Nuklearmedizin 2022; 61(02): 79-82
DOI: 10.1055/a-1780-1555
Liebe Leser

Von der Forschung zur klinischen Nuklearmedizin

Der Weg einer Methode bis zur klinischen Routine ist lang. Er beginnt in der Regel mit einer klinisch relevanten Fragestellung und vorklinischen Entwicklungen und Studien, gefolgt von entsprechenden klinischen Studien. Dabei dürfen die Instrumentierung und Entwicklung geeigneter Datenanalyseprogramme nicht außer Acht gelassen werden. Letztlich kann sich eine Methode aber nur in der klinischen Routine behaupten, wenn sie validierte standardisierte Ergebnisse liefert. Der Erfolg fordert somit eine Vielzahl ineinandergreifender Entwicklungsschritte.

Am Beispiel der kardiovaskulären Nuklearmedizin soll dargestellt werden, dass über die wissenschaftliche und klinische Bedeutung hinaus die Eröffnung eines neuen Feldes für die Nuklearmedizin auch weitergehende positive Konsequenzen hat.

In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts hat die klinische Anwendung der Myokardszintigrafie zu der wachsenden Bedeutung des Faches Nuklearmedizin beigetragen. Durch den Erfolg und die Weiterentwicklung der interventionellen Kardiologie wurde die Ischämiediagnostik ein wichtiger Bestandteil der klinischen Entscheidungsprozesse. SPECT in Kombination mit Tc-99m-markierten Flussmarkern brachte den szintigrafischen Verfahren deutliche Vorteile in Bezug auf die klinische Anwendung. Die Validierung und Standardisierung der Myokardszintigrafie erfolgte in internationaler Zusammenarbeit zwischen Kardiologen und Nuklearmedizinern, was zur engen Kooperation der Fächer führte. In der Konsequenz wurde die Myokardszintigrafie in entsprechenden Leitlinien als Standardmethode verankert. Durch die weitere Entwicklung, die EKG-getriggerte Datenakquisition, konnte die simultane Beurteilung der myokardialen Perfusion und linksventrikulären Funktion realisiert und die Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Echokardiografie und der MRT gesichert werden. Eine pharmakologische Belastung mit Dipyridamol und Adenosin erweitert die Anwendung auf Patienten mit eingeschränkter Mobilität. Die objektive Beurteilung der Szintigrafie mit semiquantitativen Auswerteroutinen und standardisierter Polar-Map-Darstellung erlaubte vergleichbare Aussagen zu Lokalisation, Schweregrad und Ausdehnung der Perfusionsdefekte unter Ruhe und Belastungsbedingungen und damit auch zur Prognose für Patienten mit KHK. Das hat den klinischen Stellenwert der Myokardszintigrafie erheblich gestärkt und zu einer weltweiten klinischen Akzeptanz geführt.

Beigetragen hat dazu die nicht zuletzt durch die DGN organisierte strukturierte Weiterbildung von Ärzten und MTRAs. In der Folge gewann die Quantifizierung der Myokardperfusion mittels PET (regionale Bestimmung der „Koronarreserve“ unter Belastung) eine wissenschaftliche Bedeutung. Die Genauigkeit der Methode und ihre prognostische Bedeutung mit verschiedenen PET-Tracern wurden in zahlreichen Studien bewiesen. So ist die Messung der Koronarreserve als Maß der Myokardischämie klinisch akzeptiert. In Deutschland gelang die Überführung in die klinische Routine allerdings aus strukturellen Gründen nicht.

Neben der Perfusionsszintigrafie haben sich PET-Untersuchungen des Herzens in akademischen Zentren für die Diagnostik der Gewebevitalität bewährt und zu der erfolgreichen Revaskularisierung von Patienten mit fortgeschrittener ischämischer Herzinsuffizienz beigetragen.

Wissenschaftlich hat die Möglichkeit, die Stoffwechselaktivität im Herzen regional zu messen, wesentlich zur Charakterisierung der inflammatorischen Reaktion nach einem Herzinfarkt beigetragen. Da der Einsatz der [18F]Fluordesoxyglukose (FDG) nicht spezifisch für die Charakterisierung der myokardialen Entzündung ist, wurden molekulare PET-Tracer entwickelt, um die myokardiale Heilung der ischämischen Schädigung zu visualisieren. Vielversprechend sind neueste Studien mit FAPI, die die aktive Narbenbildung des Myokards aufzeigen und als mögliche Biomarker für Medikamentenstudien dienen können.

Die Anwendung von PET in der klinischen Forschung hat die kardiovaskuläre Nuklearmedizin in Deutschland in den letzten 20 Jahren geprägt und international Beachtung gefunden. Damit ist die Nuklearmedizin zu einem wichtigen Partner in kardiologischen Wissenschaftsprojekten geworden, insbesondere in der Translation von Tracer-Methoden zur Erkennung entzündlicher Prozesse im Myokardium und in Gefäßen.

Die Anwendung der PET/CT-Untersuchungen hat die hohe diagnostische Wertigkeit der multimodalen Bildgebung von Perfusion und Koronaranatomie aufgezeigt. Die vergleichsweise hohen Kosten und Logistikanforderungen haben jedoch in Deutschland die PET-Perfusionsuntersuchungen nur auf wissenschaftliche Fragestellungen beschränkt.

Entsprechende Ausführungen ließen sich für die nuklearmedizinische Hirndiagnostik machen. Als Stichworte seien die Amyloid-Diagnostik und die Hirnrezeptordiagnostik genannt. Hier hat die Nuklearmedizin ihre Aufgaben gemacht. Dem allgemeinen Einsatz steht bei der Amyloid-Diagnostik derzeit die nicht breite Verfügbarkeit entgegen. In der Rezeptordiagnostik ist die Zahl der Patienten mit klinischer Fragestellung limitiert. Dafür leistet diese Diagnostik in der klinischen Forschung wesentliche Beiträge. Auf Entwicklungen im Bereich der Onkologie und Neuromedizin wird andernorts eingegangen.



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Article published online:
06 April 2022

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