Psychiatr Prax 2010; 37(2): 100
DOI: 10.1055/s-0030-1249750
Mitteilungen der BDK

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Zur aktuellen Situation der Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIAs)

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Publication Date:
01 March 2010 (online)

 

Seit der Arbeit der Psychiatrieenquete in den 70er-Jahren sind psychiatrische Fachkrankenhäuser sozialgesetzlich (SGBV §118,1) legitimiert, die Gruppe der psychisch kranken Menschen zu behandeln, die wegen Art, Schwere oder Dauer ihrer Erkrankung oder wegen zu großer Entfernung zu geeigneten Ärzten auf die Behandlung durch die Krankenhäuser angewiesen sind. Seit 2000 sind auch Allgemeinkrankenhäuser mit selbstständigen, fachärztlich geleiteten psychiatrischen Abteilungen mit regionaler Versorgungsverpflichtung zur psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung einer vertraglich vereinbarten Gruppe von psychisch Kranken gesetzlich ermächtigt (SGB V, §118,2). Analoge Regelungen gelten auch für die Kliniken und Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie.

Ende 2005 gab es laut Psychiatriebericht der AG-Psychiatrie der Obersten Landesgesundheitsbehörden an die Gesundheitsministerkonferenz (AOLG 2007) 418 PIAs mit im Schnitt ca. 1500 Behandlungsfällen ("Scheinen") im Jahr. Der vom Gesetzgeber gewünschte Ausbau der PIAs an psychiatrischen Abteilungen ist inzwischen weitgehend abgeschlossen. Die Institutsambulanzen sind aus der Versorgungslandschaft nicht mehr wegzudenken.

Gleichzeitig bestehen Strukturprobleme in der nervenärztlichen Versorgungslandschaft (Überalterung, Schließung, Übergang zu Psychotherapiepraxen, Unterfinanzierung im Rahmen der KBV internen Honorarverteilung etc.), die vonseiten der KBV - trotz umfangreicher kooperativer Bemühungen der BDK, ACKPA, DKG, DGPPN und BAG der Träger psychiatrischer Krankenhäuser - zu einer kaum nachvollziehbaren konfrontativen Politik gegen die PIAs geführt hat. Sie mündete schließlich im Sommer 2008 in der einseitigen Kündigung der Spitzenvereinbarung nach §118,2.

Die Kündigung durch die KBV erfolgte auf Druck der Berufsverbände BVDN und BVDP und wurde formal mit der Forderung begründet, die Gruppe der Patienten nach Art, Schwere oder Dauer (§3 der bestehenden Spitzenvereinbarung) näher zu beschreiben. Von daher überraschte in den Neuverhandlungen, dass Entwürfe vorgelegt wurden, die sehr viel weiter gehende einseitige Einschränkungen des Zugangs zu PIAs beinhalteten.

In den ersten beiden Verhandlungsrunden wurden Forderungen vorgelegt, die in dieser Form vonseiten der DKG nicht mitgetragen werden konnten.

Dazu gehörten:

Der Ausschluss des direkten Zugangs zu den Institutsambulanzen, der nur mit fachärztlicher Überweisung erfolgen soll, die fehlende Berechtigung, weiterhin in den PIAs Akut- und Erstbehandlungen durchzuführen, die generelle Einführung von zahlreichen Ausschlussdiagnosen, die zeitliche Begrenzung von Langzeitbehandlungen bei schwer und chronisch Kranken, der Ausschluss komplexer Differen zialdiagnostik, Behandlungsausschluss von psychiatrischen und geriatrischen Heimbewohnern.

Die DKG hat konkrete Vorschläge gemacht, wie eine größere Transparenz und Zielgenauigkeit erreicht werden kann. Es wurde ein Katalog von Einschlusskriterien zu Diagnose, Schwere der Erkrankung und deren Dauer entwickelt, der den Kostenträgern exakte Auskunft über die Hintergründe der PIA-Behandlungsnotwenigkeit geben kann.

Am 22.1.2010 trafen sich knapp 250 Leiterinnen und Leiter der Psychiatrischen Institutsambulanzen aus Fachkrankenhäusern, Psychiatrischen Abteilungen und Universitätskliniken zu ihrer bundesweiten Jahrestagung in Bielefeld. Die Tagungsteilnehmer forderten einheitlich, dass der Zugang zu Psychiatrischen Institutsambulanzen in der bisherigen Form erhalten bleibt, da Einschränkungen zwangsläufig zu einer Zunahme stationärer Einweisungen führen würden. Auch Regressdrohungen, Verordnungseinschränkungen und Kontrollzunahmen durch die Krankenkassen wurden als zusätzliche Verunsicherung gewertet, die die Behandlungsqualität gefährdet.

Aus zahlreichen Behörden, Gremien und Verbänden (u.a. der AOLG, der BAG, der APK und der DGPPN) sind mittlerweile schriftliche Eingaben an das Bundesgesundheitsministerium und die Spitzenverbände erfolgt, in denen der Sorge um die künftige Versorgung schwer und chronisch psychisch Kranker Ausdruck verliehen wurde. Auch Kommunal- und Landespolitiker insbesondere aus den ostdeutschen Ländern haben öffentlich darauf aufmerksam gemacht, dass eine Einengung des Zugangs zu den PIAs zu einer dramatischen Unter- bzw. Nichtversorgung führen würde. Die Verhandlungsgruppe der DKG schätzt die Zahl der Betroffenen auf bundesweit mindestens 40000 ein.

Für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen müsste das Bundesschiedsamt angerufen werden. Es wäre allerdings höchst bedenklich, wenn die für die Versorgung schwer und chronisch psychisch kranker Menschen Verantwortlichen keine Einigung auf dem Verhandlungsweg erreichen könnten und damit Fragen aus primär ärztlicher Verantwortung durch ein fachfremdes Gremium entschieden würden.

Die vorerst letzte Verhandlungsrunde am 17.2.2010 in Berlin zeigte nun erstmals, dass eine Kompromisslösung nicht ausgeschlossen scheint. Eine Prognose zum Ausgang der Verhandlungen lässt sich aber derzeit noch nicht stellen.

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