Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(25/26): 767-768
DOI: 10.1055/s-2001-15097
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Grenzwerte beim täglichen Alkoholkonsum

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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Frage: Von der WHO werden Grenzwerte für den täglichen Alkoholkonsum angegeben, bei deren Überschreitung Alkoholfolgekrankheiten zu erwarten seien. Stützen sich diese Grenzwerte auf Feldstudien an Gesunden oder auf die - bekannterweise unzuverlässigen - Angaben von Patienten mit alkoholbedingten Erkrankungen, die sich in ärztliche Behandlung begeben haben? Sind dabei andere mögliche Ursachen, besonders Fehl- und Mangelernährung berücksichtigt, d. h. ändern sich die Grenzwerte unter der Voraussetzung einer ausgeglichenen Kost und gesunden Lebensweise?

Antwort: Ein chronischer Alkoholabusus führt langfristig zu diversen gesundheitlichen Schädigung durch Störungen verschiedener Organsysteme wie Herz, Pankreas, Leber sowie das zentrale und das periphere Nervensystem. Pathogenetisch ist eine multifaktorielle Genese mit Alkohol bzw. dessen Metaboliten als zentrale Mediatoren sehr wahrscheinlich.

Die schädigende Wirkung des Alkohols ist im Falle der Leberschädigung am besten erforscht. Dies scheint über die Sequenz Alkoholfettleber-Alkoholfettleberhepatitis-Alkoholfibrose-Alkoholzirrhose zu geschehen, wobei einzelne Schritte auch übersprungen werden können. Im Vordergrund steht der direkte toxische Effekt des Alkohols bzw. dessen Metaboliten, vor allem des Acetaldehyds und der freien Radikale auf die Leber, da in tierexperimentellen Studien die alleinige Gabe von Alkohol zur Leberschädigung führen kann. Die Pathomechanismen umfassen eine Zellhypoxie mit konsekutiver Apoptose, eine Aktivierung der Neutrophilen mit Zytokinefreisetzung sowie eine Aktivierung der Kupfferschen Sternzellen mit fibrotischem Umbau [6] [7]. Ernähruhen Alkoholabusus können bei der Entwicklung einer Leberschädigung eine zusätzliche Rolle spielen, da Alkoholiker dazu neigen, den überwiegenden Ernergiebedarf durch Alkohol abzudecken. Dies führt unweigerlich zu Defiziten an wichtigen Mikronährstoffen wie essentielle Aminosäuren, essentielle Fettsäuren, Spurenelementen (Zink, Selen) und Vitaminen (A, E, Thiamin, Pyridoxalphosphat, Folsäure, Niacin), welche zu Funktionsstörungen sowohl bei der Detoxifikation als auch bei der Zellregeneration führen. Die Folgen sind eine erhöhte Vulnerabilität der Leber gegenüber exogenen Noxen wie industriellen Lösungsmitteln oder Medikamenten sowie eine verzögerte Rekonvaleszenz nach erfolgter Schädigung; Paracetamol in lediglich therapeutischer Dosierung (2,5-4 g pro Tag) kann im Falle eines chronischen Alkoholabusus zu einem akuten Leberversagen führen. Eine einseitige Ernährung kann auch zur Störung der intestinalen Mikroflora mit vermehrter Produktion vom Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) führen, ein sehr effektiver Aktivator der Kupfferschen Sternzellen. Adipöse Personen (BMI > 25 bei Frauen und > 27 bei Männer) haben ein höheres Risiko als normogewichtige, eine alkoholische Leberschädigung zu erleiden [10]. Die bei vielen wegen Alkoholfolgekrankheiten hospitalisierten Patienten beobachteten Zeichen einer schweren Mangelernährung sind eher als Folge und nicht als eine Ursache der Lebererkrankung zu betrachten.

Weitere nicht weniger bedeutende Folgen des chronischen Alkoholismus betreffen das zentrale Nervensystem, entweder im Rahmen einer Gedächtsnisstörung (Korsakow-Syndrom) oder als Demenz mit einem globalem Verlust der intellektuellen Fähigkeit (8, American Psychiatric Association 1987). Das periphere Nervensystem kann auch wie im Falle der peripheren Polyneuropathie betroffen sein. Neuroanatomisch gesehen scheinen die Gedächtnisstörungen im Rahmen des Korsakow-Syndroms mit subkortikalen periventrikulären Läsionen assoziiert zu sein, wobei Ernährungsdefizite, insbesondere ein Thiaminmangel, die wichtigste pathogenetische Bedeutung haben [3] [8] [9]. Eine genetische Störung im Thiaminstoffwechsel kann eine zusätzliche Rolle spielen. Auf der anderen Seiten scheinen die dementiell-kognitiven Störungen mit kortikalen Läsionen assoziiert zu sein und können auf eine direkte toxische Wirkung des Alkohols bzw. seiner Metaboliten auf das Gehirn zurückgeführt werden [3] [8] [9]. Diese zentralnervösen Störungen sind zum Teil fließend und überlappend. Sie werden häufig im Rahmen einer manifesten Leberschädigung beobachtet und selten in Abwesenheit einer Leberfunktionsstörung. Somit kann eine verminderte Detoxifikationsfunktion der Leber zur pathogenetischen Schädigung des Nervensystems zusätzlich beitragen [3].

Sowohl bei der alkoholischen Leberschädigung als auch bei der alkoholischen Gehirnschädigung gibt es Hinweise auf eine dosisabhängige toxische Wirkung. Die meisten dieser Daten wurden im Rahmen der Forschung der alkoholtoxischen Leberzirrhose erhoben [1] [2] [5] [11]. Daten hinsichtlich zentralnervöser Schädigungen liegen kaum vor [12]. Die Interpretation der verfügbaren epidemiologischen Studien ist schwierig, da sie sich vorwiegend auf retrospektive Daten hospitalisiert behandelter Patienten mit einem Alkoholfolgeproblem gründeten. Am verlässlichsten sind statistische Verkaufsdaten über den tatsächlichen allgemeinen Alkoholverbrauch. Sie deuten darauf hin, dass die von Patienten selbst angegebene Akoholkonsummenge wahrscheinlich geringer als die tatsächlich konsumierte Menge ist. Um diese Schwäche zu mindern, wurden strukturierte Fragebogen entworfen, um verlässliche Daten über den täglichen Alkoholkonsum zu ermitteln [4].

Es ist schwierig, genau vorherzusagen, über welchen Zeitraum und bei welcher Alkoholkonsummenge eine alkoholische Schädigung zu erwarten ist. Individuelle genetische Prädispositionen sowie rassische Unterschiede müssen berücksichtigt werden. Dennoch bemüht man sich, Grenzwerte für die Allgemeinbevölkerung auszuarbeiten. Von vielen Gesundheitsbehörden (WHO, das US-amerikanische Department of Health und Human Services, das australienische National Health and Medical Research Council) wurden Grenzwerte für ein sogenanntes „moderate drinking” bzw. ein „safe drinking limit” vorgeschlagen, das heißt die Alkoholmenge, von der Probleme sowohl für den Trinker als auch für die Gesellschaft nicht zu erwarten sind. Dies ist vom sogenannten „social drinking” zu unterscheiden, ein von der jeweiligen Gesellschaft akzeptiertes Trinkmuster. „Moderate drinking” bedeutet einen regelmäßigen Konsum von weniger als 12-20 g Alkohol pro Tag bei Frauen und von 24-40 g Alkohol pro Tag bei Männern. Der geschlechtsspezifische Unterschied beruht darauf, dass Frauen aufgrund ihrer genetischen Determination Alkohol langsamer und schlechter als Männer metabolisieren. Die Art des Alkohols (Bier, Wein oder Schnaps) spielt keine entscheidende Rolle.

Diese Grenzwerte leiteten sich aus Daten von retrospektiven Studien, in den gezeigt wurden, dass bei einem mittleren Konsum von 40 g (Frauen) bzw. 80 g (Männer) Alkohol pro Tag, das Risiko der Entwicklung einer irreversiblen Leberschädigung sprunghaft ansteigt [5] [6] [10]. Neue prospektive Studien der normalen Bevölkerung erbrachten vergleichbare Ergebnisse [1] [2]. In der longitudinalen Kohortenstudie aus Skandinavien mit etwa 13 000 Personen über einen 12jährigen Beobachtungszeitraum wurde festgestellt, dass das Risiko einer Leberschädigung bei einem mittleren Alkoholkonsum von mehr als 80 g pro Woche (bzw. 12 g pro Tag) bei Frauen und 160 g pro Woche (bzw. 24 g pro Tag) bei Männern dosisabhängig signifikant ansteigt [1]. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen auch, dass Patientenangaben anhand von strukturierten Fragebogen verlässlich beurteilt werden können und einzelne Ernährungsgewohnheiten den gesamten Verlauf wahrscheinlich nicht entscheidend beeinflussen. Auch in der italienischen Kohortenstudie mit etwa 6000 Patienten wurde gezeigt, dass das Risiko für die Entwicklung einer alkoholischen Leberschädigung dosisabhängig signifikant ansteigt, und zwar bei einem mittleren Alkoholkonsum von 30 g pro Tag [2]. Die kumulative Menge für die Entwicklung einer Leberzirrhose scheint bei 100 kg Alkohol zu liegen. Es wurde auch hier gezeigt, dass ein Konsum von mehreren Alkoholsorten sowie ein Alkoholkonsum ohne begleitende Nahrungsaufnahme mehr Risiko mit sich zu bringen scheint als ein Konsum einer einzigen Alkoholart zu den Mahlzeiten. Ob dieser Unterschied durch eine Änderung in der Absorptionsrate und der Abbaukinetik des Alkohols durch die begleitende Mahlzeit oder durch die unterschiedliche Ernährungs- und Lebensweise bedingt ist, ist nicht klar. Vergleichbare Daten für das zentrale Nervensystem liegen nicht vor.

Literatur

  • 1 Becker U, Deis A, Sorensen T I, Gronbaek M, Borch-Johnsen K, Muller C F, Schnohr P, Jensen G. Prediction of risk of liver disease by alcohol intake, sex, and age: a prospective population study.  Hepatology. (1996);  23 1025-1029
  • 2 Bellentani S, Saccoccio G, Costa G, Tiribelli C, Manenti F, Sodde M, Saveria Croce L, Sasso F, Pozzato G, Cristianini G, Brandi G. Drinking habits as cofactors of risk for alcohol induced liver damage. The Dionysos Study Group.  (1997);  Gut 41 845-850
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  • 10 Naveau S, Giraud V, Borotto E, Aubert A, Capron F, Chaput J C. Excess weight risk factor for alcoholic liver disease.  Hepatology. (1997);  25 108-111
  • 11 Gronbaek M, Deis A, Sorensen T I, Becker U, Borch-Johnsen K, Muller C, Schnohr P, Jensen G. Influence of sex, age, body mass index, and smoking on alcohol intake and mortality.  BMJ. (1994);  29 302-306
  • 12 Parker D A, Parker E S, Brody J A, Schoenberg R. Alcohol use and cognitive loss among employed men and women.  Am. J. Public Health. (1983);  73 521-526

Korrespondenz

Dr. Huan N. Nguyen
Prof. Dr. Dipl.-Biochem Siegfried Matern

Medizinische Klinik III Universitätsklinikum der RWTH-Aachen

Pauwelstraße 30

52074 Aachen

Email: hnguyen@post.klinikum.rwth-aachen.de

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