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25.10.2018 | Praxis und Beruf | Pharma News | Online-Artikel | AbbVie GmbH

„Auftraggeber sind die Patienten“

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Kassenvertrags- und Spitalsärzte sehen sich heute immer häufiger mit Beschneidungen ihrer Therapiefreiheit konfrontiert. Warum sie diese nicht hinnehmen müssen und welche Rechte sie haben, erklärt Prof. Dr. Alfred Radner, Jurist und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Medizinrecht.

Ärzte Woche: Sie beklagen seit Jahren, dass Ärzte heute von ihrer Therapiefreiheit nicht uneingeschränkt Gebrauch machen können. Existiert diese im klassischen Sinn überhaupt noch?

Radner: Die Therapiefreiheit oder Therapiehoheit war schon immer Grundsatz, das heißt, sie hat schon immer existiert. Allerdings wurde sie in den vergangenen Jahren zurückgedrängt, weil Nichtärzte auf Ärzte massiv einwirkten und weiterhin einwirken. Deshalb müssen wir Medizinern den Rücken stärken und in ihnen ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Rechte sie diesbezüglich haben. Auch und vor allem im Interesse der Patienten.

Ärzte Woche: Das bedeutet, es geht in eine Richtung, der man Einhalt gebieten muss?

Radner: Absolut. Schließlich ist nicht nur die Therapiefreiheit oder Therapiehoheit von Ärzten bedroht, sondern mitunter auch das Wohl der Patienten. Diese Entwicklung muss aufgehalten werden. Es gab schon Fälle, die an Körperverletzung grenzten bzw. damit einhergingen, weil jemand aus ökonomischen Gründen und nicht zum Wohle des Patienten gehandelt hat.

Ärzte Woche: Wie konnte es Ihrer Meinung nach zu dieser Entwicklung kommen?

Radner: Zum einen sind Ärzte in der Regel höfliche Menschen, die ihrer ärztlichen Tätigkeit nachgehen und Patienten helfen möchten. Zum anderen stehen die meisten von ihnen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Vorgesetzten und wissen oftmals über das rechtliche Umfeld sehr wenig Bescheid bzw. sind diesbezüglich nur unzureichend informiert. Es ist an den Vorgesetzten, für ihre Ärzte einzustehen, sie darüber aufzuklären, entsprechend zu handeln. Man hört immer wieder, dass seitens der Krankenkassen Weisungen, Hinweise oder Drohungen ausgesprochen werden. Vor allem, wenn es um die Verschreibung kostenintensiver Medikamente geht. Fakt ist, dass jeder behandelnde Arzt das Recht hat, das Medikament zu verschreiben, das er für das richtige hält. Und die Krankenversicherungsträger müssen die Kosten dafür übernehmen.

Ärzte Woche: Medizinrecht ist also ein Bereich, über den Ärzte zu wenig Bescheid wissen?

Radner: Richtig. Wir versuchen zwar, umfassend aufzuklären und haben erreicht, dass es ins Curriculum der Ärzteausbildung aufgenommen wird, aber im Berufsalltag werden die Wissenslücken offenkundig. Ein Arzt kann sich in der Regel nicht um alles kümmern. Aber – und das ist ganz entscheidend – er haftet für alles, was nicht optimal funktioniert. Verordnet er beispielsweise das nötige Präparat nicht oder ordnet eine bestimmte Untersuchung nicht an, weil er Kosten sparen möchte und der Patient erleidet einen Schaden, so muss er die Verantwortung dafür übernehmen.

Ärzte Woche: Das heißt also, dass der Chef- bzw. Vertrauensarzt der Krankenkasse nicht in die Therapiefreiheit eingreifen darf, weil nicht er für die daraus entstehenden Konsequenzen haftet?

Radner: Zunächst einmal ist es so, dass der Patient einen Behandlungsauftrag erteilt und nicht der Krankenversicherungsträger. Dieser persönliche, unmittelbar geschlossene Vertrag wird durch das Vertrauensverhältnis zwischen behandelndem Arzt und Patient verbunden. Der Chefarzt gilt als Vertragspartner des Behandlers und darf sich ins Arzt-Patienten-Verhältnis nicht einmischen. Er darf Empfehlungen aussprechen, aber keinerlei Weisungen erteilen. Das wissen viele Mediziner bedauerlicherweise nicht. Sie halten aber den Kopf hin, wenn etwas passiert.

Ärzte Woche: Der Chef- oder Vertrauensarzt ist also auch in Bezug auf vorgesetzte Ärzte weisungsfrei?

Radner: So ist es. Der EKO (Erstattungskodex – Anmerkung der Redaktion) gilt dabei als Entscheidungshilfe. Er muss ausschließlich nach dem letzten Stand der medizinischen Wissenschaft entscheiden. Es handelt sich bei ihm um einen bediensteten ärztlichen Sachverständigen, der in medizinischen Fragen weisungsfrei und eigenverantwortlich ist.

Ärzte Woche: Behandelnde Ärzte sollten sich also nicht beirren lassen und von ihrer Therapiefreiheit Gebrauch machen?

Radner: Ja, und es wäre wünschenswert, wenn Vorgesetzte und Interessensvertretungen hinter ihnen stünden. Sie dürfen mehr, als sie oftmals glauben und sollten selbstsicher hinter ihren Entscheidungen stehen. Weder die Krankenkassen noch die Chefärzte derselben sind ihre Auftraggeber, sondern einzig ihre Patienten. Und nur denen sind sie verpflichtet.

Ärzte Woche: Halten Sie den EKO für sinnvoll?

Radner: Durchaus. In Österreich gab es schon immer ein Spezialitätenverzeichnis, nach dem sich auch Apotheker richten und ihr Lager entsprechend bestücken können. Ist ein Präparat nicht im EKO enthalten, muss sich der Arzt ein Herz fassen und es trotzdem verordnen, wenn er es für sinnvoll hält. Ärzte brauchen diesbezüglich mehr Selbstbewusstsein.

Ärzte Woche: Wenn es um den EKO geht, drängt sich das Thema Generika zwangsläufig auf. Wie sollten Ärzte diesbezüglich agieren?

Radner: Es spricht durchaus nichts gegen die Verordnung derselben, wenn es sich in einem sinnvollen Rahmen bewegt. Wir wurden etwa von der Med Uni Wien um einen juristischen Rat gebeten, nachdem ein Patient nach einer Herztransplantation von seinem praktischen Arzt ein Generikum erhielt, obwohl er medikamentös perfekt eingestellt war. Dieser Mann ist beinahe gestorben, weil man ihm stattdessen ein Alternativpräparat verschrieben hat. Das sind Auswüchse, die wir in unserem Gesundheitssystem nicht nötig haben. Nicht selten sehen sich Patienten mit der Arroganz des Gesunden konfrontiert, der annimmt, es besser zu wissen oder ihre Lebenssituation beurteilen zu können. Auch Patienten sollten von ihren Rechten Gebrauch machen und wissen, dass sie nicht alles hinnehmen müssen.

Ärzte Woche: Was sollte sich in Zukunft für Mediziner ändern? Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Radner: Die Entstehung eines neuen und gesunden Selbstbewusstseins. Ärzte sollen ihren Patienten Lege artis das verordnen, was sie für medizinisch indiziert halten. Sie sollten hinter ihren Entscheidungen stehen, auch dann, wenn sie jemand in Zweifel zieht und sich einmischt. Ärzte dürfen keine Weisungen von Nicht-Ärzten entgegennehmen. Dieser Grundsatz muss als Rückenstärkung verstanden und von Vorgesetzten kommuniziert werden. Ob ärztliche Direktoren oder Primarärzte – jeder sollte das in der Praxis leben, ohne Angst vor Repressalien seitens der Krankenkassen und Mitarbeiter entsprechend aufklären.

Ärzte-Woche: Mit welchen Anliegen können sich Ärzte an die Österreichische Gesellschaft für Medizinrecht wenden?

Radner: Mit allen Fragen des Medizinrechts. Wir geben primär Auskünfte, auch an Nicht-Mitglieder, versuchen, zu helfen und zu unterstützen. Unsere Gesellschaft ist nicht auf Gewinn ausgerichtet und macht keine Rechtsvertretungen gegen Entgelt. Finanziert wird das Ganze durch Veranstaltungen und Vorträge.  

Buchtipp

Radner_Buchcover © Trauner Verlag

Gerald Radner und Alfred Radner
Die Rechte des Arztes
Die ärztliche Therapiehoheit – Basis der gesundheitsberuflichen Unabhängigkeit
Trauner Verlag 2017, 100 Seiten, 30,– Euro
ISBN 978-3-99033-859-9

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