Psychiatr Prax 2004; 31(8): 431-432
DOI: 10.1055/s-2004-836960-9
Fortbildung und Diskussion
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Autogenes Training

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Publication Date:
23 November 2004 (online)

 

Das Autogene Training, von I. H. Schultz vor 75 Jahren "erfunden", erfreut sich großer Beliebtheit. Es ist fester Bestandteil der psychotherapeutischen Ausbildung. Allgemein gilt es als "Basispsychotherapeutikum".

I. H. Schultz sprach zunächst 1929 von "Autogenen Organübungen". Gründliche Voruntersuchungen physiologischer und psychologischer Art waren der Konzeptualisierung des Verfahrens vorausgegangen. Als forschender Arzt studierte I. H. Schultz systematisch die körperlichen Veränderungen, die sich bei hypnotischen Vorgängen zeigten. Man kann sagen, wie die psychoanalytische Therapie aus den Erfahrungen mit Suggestion und Hypnose hervorgegangen ist, so verdankt auch das autogene Training seine Herkunft hypnotischen Experimenten. Beide, Psychoanalyse und autogenes Training, sind Kinder der Hypnose.

Den Weg, den Sigmund Freud ging, war jedoch ein ganz anderer. Hier werden verdrängte Geschichten in der Arzt-Patient-Beziehung rekonstruiert und aktualisiert. Das ist ein u.U. langwieriger Prozess. Dass auch "Training" und "Übung" dazugehört, hatte Freud später in seiner Arbeit "Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten" thematisiert.

I. H. Schultz suchte nach einem unaufwändigeren, direkteren Therapieverfahren. Es erschien ihm unsinnig, "mit psychoanalytischen Kanonen auf Symptomspatzen zu schießen". Dabei entdeckte er, wie sich durch autosuggestive Gedankentätigkeit körperliche Vorgänge beeinflussen lassen (sog. Ideoplasie), was sich günstig auf die Kondition der Gesamtpersönlichkeit im Sinne von Wohlbefinden, Entspannung, geistiger Konzentration, Leistungsfähigkeit auswirkte.

Wenn man die Zahl der Übersetzungen des erstmals 1932 erschienenen Lehrbuches "Das Autogene Training" sieht, muss man feststellen, dass das autogene Trai ning gleichsam einen Siegeszug über die ganze Welt angetreten hat. Nur vereinzelt wurde in der Vergangenheit das autogene Training kritisiert, z.B. als "deutsche Variante der Psychotherapie", in der Verdrängung gelehrt werde im Gegensatz zur enthüllenden und aufdeckenden Psychoanalyse. I. H. Schultz uneindeutige Haltung im Nationalsozialismus gab diesen Kritikern Munition.

Heute wird erkennbar, dass das autogene Training eine Renaissance erfährt, wenn auch häufig unter anderem Namen und in seiner Grundlegung unerwähnt. Ich meine, die modernen imaginativen und ressourcenorientierten Psychotherapieverfahren. Gerade das autogene Training hat die Macht der Phantasie und die Bedeutung der Selbstheilungskräfte gelehrt.

Zwei neue Bücher, das eine als Neuauflage, das andere als Nachdruck, sind über das autogene Training erschienen. Hartmut Kraft publiziert jetzt sein "Handbuch für die Praxis" im Deutschen Ärzte-Verlag, früher Hippokrates Verlag. Die 4. Auflage wurde gründlich überarbeitet, insbesondere aktualisiert, sodass man auch etwas über Abrechnungsfragen, Internetadressen, Weiterbildungsrichtlinien erfährt. Krafts Ansatz geht dahin, keinen grundsätzlichen Gegensatz zwischen psychodynamischem Denken und übender Praxis zu sehen. Grundlegend ist ihm die Gestaltung der Arzt-Patient-Beziehung, und er arbeitet mit Widerstand und Übertragung. Besonders deutlich wird dies bei seiner Konzeption der "Oberstufe".

Bekanntlich findet das autogene Training großen Zuspruch, weil es in der Grundstufe so klar gegliedert und gut lernbar ist. Für die Oberstufe existiert kein vergleichbares, einheitliches Konzept. Diejenigen Schüler (z.B. Klaus Thomas), die in Fortschreibung der Grundstufe ein ebenso standardisiertes Vorgehen mit verbildlichten Vorstellungen über Farbe, Gegenstände, abstrakte Werte etc. entwickelten, konnten sich nicht durchsetzen. Kraft schlägt vor, die Oberstufe des autogenen Trainings zukünftig mit dem neuen Begriff "Autogene Imagination" zu belegen. Es handelt sich um eine spezielle Form der Gruppenpsychotherapie, des therapeutischen Umgangs mit Wachträumen in der Gruppe. Kraft arbeitet auch mit dem Malen von "Stimmungsbildern" und mit dem Einsatz musikalischer Mittel. Auf formelhafte Vorsatzbildungen wird gänzlich verzichtet. Durch viele kasuistische Beispiele gibt Kraft Anregungen. Weitere konzeptuelle Arbeit erscheint notwendig, um die "Autogene Imagina tion" als Oberstufe des autogenen Trainings zur Anerkennung zu verhelfen.

Gegenüber Krafts Handbuch hat die "Fibel für Autogenes Training" von Werner König et al. nur ein Sechstel des Umfangs. Erstmals erschien sie 1976 und erlebte fast jedes Jahr eine Neuauflage. Dies zeugt von der Anerkennung und Beliebtheit des autogenen Trainings in der Psychotherapieszene der ehemaligen DDR. Das übende, an Organvorgänge angelehnte Psychotherapieverfahren stieß auf keine ideologischen Vorbehalte. Die Fibel ist entsprechend sachlich gehalten. Besonders die Einführung ist gut lesbar und erläutert das autogene Training als das "Gegenteil der Stressaktion". In den Kapiteln über die Übungsstufen wird der Leser als Übender direkt angesprochen und zur Selbsterfahrung motiviert. Im Anwendungskapitel ist wohltuend, daß die Indikationen nicht uferlos sind, sondern mit einer gewissen Bescheidenheit vor allem auf vegetativen Funktionsstörungen (Nervosität, Unruhe, Schwitzen etc.) hingewiesen wird. Über die Oberstufe des autogenen Trainings äußern die Autoren, dass sie in der Regel verzichtbar sei, da inzwischen neue Gruppenpsychotherapieverfahren zur Verfügung ständen. Abschließend versäumen sie nicht, darauf hinzuweisen, dass es sich bei den meditativen Verfahren aus anderen Kulturen aus ihrer Sicht häufig um "kommerziell fundierte Modeströmungen" handelt. Mancher fragt sich vielleicht, ob im Zeitalter der Propagierung störungsspezifischer Psychotherapiemethoden das Basispsychotherapeutikum autogenes Training eine Zukunft hat. Die beiden hier zu besprechenden Bücher sind Hinweis darauf, dass das AT überleben wird. Offensichtlich zeichnet es sich durch eine hohe Leistungs-, Anpassungs- und Integrationsfähigkeit aus.

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