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Ärzte Woche

07.12.2017 | Praxis und Beruf

Die verlockende Schweiz

verfasst von: Christina Vaccaro

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Rund ein Drittel der Schweizer Ärzte kommen aus dem Ausland, zumeist aus Deutschland. Doch auch österreichische Ärzte zieht es ins wohlhabende Nachbarland. Die Schweizer locken mit Geld, hohem Lebensstandard und mit höflichen Umgangsformen. Dafür stellen sie einen hohen Leistungsanspruch.

Etwa zwei Prozent aller berufstätigen Schweizer Ärzte sind Österreicher, insgesamt stammen 716 der 11.900 Ärztinnen und Ärzte mit ausländischer Staatsbürgerschaft aus Österreich. Es sind mehr Männer (376) als Frauen (340) und allesamt sind sie durchschnittlich rund sechs Jahre jünger (43,5 Jahre) als der durchschnittliche Schweizer Arzt (49,2 Jahre).

Dr. Michael Huber, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, kam 2010 im Alter von 30 Jahren nach Zürich. „Mich haben die fairen Arbeitsbedingungen und die relativ flachen Hierarchien in die Schweiz gezogen“, sagt der Vorarlberger, der ursprünglich aus der Gemeinde Innerbraz im Klostertal stammt. „Außerdem gibt es mehr Möglichkeiten hinsichtlich der Ausbildung als auch danach, die Arbeit nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.“ Seit 2016 führt Huber gemeinsam mit einer Kollegin die Gruppenpraxis Medix Praxis am Bad in Adliswil im Kanton Zürich, in der fünf Ärztinnen und Ärzte arbeiten. Laut Huber hätte er dieses Projekt in Österreich niemals umsetzen können, da die hiesigen Strukturen keine Möglichkeiten böten. „In der Schweiz kann man vieles auch ohne Vitamin B erreichen.“

An den Zürichsee zog es PD Dr. Christoph Tausch, Chefarzt Chirurgie und Direktor des größten Schweizer Brust-Zentrums. Seit 2008 lebt er im Großraum Zürich und schätzt die kulturelle Vielfalt der Stadt am See und die Naturlandschaft der Region. „Das Leben in der Schweiz gefällt mir gut: das Land ist schön, die Entfernungen sind klein“, so Tausch. „Im Raum Zürich sind 30 Prozent Ausländer, Menschen aus aller Welt haben sich hier angesiedelt, was das Leben interessant macht.“ Der 55-jährige Tiroler ist mit einer Schweizerin verheiratet, wodurch er gut Anschluss gefunden hat, was sonst in der Schweiz nicht immer einfach ist. Schweizerdeutsch sei fast eine eigene Sprache, die vor allem für fremdsprachige Ausländer neben dem Hochdeutsch sehr schwierig zu erlernen ist, sagt der gebürtige Innsbrucker. Tausch selbst kann inzwischen schon einige Dialekte unterscheiden. Kulturell sei in Zürich einiges los, „mit Wien kann die Stadt aber nicht mithalten.“ Finanziell werde die Arbeit in der Schweiz deutlich besser honoriert als in Österreich. Insgesamt müsse man sich das höhere Einkommen aber auch hart erarbeiten.

Unglaublich arbeitsam

Dem kann PD Dr. Sebastian Leibl, Facharzt für Pathologie am Universitätsspital Zürich, nur beipflichten. „Ich habe einen 50-Wochenstunden-Vertrag, bei dem regelmäßig Überstunden dazu kommen. 50 bis 60 Wochenstunden sind in der Schweiz völlig normal“, sagt der gebürtige Wiener. Das Schweizer System sei darauf ausgelegt, ein Maximum an Leistung zu erzielen. Durch zu wenig angestellte Ärzte und nicht vorhandene Redundanzen müssten die Leute unheimlich viel arbeiten. „Die Zürcher leben, um zu arbeiten. Es gibt auch viele Deutsche, die extrem fleißig sind. Ich habe für beide, die Schweizer und Deutschen, einen großen Respekt davor, was sie arbeitsmäßig leisten können. Die Schweizer sind wirklich unglaublich arbeitsam und dabei bescheiden. Beeindruckend ist auch die Ehrlichkeit, die sich quer durch alle Bevölkerungsschichten zieht.“

Die Kehrseite der Geschichte: den Schweizern fehle es an Schmäh und hätten eigentlich keine Freizeit. Das ist den Österreichern dann doch teilweise etwas fremd. „Ich werde im Sommer auf 80 Prozent reduzieren und das einmal ausprobieren“, sagt der 46-jährige Pathologe und Familienvater. Das sei die einzige Lösung für Leibl, der sonst lieber wieder in Österreich arbeiten würde, auch wenn der heimische Arbeitsmarkt für Mediziner aufgrund der schlechten Bezahlung und der Nachtdienste nicht attraktiv sei.

Die bekanntlich sehr guten Gehälter der in der Schweiz berufstätigen Ärzte locken viele Doktoren in die benachbarte Alpenrepublik. Gerade Zürich ist beliebt, gleichzeitig aber auch die drittteuerste Stadt der Welt. „Ich verdiene im Monat inklusive dem 13. und 14. Monatsgehalt umgerechnet ungefähr 12.000 Euro netto“, verrät Leibl. „Das Problem ist nur, dass das ganze Leben so teuer ist. Unsere Wohnung allein kostet 4.500 Euro. Die Kinderbetreuung beansprucht nochmals 2.000 Euro. Und alles ist etwa ein Drittel bis 50 Prozent teurer.“ Damit sei die Schweiz, insbesondere Zürich, finanziell betrachtet familienfeindlich. „Ich kenne kaum jemanden, der sich zwei Kinder leisten kann“, so der einfache Familienvater. Gleichzeitig spricht Leibl von einer „fantastischen“ Kinderbetreuung: kleine Gruppen, gut ausgebildete Betreuerinnen und viele gut organisierte Ausflüge für die Kleinen.

Höfliche Distanziertheit

Gelobt wird die Schweizer Höflichkeit, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Dr. Mathias Drach von der Dermatologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich sagt: „Es gibt eine gewisse höfliche Distanziertheit, auf die ich sehr viel Wert lege.“ Seit 2013 arbeitet und lebt Drach in Zürich. In die Stadt am See führte ihn ein „Stellenangebot der Schweizer, das einfach zu gut war. Die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung meiner damaligen Stelle in Innsbruck waren dagegen inakzeptabel.“

Der 37-jährige Tiroler arbeitet in der Forschungsgruppe „Team Entzündliche Dermatosen“ unter der Leitung von Prof. French. Sowohl die Ausbildungsstätten als auch ihre Inhalte seien in der Schweiz definitiv besser. „Man merkt, dass das Curriculum auf eine wirklich gute Ausbildung ausgelegt ist. Von Beginn an wird viel verlangt, es müssen viele Fortbildungen besucht werden und das Curriculum ist streng.“ Drach kann sich aktuell nicht vorstellen, nach Österreich zurückzukommen. Er konnte Anschluss finden und besitzt Schweizer Freunde.

Nicht nur die medizinische Ausbildung der Schweizer ist gut, auch die Medizin selbst. „Die Medizin hat einen wirklich hohen Standard“, sagt Leibl. Der Facharzt führt dies vor allem auf das Krankenkassensystem der Schweizer zurück. Anders als in Österreich wählen die Schweizer selbst, welche Prämien (Franchise) sie wollen. Je nach dem variieren dann die Selbstbeträge. „Dadurch ist erstens mehr Geld da und zweitens gehen nicht alle wegen jedem ‚Wehwehchen‘ zum Arzt.“

Es fehlt der Esprit

Vermisst wird neben dem Wiener Schnitzel vor allem die österreichische Gemütlichkeit und Gastfreundschaft. Insbesondere der Esprit fehlt manchem österreichischen Arzt, der in der Schweiz arbeitet. Wenngleich der höfliche Umgangston von vielen Stimmen geschätzt wird, fehlt andernorts die menschliche Nähe. „Es ist nicht so wie in Österreich, wo man sich einmal hinsetzt und mit den Leuten ins Gespräch kommt. Die Schweizer sind sehr distanziert und bleiben eher unter sich. Das macht es schwierig, Kontakte zu knüpfen“, so Leibl.

Gelassenheit, Spontanität, Gemütlichkeit zählen eher nicht zu den Stärken der Schweizer. Manch einem macht auch die Sprache zu schaffen und hat dadurch Verständnisschwierigkeiten. Als Vorarlberger hatte der Gruppenpraxisleiter Huber damit natürlich keine Probleme, dennoch fiel es selbst ihm anfangs schwer, Fuß zu fassen: „Zu Beginn bin ich noch öfters nach Hause gefahren. Mittlerweile habe ich aber ein sehr gutes soziales Umfeld und fühle mich sehr wohl. Als Österreicher ist man bei den Schweizern, so wie ich es interpretiere, willkommen.“

Fazit: Die Schweiz ist mit ihrem hohen Lebensstandard und den gut bezahlten Stellen durchaus verlockend. Höfliche Umgangsformen, Zuverlässigkeit und Arbeitsamkeit werden geschätzt und bewundert. Zugleich ist das Leben in der Schweiz teuer und verlangt eine hohe Leistungsfähigkeit. Man wird verwöhnt, aber man muss auch hart dafür arbeiten.

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Metadaten
Titel
Die verlockende Schweiz
Publikationsdatum
07.12.2017
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 50-52/2017

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