Erfahrungsheilkunde 2016; 65(04): 181
DOI: 10.1055/s-0042-113900
Editorial
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

„Die Heilkunst besteht im Hinzufügen und im Weglassen, in der Wegnahme des Überschüssigen und in der Hinzufügung des Fehlenden.“

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Publication Date:
30 August 2016 (online)

(Hippokrates von Kos, 460-370 v. Chr.)

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In diesem Hippokrates zugeschriebenem Zitat haben wir die gesamte Ernährungstherapie vom Fasten bis zur orthomolekularen Nahrungsergänzung enthalten. Doch brauchen wir überhaupt noch Nährstoffe zusätzlich zu unserer Nahrung? Während in den 1950er-Jahren durchschnittlich 50 kg Gemüse pro Kopf und Jahr verbraucht wurden, waren es 2010 schon doppelt so viel. Der Obstkonsum hat sich gar verdreifacht. Seit den 1980er-Jahren sinkt der immer noch übermäßige Fleischkonsum leicht ab. Und seit den 1970er-Jahren wird sogar mehr Fisch konsumiert. Die Ernährung entwickelt sich also unter ernährungsphysiologischen Aspekten durchaus in die richtige Richtung. Doch was für den Durchschnitt gilt, mag im Einzelfall ganz anders ausschauen. Je nach Ernährungsverhalten, Darmfunktion, Einnahme von nährstoffraubenden Medikamenten oder Vorliegen bestimmter Krankheiten mit erhöhtem Nährstoffbedarf, können manche Nährstoffe beim Einzelnen massiv defizitär sein.

In diesem Heft wenden wir uns nicht den in den letzten Jahren stark diskutierten Nährstoffen wie Selen, Vitamin D oder Omega-3-Fettsäuren zu. Vielmehr sollen „vergessene Nährstoffe“ thematisiert werden, die zwar alte Bekannte sind, aber nicht im therapeutischen Fokus stehen.

Natürlich beginnen wir beim Vitamin A, das angesichts der Beschäftigung mit Beta-Carotin bzw. den bekannten Carotinoiden nahezu völlig der Vergessenheit anheimgefallen ist. Dabei zeigen neuere Studien interessante Optionen auf.

Wofür war eigentlich noch einmal Vitamin B3 zuständig? Aus dem Physiologieunterricht in der Vorklinik kennen wir es zwar als essenziellen Nährstoff, in der Klinik haben wir dann gelernt, dass ein Mangel für Pellagra verantwortlich ist und konnten die entsprechende MC-Frage im Staatsexamen auch richtig beantworten. Doch wer hat schon einmal einen Pellagra-Fall gesehen? Die heutige Niacin-Therapie beschäftigt sich nicht mit der Mangelvermeidung, sondern mit pharmakologischen Effekten einer Hochdosis-Therapie, die einige neue Möglichkeiten bereithält.

Vitamin K ist als fettlösliches, lebensnotwendiges Vitamin eigentlich ein alter Hut, der sich neben der Beeinflussung der Blutgerinnung auch mit den Federn der Vermeidung von Arteriosklerose und Osteoporose schmückt. Dieses und ob die Feder „Vitamin D wirkt ohne Vitamin K gar nicht“ berechtigt ist, erfahren wir in diesem Heft evidenzbasiert.

Während Folsäure heute in aller Munde ist, redet kaum jemand über das unterschätzte Pyridoxin. Vitamin B6 ist aber nicht nur für viele Stoffwechselfunktionen unersetzlich, sondern kann bei zahlreichen Krankheiten wertvolle Dienste leisten.

Bis zu einem Promille des menschlichen Körpers besteht aus Taurin - und 4 Promille eines flügelverleihenden Energydrinks. Wie wir diese aminosäureähnliche, nicht-proteinogene organische Säure auch vernünftig therapeutisch einsetzen können, zeigt der vorliegende Beitrag.

Spätestens mit der Zunahme des Veganismus müssen wir uns auch wieder dem zunehmenden Vitamin-B12-Mangel zuwenden. Aber auch die atrophische Gastritis und Resorptionsstörungen im terminalen Ileum sind häufiger als vermutet. Es geht aber nicht nur um die Vermeidung eines Mangels, sondern auch um die faszinierenden Optionen von hohen Dosen Vitamin B12 bei neuralen Störungen.

Das Heft wird schließlich abgerundet von einem nicht-materiellen Beitrag über das Nocebo, den bösen Bruder des Placebos. Er macht uns klar, dass erst die Berücksichtigung von stofflichen und geistigen Einflüssen eine wirklich ganzheitliche Therapie ermöglicht.

Ich hoffe, wir haben mit diesen Ingredienzien ein nahrhaftes und bekömmliches Mahl für Sie zusammengestellt, und wünsche Ihnen einen guten Appetit auf dieses Heft.