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Ärzte Woche

03.09.2021 | Praxis und Beruf

Vienna Health Hub

Therapien noch besser nutzen

verfasst von: Josef Broukal

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Kann ärztliche Behandlung besser werden, wenn sie mehr als heute auf den einzelnen Patienten eingeht? Wenn sie mehr Daten über die Lebens- und Krankengeschichte ins Auge nehmen kann? Und werden wir uns das über die Krankenkassen leisten können? Die erstaunliche Antwort: Ja – aber nur dann, wenn wir an vielen Schrauben drehen. 

Aber an welchen Schrauben sollen wir drehen? Das war die Frage an eine Expertengruppe. Sie kamen auf Einladung des „Health Hub Vienna“ zusammen. Der „HHV“, wie er sich kurz nennt, bringt Pharmafirmen, Hersteller von Medizinprodukten, private und öffentliche Versicherungen und Start-ups zusammen. Ziel: Innovationen im Gesundheitssystem vorantreiben. Seine Arbeit wird von etwa 30 Institutionen gefördert – von, dem Alphabet entlang, AstraZeneca bis zur Veterinärmedizinischen Universität Wien. Am 4. August 2021 stellte der Health Hub Vienna fünf Personen eine große Frage: „Wie können wir unsere verfügbaren Behandlungen am besten anpassen?“ Und zwar anpassen an die Bedürfnisse einzelner Patientinnen und Patienten oder doch zumindest kleinerer Gruppen von Patienten. Personalisierte Medizin also anstelle von „eine Behandlung passt für alle“.

Das waren die wichtigsten Aussagen


Dr. Birgit Vogel forscht am Mount Sinai Krankenhaus in New York über Herzkreislaufkrankheiten und deren Behandlung. Sie geht der Frage nach, warum sich nur wenige Studien mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen befassen. Es werde immer klarer, dass es hier große Unterschiede zwischen Männern und Frauen gebe. Die Krankheiten stellten sich den Medizinern bei Frauen anders dar als bei Männern. Das beginne bei pathophysiologischen Mechanismen und setze sich fort bei Risikofaktoren, die es nur bei Frauen gebe. Auch in der klinischen Arbeit präsentierten sich Herz-Kreislauf-Erkrankungen von Frauen anders als bei Männern. Medikamente hätten bei Frauen andere Wirkungen. Impliziter Schluss: Geforscht werde heute vor allem an Männern, und das müsse sich ändern. Und zwar in Forschung, Vorbeugung, Behandlung und Pflege.

Prof. Dr. Tanja Stamm geht an der MedUni Wien der Frage nach, wie sich medizinische Behandlungen aus der Perspektive der Patienten darstellen – also nicht nur anhand der klinischen Symptome und ärztlichen Aufzeichnungen. Hier gebe es heute zu wenig Daten. Wenn wir in der Zukunft Behandlungen (auch) nach ihrem Erfolg bezahlen wollen, bräuchten wir mehr Daten, sagt Stamm. Das wären auf der einen Seite standardisierte Berichte der behandelnden Ärzte – Berichte, die sich in Datenbanken gut abbilden und leicht abfragen ließen. Auf der anderen Seite sei es wichtig zu wissen, wie Patienten die Behandlung und den Behandlungserfolg erleben. Hier geben Computer und Internet neue Möglichkeiten – noch Jahre nach einer Behandlung könnten Patienten auf einfache Weise Feedback geben. Wie geht es ihnen? Wie erleben sie den Alltag? Welche Symptome treten auf?

Dr. Nikolaus Krall ist Gründer und Leiter des Startups Allcyte. Sein Unternehmen arbeitet daran, aus der Analyse von Patientenblut Anleitungen für eine personalisierte Krebstherapie zu gewinnen. Bei ihm geht es in der Diskussion zum ersten Mal um Geld. Ein neues Medikament oder eine Therapie mit Privatgeld zu entwickeln, das sei wie ein Ersatzteil für ein System bauen, das wir nicht ganz verstehen. Wir wissen viel zu wenig über den menschlichen Körper, sagt Krall. Man müsse sich daher erfolgversprechende Entwicklungsgebiete aussuchen, die besten Leute anstellen – und darauf hoffen, dass sich die Forschung wirtschaftlich für die Investoren lohnt. Bei neuen Medikamenten sei die Sache eher einfach: Wenn eines Erfolg zeigt, wird es bezahlt werden – und zwar immer wieder, sobald ein Patient es verwendet. Anders sei das bei diagnostischen Verfahren und Geräten. Die könne man nur einmal an Ärzte und Spitäler verkaufen. Es sei schwierig, daraus regelmäßige Einnahmen zu erzielen. Eine Möglichkeit wäre, die Daten zu verkaufen, die bei der Anwendung dieser Geräte massenhaft anfallen.
Das sei in Europa schwieriger darzustellen als in den USA. In der EU gäbe es so viele Verbote und Einschränkungen, dass man nur schwer an Daten herankäme, die für die Forschung gebraucht werden.

Mag. Alexandra Reich-Rohrwig arbeitet beim Krankenhaus-Betreiber PremiquaMed an der Entwicklung neuer Geschäftsfelder. Personalisierte Medizin ist ihr ein Anliegen, etwa bei der Firma „Pharmgenetix“. Dieses Unternehmen bietet Tests für die Wirksamkeit von Medikamenten bei einzelnen Patienten an. Die Tests geben Antwort auf die Frage, wie Medikamente vom Körper eines Menschen aufgenommen und verarbeitet werden. Beispielsweise könne die einfache Regel, Menschen mit geringem Körpergewicht schwächere Dosen zu verschreiben als schwereren Personen, im Einzelfall durchaus falsch sein. Eine zierliche Frau könnte eine höhere Dosis brauchen als ein doppelt so schwerer Mann – einfach, weil ihr Körper aus dem Medikament weniger Nutzen zieht.
Genauso wichtig sei es, das Zusammenwirken mehrerer Medikamente beim konkreten Patienten zu beobachten. Etwa die Hälfte der Menschen in Österreich nehme täglich mehr als fünf verschiedene Medikamente ein. Eine genaue Analyse des Medikamentenstoffwechsels sei also durchaus sinnvoll. So könne rasch die richtige Dosierung gefunden werden, den Patienten werde Leid erspart.

Warum wird diese neue Technologie nicht schon allgemein verwendet? Weil weder Patienten noch Ärzte sie ausreichend kennen, meint Reich-Rohrwig. An fehlenden Daten liege es nicht. Die lägen für immer mehr Medikamente vor. Leider gebe es bisher keine Vergütung durch die Krankenkassen – bei Kosten von 200 Euro und mehr eine hohe Barriere. Genauso wichtig sei es, das Zusammenwirken mehrerer Medikamente beim konkreten Patienten zu beobachten. Etwa die Hälfte der Menschen in Österreich nehme täglich mehr als fünf verschiedene Medikamente ein. Eine genaue Analyse des Medikamentenstoffwechsels sei also durchaus sinnvoll. So könne rasch die richtige Dosierung gefunden werden, den Patienten werde Leid erspart. Warum wird diese neue Technologie nicht schon allgemein verwendet? Weil weder Patienten noch Ärzte sie ausreichend kennen, meint Reich-Rohrwig. An fehlenden Daten liege es nicht. Die lägen für immer mehr Medikamente vor. Leider gebe es bisher keine Vergütung durch die Krankenkassen – bei Kosten von 200 Euro und mehr eine hohe Barriere.

DI Martin Brunninger ist Generaldirektor beim Dachverband der Sozialversicherungen. Der Dachverband sei an Verbesserungen der Gesundheitsversorgung interessiert, sagt er, er müsse aber auch aufs Geld schauen. Sieht Brunninger in personalisierter Medizin die Zukunft? In Österreich gebe es sehr viele gute Daten, aber „wir haben noch nicht damit begonnen, diese Daten zu nutzen“. Mit auf den einzelnen Patienten zugeschnittenen Medikamenten habe man gute Erfahrungen gemacht, auch mit speziellen Operationstechniken. Aber es sei noch nicht klar, welchen Erfolg personalisierte Krankenbehandlung haben werde. Hier sei die Europäische Arzneimittel-Agentur gefordert, mehr Daten zur Verfügung zu stellen. So lange nicht klar sei, ob unterschiedliche Dosen an Medikamenten besser helfen würden als die heutigen Standard-Dosen, könnten die öffentlichen Krankenkassen für die dafür nötigen Untersuchungen kein Geld bereitstellen. Wenn sich die Politik endlich entschließe, das Verknüpfen von Daten zuzulassen, könne sehr viel für personalisierte Medizin getan werden.

„Wir würden auch gerne mehr für Vorbeugung tun“, sagt Brunninger, „aber dazu müssen wir die Ärzte erst überzeugen, ihre Erkenntnisse in unsere Datenbanken einzustellen.“ Viele Ärztinnen und Ärzte meinten, sie handelten aus Intuition, und die lasse sich nur schwer in Datenbanken abbilden – das stimme aber nicht. Intuition sei immer auch die gleichförmige, unbewusste Abfrage von in jahrelanger Beschäftigung mit einem Thema gewonnenem Wissen. Eines aber müsse auch klar sein, meint Generaldirektor Brunninger: Wenn die Krankenkassen ganz neue, sehr teure Therapien zahlen sollen, dann müssten die Menschen auch gefragt werden, ob sie dafür höhere Beiträge in Kauf nähmen.

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Metadaten
Titel
Vienna Health Hub
Therapien noch besser nutzen
Publikationsdatum
03.09.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 35/2021

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