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Ärzte Woche

13.02.2019 | Praxis und Beruf

Autonome Szenen

verfasst von: Isabella Csokai

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Mit dem 2. Erwachsenenschutz-Gesetz hat die „klassische“ Sachwalterschaft ausgedient. Eine gerichtliche Erwachsenenvertretung soll nur mehr in Ausnahmefällen verfügt werden. Doch was bedeutet das für die Praxis für Ärzte?

Mit dem 2. Erwachsenengesetz wurde – stärker als bisher – die Selbstbestimmung von Menschen in den Mittelpunkt gestellt, die von einer psychischen Erkrankung oder intellektuellen Beeinträchtigung betroffen sind. Ziel der Neuerungen ist, die Autonomie und Entscheidungsfreiheit möglichst lange und umfassend zu erhalten. „Sofern Betroffene im jeweiligen Zusammenhang entscheidungsfähig sind, sollen sie ihre Angelegenheiten selbst regeln können“, sagt Mag. Martin Marlovits vom Erwachsenenschutzverein „VertretungsNetz“. „Das gilt auch für Patienten mit einer demenziellen Erkrankung.“

Dabei ist folgendes Vorgehen im Gesundheitswesen vorgesehen: Ist eine volljährige Person entscheidungsfähig, so kann sie nur selbst zu medizinischen Behandlungen einwilligen. Hält der Arzt sie für nicht entscheidungsfähig, so hat er sich nachweislich um die Beiziehung von Angehörigen, anderen nahestehenden Personen oder Fachleuten zu bemühen, die den Patienten dabei unterstützen, die Behandlungsentscheidung doch noch selbst treffen zu können. Erst wenn auch das nicht funktioniert, bedarf es der Zustimmung eines Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreters zu medizinischen Behandlungen.

Vier-Säulen-Modell

Das neue Gesetz sieht als Vorsorge für den Fall der Entscheidungs- und Geschäftsunfähigkeit ein Vier-Säulen-Modell vor:

- Stufe 1 ist die Vorsorgevollmacht: Mit dieser kann sich der Patient die Person, die ihm im Falle der Entscheidungsunfähigkeit helfen soll, vorab selbst aussuchen. Es kann darin genau geregelt werden, was der Bevollmächtigte darf. Gemäß neuem Recht kann eine solche Vollmacht nicht nur vor einem Notar oder einem Rechtsanwalt errichtet werden; sondern – kostengünstiger – auch bei einem Erwachsenenschutzverein (früher Sachwalterverein). Die Vorsorgevollmacht gilt zeitlich unbegrenzt und wird nur in eingeschränktem Umfang vom Gericht überwacht.

- Stufe 2 stellt die gewählte Erwachsenenvertretung als neu hinzu gekommene Vertretungsform dar: Eine Person, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung keine Vorsorgevollmacht mehr errichten kann, aber die noch fähig ist, die Bedeutung und Folgen einer Bevollmächtigung in Grundzügen zu verstehen, kann einen Erwachsenenvertreter wählen, etwa einen Verwandten oder eine andere nahestehende Person. Jährlich sind gerichtliche Kontrollen vorgesehen.

- Stufe 3 besteht in der gesetzlichen Erwachsenenvertretung. Sie ermöglicht es den Angehörigen und anderen nahestehenden Personen, dem nicht entscheidungsfähigen Patienten zu helfen, wenn keine Vorsorgevollmacht und kein gewählter Erwachsenenvertreter vorhanden ist. Der Personenkreis wurde gegenüber der früheren Angehörigenvertretung ausgedehnt. Auch Geschwister, Enkel und Neffen oder Nichten können diese Funktion übernehmen. Die Zuständigkeitsbereiche werden vom Gericht vorgegeben und können je nach individueller Situation variieren. Diese Art der Vertretung endet automatisch nach drei Jahren und ist im Bedarfsfall zu erneuern.

- Stufe 4 ist die gerichtliche Erwachsenenvertretung. Sie entspricht weitestgehend den früheren Sachwalterschaften. Wenn man nicht mehr für sich selbst handeln kann, und es keinen anderen Vertreter oder Bevollmächtigten gibt, bestellt das Gericht einen gerichtlichen Erwachsenenvertreter. Das Gericht bestimmt den Wirkungskreis, es ist eine gerichtliche Überwachung vorgesehen und – das ist neu – eine Befristung auf drei Jahre. Gewisse Mitsprachemöglichkeiten des Betroffenen bleiben auch hier erhalten.

Patientenwille hat Priorität

Vorsorgebevollmächtigte und Erwachsenenvertreter müssen sich vom Willen der vertretenen Person leiten lassen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass diese eine medizinisch indizierte Behandlung wünscht. Wichtig ist zudem für Ärzte zu wissen: „Keine stellvertretende Entscheidung darf die eigene Willenserklärung des Patienten abändern“, erklärt Marlovits. Das gelte etwa wenn eine Patientenverfügung vorliegt. Oder ein Vorsorgedialog. Oder wenn kurz vor Verlust der Entscheidungsfähigkeit die betroffene Person klar und bestimmt ihren Willen hinsichtlich künftiger weitergehender Behandlungen geäußert hat. Dann sei diese Willenserklärung für den Arzt bindend.

Bei Gefahr in Verzug ist die Zustimmung des Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreters nicht nötig. Diese muss aber eingeholt werden, wenn nach der Erstbehandlung beim nach wie vor nicht entscheidungsfähigen Patienten keine Lebensgefahr mehr besteht. Hat der Patient keine Vertretung, so muss der Arzt das Gericht verständigen, damit dieses einen Vertreter bestellt.

Es gibt auch höchstpersönliche Rechte, die für eine Vertretung grundsätzlich nicht zugängig sind. Das gilt für die Erstellung von Patientenverfügungen oder für die Entnahme von Organen. Es bedarf einer rechtmäßigen Einwilligung der betroffenen Person. Diese kann sie nur selbst erteilen, wenn sie entscheidungsfähig ist (mit Ausnahmen).

Neue System ist aufwendiger

Für die rund 55.000 Sachwalterschaften, die bis zum Sommer 2018 bestanden, ändert sich durch das neue Erwachsenenschutzgesetz abgesehen von der Bezeichnung nichts. Sie werden automatisch in gerichtliche Erwachsenenvertretung umgewandelt und nach dem neuen Gesetz überprüft. Dafür haben die Gerichte bis Ende 2023 Zeit. Wenn es erforderlich ist, werden sie erneuert. Wer schon früher auf eine andere Vertretungsart umsteigen möchte, kann dies bei Gericht beantragen.

Grundsätzlich ist es ein Anliegen der Bundesregierung, dass in Zukunft die Gerichte weniger oft mit Vertretungen betraut werden müssen. Ob dies tatsächlich so ist, will sie nach einem Jahr prüfen. Da aber ja die alten Sachwalterschaften in die neuen Erwachsenenvertretungen überführt werden müssen, sei das System momentan jedenfalls viel aufwendiger als das alte – sagt Richter-Präsidentin Dr. Sabine Matejka. Auch habe die Neuregelung mehr Verfahrensschritte mit sich gebracht. So gehört etwa das „Clearing“ zu den zentralen Aufgaben der Erwachsenenschutzvereine: Im Auftrag des zuständigen Bezirksgerichts überprüfen sie, ob eine gerichtliche Erwachsanenvertretung tatsächlich notwendig ist oder vermieden werden kann. Die Situation bei den Gerichten sei sehr angespannt, sagt die Richter-Präsidentin und drängt auf ein Ende des Sparkurses der Regierung.

Literaturtipps

- Michael Halmich: Erwachsenenschutzrecht für Gesundheitsberufe

Educa Verlag 32,00 Euro, 1. Auflage 2018

ISBN 978-3-903218-05-5,

Onlineshop: www.educa-verlag.at

- Alfred Veith, Michael Doschko: Vorsorgevollmacht – Patientenverfügung – Erwachsenenvertretung, Linde Verlag 19,90 Euro, 2. Auflage 2018

ISBN 978-3-7093-0629-1,

Weitere Informationen:

www.educa-verlag.at

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Metadaten
Titel
Autonome Szenen
Publikationsdatum
13.02.2019
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 8/2019

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