Klin Monbl Augenheilkd 2002; 219(8): 555-556
DOI: 10.1055/s-2002-34427
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben …

He Who Comes Late, Will Be Punished By Life …Günther  Grabner
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Publication Date:
27 September 2002 (online)

Kaum ein Bereich der Augenheilkunde hat im letzten Vierteljahrhundert eine derart spektakuläre Entwicklung erlebt, wie die refraktive Chirurgie. Mit Verblüffung muss man den beinahe kometenhaften Aufstieg dieses Spezialgebietes verfolgen, von den eher bescheidenen russisch-amerikanischen Anfängen Mitte der 70er Jahre über die Gründung zahlreicher Fachgesellschaften und Journale bis ins Zentrum des Interesses der Medien, der Firmen und der Patienten. Damit sind nun notwendigerweise, sei es in der einen oder anderen Form, auch alle Augenärzte betroffen.

Einige der hellen Kometen sind seit der Einführung der radiären Keratotomie, sie ist ein sehr gutes Beispiel, recht rasch und vollständig verglüht- etliche Schäden, aber auch Erkenntnisse hinterlassend. Einige andere, wie etwa die Laser-Thermokeratoplastik, sind nach deutlichem Aufleuchten in eine kaum noch beachtete periphere Umlaufbahn (mit vielleicht unsicherer Wiederkehr) umgeschwenkt und eine Supernova überstrahlt derzeit den Himmel in sehr spektakulärer Weise. Auch diese Sterne haben bekanntlich eine begrenzte Lebensdauer und wie der Himmel in weiteren 25 Jahren aussehen wird, muss den Astrologen unter uns überlassen bleiben.

Die erste Prognose ist nicht sehr gewagt, die bald tägliche Konfrontation mit dem Thema der operativen Korrektur der Fehlsichtigkeit in jeder Praxis und Klinik zeigt, dass die refraktive Chirurgie als Aufgabengebiet des Ophthalmologen - trotz sehr berechtigter Kritik an manchen Techniken - Bestand haben wird.

Dies auch deshalb, weil sich die Ansprüche der Patienten wesentlich gewandelt haben: von der medizinischen Grundversorgung hin zur „Optimierung der Lebensqualität” in der modernen Freizeitgesellschaft ist der Weg wohl nicht umkehrbar. Wir Ärzte haben zur Entstehung dieses „Kundengefühls” beigetragen, teils einem ehrlichen Forscherdrang, teils ökonomischen Anreizen und Zwängen folgend. Wenn dieser Paradigmenwechsel von der älteren Generation unserer Kollegen auch gelegentlich bedauert wird, die jüngere wächst als Teil eben dieser Gesellschaft bereits selbstverständlich damit auf.

In zunehmendem Maß - wiederum sind die USA Trendsetter - gibt es hochspezialisierte Zentren, die sich ausschließlich dieser Thematik annehmen. Die Voruntersuchungen (Schlagwort „Wellenfrontanalyse”), inklusive Beratung und detaillierter Aufklärung sind zeit- und personalaufwändig, vor allem aber auch die Operationstechniken derart komplex geworden, dass sie in einer „konventionellen” Praxis oder Tagesklinik nicht mehr mit genügender chirurgischer Sicherheit auf letztem Wissensstand angeboten werden können - wie vieler „Fälle” pro Jahr bedarf es zum Erwerb und Erhalt ausreichender Routine aber auch der Qualitätskontrolle der eigenen Ergebnisse? Auch diese Entwicklung dürfte also nicht umkehrbar sein.

Gegenwärtig wird das Vertrauen der Patienten (oder eher doch der „Kunden”?) in die prinzipielle Machbarkeit eines angenehmen Lebens bei entsprechender Bezahlung - konditioniert durch die tägliche Werbung mit strahlenden jungen Menschen - und damit die Erfüllung des Wunsches nach einem Leben ohne der „Krücke” Brille, nur selten erschüttert. Für diese dynamische und sehr kritische Zielgruppe des jüngeren bis mittleren Lebensabschnittes ist der Laser besonders attraktiv: präzise, rasch und computergesteuert. Die Information über die Angebote wird bequem über das Internet eingeholt, inklusive Ratschläge von unzufriedenen Kunden für aussichtsreiche Klagen gegen die Fehlerquelle „Chirurg mit mangelhafter Handarbeit” - die Kehrseite der Bildes.

Da viele 100 Fachpublikationen zum Thema jährlich in „peer-reviewten” Journalen erscheinen, ist die Fülle des Detailwissens auch für den Spezialisten kaum zu überblicken, wie dann erst für den Ophthalmologen mit (noch) breiterem Leistungsspektrum?

Im folgenden Übersichtsartikel, der ergänzt wird durch neueste Daten und Langzeitergebnisse, wird einer der langsam verblassenden Kometen einer kritischen, detaillierten Analyse mit weitgehend positiven Ergebnissen unterzogen. Auf die Intacs trifft, wie auf wenige refraktive Verfahren, das klassische Zitat von Michail Gorbatschow zu:

Mit einem brillanten Konzept, einem investierten Venturekapital von über 170 Millionen US Dollar, der Lasik gleichwertigen Ergebnissen bei der Korrektur der Myopie bis - 4,0 Dioptrien, und zahlreichen seriösen, multizentrischen Studien, dennoch auf dem unaufhaltsamen Weg zu einem „Nischenprodukt”?

Die Intacs teilen - bemerkenswerterweise mit der ebenfalls „additiven” kornealen Technik der Epikeratophakie, die völlig aus dem Armamentarium verschwunden ist - zwei oft wenig beachtete, aber doch so wesentliche und angenehme Eigenschaften für einen elektiven Eingriff. Einerseits die chirurgische Schonung der wohl empfindlichsten Oberfläche des Körpers, nämlich der zentralen optischen Zone der Hornhaut, und andererseits ihre fast vollständige Reversibilität bei insgesamt sehr geringem chirurgischen Risiko für Visus und Auge. Einige (wenige?) Lasikpatienten (und nicht selten auch der Chirurg!) würden sich nichts sehnlicher wünschen, als den Eingriff wieder ungeschehen machen zu können. Diese Zahl wird - auch wegen möglicherweise noch unerkannter Spätfolgen - wohl weiter steigen, was unter den Experten unbestritten ist. Es verwundert angesichts des derzeitigen „Laseroptimismus”, aber auch des hohen Investitionsrisikos für ein Excimersystem mit Infrastruktur allerdings nicht wirklich, dass diese guten „Verkaufsargumente” der für die Entwicklung der Ringe verantwortlichen Firma KeraVision - nun im Konkurs - nicht ausreichend zugkräftig waren. Da die Intacs einen großen Anteil des „myopen Marktes” abdecken, dürfte das Timing” der entscheidende Faktor gewesen sein. Wie die Entwicklung verlaufen wäre, hätte die vorübergehende Popularität der Intacs - nach der Freigabe durch das FDA im Jahr 1999 sicher vorhanden und am Aktienkurs gut abzulesen - einige Jahre früher eingesetzt, muss Spekulationen überlassen bleiben, auch ob die Nachfolgefirma verlorenes Terrain gut machen kann.

Wenn ich mir einen Abstecher in die Ophthalmoastrologie - das nächste Vierteljahrhundert der refraktiven Chirurgie betreffend - erlauben darf, würde ich folgende Entwicklungen „sehen”:

die reversiblen, „additiven” Verfahren (Kontaktlinsen! Intacs, …) werden bei manchen kritischen Patienten und Chirurgen - vielleicht auf dem Umweg über die Therapie eines frühen Keratokonus - langsam wieder größeres Interesse finden, die kombinierte topographie- und wellenfrontgesteuerte Ablation mit Gewichtung der korneal bedingten und der intraokularen Wellenfrontparameter wird selbstverständlich, faltbare, irisfixierte Vorderkammerlinsen zur Korrektur der höheren Ametropie werden zum Standard gehören, Hinterkammerlinsen im phaken Auge werden verschwunden sein, die Presbyopie wird weiter mit Lesebrillen versorgt werden, und eine synthetische Epikeratophakie wird die gesamte refraktive Chirurgie revolutionieren, vorausgesetzt der Erhalt einer stabilen Epithelisierung der dauerhaft „belebten Kontaktlinse” gelingt: Diese Technik wird sehr präzise, extraokulär, chirurgisch einfach, für alle Ametropien anwendbar, modifizierbar und reversibel, aber auch kostengünstig sein. Dieses Ziel scheint in wenigen Jahren erreichbar.

Wir erleben interessante Zeiten!

Günther Grabner

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