Psychiatr Prax 2011; 38(3): 129-134
DOI: 10.1055/s-0030-1265933
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Psychiatrie in der Lokalzeitung

Psychiatry in Local NewspapersNicolas  Nowack1 , Bianka  Tonn2 , Unter Mitarbeit von Volker Thomas (Gemeinsam e. V.), Ralf Oberste-Ufer (Zentrum für Soziale Psychiatrie Salzwedel) und Christin Müller (Universität Hildesheim)
  • 1Zentrum für Soziale Psychiatrie Salzwedel
  • 2Universität Magdeburg, Fachbereich Psychologie
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Publication Date:
04 January 2011 (online)

Zusammenfassung

Anliegen Untersuchung zur Verwendung psychiatrischer Fachbegriffe in der Lokalpresse. Methode Alle Lokalzeitungen der Altmark eines Jahres wurden anhand vorgegebener psychiatrischer Fachbegriffe ausgewertet, angelehnt an den Aufbau einer früheren Studie zu überregionalen deutschen Zeitungen. Ergebnisse 14 % der Ausgaben enthielten Suchbegriffe. Der oft negative Kontext (45 %) fand sich vorwiegend in von Presseagenturen übernommenen Berichten, meist über Verbrechen. In – rein lokal redaktionellen – Artikeln standen psychiatrische Termini selten in negativem Kontext. Anders als in seriösen überregionalen Zeitungen, gab es bei den Suchbegriffen in Lokalzeitungen keine sinnentfremdete Verwendung. Schlussfolgerungen Die größere Nähe (von Lokalredakteuren zu lokalen psychiatrischen Einrichtungen) scheint bessere Chancen auf sachliche Berichterstattung zur Psychiatrie zu bieten. Anti-Stigma-Aktivitäten sollten sich weniger auf überregionale oder internationale, als vielmehr auf lokale Presse ausrichten.

Abstract

Objective The media influences public opinion. Although it can provide objective information, it can also create prejudices. For the first time German local newspapers were examined with respect to how and how often they use psychiatric terminology. Method All newspapers of the East German Altmark were analyzed with respect to their usage of selected psychiatric terms for a period of one year. None of these newspapers could be described as tabloids or as predominantly sensation-seeking. For comparative purposes, our chosen methodology was similar to that of an earlier study of respected, German, internationally-read print media. Results In 14 % of the newspapers studied, at least one term of the predefined psychiatric vocabulary appeared. A negative context was common (45 %), but for the most part this was in crime-related articles supplied by press agencies. In contrast with reputable, German language newspapers with a nationwide or international audience, in purely local reports, a negative context was rare, and no alienating usage of preselected psychiatric terms was found. Conclusions Local editorial teams seem to be closer to – and perhaps better informed about – regional psychiatric institutions. Hence, they can provide the public with more factual information. For this reason, anti-stigma mental health campaigns will likely be more effective when carried out using local media, as opposed to nationwide or even international media.

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1 bzw. im gesamten deutschsprachigen Raum erhältlichen und gelesenen Printmedien.

2 Der Begriff „Demenz” – untersucht anhand der Leipziger Volkszeitung 1997–2000 [15] – gehörte nicht dazu.

3 Dabei wurde von uns nicht beurteilt, ob z. B. ein negativer Kontext berechtigt sein könnte (etwa wegen eines Psychiatrieskandals – mit entsprechendem Medienecho). Allerdings gab es im Untersuchungszeitraum in der Altmark keinen Psychiatrieskandal. Es wurde nur vereinzelt über Probleme des Maßregelvollzugs der Salus gGmbH in Uchtspringe berichtet, etwa über 28 Fluchten seit Jahresanfang aus dem Maßregelvollzug Uchtspringe.

4 Die „vermischte” Rubrik „Aus aller Welt” fiel mit ihren Artikeln – mit dem Suchbegriff „psychiat” – dabei thematisch v. a. unter Justiz.

5 Wie oft (in %) insgesamt Artikel zu den Suchbegriffen (mit mindestens einem der Suchbegriffe) erschienen, kann zwischen „lokal” und „überregional” nicht zusammengefasst in % verglichen werden. Denn dies ist bei [7] nicht enthalten und könnte aufgrund der unterschiedlichen Umfänge der vielen Printmedien kaum noch geschätzt werden. Aber alle einzelnen Suchbegriffe waren im direkten Vergleich überregional häufiger.

6 Zu berücksichtigen ist, dass die „NZZ” aus der Schweiz stammt, und die Schweiz eine von Deutschland sehr verschiedene Sozialgeschichte etc. hat, was sich auch auf die Art der Berichterstattung in der „NZZ” (hinsichtlich psychiatrischer Themen oder Termini) auswirken könnte.

7 Bei „sinnentfremdet” wurden von uns die Unterscheidung (von [7], S. 78–79, 92–93) zwischen Metapher(n) und Modulation zusammengenommen.

8 Generell stellt sich bei der offenen Beurteilung einer etwaig sinnentfremdeten Verwendung, aber auch des positiven, negativen oder neutralen Kontextes, das Problem, dass subjektive Unterschiede nicht ausgeschlossen werden können.

9 Andererseits können wir bez. der von uns ausschließlich untersuchten ostdeutschen Zeitungen (und nur einer und damit noch nicht generalisierbaren Region) hier auch nicht auf die unterschiedliche Geschichte von Ost- und Westdeutschland eingehen.

10 Errechnet überschlägig in % anhand der Angaben von [7], auch im Folgenden – falls nicht anders vermerkt: Unter der vereinfachenden Annahme von nur einem Artikel mit einem Suchbegriff pro Ausgabe, da dies in [7] nicht eindeutig anders benannt wird.

11 Unter der vereinfachenden Annahme von nur einem Artikel mit Suchbegriff pro Ausgabe, da dies in [7] nicht eindeutig anders benannt wird.

12 Da wir eine 3-fach abgestufte Skala verwenden, Hoffmann-Richter aber eine 5-fach abgestufte, die zwischen „negativ” und negativ im Kontext” unterscheidet ([7], S. 146), haben wir ihre beiden Prozentangaben hier addiert.

Dr. med. Nicolas Nowack

Zentrum für Soziale Psychiatrie Salzwedel

Hoyersburger Straße 60

29410 Salzwedel

Email: studien@dr-nowack-kliniken.de

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