Z Gastroenterol 2018; 56(08): 973-976
DOI: 10.1055/a-0652-6990
Mitteilungen der DGVS
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wir wünschen allen eine sichere Landung: Critical Incident Reporting System (CIRS) Endoskopie der DGVS

We wish you a safe landing: Critical Incident Reporting System (CIRS) Endoskopie der DGVS
Further Information

Publication History

Publication Date:
13 August 2018 (online)

Ulrich Rosien1, Hans Allescher2, Ulrike Beilenhoff3, Ulrike Denzer4, Andrea Riphaus5, Andrea Sanguino Heinrich6, Julian Siegel1, Christian Thomeczek6, Till Wehrmann7

1 Medizinische Klinik, Israelitisches Krankenhaus, Hamburg

2 Zentrum Innere Medizin, Klinikum Garmisch-Partenkirchen, Garmisch-Partenkirchen

3 Ulm

4 Klinische Sektion Endoskopie, Gastroenterologie, Endokrinologie, Stoffwechsel und klinische Infektiologie, Universitätsklinikum Marburg, Marburg

5 Innere Medizin II, St. Elisabethen-Krankenhaus, Frankfurt

6 Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ), Berlin

7 Gastroenterologie DKD Helios Klinik, Wiesbaden

Korrespondenzadresse:
Dr. Ulrich Rosien
Medizinische Klinik
Israelitisches Krankenhaus
Orchideenstieg 14
22 297 Hamburg
Tel.: ++ 49/40/5 11 25 – 50 01
Fax: ++ 49/40/5 11 25 – 50 11

Abstract

Best possible patientʼs safety is essential in todayʼs health services. Beside guidelines and structured education critical incident reporting systems (CIRS) are essential for this matter. The CIRS Endoskopie der DGVS is the first model project of a national CIRS in gastrointestinal endoscopy. Starting on September 2018 every person involved in gastrointestinal endoscopy can report cases on an internet platform and derive conclusions from reported and analysed cases for prevention in their own day work.

Zusammenfassung

Bestmögliche Patientensicherheit ist eine wesentliche Forderung an das heutige Gesundheitswesen. Neben Leitlinien und strukturierter Ausbildung sind dabei Fehlermeldesysteme von Bedeutung. CIRS Endoskopie der DGVS ist das erste Modellprojekt eines Berichtssystems für kritische Ereignisse in der gastrointestinalen Endoskopie. In einem eigens eingerichteten Internetportal können ab September 2018 alle Interessierten Fälle berichten und aus den berichteten und analysierten Fällen eigene Maßnahmen zur präventiven Steigerung der Patientensicherheit in ihrem Handlungsalltag ableiten.

Key words

Critical incident reporting system, CIRS, patient safety incident, adverse event, gastrointestinal endoscopy

Schlüsselwörter

Critical incident reporting system, CIRS, Berichtssystem, kritische Ereignisse, Patientensicherheit, gastrointestinale Endoskopie

„Sehr geehrte Damen und Herren, willkommen an Bord des Euro-Airlines-Flugs EA 0815 nach München. Es spricht ihr Kapitän. Unsere Flugzeit wird ca. 90 Minuten betragen, und es freut mich, ihnen mitteilen zu können, dass wir mit einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit unser Ziel erreichen werden. 85 % von ihnen werden am Zielort ohne körperliche Beeinträchtigungen ankommen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“

Würden Sie dieser Fluggesellschaft vertrauen? Das kann bezweifelt werden. DM Berwick und LL Leape leiteten mit diesem an die Luftfahrt angelehnten Beispiel ihren Appell an die medizinische Fachwelt für eine bessere Fehlerkultur ein [1]. Die hier in Abweichung zu deren Text benutzten Wahrscheinlichkeiten entsprechen der Erfolgsaussicht einer Gallengangsteinextraktion mit komplikationsfreiem Verlauf [2]. Wir sind daran gewöhnt, mit unseren Prozeduren unseren Patienten Risiken mit relevanter Häufigkeit zuzumuten, die in der Luftfahrt als inakzeptabel gälten. Daraus leitet sich der Anspruch der Patienten, der Kostenträger und der Politik ab, dass die beteiligten Ärzte und das Assistenzpersonal alles unternehmen, um diese Risiken auf das Unvermeidbare zu reduzieren.

Standards und qualifizierte Ausbildung sind dabei wichtig und werden von der DGVS wie von kaum einer anderen medizinischen Fachgesellschaft aktiv gefördert. An 27 AWMF-Leitlinien ist die DGVS federführend und/oder in Kooperation mit anderen Fachgesellschaften beteiligt. Die Leitlinien zur Sedierung und zu Qualitätsanforderungen in der gastrointestinalen Endoskopie geben umfassende evidenzbasierte Handlungsempfehlungen zu Strukturen und Prozessen in der Endoskopie [2, 3]. Durch Zertifizierung von Kursen unterstützt die DGVS strukturierte und inhaltlich standardisierte Fort- und Weiterbildung [4].

Ein wesentlicher Faktor zur Steigerung der Patientensicherheit ist der Umgang mit Fehlern. Fehler sind im Gesundheitssystem keine seltenen Ereignisse. In einer retrospektiven Analyse von 1000 Fällen im britischen Gesundheitssystem fanden sich bei mehr als 10 % der stationären Behandlungen unerwünschte Ereignisse, von denen die Hälfte vermeidbar erschien [5]. Eine ebenfalls retrospektive Analyse an randomisiert ausgewählten Fallberichten von Akutkrankenhäusern des US-amerikanischen Gesundheitssystems zeigte eine Quote von 4 % unerwünschter Ereignisse, von denen mehr als jedes vierte auf Nachlässigkeiten zurückgeführt wurde [6]. Cullinane et al. untersuchten retrospektiv verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit Todesfällen bei therapeutischen Endoskopien im britischen Gesundheitssystem [7]. In 14 % wurde die Intervention als unpassend, in 9 % als nicht indiziert klassifiziert. Aufgrund der retrospektiven Natur können diese Daten nur als Mindestschätzung angesehen werden. Aus dem Bereich der Endoskopie gibt es nur eine prospektive Studie [8]. 140 endoskopische Prozeduren wurden prospektiv vom Eintreffen des Patienten in der Endoskopieeinheit bis zur Verlegung auf die Station dokumentiert und analysiert. Dabei fanden sich 140 sicherheitsrelevante Ereignisse (0 – 7 pro Endoskopie). 25 % der Ereignisse wurden als mindestens schwerwiegend klassifiziert.

Den meisten sicherheitsrelevanten Ereignissen ist durch Beachtung von Leitlinien und Empfehlung gut vorzubeugen. Abweichungen davon, aber auch strukturelle Probleme infolge unzureichender apparativer oder personeller Ausstattung müssen in den Endoskopieabteilungen vor Ort erkannt, analysiert und behoben werden. Für Ereignisse ohne solche unmittelbar evidenten Zusammenhänge kann ein nationales Berichtssystem durch die Aufarbeitung durch Experten und die Bereitstellung der Informationen im Internet die Sicherheit der Patienten nicht nur in der Ereignisabteilung, sondern präventiv landesweit erhöhen. Howell et al. haben 2017 in einem Delphi-Prozess Empfehlungen zur Etablierung nationaler Ereignisberichtssysteme gegeben [9]. Berichtssysteme für kritische Ereignisse (Critical Incident Reporting System – CIRS), die diesen Empfehlungen entsprechen, gibt es in Deutschland bereits seit einigen Jahren. Seit 2016 besteht eine gesetzliche Verpflichtung für Krankenhäuser zur Etablierung/Teilnahme an einrichtungsübergreifenden CIRS [10].

CIRS Endoskopie der DGVS ist ein bundesweites Erfassungssystem zur anonymen Eingabe und Auswertung kritischer Ereignisse in der ambulanten und stationären Endoskopie. Es startet als Modellprojekt der DGVS im September 2018. Nach unserer Kenntnis ist es weltweit das erste nationale CIRS auf dem Gebiet der gastrointestinalen Endoskopie. CIRS Endoskopie wird von der DGVS in Zusammenarbeit mit dem ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) betrieben, das mit CIRSmedical.de-Plus über eine langjährige und breite Erfahrung mit diesen Berichtssystemen verfügt [11]. Nachfolgend werden Struktur und Abläufe vorgestellt:

In einem eigenen Internetportal DGVS CIRS Endoskopie (www.dgvs-cirs; [Abb. 1]) ist eine standardisierte Eingabemaske hinterlegt ([Abb. 2]). Dort können Ereignisse mit ihren zugehörigen Informationen und Freitextbeschreibungen eingegeben und versendet werden. Alle am Arbeitsprozess einer Endoskopieabteilung beteiligten Berufsgruppen in Praxis und Klinik können berichten ([Tab. 1]). Unter dem Gedanken der Ereignisprävention sind nicht nur Berichte von Ereignissen mit und ohne Patientenschaden, sondern auch Berichte über Beinaheereignisse erwünscht. Auch Fälle aus einem krankenhausinternen CIRS können berichtet werden.

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Abb. 1 Template Internetportal CIRS Endoskopie der DGVS.
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Abb. 2 Eingabemaske für Berichte.
Tab. 1

Kurzübersicht CIRS Endoskopie der DGVS.

Wo melden: www.dgvs-cirs.de

Wie melden: Internetformular, online ausfüllbar; Freitextbeschreibungen sind willkommen; jede Meldung erfolgt anonym, der Inhalt wird durch die ÄZQ anonymisiert.

Wer kann melden: Ärzte, Angehörige der Pflege- und Assistenzberufe, Transportdienste etc.; ambulante und stationäre Endoskopie

Was kann gemeldet werden:

  • Tatsächliche oder Beinaheereignisse mit und ohne Patientenschaden

  • Kategorien sicherheitsrelevanter Ereignisse (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

    • Einverständnis

    • Patientenmonitoring vor/während/nach Endoskopie

    • Medikation

    • Ablenkung und Störungen (Stress/Umgebung)

    • Zeitmanagement

    • Equipment

    • Technische Fähigkeiten/Training

    • Nichttechnische Fähigkeiten (Kommunikation etc.)

    • Dokumentation

    • Meldesysteme (post-)endoskopischer Ereignisse

    • Histologiegewinnung, Transport und Dokumentation

    • Patiententransporte

  • auch dokumentierte krankenhaus-/praxisinterne CIRS-Fälle

  • aus allen Sektoren des Gesundheitswesens

Wie werden die Fälle bearbeitet: Analyse durch ein Expertengremium mit Bewertung und möglichst Empfehlungen zur Vorbeugung

Wo findet man bearbeitete Fälle: auf der Internetplattform (www.dgvs-cirs.de)

Alle Berichte werden von dem ÄZQ vollständig anonymisiert, sodass berichtende Person und Einrichtung nicht mehr erkennbar sind. Erst danach werden sie dem Lenkungsgremium CIRS Endoskopie zur Verfügung gestellt. Die eingegebenen Daten verbleiben auf einer geschützten Datenbank in der Schweiz. Zusammen mit den Mitgliedern eines Expertengremiums werden die Berichte analysiert und es wird möglichst eine Empfehlung ausgesprochen. [Tab. 2] listet die aktuellen Mitglieder des Modellprojekts (Stand: Juli 2018).

Tab. 2

Mitglieder des Modelprojekts (Stand Juli 2018).

Projektbeauftragter

Dr. med. Ulrich Rosien

Lenkungsgruppe

Dr. med. Ulrich Rosien

Prof. Dr. med. Hans-Dieter Allescher

PD Dr. med. Ulrike Denzer

PD Dr. med. Andrea Riphaus

Dr. med. Julian Siegel

Prof. Dr. med. Till Wehrmann

Expertengruppe

Ulrike Beilenhoff

Silke Bichel

Sabine Blümel

Prof. Dr. med. Siegbert Faiss

Prof. Dr. med. Jürgen Hochberger

Prof. Dr. med. Stephan Hollerbach

Petra Holzky-Haselbach

Prof. Dr. med. Ralf Jakobs

Heiko Kranz

Dr. med. Albin Lütke FRCP

Prof. Dr. med. Helmut Messmann

Dr. med. Gero Moog

Prof. Dr. med. Oliver Pech

Dr. med. Martin Schmidt-Lauber

Prof. Dr. med. Hans Seifert

PD Dr. med. Niels Teich

Fallberichte und Analysen sind im Internetportal allen Lesern zugänglich, die daraus vorbeugende Maßnahmen für den eigenen klinischen Alltag ableiten können, um ähnlichen Ereignissen vorzubeugen ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Ablauf eine Fallberichtsbearbeitung.

Vorstand und Mitgliedern der DGVS soll regelmäßig über die Entwicklung und die Inhalte dieses in der gastrointestinalen Endoskopie neuen Modellprojekts berichtet werden. Wir appellieren an alle Mitglieder der DGVS und an alle am Endoskopieprozess beteiligten Berufsgruppen, sich aktiv durch Nutzung des Portals am Projekt zu beteiligen. Wir sind überzeugt, dass unser Fach mit diesem Modellprojekt einen weiteren wichtigen Beitrag für die Sicherheit unserer Patienten leisten wird.

Danksagung

Bedanken möchten wir uns bei Vorstand und Beirat der DGVS und der Sektion Endoskopie und insbesondere bei Frau PD Dr. Petra Lynen Jansen und Frau Professor Britta Siegmund, die die Entwicklung dieses Modellprojekts von Beginn an unterstützt haben.

Literatur

[1] Berwick DM, Leape LL. Reducing errors in medicine. It’s time to take this more seriously. BMJ 1999; 319: 136 – 137

[2] Denzer U, Beilenhoff U, Eickhoff A et al. S2k-Leitlinie Qualitätsanforderungen in der gastrointestinalen Endoskopie. Z Gastroenterol 2015; 53: E1–E227

[3] Riphaus A, Wehrmann T, Hausmann J et al. Update S3-Leitlinie „Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie“ 2014. Z Gastroenterol 2015; 53: 802 – 842

[4] https://www.dgvs.de/fortbildung-aktuell/zertifitierung-endoskopischer-trainingskurse/

[5] Vincent C, Neale G, Woloshynowych M. Adverse events in British hospitals: preliminary retrospective record review. BMJ 2001; 322: 517 – 519

[6] Brennan TA, Leape LL, Laird NM et al. Incidence of adverse events and negligence in hospitalized patients: results of the Harvard Medical Practice Study. Qual Saf Health Care 2004; 13: 145 – 152

[7] Cullinane M, Gray A, Hargraves C et al. National Confidential Enquiry into Patient Outcome and Death: Scoping our practice. 2004 http://www.ncepod.org.uk/2004report/04sum.pdf

[8] Matharoo M, Haycock A, Sevdalis N, Thomas-Gibson S. A prospective study of patient safety incidents in gastrointestinal endoscopy. Endoscopy International Open 2016; 4: E83–E89

[9] Howell AM, Burns EM, Hull L et al. International recommendations for national patient safety incident reporting systems: an expert Delphi consensus-building process. BMJ Qual Saf 2017; 26: 150 – 163

[10] Bestimmung von Anforderungen an einrichtungsübergreifende Fehlermeldesysteme (üFMS-B). BAnz AT 04.07.2016 B3

[11] Gunkel C, Rohe J, Sanguino Heinrich A, et al. CIRS – Gemeinsames Lernen durch Berichts- und Lernsysteme. In: Herbig N, Poppelreuter S, Thomann H, (eds.). Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen. 31. Aktualisierung. Köln: TÜV Media; 2013. p. 1 – 46