Open Access 01.06.2020 | Aktuelles
Primärer Hyperparathyreoidismus
Erschienen in: Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel | Ausgabe 2/2020
Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) ist eine häufige endokrine Erkrankung, die auf der autonomen Überfunktion einer oder mehrerer Nebenschilddrüsen und einer gesteigerten Parathormonsekretion in den Blutkreislauf basiert. Die Erkrankung betrifft doppelt so viele Frauen wie Männer, mit einer Häufung ab dem 50. Lebensjahr [1].
Mit zunehmender Bestimmung von Serumkalzium- und Parathormonwerten im klinischen Setting wurden in den letzten Jahren vermehrt asymptomatische bzw. mild verlaufende Formen eines pHPT diagnostiziert [2].
Anzeige
Betroffene Patienten berichten lediglich von unspezifischen Beschwerden wie vermehrter Müdigkeit und eingeschränkter Leistungsfähigkeit. Die klassische Symptomtrias „Stein‑, Bein- und Magenpein“ in Anspielung auf vermehrte Nierensteinbildung, erhöhte Knochendemineralisierung und Entzündungen der Magenschleimhaut ist seltener geworden. Bei genaueren klinischen Untersuchungen konnten allerdings gehäuft Nierensteine und beeinträchtigte Muskelfunktionen beobachtet werden [3, 4].
Trotz allem werden erhöhte Serumkalziumwerte initial häufiger mit anderen Ursachen in Verbindung gebracht, wodurch adäquate Therapiemaßnahmen verzögert werden können [5].
In über 85 % der Fälle sind solitäre oder multiple Adenome in einer der vier Nebenschilddrüsen Auslöser für die pathologisch gesteigerte Parathormonsekretion. Als seltenere Ursachen können Hyperplasien (ca. 15 %) oder maligne Erkrankungen (< 1 %) identifiziert werden [2, 6].
Eine Minderheit der Fälle basiert auf genetisch bedingten multiplen endokrinen Neoplasien (MEN 1, 2A und 4) oder dem hereditären Hyperparathyreoidismus-Kiefertumor-Syndrom (HPT-JT) [7‐9].
Anzeige
Bei asymptomatischen Verläufen muss differenzialdiagnostisch auch eine familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie (FHH) als Ursache in Betracht gezogen werden, da in diesen Fällen betroffene Patienten kaum Hyperkalzämie-assoziierte Komplikationen aufweisen und therapeutisch konservatives Beobachten indiziert sein könnte.
Die biochemische Diagnose eines pHPT wird anhand von Laborergebnissen gestellt, in denen sich definitionsgemäß erhöhte Parathormonwerte zusammen mit erhöhten Serumkalziumwerten zeigen. Auch bei Vorliegen von Serumkalziumwerten im Normbereich kann ein pHPT nicht automatisch ausgeschlossen werden.
Das Vorliegen einer Hypokalzämie, z. B. durch Vitamin-D-Mangel, Kalziummalabsorption, Niereninsuffizienz und Hyperkalziurie führt zu einer konsekutiven Parathormonausschüttung und Entwicklung eines sekundären HPT, der vom primären HPT ätiologisch klar abgegrenzt wird.
Zur Differenzialdiagnose müssen beeinflussende Begleiterkrankungen deshalb eingeschlossen werden.
Bildgebende Verfahren wie eine Sonografie der Halsregion unterstützen beim Auffinden von zellreichen, hypoechogenen Nebenschilddrüsenadenomen (NSDA) und festigen so die Verdachtsdiagnose [12]. Das Auffinden von NSDA wird allerdings von anatomischen Besonderheiten, der Erfahrung des Untersuchers und Größe und Anzahl der NSDA beeinflusst. Die sonografische Sensitivität ist bei multiplen NSDA eingeschränkt.
Zur weiteren Bestätigung werden gegebenenfalls nuklearmedizinische Sestamibi-SPECT-Szintigrafien (Single Photon Emmission Computed Tomography) durchgeführt, bei denen sich radioaktiv markierte Stoffe im betroffenen Nebenschilddrüsengewebe anreichern und bildgebend darstellen lassen. Die Sensitivität einer Sestamibi-SPECT-Szintigrafie bei solitären NSDA liegt bei 70 bis 80 % [12], ist aber bei multiplen Tumorherden simultan zur Sonografie ungleich kleiner. Fehlende Lokalisationsnachweise implizieren somit nicht die Abwesenheit von NSDA.
Eine Verbesserung der Nachweisraten solitärer NSDA kann mit neuartigen, aber teureren Cholin-Positronenemissionstomografien/Computertomografien (Cholin-PET/CT) erreicht werden [13]. Sie ermöglichen einen exakteren Lokalisationsnachweis auch bei atypisch gelegenen Adenomen [14].
Anzeige
In einer Kosten-Nutzen-Analyse zeigt sich der positive Einfluss einer initial durchgeführten Cholin-PET/CT, mit höherer Sensitivität im Vergleich zu einer Sestamibi-SPECT-Szintigrafie, da dies einerseits die weiterführende bildgebende Diagnostik reduziert und andererseits eventuell intraoperative Parathormonbestimmungen erspart [15].
In Ausnahmefällen, und falls verfügbar, kann auf ein Methionin-PET zurückgegriffen werden. Ein Fallbericht von Møller et al. berichtet vom Auffinden ektoper NSDA im Mediastinum nach Durchführung einer Methionin-PET [16].
Im Allgemeinen wird ein pHPT entweder chirurgisch oder konservativ therapiert. Die Entscheidung über weiterführende Maßnahmen wird auf Basis der klinischen Manifestation und der erhobenen laborchemischen bzw. bildgebenden Befunde getroffen.
Bei symptomatischem pHPT wird in chirurgischen Eingriffen versucht, autonom hormonproduzierendes Nebenschilddrüsengewebe vollständig zu entfernen. Die kurze Halbwertszeit des Parathormons erlaubt intraoperative Parathormonbestimmungen und informiert so über das Ausmaß der zu entfernenden Gewebemenge.
Anzeige
Alternativ kann in minimal-invasiven Radiofrequenzablationen mittels Hitzeeinwirkung gezielt neoplastisches Gewebe zerstört werden [17, 18].
Bei Kontraindikationen einer Operation wird symptomatisch mit Medikamenten therapiert. Der am häufigsten verwendete Arzneistoff ist hierbei das kalzimimetisch wirkende Cinacalcet [19, 20]. Eine im Jahr 2020 publizierte Phase-III-Studie berichtet, dass der monoklonale Antikörper Denosumab bei Patienten mit pHPT unabhängig von bereits bestehenden Cinacalcet-Behandlungen wirksam zur Senkung der Knochenresorption und Verbesserung der Knochendichte beiträgt und so eine zusätzliche Therapieoption darstellt [21].
Die wichtigsten Kriterien, an denen sich die Entscheidung über eine chirurgische Sanierung eines asymptomatischen pHPT orientiert, sind erhöhte Serumkalziumwerte >1 mg/dl upper limit of normal, Frakturen von Wirbelkörpern, bestehende Osteoporosekriterien in der Knochendichtemessung sowie eine Kreatininclearance <60 ml/min oder eine bestehende Nephrolithiasis oder Hyperkalziurie mit >400 mg/24 h [22]. Diese Kriterien wurden 2014 in den Leitlinien zur Behandlung eines asymptomatischen pHPT festgelegt.
Darin wird auch empfohlen, dass sich Patienten trotz fehlender Kriterien einer chirurgischen Sanierung unterziehen lassen sollen, solange keine medizinischen Kontraindikationen vorliegen. Somit gelten sowohl für symptomatischen als auch für asymptomatischen pHPT die gleichen Entscheidungsrichtlinien bezüglich invasiver Eingriffe.
Anzeige
Bei Patienten mit pHPT kann ein bestehender Vitamin-D-Mangel mittels nativem Vitamin D korrigiert werden. Die Vitamin-D-Supplementierung muss unter regelmäßiger Kontrolle der Serumkalziumwerte erfolgen, da eine exogen verursachte Hypervitaminose D zu Hyperkalziurie und Hyperkalzämie führen kann [23].
Paradoxerweise sollte trotz erhöhter Serumkalziumwerte eine kalziumarme Ernährung vermieden werden, da diese die Parathormonsekretion weiter forciert und sich in verstärkter Knochendemineralisierung manifestiert. Bei eingeschränkter intestinaler Kalziumaufnahme kann bei Bedarf Kalzium supplementiert werden [7, 10].
Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) ist eine endokrine Erkrankung, die auf einer autonomen Überfunktion der Nebenschilddrüsen basiert und meist in asymptomatischen Verlaufsformen diagnostiziert wird.
Die häufigste Ursache für die pathologisch gesteigerte Parathormonsekretion sind benigne Adenome der Nebenschilddrüsen, welche sich in Sonografie, Szintigrafie und/oder Computertomografie bildgebend darstellen lassen.
Die Therapie der Wahl ist sowohl bei symptomatischen als auch bei asymptomatischen Patienten mit pHPT die chirurgische Entfernung von autonom hormonproduzierendem Nebenschilddrüsengewebe, bei Vorhandensein der oben genannten Kriterien.
Wichtig sind die klare Abgrenzung zu sekundärem und tertiärem HPT und die Behandlung zusätzlicher Erkrankungen, welche den Parathormon- und Kalziumstoffwechsel beeinflussen können.
M. Scherkl, A. Tmava-Berisha und K. Amrein geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.