Psychiatr Prax 2011; 38(07): 361
DOI: 10.1055/s-0031-1291987
Szene
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Top 10-Prioritäten der Schizophrenieforschung

Further Information

Publication History

Publication Date:
04 October 2011 (online)

 

Top Ten-Listen festzulegen, ist zurzeit en vogue. Anfang des letzten Jahrhunderts bereits in der Mathematik, aktuell dieses Jahr in den Sozialwissenschaften [ 1 ], jetzt auch für die Schizophrenieforschung [ 2 ].

Üblicherweise wird die Agenda der Forschung durch einflussreiche Forscher an Universitäten, die Industrie und gelegentlich auch durch die Politik festgelegt. Bekanntlich sind die Prioritäten einer solchen Agenda häufig nicht deckungsgleich mit den Interessen von Patienten und auch Klinikern. Diese missliche Situation zu überwinden versucht die James Lind Alliance, 2004 gegründet und vom britischen Medical Research Council und dem National Institute for Health Research gefördert. Die Stiftung fördert einen Meinungsbildungsprozess zwischen Patienten, Versorgern und Klinikern, um wichtige Fragestellungen über Effekte von Behandlungen für eine bestimmte Krankheit zu identifizieren und einem Ranking zu unterziehen. Dieser Prozess wurde kürzlich auf das Krankheitsbild Schizophrenie angewendet, wobei zwischen 2007 und 2009 489 mögliche Fragestellungen (bzw. "Unsicherheiten") bezüglich der Behandlung gesammelt wurden, die bei Klinikern, Patienten und Versorgern mit webbasierten Fragebögen und Umfragen erhoben worden waren. Schließlich waren 11 "Partner" der Schizophrenieversorgung (Kliniker, Patienten, Versorgungseinrichtungen, Geldgeber, freiwillig tätige Organisationen) gehalten, ihre "Top 10-Ungewissheiten" zu priorisieren. Aus einer gepoolten Liste von 26 Unsicherheiten der Behandlung wurden schließlich in einem Konsensus-Workshop die Top 10 bestimmt. Noch 2011 soll als nächstes das Krankheitsbild Depression auf der Tagesordnung stehen. Die Top-10 "Treatment Uncertainties" für Schizophrenie waren die folgenden:

  1. Wie behandelt man am besten Menschen mit Schizophrenie, die auf die Behandlung nicht ansprechen?

  2. Welches Training ist erforderlich, um die frühen Zeichen eines Rückfalls zu erkennen?

  3. Sollte es ambulante Zwangsbehandlung für Menschen mit ernsten psychischen Störungen geben?

  4. Wie kann mit sexueller Dysfunktion aufgrund antipsychotischer Behandlung umgegangen werden?

  5. Was ist der Nutzen von unterstützter Beschäftigung (Supported Employment) für Menschen mit Schizophrenie im Hinblick auf Lebensqualität, Selbstwertgefühl, Langzeitaussichten für ein Beschäftigungsverhältnis und krankheitsbezogene Outcomes?

  6. Überwiegen die negative Effekte antipsychotischer Medikamente den Nutzen?

  7. Was sind die Vorteile von Krankenhausbehandlung verglichen mit einer Behandlung zu Hause bei psychotischen Episoden?

  8. Welchen klinischen Nutzen und welche Kosteneffektivität bringt die regelmäßige Überwachung der körperlichen Gesundheit bei Menschen mit Schizophrenie?

  9. Was sind die klinischen, sozialen und ökonomischen Ergebnisse von Behandlung in Akut-Tageskliniken, intensiver gemeindepsychiatrischer Behandlung (Assertive Outreach Teams), vollstationärer Behandlung, Kriseninterventions- und Home Treatment-Teams?

  10. Welche Interventionen können die Gewichtszunahme bei Schizophrenie reduzieren?

Die beteiligten akademischen Kollegen führten als wesentlichen Effekt an, dass sie eine Woche nach dem Workshop mit dem Wunsch eines Patienten, seine antipsychotische Medikation wegen sexueller Funktionsstörungen zu wechseln, anders umgegangen seien, als sie es bis dahin getan hätten.

Tilman Steinert, Weissenau

E-Mail: Tilman.steinert@zfp-zentrum.de