Gesundheitswesen 2012; 74 - A125
DOI: 10.1055/s-0032-1322111

Lässt sich die Umsetzung ärztlicher Leitlinien anhand von GKV-Routinedaten überprüfen?

E Swart 1, C Willer 1
  • 1Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Hintergrund und Zielsetzung: Leitlinien wollen diagnostische und therapeutische Hilfestellung bei ärztlichen Entscheidungsprozessen geben. Sie zielen damit auf eine kontinuierliche Sicherung der Versorgungsqualität. Das Ausmaß der Integration der Leitlinien in den medizinischen Versorgungsalltag ist bislang weitgehend offen, besonders inwieweit einzelnen Elementen der Leitlinien gefolgt wird. Dieser Frage wird für das Beispiel der Arthrose nachgegangen. Es wird zusätzlich auf methodische Probleme bei der Evaluation der Umsetzung von Leitlinien anhand von GKV-Routinedaten eingegangen.

Methoden: Es existieren vier für die Arthrose maßgebliche Leitlinien verschiedener Fachgesellschaften: Koxarthrose, Endoprothese bei Koxarthrose, Endoprothese bei Gonarthrose und Schenkelhalsfraktur des Erwachsenen. Für die Evaluation der Umsetzung werden Routinedaten der AOK Baden-Württemberg für Versicherte mit Wohnort Kinzigtal im Alter von 60 Jahren und älter für den Zeitraum 2005 bis 2008 genutzt. Aus diesen Sekundärdaten wurden diagnosespezifische Indikatoren der Inanspruchnahme abgeleitet, anhand derer die Einhaltung der Leitlinien geprüft wird. Gegenstand der Untersuchung sind Versicherte mit einer gesicherten ambulanten Diagnose Gon- oder Koxarthrose (M16/M17) im Jahr 2005.

Ergebnisse: Insgesamt erfüllten 1.551 der insgesamt rund 10.000 Versicherten die Ein-schlusskriterien. Die Behandlungsprävalenz nimmt mit dem Alter zu sie liegt bei 14% bei den 60–69-jährigen Versicherten und steigt auf 25% bei den über 80-jährigen Versicherten. Die Leitlinien thematisieren Indikationen und Kontraindikationen für eine konservative bzw. operative Versorgung. Die dafür relevanten Komorbiditäten lassen sich gut in Routinedaten abbilden (z.B. Diabetes mellitus 25%, Herzinsuffizienz 14%, Schwindel/Sturzneigung 4%), ebenso die Medikation und Therapie. Hier überwiegt die konservative Behandlung, weniger als 10 Prozent der Patienten wurden im Berichtzeitraum endoprothetisch versorgt. Die Angemessenheit der Indikationsstellung lässt sich dagegen nur bedingt beurteilen, da wesentliche Elemente der Leitlinien wie individuelle Risikofaktoren oder Krankheitsschwere nicht in Routinedaten beschrieben sind. Über den QSR-Ansatz werden mittel- und langfristige Ergebnisse der Behandlung sichtbar, z.B. Wiederaufnahmen, Revisionseingriffe oder Pflegebedürftigkeit. In der Gruppe der operativ versorgten Patienten sind weniger Patienten pflegebedürftig als bei den konservativ versorgten: Das spricht (retrospektiv) für eine sorgfältige Indikationsstellung.

Diskussion und Schlussfolgerungen: Soweit die untersuchten Leitlinien sich anhand von Routinedaten operationalisieren ließen, scheint diesen weitgehend gefolgt zu werden, etwa im Primat der konservativen Versorgung der Arthrosepatienten. Die Nutzung von GKV-Routinedaten zur Evaluation der Umsetzung ärztlicher Leitlinien stellt sich jedoch als schwierig heraus, da wesentliche Elemente der Leitlinien nicht abgebildet werden können, Beobachtungszeiträume häufig kurz sind oder die Validität der Routinedaten partiell unklar ist (etwa bei der Differenzierung zwischen inzidenten und prävalenten Fällen oder zwischen Erst- und Revisionseingriffen). Alternativ oder ergänzend bieten sich direkte Befragungen der Ärzte oder der Einsatz von Fallvignetten an.

Literatur:

AOK-Bundesverband, Forschungs- und Entwicklungsinstitut für das Sozial- und Gesundheitswesen Sachsen-Anhalt (FEISA), HELIOS Kliniken et al. (Hrsg.) (2007) Qualitätssicherung der stationären Versorgung mit Routinedaten (QSR). Abschlussbericht. Wissenschaftliches Institut der AOK, Bonn, Leitlinien bzgl. Arthrose: über die Webseite der AWMFG (http://www.awmf.org/leitlinien.html)

Swart E, March S, Thomas D et al. Erfahrungen mit der Datenverknüpfung von Primär- und Sekundärdaten in einer Interventionsstudie. Das Gesundheitswesen 73 (2011): e126-e132

Swart E, March S, Thomas D et al. Die Eignung von Sekundärdaten zur Evaluation eines Interventionsprojekts – Erfahrungen aus der AGil-Studie. Präv. Gesundheitsf. 6 (2011): 305–311

Willer C, Swart E: Was uns Routinedaten über Versorgungsumfang und Versorgungsqualität sagen. Orthopädie und Unfallchirurgie, Heft 2/2012, 21–24