Was nicht gepostet wird, hat nicht stattgefunden. Online präsent zu sein, ist wichtiger denn je – aber trifft das auch auf professionelle Profile von Ärzten zu? Und welche Unterschiede gibt es zwischen niedergelassenem und klinischem Bereich?
„23,8 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher mit Interesse am Thema Medizin und Gesundheit lesen täglich die Kronen Zeitung, was hochgerechnet 1.469.000 Leser ergibt“, sagen die Mediadaten. Sollte man sich daher um Präsenz in diesem oder anderen Medien bemühen – und wenn ja, wie? „Danke nein, ich habe ohnehin schon mehr Patienten als ich eigentlich schaffe!“ hört man von überforderten Ärztinnen und Ärzten.
Doch wer medial wahrgenommen werden möchte, will meist etwas anderes – nämlich informieren. Dazu der Gynäkologe und Reproduktionsmediziner Johannes Huber: „Je besser sich Patienten und Patientinnen anhand seriöser Quellen vorinformiert haben, desto erfolgreicher ist dann die Zusammenarbeit.“ Ein weiteres Motiv für den Wunsch nach medialer Präsenz ist die Bekanntmachung einer neuen Behandlungsmethode. Laut dem Gynäkologen und Geburtshelfer Sepp Leodolter kommen diejenigen Themen gut an, mit denen die Patientinnen schon länger erfolglos gekämpft haben. Auf seinem Gebiet sind das etwa Menstruationsbeschwerden, Endometriose, Kinderwunsch bei Diabetes mellitus, Harnverlust: „Wer in der Kronen Zeitung oder einem anderen Massenmedium liest, dass es dafür einen Experten und eine neue Behandlungsmethode gibt, meldet sich zu einem Termin an.“
Aber wie wird man bekannt?
Niedergelassene Ärzte brauchen für Medienarbeit eigene Kreativität, denn die Pressestellen der jeweiligen Landes-Ärztekammern arbeiten ausschließlich den eigenen Funktionären für deren politische Aufgaben zu. Laut Michaela Neubauer, Chefredakteurin der Publikumszeitschriften ‚Gesund & leben‘ und ‚Medizin populär‘, lässt sich durch Veröffentlichungen im Internet und durch das Schreiben von Büchern mediale Aufmerksamkeit gewinnen: „Wie alle Journalisten suchen wir uns unsere medizinischen Gesprächspartner aus Pressemitteilungen, recherchieren im Internet oder merken uns die Namen, wenn sie interessante Bücher geschrieben haben. So erreichen unsere Interviewanfragen dann meistens Ärztinnen und Ärzte, die medial gerne wahrgenommen werden möchten und/oder sogar schon Erfahrung haben; sehr selten kommt es zu einem Rückzieher, gelegentlich aus thematischen Gründen. Hin und wieder stoßen wir auf jemanden, der noch nie mit Journalisten zusammengearbeitet hat und daher etwas unsicher ist. In diesem Fall beantworten wir im Vorfeld die Fragen zu Ablauf und Rahmenbedingungen.“
Eine weitere Möglichkeit der Selbstdarstellung sind Aktivitäten in sozialen Netzwerken: „Die professionelle Kommunikation in den sozialen Netzwerken hilft Ärzten und Ärztinnen dabei, ein positives Image aufzubauen und ihre Praxis oder die eigenen Fähigkeiten zu vermarkten“, rät der Stellenmarkt für Mediziner praktischArzt : „Etwa zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung nutzt täglich soziale Medien. Einer Erhebung aus dem Jahr 2021 zufolge ist Facebook das am häufigsten genutzte Netzwerk – fast 60 Prozent der Österreicher sind dabei.“
Kein Vorsprung bei der Stellensuche
Anders als im niedergelassenen Bereich ist es bei Bewerbungen. Für Peter Grill, dessen Agentur auf Ärztevermittlung spezialisiert ist, hat das Thema Medienerfahrung keine Bedeutung: „Wir besetzen Stellen jedes Faches und jedes Levels in Akutspitälern, Reha-Kliniken, auch in MVZ und Praxen. Selbst bei einem Hearing für eine Primararzt-Stelle wird nicht danach gefragt, ob jemand mit Journalisten zusammenarbeiten kann oder will. Es ist also keine zusätzliche Qualifikation, mit der Bewerber Punkte sammeln können. Vielleicht wäre es anders, wenn Stellen rar wären, doch derzeit und wohl auch in den nächsten Jahren handelt es sich ja stattdessen um einen Anbietermarkt.“ Die meiste Hilfe für ihre Zusammenarbeit mit Medien bekommen Ärzte an den Universitäten, beispielsweise an der MedUni Wien.
Die Pressestelle nimmt den Journalisten viel Arbeit ab, indem Gesprächspartner zum jeweiligen Wunschthema ausgesucht und vermittelt werden. Doch nicht nur Medienanfragen werden beantwortet, es werden auch wöchentlich zwei bis drei Presseaussendungen verschickt. „Früher haben Wissenschafter die Texte dafür selbst geschrieben“, sagt Johannes Angerer, Chef der Abteilung ‚Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit‘ sowie Pressesprecher der MedUni Wien.
„Wir machen das heute anders: Wir bitten lediglich um Stichworte, machen dann die Interviews und schreiben die Texte selbst. Denn Experten-Sprech bringt wenig, man muss den Nutzen für die Bevölkerung darstellen. Das ist allerdings für Kliniker leichter als für Grundlagenforscher.“ Neben den Presseaussendungen werden zu manchen Themen auch Exklusiv-Stories vereinbart – vorwiegend mit namhaften TV-Stationen – und gelegentlich eine Pressekonferenz veranstaltet, aber nur dann, wenn tatsächlich etwas zum Herzeigen ist, etwa die Grundsteinlegung für ein neues Institut.
Den Umgang mit Medien lernen
Immer wichtiger wird auch für die MedUni Wien die Präsenz auf Social Media, um junge Zielgruppen zu erreichen. Newsletter an Mitarbeiterinnen und Studierende, Intranet, Internet, Podcasts, Videos etc. sind weitere Kanäle. Um die rund 1.600 ärztlichen Angestellten des Hauses medienfit zu machen, gibt es neben klaren Kommunikationsrichtlinien regelmäßige Trainingsmodule mit ORFJournalisten, speziell für junge Wissenschafterinnen und Wissenschaftler sowie für Führungskräfte. „Wer noch keine Erfahrung im Umgang mit Medien hat und plötzlich eine Interviewanfrage bekommt, kann mich jederzeit anrufen und um Tipps bitten“, sagt Angerer.
Laut dem bekannten Ratgeber „A Doctorate and Beyond“ von Graham C. Goodwin und Stefan F. Graebe ist das auch sehr notwendig, denn „dealing with the media can be one of the hardest things that you do“. „Seid auf der Hut,“ raten die Autoren, denn Journalisten suchen immer nach griffigen Phrasen, die sich gut verkaufen oder aus denen sich spannende Kontroversen entwickeln lassen – nicht immer zur Freude der oder des Interviewten.
„Wer fragt, der/die führt“. Journalistinnen und Journalisten wird dieser Grundsatz eingebläut, der dem griechischen Philosophen Sokrates zugeschrieben wird. Doch das muss man nicht so hinnehmen. Wer interviewten Personen aus der Politik zuhört, erkennt schnell den Nutzen eines Medientrainings: Erfahrene Kommunikatoren bringen ihre Botschaften eisern rüber, unabhängig davon, wohin der Interviewer sie führen möchte. Das raten auch Goodwin & Graebe: „Think carefully about the message that you want to deliver.“ Mit anderen Worten: Wer zu einem Interview gebeten wird, sollte sich darauf genau so intensiv vorbereiten, wie (gute) Journalisten es tun: Welche Aussagen, Standpunkte, Positionen müssen unbedingt vorkommen und wen sollen sie erreichen?
Medienpräsenz kann schaden...
Laut Ärztevermittler Peter Grill bringt Medienerfahrung keine Pluspunkte bei der Besetzung einer ärztlichen Position, doch wie ist es bei der Auswahl eines Klinikchefs oder einer Klinikchefin im universitären Bereich? Könnte mediale Berühmtheit hier zumindest latent von Vorteil sein?
In den Aufnahmebedingungen für die Kandidatinnen und Kandidaten der MedUni Wien steht nichts von geforderter Medienerfahrung. Aber jede Universität ‚schmückt‘ sich bekanntlich gerne mit großen Namen, die sich beispielsweise beim Fundraising gut einsetzen lassen. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Repräsentanten der MedUni Wien und bilden das Fundament, auf dem der Wert der Marke sowie das Image der Universität aufgebaut sind“, sagen beispielsweise die internen Vorgaben der MedUni Wien. Oder wie es die MedUni Graz formuliert: „Das Berufungsverfahren […] hat zum Ziel, herausragende Wissenschafterinnen und Wissenschaftler für die Med Uni Graz zu gewinnen.“
...oder nützen
Dazu rekapituliert Johannes Huber, der von 1992 bis 2011 Professor und Abteilungsleiter an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien bzw. an der MedUni Wien und von 1995 bis 1996 provisorischer Vorstand der Frauenklinik im Wiener Allgemeinen Krankenhaus war: „Obwohl die Mitglieder jeder Besetzungskommission nach dem Universitätsgesetz selbstverständlich um Neutralität bemüht sind, können sie ihre Gefühle bezüglich medialer Beliebtheit von Kandidaten nicht leugnen. Neid ist bei Bewertung leider durchaus eine Komponente.“
Insofern bleibt es jedem selbst überlassen, ob sie oder er Medienkontakte pflegen will – oder eben nicht.