Klin Monbl Augenheilkd 2011; 228(5): 411-412
DOI: 10.1055/s-0031-1273332
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schwerpunkthema „Augenentzündungen bei entzündlichen Systemerkrankungen”

Special Topic ”Inflammations of the Eye in Inflammatory Systemic Diseases”A. Heiligenhaus1 , C. Cursiefen1
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Publication Date:
29 April 2011 (online)

Bisweilen wird angenommen, dass sich die Augenärzteschaft hinter der Spaltlampe verschanzt und nur das „kleine” Organ Auge im Blick hat. Dass dieses Vorurteil unberechtigt ist und der Augenarzt eine zentrale und differenzierte Rolle in der interdisziplinären Betreuung von Patienten mit Systemerkrankungen einnimmt, hat die Herausgeber des Schwerpunktthemas „Entzündliche Erkrankungen” der Klinischen Monatsblätter für Augenheilkunde bewogen, die vorliegende Ausgabe der Monatsblätter diesem Thema zu widmen.

Sollten Augenentzündungen die erste Manifestation von entzündlichen Systemerkrankungen sein, muss der Augenarzt die richtige Diagnostik zum Ausschluss bzw. Nachweis der Grunderkrankung einleiten. Dabei kommt ihm – gerade bei systemischen Vaskulitiden und Kollagenosen – eine Schlüsselstellung in der Minimierung von assoziierter, aber vermeidbarer Morbidität auch über das Auge hinaus zu. Dazu sollte jeder Augenarzt über eine fundierte differenzialdiagnostische Kenntnis über das Spektrum entzündlicher Systemerkrankungen bei einer individuellen Augenentzündung verfügen, um eine gezielte Diagnostik einzuleiten.

In der Rolle des Konsiliarius muss der Augenarzt darüber befinden, ob eine Augenmitbeteiligung vorliegt, die für eine bestimmte entzündliche Systemerkrankung typisch ist. Das Wissen um koexistente entzündliche Augen- und Systemerkrankungen hat in der Regel einen maßgeblichen Einfluss auf das Behandlungsschema, kann die Mortalität senken sowie die Lebensqualität des Patienten entscheidend verbessern. Entsprechend der Art der Augenmanifestation muss der Augenarzt eventuell auf eine Immunsuppression drängen.

Entzündliche Systemerkrankungen sind häufig mit einer Beteiligung der Hornhaut und Sklera verknüpft. Differenzialdiagnostisch ist eine Vielzahl autoimmunologischer und infektiöser Erkrankungen zu berücksichtigen. Die peripheren und zentralen Hornhautulzerationen fordern die Kliniker oft besonders heraus. Mit den Möglichkeiten der modernen Medizin kann das betroffene Auge heutzutage oft erhalten werden. Dazu müssen rechtzeitig und stadiengerecht lokale oder systemische Immunsuppressiva verwendet oder operiert werden, z. B. mit Amnionmembran-Transplantation, lamellärer oder perforierender Keratoplastik.

Episkleritiden weisen fast ausnahmslos einen selbstlimitierenden Spontanverlauf auf und bereiten selten Probleme. Im Gegensatz dazu haben nekrotisierende Skleritiden eine schlechte Visusprognose und sind besonders häufig mit autoimmunen Systemerkrankungen mit hoher Letalität (z. B. Morbus Wegener) verbunden. Eine aktuelle Literaturübersicht zeigt, dass die Therapie auch heute noch eine große interdisziplinäre Herausforderung darstellt. Oftmals müssen systemische Immunsuppressiva verwendet werden, um Augenverlust und Mortalität abzuwenden. Nunmehr stehen uns für Patienten mit besonders schwerem, therapierefraktärem Verlauf mehrere Biologicals (TNF-α-Inhibitoren, Rituximab) als Rescue-Therapie zur Verfügung. Bei Skleritis und systemischen Entzündungserkrankungen besteht ohne adäquate perioperative Immunsuppression ein besonders hohes Risiko, mit einer Augenoperation eine Skleranekrose auszulösen.

Die Neuritis nervi optici (NNO) ist häufig Folge einer entzündlichen Systemerkrankung. Oft ist sie Erstmanifestation oder assoziiert mit einer Multiplen Sklerose (MS). Bei akuter NNO zählen zum diagnostischen Standard und insbesondere zur Risikoabschätzung einer MS neben der klinisch-neurologischen Untersuchung ein MRT und ggf. eine Lumbalpunktion. Entsprechend den ONTT-Studien sollte bei schlechtem Visus und MS-typischen Läsionen im MRT eine Kortikosteroid-Puls-Therapie erfolgen. Darüber hinaus und längerfristig für den Patienten von entscheidender Bedeutung ist nach aktueller Studienlage eine immunmodulatorische Frühtherapie nach isoliertem NNO sinnvoll, um das Risiko zu senken, eine klinisch signifikante MS und weitere MRT-Läsionen zu entwickeln.

Auch Patienten mit endokriner Orbitopathie (EO) müssen interdisziplinär betreut werden, um einen Visusverlust durch Optikuskompression oder Hornhautkomplikationen zu vermeiden. Die aktuellen Therapiestandards wurden von der European Group on Graves Ophthalmology vorgelegt. Bei schwerer EO muss neben der benetzenden und antientzündlichen Therapie oft eine Orbitaspitzenbestrahlung oder Orbitaoperation erfolgen. Zur antientzündlichen Therapie werden neben Kortikosteroiden (i. v. Puls- oder orale Hoch-Dosis-Therapie), Immunsuppressiva oder auch Biologicals (TNF-α-Inhibitoren, Rituximab) eingesetzt. Die gleichzeitig bestehende Hyperthyreose muss durch einen Schilddrüsenspezialisten behandelt werden.

Der erhöhte Augeninnendruck gilt als wichtigster Risikofaktor für das Glaukom. Nunmehr gibt es aber immer mehr Hinweise dafür, dass auch immunologische Reaktionen von pathogenetischer Relevanz beim Glaukom ähnlich den neurodegenerativen Erkrankungen (z. B. Morbus Alzheimer) sind. Bei den Betroffenen können im Kammerwasser und Serum gesteigerte Autoantikörperreaktionen gegen ubiquitäre und Netzhautstrukturproteine nachgewiesen werden. Experimentelle Beobachtungen in Zellkultur und Tiermodell lassen einen Zusammenhang mit der Neurodegeneration der retinalen Ganglienzellen vermuten. Die Konsequenzen dieser Beobachtungen für die Klinik sind noch unklar. Immunologische Tests könnten künftig in der Glaukomdiagnostik von Bedeutung sein.

Wir hoffen, Ihnen mit dem vorliegenden Themenheft eine praxisrelevante und aktuelle Übersicht über die Einbindung von Augenpathologie in systemische entzündliche Erkrankungen bieten zu können und wünschen Ihnen eine anregende Lektüre!

A. Heiligenhaus
C. Cursiefen

Cursiefen

Prof. Dr. Arnd Heiligenhaus

Augenabteilung, St. Franziskus Hospital

Hohenzollernring 74

48145 Münster

Phone: ++ 49/251/933080

Email: arnd.heiligenhaus@uveitis-zentrum.de

Prof. Dr. Claus Cursiefen

Augenklinik mit Poliklinik, Friedrich Alexander Universität

Schwabbachanlage

91054 Erlangen

Email: claus.cursiefen@uk-erlangen.de

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