Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(38): 1969-1971
DOI: 10.1055/s-2003-42362
Ethik in der Medizin
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Patienten-zentrierte Medizin und Ethik

Patient-centered medicine and ethicsK. Engelhardt1
  • 1Kiel
Further Information

Publication History

eingereicht: 28.4.2003

akzeptiert: 17.7.2003

Publication Date:
19 September 2003 (online)

Die moderne Medizin behandelt komplexe Krankheiten mit zunehmend komplexen diagnostischen und therapeutischen Werkzeugen, deren Beherrschung viel Zeit und Aufmerksamkeit erfordert. Die Fortschritte der naturwissenschaftlich-technischen Medizin sind dankbar anzuerkennen, allerdings reduziert die Geschwindigkeit des „Durchschleusens” in Klinik und Praxis die Zeit für Kommunikation mit dem Patienten. Ein Patient sagt z. B. seinem Hausarzt, dass er mit dem Spezialisten, zu dem er überwiesen wurde, nicht sprechen konnte. Dieser habe sich für seine Sorgen nicht interessiert.

Je mehr die Medizin kann, umso notwendiger wird medizinische Ethik. Neben der „Makroethik” mit den großen ethischen Problemen am Anfang und Ende des Lebens [12] gibt es eine „Mikroethik” des ärztlichen Alltags, die z. B. den Wandel der Arzt-Patienten Beziehung vom Paternalismus zu einer partnerschaftlichen Beziehung betont [10]. Patienten-zentrierte Medizin [3] will die naturwissenschaftlich-technische und krankheitszentrierte Medizin nicht ersetzen, sondern ergänzen und kompensieren. Patienten-zentrierte Medizin geht auf den Kranken als Subjekt ein, um wichtiges Wissen in die Arzt-Patienten Beziehung einzubringen: Wissen über sein Leben, seinen Umgang mit chronischer Krankheit, seine Befürchtungen und Hoffnungen. Sie interessiert sich für seine Nöte und Krankheitsvorstellungen, sie ermutigt ihn, Fragen zu stellen. Oft wird bezweifelt, ob eine solche Patienten-zentrierte Medizin heute zu verwirklichen sei, da erstens der ökonomische Druck die nötige Zeit für sie nicht zulasse und zweitens naturwissenschaftlich-technische Methoden den Vorrang haben, so dass sekundäre Aufgaben anderen Personen, z. B. Psychologen oder Seelsorgern, zu überlassen seien. Über dieser Kritik wird vergessen, dass Patienten-zentrierte Medizin zu erhöhter Compliance, besseren Erfolgen der Behandlung und zu weniger Prozessen gegen Ärzte führt [4] [6]. Sie hilft im Umgang mit chronischen Krankheiten, senkt die Symptomlast und befriedigt Arzt und Patienten. Respekt vor den Präferenzen und Werten des Kranken wird auch von der medizinischen Ethik gefordert. Sie unterstützt eine Patienten-zentrierte Betreuung, bei der der Arzt seine Macht mit dem Kranken teilen will und zur Selbstprüfung angeregt wird: Wie würde ich mich fühlen, was würde ich wünschen, wenn ich dieser Patient wäre?

Literatur

  • 1 Barry M J. Health decision aids to facilitate shared decision making in office practice.  Ann Intern Med. 2002;  136 127-135
  • 2 Barsky A J, Saintfort R, Rogers M P. et al . Nonspecific medication side effects and the nocebo phenomenon.  JAMA. 2002;  287 622-627
  • 3 Engelhardt K. Patienten-zentrierte Medizin. Enke, Stuttgart 1978
  • 4 Engelhardt K. Kranke Medizin. Das Abhandenkommen des Patienten. Agenda, Münster 1999
  • 5 Epstein R M. Mindful practice.  JAMA. 1999;  282 833-839
  • 6 Forster H P, Schwartz J, De Renzo E. Reducing legal risk by practicing patient-centered medicine.  Arch Intern Med. 2002;  162 1217-1219
  • 7 Füeßl M S, Middeke M. Anamnese und klinische Untersuchung. 2. Aufl. Thieme, Stuttgart 2002
  • 8 Goodwin P J, Leszcz M, Ennis M. et al . The effect of group psychosocial support on survival in metastatic breast cancer.  N Engl J Med. 2001;  345 1719-1726
  • 9 Lown B. Die verlorene Kunst des Heilens. Schattauer, Stuttgart 2002
  • 10 Maio G. Den Patienten aufklären - aber wie?.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerztherapie. 1999;  34 396-401
  • 11 Maio G. Zur Geschichte der Contergan-Katastrophe im Lichte der Arzneimittelgebung.  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  126 1183-1186
  • 12 Maio G. Die aktive Sterbehilfe als gesellschaftliche Herausforderung (Editorial).  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  126 1303-1304
  • 13 Marinker M, Shaw J. Not to be taken as directed.  BMJ. 2003;  326 348-349
  • 14 Markson L E, Vollmer W M, Fitterman L. et al . Insight into patient dissatisfaction with asthma treatment.  Arch Intern Med. 2001;  161 379-384
  • 15 Marteau T M, Croyle R T. Psychological responses to genetic testing.  BMJ. 1998;  316 693-696
  • 16 Pevelev R, Carson A, Rodin G. Depression in medical patients.  BMJ. 2002;  325 149-152
  • 17 Roizen M F. More preoperative assessment by physicians and less by laboratory tests.  N Engl J Med. 2000;  342 204-205
  • 18 Schein O D, Katz J, Bass E B. et al . The value of routine preoperative medical testing before cataract surgery.  N Engl J Med. 2000;  342 168-175
  • 19 Tannock I F. Eradication of a disease: how we cured symptomless prostate cancer.  Lancet. 2002;  359 1341-1342

Prof. Dr. med. Karlheinz Engelhardt

Jaegerallee 7

24159 Kiel

    >