor Hans-Helmut König von der Stiftungsprofessur für Gesundheitsökonomie der Universität Leipzig eine Brücke zu der Verwendung des Effektmaßes "Lebensqualität" in der ökonomischen Evaluation von Gesundheitsleistungen.

In seinem Referat "Valuation of Health Outcomes" stellte Dr. Paul F. M. Krabbe vom University Medical Centre Nijmegen Methoden zur Bewertung der Lebensqualität vor. Grundlage einer aus gesundheitsökonomischer Perspektive vorgenommenen Quantifizierung von Gesundheitseffekten sei eine präferenzbasierte Bewertung von Gesundheitszuständen. Der Referent stellte den Standard-Gamble- und den Time-Trade-Off-Ansatz vor. Bewertungen mittels beider Ansätze können zur Ermittlung von qualitätsadjustierten Lebensjahren (QALYs) als indikationsübergreifende Effektgröße herangezogen werden.

Dr. Paul Kind von der Outcome Research Group der University of York stellte in seinem Vortrag "EQ-5D: An Index of Health-related Quality of Life" ein Lebensqualitätsmessinstrument vor, das sowohl zur klinischen als auch zur ökonomischen Evaluation von Gesundheitsleistungen geeignet sei. Der EQ-5D liefert ein fünfstelliges Profil des Gesundheitszustands des Befragten, wobei insgesamt 243 unterschiedliche Profile möglich sind. Für jedes Profil gibt es einen Indexwert, der auf den Präferenzen der Allgemeinbevölkerung basiert.

Im abschließenden Referat "Der Health Utilities Index (HUI)" stellte Professor Thomas Kohlmann vom Institut für Community Medicine der Universität Greifswald ein weiteres präferenzbasiertes Lebensqualitätsmessinstrument vor. Aus diesem Klassifikationssystem für Gesundheitszustände, das aus Selbst- und Fremdbefragung besteht, lassen sich Bewertungen für 970000 verschiedene mögliche Gesundheitszustände ableiten, die auf den Präferenzen der Allgemeinbevölkerung basieren. Diese Bewertungen können zur Berechnung von qualitätsadjustierten Lebensjahren (QALYs) als Effektgröße für die ökonomische Evaluation verwendet werden. Erste Studien zeigen eine hohe Praktikabilität, der aber hohe Kosten für die Nutzung des Instruments gegenüberstehen.

Fazit: Das von Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet gut besuchte Symposion gab einen breiten Überblick über den aktuellen Stand der Lebensqualitätsforschung.

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