Zentralbl Chir 2000; 125(Heft 11): 920-925
DOI: 10.1055/s-2000-10059
Ethik und Recht

J.A.Barth Verlag in Medizinverlage Heidelberg GmbH & Co.KG

Wahrheit und Schweigen am Krankenbett

Die rechtliche BewertungH. D. Laum
  • Präsident des Oberlandesgericht a. D., Mülheim-Ruhr
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Truth and silence at the sick-bed. The legal valuation

Summary

Some experts postulate a doctor's “therapeutic privilege” on limited medical information, if complete information would overstrain the patient psychologically or if absolutely necessary therapy probably would be refused for incomprehensible reasons. The German Federal Court, however, does not conform with this opinion. According to its jurisdiction the doctor is obliged to considerate information, but only allowed to neglect full information, if the declaration of the diagnosis would cause a serious and irreparable damage to the patient's health. Causing concern, depression or deterioration of the patient's general condition, however, is regarded as inevitable detriment. If the patient does not agree to a radiotherapy, the doctor must not shy away from disclosing the cancer diagnosis. Reducing medical information is therefore only allowed in exceptional cases, because otherwise the patient's right of self-determination would be undermined. Until now the Federal Court did not accept reduction of medical information for therapeutic reasons in one single decision. Though the doctor must not disclose cancer diagnosis if the patient does'nt ask about it, he will have to inform him about the risks of the indicated therapy. The patient, however, has the right to waive information. His renunciation, however, has to be unambiguous and has to be documented contemporarly.

Zusammenfassung

In Teilen der Fachliteratur wird ein therapeutisches Privileg des Arztes zur eingeschränkten Aufklärung gefordert, wenn der Patient durch die volle Aufklärung einer übermäßigen psychischen Belastung ausgesetzt würde oder zu befürchten ist, daß er eine unbedingt notwendige Behandlung aus unverständlichen Gründen ablehnt. Der Bundesgerichtshof ist dem aber nicht gefolgt. Nach seiner Rechtsprechung ist der Arzt zwar zu einer schonenden Aufklärung verpflichtet, darf aber von der Aufklärung nur absehen, soweit die mit der Aufklärung verbundene Eröffnung der Natur des Leidens mit dem Risiko verbunden ist, zu einer ernsten und nicht behebbaren Gesundheitsschädigung des Patienten zu führen; daß der Patient nur beunruhigt, in seiner Gemütslage depressiv beeinträchtigt oder sein Allgemeinbefinden verschlechtert werden könnte, ist hinzunehmen, weil es sich um unvermeidbare Nachteile handele, die in Kauf genommen werden müßten. Verweigert der Patient seine Zustimmung zu einer Strahlenbehandlung, darf der Arzt vor der Bekanntgabe des Krebsbefundes nicht zurückschrecken. Fälle, in denen aus therapeutischen Gründen eine Aufklärung unterbleiben dürfe, müßten an strenge Voraussetzungen geknüpft und Ausnahmen bleiben, damit das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht unterlaufen werde. Eine Aufklärungsbeschränkung aus therapeutischer Rücksicht hat der BGH bisher in keinem der von ihm entschiedenen Fälle anerkannt. Der Arzt muß die Diagnose „Krebs” nicht mitteilen, solange sich der Patient nicht danach erkundigt; auf die Risiken einer erforderlichen Behandlung muß er aber hingewiesen werden. Auf die Aufklärung kann er wirksam verzichten. Der Aufklärungsverzicht muß eindeutig sein und ist zeitnah zu dokumentieren.

1 1 RGSt 25, 375

2 2 RGZ 78, 432

3 3 Gedanken und Erinnerungen, Knaur-Ausgabe, S. 511

4 4 BVerfG NJW 1979, 1925

5 5 “informed consent”

6 6 BGH VersR 1954, 98, 99; OLG Stuttgart MedR 1995, 25

7 7 Buch der Sprüche

8 8 Zitiert nach Roßner, Begrenzung der Aufklärungspflicht des Arztes bei Kollision mit anderen ärztlichen Pflichten, Bd. 40 der Schriftenreihe Recht und Medizin/Herausgeber Deutsch, Laufs, Schreiber, Seite

9 9 zitiert nach Roßner aaO S. 208

10 10 Philosophie des Arzttums 1966, S. 223

11 11 zitiert nach Deutsch, Medizinrecht RdNr. 1031

12 12 zitiert nach Mertens in Münchener Kommentar zum BGB, 3. Auflage 1997, § 823 FN 1252

13 13 so das grundlegende Urteil in BGHZ 29, 176, 177, 183 = NJW 1959, 814 ff.

14 14 OLG Köln NJW 1988, 2306 mit Anm. v. Deutsch

15 15 BGHZ 85, 327.

16 16 BGH NJW 1983, 328

17 17 BGH NJW 1985, 674

18 18 BGH NJW 1989, 764

19 19 BGH NJW 1959, 811

20 20 Baur und Engisch in Festschrift für Bockelmann 1978 S. 502 und S. 533; Resolution der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, veröffentlicht in FAZ v. 26. 4. 1979; Tempel NJW 1980, 609, 614.

21 21 BGH NJW 1959, 811

22 22 Nachweise bei Roßner aaO S. 312, 313

23 23 Deutsch, Das therapeutische Privileg des Arztes: Nichtaufklärung zugunsten des Patienten, NJW 1980, 1305 ff.

24 24 BVerfG aaO S. 1931, 1932

25 25 BGH NJW 1959, 814 ff. und NJW 1959, 811

26 26 BGH NJW 1956, 1106, 1107; NJW 1958, 267

27 27 Vgl. z. B. Knoche in NJW 1989, 757, 758

28 28 Roßner aaO

29 29 BGH NJW 1959, 814 ff.

30 30 BGH NJW 1984, 1397 ff.

31 31 BGH NJW 1989, 2318 ff.

32 32 Krankenhaus 1988, 3, 6

33 33 Nachweise bei Roßler aaO S. 143, 144

Dr. jur. H. D. Laum

Oberlandesgerichtspräsident a. D.

von Behring-Straße 4

D-45470 Mülheim/Ruhr

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