Psychiatr Prax 2004; 31(8): 430
DOI: 10.1055/s-2004-836957
Fortbildung und Diskussion
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lebensqualität

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Publication Date:
23 November 2004 (online)

 

In den vergangenen Jahren sind die Veröffentlichungen über die Lebensqualität psychisch kranker Menschen kaum noch überschaubar geworden, wobei die Qualität nicht unbedingt mit der Zahl der Pub likationen mitgewachsen ist. Die Beliebtheit des Themas verdankt sich zum Teil einer falsch verstandenen "psychiatric correctness", die die Sichtweise und Erlebniswelt der Betroffenen auch in wissenschaftlichen Studien (mit-)berücksichtigen will, sowie einer leichten Verfügbarkeit und recht unaufwändigen Handhabung entsprechender Skalen. Dadurch werden häufig genug Lebensqualitätsmessungen in Forschungsdesigns eingebunden, die eigentlich ganz andere Zielstellungen verfolgen, und deren Zielvariablen wenig mit den subjektiven Einschätzungen oder der objektiven Lebenssituation der untersuchten Patientengruppen zu tun haben. Die Analysen aus solchen Studien bewegen sich häufig auf sehr einfachem Niveau und beschränken sich auf isolierte deskriptive Darstellungen oder einfache Subgruppenvergleiche, die meist mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten.

Deshalb ist es wohltuend, wenn - wie mit der kürzlich in den Hochschulschriften des Psychiatrie-Verlags erschienenen Monografie von Karin-Maria Hoffmann "Enthospitalisierung und Lebensqualität" geschehen - eine Darstellung erscheint, die nicht an der Oberfläche verbleibt, sondern das Phänomen Lebensqualität psychisch kranker Menschen mit der notwendigen Tiefenschärfe untersucht. Die Arbeit ist im Rahmen der bekannten und vielfach publizierten Berliner Enthospitalisierungsstudie entstanden. Die Analysen sind deshalb auf der Folie einer der zent ralen und einschneidendsten Maßnahmen der Psychiatriereform angefertigt - der Entlassung von vormals in Langzeiteinrichtungen untergebrachten Patienten in gemeindenahe Strukturen.

Die Autorin ist so bescheiden, das naturalistische Design der Studie als wissenschaftliche Einschränkung zu beschreiben, was sich jedoch auch genau entgegengesetzt - als versorgungspraktische Realitätsnähe - interpretieren ließe.

Diese Realitätsnähe, vertieft durch eine ausführliche Diskussion der Konsequenzen der Resultate für die Versorgungspraxis ist einer der zahlreichen Vorteile des Buches, dessen Autorin - wie Stefan Priebe in seinem Vorwort es ausdrückt - die praktischen und gesundheitspolitischen Konsequenzen "mit großer Sachkenntnis und äußerst ausgewogen diskutiert". Ein weiterer Vorzug besteht darin, dass das Konzept Lebensqualität wissenschaftstheoretisch reflektiert und verortet wird. Zudem bietet das Buch einen Überblick über die nationale und internationale Geschichte der Enthospitalisierung in der Psychiatrie und beschreibt die Versorgungssituation in Berlin in der ersten Hälfte der 90er-Jahre.

Insgesamt stellt das Buch eine methodisch und inhaltlich wesentliche Bereicherung der psychiatrischen Lebensqualitätsliteratur dar und ragt aus der Menge diesbezüglicher Veröffentlichungen deutlich hervor. Es zu lesen, bedeutet einen Gewinn.

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