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Ärzte Woche

07.02.2023 | Praxis und Beruf

Cousin im Wartezimmer

verfasst von: Joana Schmidt

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Behandeln oder nicht? Auch dafür gibt es einen Verhaltenskodex. Manche Ärztinnen und Ärzte stecken in einem Zwiespalt, ob es angemessen ist, die eigene Familie und Freunde medizinisch zu versorgen. Ein Forscherteam hat Argumente dafür und dagegen gesammelt.

Ärzte und Ärztinnen werden häufig von Verwandten oder Bekannten um medizinische Versorgung gebeten. Viele kommen dieser Bitte nach, gleichzeitig raten ethische Leitlinien wie der der Code of Medical Ethics der American Medical Association (AMA ) davon ab, jedenfalls, solange keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen. Die bisherige Forschung äußert mehrheitlich Bedenken, abgesehen von bestimmten Situationen.

Forschende um Francisca Beigel von der Medizinischen Hochschule Hannover analysierten 76 Publikationen dazu, darunter Studien, Fallberichte, Kommentare und ethische Leitlinien. Sie stammen aus Journalen verschiedener Fachrichtungen, vor allem aus der Allgemein- und der inneren Medizin (Beigel F et al. Fam Pract 2022; https://doi.org/ 10.1093/fampra/cmac142).

Das spricht dafür

Ein häufig genannter Grund für die Behandlung Angehöriger ist, ihnen die bestmögliche Versorgung anzubieten und sie vor Fehlern ärztlicher Kollegen und Kolleginnen zu schützen. Auch ihnen den Zugang zu medizinischer Versorgung zu erleichtern, wird als Argument angeführt. Ein großes Vertrauen in die ärztlichen Fähigkeiten der bekannten Person, personalisierte Versorgung, bevorzugte Behandlung und von Arzt oder Ärztin geleisteter Mehraufwand werden ebenfalls genannt. Weit verbreitet ist zudem das Argument, Kosten zu sparen.

Das spricht dagegen

Zu den negativen Aspekten bei der medizinischen Versorgung von Verwandten und Freunden zählen das Risiko, die Schweigepflicht zu verletzen, das Fehlen einer Einverständniserklärung und die Gefährdung der Patientenautonomie. Zudem kann ein erheblicher Rollenkonflikt daraus entstehen, einerseits Familienmitglied oder Freund, andererseits der verantwortliche Arzt oder die Ärztin zu sein.

Auch ein negativer Effekt auf die persönliche Beziehung beider Beteiligten ist möglich. Genauso könne die Versorgung unter der speziellen Konstellation leiden, wird oft betont, etwa in Form inkonsistenter oder unangemessener körperlicher Untersuchungen sowie übermäßiger oder unzureichender Therapie.

Das am meisten genannte Argument gegen die Behandlung von Angehörigen ist, nicht objektiv genug zu sein. Weitere Bedenken sind, dass rechtliche Schritte gegen den Arzt oder die Ärztin eingeleitet werden könnten, etwa bei unerwünschten Behandlungsfolgen. Zudem wird argumentiert, dass durch das Bevorzugen bekannter Patienten und Patientinnen andere benachteiligt werden.

Spezielle Umstände

Es werden allerdings auch Bedingungen erwähnt, unter denen das Behandeln von Verwandten und Freunden als angemessen erachtet wird. Dazu zählen Notfälle, Situationen, in denen keine anderen Ärzte und Ärztinnen verfügbar sind, und das Behandeln kleinerer Beschwerden.

Während viele Publikationen eine neutrale Position einnehmen, äußert ein weiterer großer Teil Bedenken bezüglich der Versorgung von Familie und Freunden. Mehrere Autoren kritisieren eine zu geringe Hilfestellung durch ethische Leitlinien. „Die Sichtung der vorhandenen Literatur legt nahe, dass aufgrund der sehr kontextspezifischen Umstände eine allgemeingültige Antwort kaum zu finden sein wird“, resümieren Beigel et al.

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Metadaten
Titel
Cousin im Wartezimmer
Schlagwörter
Praxis und Beruf
Recht
Publikationsdatum
07.02.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 06/2023

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