Psychiatr Prax 2011; 38(4): 204-205
DOI: 10.1055/s-0031-1278682
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Die Ziele des Gesetzes ernst nehmen![1]

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Publication Date:
06 May 2011 (online)

 

Zum Stand der Entwicklung eines neuen Entgeltsystems für die Psychiatrie (§17d KHRG)

Mit dem KHRG hat der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das mehrere Ziele beinhaltet:

Die Verbesserung der Personalausstattung zum Ausgleich eingetretener Qualitätseinbußen und als Basis für die zukünftige Entwicklung, die Entwicklung eines neuen Entgeltsystems i.S. eines "lernenden Systems", das Anreize setzt zur flexibleren, sektorübergreifenden und dem individuellen Bedarf angepassten Organisation der Krankenhausbehandlung, die therapeutisch wirksamer und kostengünstiger ist.

Es ist beim Stand der derzeitigen Entwicklung aus unserer Sicht höchstwahrscheinlich, dass mit den bisherigen Aktivitäten der beauftragten Selbstverwaltungsorgane die Chancen des Gesetzes verspielt werden:

Ein nur mangelhafter Ausgleich der Unterfinanzierung der Personalstellen nach PsychPV droht die Unterfinanzierung durch die BPflV mit gravierenden Auswirkungen auf die Leistungsqualität auf Dauer zu zementieren. Die Vereinbarungspartner beschleunigen formalisierte Vorgaben, ohne dass die Richtung klar ist: Der derzeitige Ansatz, sog. PSY-OPS-Codes zu entwickeln, differenziert die Leistungszeiterfassung einseitig und zu weitgehend. Es wird bundesweit zulasten der Therapie ein riesiger Erfassungsaufwand betrieben, ohne vorher den Aufwand und den Wert der Daten als Kostentrenner ("praktikabel") im begrenzten Rahmen erprobt zu haben.

Ins Uferlose könnte der Kontrollaufwand steigen, wenn die OPS in einigen Jahren erlösrelevant werden. Dann wächst das Misstrauen der Kassen, die Kliniken würden jede Differenzierungslinie zum "upgraden" ausnutzen, und entsprechend wächst das Misstrauen der Kliniken, die Kassen würden jede Differenzierungslinie zum "downgraden" ausnutzen. Je stärker differenziert die Leistungsbeschreibung, umso weniger streitfreie Bereiche bleiben.

Im Effekt droht die ungerechtfertigte Ausweitung von Einzelleistungen zulasten komplexer Hilfen, wie insbesonders schwer psychisch Kranke sie benötigen. Gerade sie dürfen unter dem neuen System keine neue institutionelle Benachteiligung erfahren. Statt – wie es in einem "lernenden System" naheläge – auf der Basis valider Daten unkompliziert anzufangen und differenziert zu enden, startet man zu differenziert an einer Stelle ("25-Minuten-Einheiten", die ausschließlich für die psychosomatische Versorgung Relevanz haben) und endet, ohne klare Ziele zu erreichen, kompliziert und erzeugt einen erheblichen Korrekturaufwand. Entscheidende Aspekte werden nicht berücksichtigt: So z.B. die Absicherung der regionalen Versorgungsverpflichtung und der Krankenhausbehandlung im Lebensumfeld des Patienten. Die therapeutisch und wirtschaftlich fragwürdige vorrangige Bindung der psychiatrischen und psychotherapeutischen Krankenhausbehandlung an das Krankenhausbett wird so nicht überwunden. Es fehlt eine Klärung der langfristigen Perspektive, welche strukturellen Veränderungen in der Krankenbehandlung erreicht werden sollen, um damit die Relevanz der aktuellen Aktivitäten für eine Verbesserung der Behandlungsqualität gewichten zu können.

Was sollte geschehen?

Die Perspektiven und Zielsetzungen des KHRG müssen endlich auf die Tagesordnung: Das Entgeltsystem muss insbesondere problemlose Übergänge zwischen ambulanter, teilstationärer und stationärer Behandlung mit allen bedarfsgerechten Zwischenstufen ermöglichen. Die Anreize des Entgeltsystems sollten nicht in Richtung einer Erlösoptimierung (bevorzugte vollstationäre Behandlung), sondern der Qualitätsverbesserung wirken. Erst über eine Realisierung des Personenbezuges im Vergütungssystem (Betrachtung von Jahresleistungen) und durch eine über den (teil-)stationären Krankenhausaufenthalt hinausgehende Betrachtungsweise, die als nächsten Schritt die ambulante Krankenhausbehandlung einbezieht, ist eine wirkliche Innovation im Hinblick auf eine verbesserte Versorgung zu erwarten. Daher muss eine personenorientierte, sektorübergreifende Finanzierung und Abrechnung der Krankenhausbehandlung jetzt in die Entwicklung des neuen Entgeltsystems einbezogen werden (siehe auch Gesetzesaufträge zu Stufe 2: "andere Abrechnungseinheiten", Institutsambulanz, Modelle). Die relevante Zielgröße der Entwicklung sollte dabei die Höhe der Behandlungskosten für einen Patienten pro Jahr sein. Die Definition der Krankenhausbehandlung im SGB V ist an die besonderen Bedürfnisse psychisch Kranker anzupassen (s. §39 SGB V). Vor der Einführung von aufwendigen Dokumentationen sollten kurze Testphasen mit einer kleinen Anzahl von Kliniken vorgeschaltet werden. Eine "Entschleunigung" des Entgeltentwicklungsprozesses für die Gesamtheit der Kliniken ist unbedingt erforderlich. Die psychiatrischen Experten/Verbände und die Nutzer sollten in einem geregelten Verfahren ihre Qualitätsziele angemessen in den Entwicklungsprozess einbringen können. Die PSY-OPS müssen auf ihre Relevanz und Praktikabilität hin empirisch überprüft werden. Die erhobenen OPS- und Kalkulationsdaten dürfen nicht allein der GKV–Seite zur Verfügung stehen. Der Einführungsprozess sollte frühzeitig über die Begleitforschung evaluiert werden, um Korrekturen rechtzeitiger einbringen zu können. Die Personalausstattung in den Kliniken und der Erfüllungsgrad nach der PsychPV sollten erfasst und transparent gemacht werden. Im politischen Raum sind kurzfristig Initiativen erforderlich, um das Prinzip von integrierten Behandlungsprozessen im und vom Krankenhaus aus als Ziel der Entgeltentwicklung zu beschließen, damit die Chancen zur Verbesserung der Übergänge zum ambulanten Bereich und der Wirtschaftlichkeit nicht verspielt werden. Die derzeit offensichtliche Entwicklung: Alles bleibt beim Alten, nur mit dramatisch gestiegenem bürokratischem Aufwand.

Rainer Kukla, Mettmann; Jörg M. Fegert, Ulm; Andreas Heinz, Berlin; Heinrich Kunze, Kassel; Paul-Otto Schmidt-Michel, Ravensburg

Die Autoren arbeiten für die AKTION PSYCHISCH KRANKE an diesem Thema.
Email: kunze@apk-ev.de

1 Dieses zusammenfassende Positionspapier basiert auf mehreren APK-Papieren, die für verschiedene Anlässe verfasst wurden und die im Internet stehen:
http://www.apk-ev.de/public/themen-beitrag-liste.asp > Beiträge 142, 141, 140, 139, 136, 134, 130, 128, 126.

1 Dieses zusammenfassende Positionspapier basiert auf mehreren APK-Papieren, die für verschiedene Anlässe verfasst wurden und die im Internet stehen:
http://www.apk-ev.de/public/themen-beitrag-liste.asp > Beiträge 142, 141, 140, 139, 136, 134, 130, 128, 126.

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