Psychiatr Prax 2011; 38(4): 207-208
DOI: 10.1055/s-0031-1278685
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Trauma und Trauer

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Publication Date:
06 May 2011 (online)

 

Da Trauma und Trauer bei genauerem Hinsehen erstaunlich nahe beinander liegen und somit Parallelen haben, erscheint es im Sinne der ganzheitlichen Wahrnehmung lohnenswert, diese Thematik aus interdisziplinärer Sicht zu behandeln. Durch die unterschiedlichen Sichtweisen sollen sich neue Anregungen sowohl für Betroffene als auch für Angehörige unterschiedlicher Fachdisziplinen, die sich mit der Begleitung trauernder und traumatisierter Menschen befassen, ergeben. Wie nahe Trauma und Trauer beinander liegen können, zeigt sich z.B. am Tod eines nahen Angehörigen, dessen Tod betrauert wird, aber sehr oft – gerade bei plötzlichen Todesfällen – auch als Trauma empfunden wird. Auf der anderen Seite schließt sich nach der erfolgreichen Integration eines Traumas in der psychotherapeutischen Arbeit häufig eine Phase der Trauer über die ungelebten Teile des Lebens an, bevor die Neuorientierung beginnen kann. In beiden Fällen ist für die Beteiligten die Welt in ihren Grundfesten erschüttert, sodass körpereigene Schutzmechanismen wichtig werden und es sinnvoll ist, in allen möglichen Bereichen nach Kraftquellen zu suchen, die dem Patienten dabei helfen, wieder "Boden unter den Füßen" zu erhalten.

Das Autorenteam des vorliegenden Buches stellt sich deshalb aus Medizinern, Psychotherapeuten und Theologen zusammen. So können die Erkenntnisse der neurobiologischen Forschung eng mit therapeutischen und spirituellen Aspekten verwoben werden.

Die ersten 3 Kapitel des Buches beginnen mit der Vermittlung neurobiologischer Grundlagen, die auch für Laien verständlich aufbereitet sind. Es kommt zum Ausdruck, dass gerade in der ersten Phase der Trauer die Psychoedukation über die oft als verwirrend erlebte Symptomatik, sehr entlastend wirkt. Am Ende des 3. Kapitels wird zusammenfassend dargestellt, welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten zwischen Trauer und Trauma bestehen.

Im folgenden Kapitel wird anhand der Passionsgeschichten eine spirituelle Art der Traumabearbeitung beschrieben. Zum Schluss erfolgt eine Darstellung der verschiedenen Formen von Trauerriten in anderen Religionen, was gerade für die Arbeit mit trauernden Patienten, die einen Migrationshintergrund haben, wichtig erscheint.

Das 5. Kapitel ist neurobiologischen und christlich traditionellen Impulsen für den Umgang mit Trauma und Trauer gewidmet. Dabei wird auch auf den bereits 1984 von J. Ashbrook geprägten Begriff der Neurotheologie Bezug genommen. Obwohl viele der diesbezüglichen Erkenntnisse sich nicht halten ließen und einige Theorien von den Urhebern selbst relativiert wurden, konnte gezeigt werden, dass es bei religiösen Erfahrungen zu veränderten Aktivierungen in bestimmten Arealen des Gehirns kommt, was für die Arbeit mit traumatisierten Patienten bedeutsam werden kann. Nach Darstellung einiger beispielhafter Bibelstellen, steht ein Exkurs über deutsche Traumata (Dreißigjähriger Krieg sowie erster und zweiter Weltkrieg) und ihre Folgen, wie mehrgenerationale Weitergabe von Traumata, am Ende dieses Abschnitts.

In den beiden letzten Kapiteln werden praktische Beispiele und Methoden sowohl der Trauerbegleitung als auch der Traumabearbeitung auf spiritueller Basis und in unterschiedlichem Setting (u.a. ambulant, stationär, in Gruppen) erläutert und durch Fallvignetten verdeutlicht. Das Buch schließt mit Anregungen für Trauernde, Trauerbegleiter und Therapeuten.

Dem Autorenteam ist es gelungen, eindrücklich heraus zu arbeiten und auch wissenschaftlich zu unterfüttern, dass für Menschen, die die Ressource der Spiritualität besitzen, die Arbeit mit Bibeltexten gerade in der Phase der Neuorientierung eine wertvolle Erfahrung werden kann. Da bei traumatischen Ereignissen und auch in der Trauer oft die Sinnhaftigkeit des ganzen Lebens in Frage gestellt wird, sind in dieser Situation christlich-spirituelle Ansätze geeignet, neue und tragfähige Sinnzusammenhänge herauszufinden. Außerdem werden Impulse gegeben, sich mit der eigenen Spiritualität zu befassen.

Das Hauptaugenmerk der Autoren ist auf die spirituelle Komponente der Arbeit mit traumatisierten und trauernden Menschen gelegt, sodass die Lektüre vor allem für Therapeuten mit spirituellem Hintergrund geeignet erscheint, die sicherlich sehr für ihre Arbeit profitieren können. Auch für Trauernde mit spirituellen Erfahrungen, können die Impulse neue Horizonte eröffnen. Wer sich bis dato wenig mit Spiritualität befasst hat, bekommt die Möglichkeit, durch die Mischung aus den vertrauten neurobiologischen Erkenntnissen, die den eher ungewohnten spirituellen gegenüber gesetzt werden, einen Zugang zu dieser Art der therapeutischen Arbeit zu finden.

Susanne Bachthaler, Ravensburg
Email: susanne.bachthaler@zfp-zentrum.de

Gast, Markert, Onnasch, Schollas. Trauma und Trauer. Serie Leben Lernen. Stuttgart: Klett-Cotta; 2009: 260 Seiten, 26,95 €. ISBN-10: 3608890858, ISBN-13: 978-3608890853

  • 1 Gast, Markert, Onnasch, Schollas. Trauma und Trauer. Serie Leben Lernen. Stuttgart: Klett-Cotta; 2009. 260 Seiten, 26,95 €. ISBN: 10: 3608890858, ISBN-13: 978-3608890853
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