Z Sex Forsch 2002; 15(3): 248-256
DOI: 10.1055/s-2002-34335
Kommentar

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Elternrecht und Selektion der sexuellen Orientierung

Martin Dannecker
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Publication Date:
25 September 2002 (online)

Im vergangenen Jahr haben Aaron S. Greenberg und J. Michael Bailey in den „Archives of Sexual Behavior” einen Artikel zum Recht der Eltern, die sexuelle Orientierung ihrer Kinder zu bestimmen, publiziert. Sie diskutieren in ihrem Text die möglichen Folgen einer Selektion für die Heterosexualität und gegen die Homosexualität sowie die Motive der Eltern für eine solche Selektion. Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass eine so geartete Selektion keine gravierenden negativen Folgen für Homosexuelle hätte und dass deshalb das Recht der Eltern, die Kinder hervorzubringen, die sie wünschen, nicht eingeschränkt werden dürfe. Diskutiert wurden die von Greenberg und Bailey vertretenen Thesen auf dem 28th Meeting der „International Academy of Sex Research”, das vom 19. bis 23. Juni 2002 in Hamburg stattfand. Wir publizieren nachstehend die erweiterte Fassung des von Martin Dannecker für diese Debatte formulierten Kommentars.
Die Redaktion

Literatur

  • 1 Birnbacher D. Selektion von Nachkommen. Ethische Aspekte. In: Mittelstraß J (Hrsg). Die Zukunft des Wissens. Berlin: Akademie-Verlag; 2000. S. 457-471
  • 2 Greenberg A S, Bailey J M. Parental selection of children’s sexual orientation.  Arch Sex Behav. 2001;  30 423-437
  • 3 Laplanche J, Pontalis J. Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt/M.: Suhrkamp; 1972
  • 4 Schmidt G. Selektive Reproduktion: Elternrecht und Homosexualität.  Z Sexualforsch. 2001;  14 181-185
  • 5 Stein E. The mismeasure of desire: The science, theory and ethics of sexual orientation. New York: Oxford University Press; 1999

1 Auch Edward Stein (1999) kommt aufgrund empirischer Daten aus den Vereinigten Staaten zu dem Schluss, dass der größere Teil der Eltern seine Kinder davon abhalten möchte, lesbisch, schwul oder bisexuell zu werden. Er erwähnt in diesem Zusammenhang auch, dass sogar solche Eltern, die ihre erwachsenen lesbischen Töchter und schwulen Söhne unterstützen und sich dazu in Gruppen organisieren, zuerst versucht haben, ihre Kinder auf den heterosexuellen Weg zu bringen (ebd.: 314).

2 Greenberg und Bailey sprechen in diesem Zusammenhang allerdings nicht von Antihomosexualität, sondern von Homophobie. Sie folgen damit einem Sprachgebrauch, der sich nicht nur in der englischsprachigen Debatte, sondern auch hierzulande durchgesetzt hat. Der Begriff Homophobie ist jedoch für das, was er bezeichnen soll, in mehreren Hinsichten unangemessen. Er bringt durch seine begriffliche Nähe zu den klassischen Phobien die Antihomosexualität in den Zusammenhang einer psychischen Störung, d. h. er pathologisiert die antihomosexuelle Einstellung. Allerdings werden daraus nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen, denn es fehlt an Vorschlägen bzw. Programmen, um diese Störung zu behandeln. Diese würden allerdings, auch wenn es sie gäbe, nicht auf Resonanz treffen, denn die „Homophoben” empfinden sich weder als gestört noch leiden sie unter ihrer Phobie. Die Antihomosexualität ist wie der Antisemitismus nicht primär ein psychisches, sondern ein politisches Phänomen. Aus diesem Grunde wird im Falle des Antisemitismus auch nirgends von einer Semiphobie gesprochen. Dadurch, dass das inzwischen bei der Homosexualität fast durchgängig der Fall ist, wird der Umstand verschleiert, dass man durchaus antihomosexuell eingestellt sein oder antihomosexuell handeln kann, ohne deshalb bewusst homophob zu sein.

3 Das aus dem Status des Elternrechts abgeleitete Recht auf antihomosexuelle Selektion kann man als Einsicht in die Grenzen der Erziehung lesen. Zwar entwickeln sich Kinder durchaus nicht durchgängig so, wie es ihren genetischen Anlagen entspricht. Dafür sorgt der als Erziehung bezeichnete mächtige Sozialisationsapparat. Aber dieser Sozialisationsapparat ist, wie das Beispiel der Homosexualität zeigt, nur beschränkt wirksam: Kinder werden homosexuell, obgleich ein mächtiger Apparat im Verein mit dem bewussten Willen der Eltern eine solche Entwicklung verhindern möchte. Um diese Absicht dennoch durchzusetzen, müssen folglich andere Mittel eingesetzt werden, die nicht nur für Greenberg und Bailey in der genetischen bzw. biologischen Manipulation liegen. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass dieses Kalkül aufgeht, weil die sexuelle Orientierung etwas anderes und weitaus mehr ist als ein genetischer Marker. Aber die Möglichkeit, mit der Greenberg und Bailey in ihrem Artikel spielen und die sie zugleich als moralisch akzeptabel ausgeben, fungiert - und das könnte man als den eigentlichen Zweck ihrer Überlegungen bezeichnen - als ein Antrieb, die Ursachen der homosexuellen Orientierung weiter zu erforschen.

4 Zwar haben die Gruppenteilnehmer nicht an mit pränatalen Techniken durchgesetzte antihomosexuelle Selektion gedacht. Im Kopf hatten sie eher eine psychotherapeutische Behandlung mit dem Ziel, die homosexuelle Orientierung umzudrehen. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der pränatalen und der postnatalen Selektion aber besteht im Hinblick auf den damit verfolgten Zweck nicht, denn in beiden Fällen soll die Homosexualität zum Verschwinden gebracht werden.

Prof. Dr. Martin Dannecker

Institut für Sexualforschung

Klinikum der Universität

Theodor-Stern-Kai 7

60590 Frankfurt am Main

Email: Dannecker@em.uni-frankfurt.de

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