Skip to main content
Ärzte Woche

16.08.2022 | Praxis und Beruf

Standleitung ins Unterbewusstsein

verfasst von: Michael Krassnitzer

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Therapeutische Hypnose per Video-Call scheint gleich gut oder sogar besser zu funktionieren als eine herkömmliche Hypnose-Sitzung. Denn bei den meisten therapeutischen Hypnosemethoden findet die Einleitung im Wesentlichen über die Stimme statt, sagt Dr. Nidal Moughrabi.

Hypnose ist ein wissenschaftlich anerkanntes Therapieverfahren, das bei einer Reihe von mentalen und körperlichen Problemen hilfreich sein kann: Depressionen, Schlafstörungen, Suchterkrankungen, chronische Schmerzen, Schwindel. Auch zur Gewichtsabnahme und zur Rauchentwöhnung wird Hypnose eingesetzt. Mit dem Aufkommen diverser Videokommunikations- und Konferenzdienste wurde es möglich, therapeutische Hypnose auch in Online-Sitzungen durchzuführen. Die COVID-19-Pandemie hat dieser Entwicklung Auftrieb gegeben und eine überraschende Einsicht gebracht, wie der Arzt und Hypnotherapeut Dr. Nidal Moughrabi, erläutert: „Dass Hypnose über Video-Call genauso gut funktioniert wie in einer klassischen Sitzung, war schon vorher bekannt. Die Erfahrung in der Pandemie hat gezeigt, dass es sogar besser funktionieren kann.“

Bei der Hypnose wird auf das Unterbewusstsein als natürliche Ressource zurückgegriffen, um Antworten oder Lösungen für mentale oder körperliche Probleme zu erhalten. „Wohlgefühl und Leiden, aber auch Gesundheit und Krankheit sowie eine Vielzahl von Symptomen finden ihren Ursprung, zumindest ihre Verstärkung in unserem Unterbewusstsein“, sagt Moughrabi. Bei der Hypnose wird der natürliche Bewusstseinszustand der Trance herbeigeführt, der durch intensive Fokussierung bei gleichzeitiger tiefer Entspannung und Ausschaltung des logisch-reflektierenden Verstandes gekennzeichnet ist. Menschen in Trance vergessen alles andere um sie herum. Alltagsbeispiele dafür sind das Versinken beim Anhören eines Musikstückes, Kinder beim Spielen oder das „Ins-Narrenkastl-Schauen“.

Zoom, Skype & Co

Über die Wirksamkeit von Online-Hypnose gibt es keine Studien, sehr wohl aber über die Wirksamkeit von Online-Psychotherapie. Die besagen, dass Psychotherapie über Video-Call genauso gut funktioniert, wie wenn sich Therapeut und Klient physisch gegenübersitzen. „Aus diesen Studien kann man meiner Meinung nach ohne Weiteres schlussfolgern, dass dies auch für Hypnose gilt“, bekräftigt Moughrabi. Das entspreche auch seiner persönlichen Erfahrung als langjähriger Hypnotherapeut. Zoom, Skype & Co seien sehr praktische und sichere Lösungen, um Sitzungen über das Internet abzuhalten. „Das Gefühl eines direkten Kontaktes – entspannt und konzentriert zugleich – stellt sich sowohl beim Gespräch als auch während der Hypnose unmittelbar ein“, berichtet er. Besondere technische Voraussetzungen sind nicht vonnöten: es genügen ein gewöhnlicher Bildschirm und eine stabile Internetverbindung.

Mit der Stimme wird eingeleitet

Anders als man es aus Film und Fernsehen sowie Showhypnosen kennt, findet bei den meisten therapeutischen Hypnosemethoden die Einleitung der Hypnose im Wesentlichen über die Stimme statt. „Mit der Stimme kann man auch über Video-Call problemlos arbeiten“, erläutert Moughrabi: „Es gibt nur wenige Techniken in der Hypnotherapie, bei denen man den Klienten kurz an der Hand oder an der Schulter berührt und darauf kann man verzichten.“

Was Moughrabi aufgrund der pandemiebedingt wachsenden Zahl an Hypnosesitzungen per Video-Call aufgefallen ist: Die Hypnose scheint sogar einfacher und schneller zu funktionieren. „Das ist kein Zufall“, sagt er. Denn Hypnose ist ja nichts anderes als die Fokussierung der Aufmerksamkeit – allerdings nach innen, beispielsweise auf den Atem. „Sich auf den Bildschirm zu fokussieren, scheint die Einleitung der Hypnose erfahrungsgemäß zusätzlich zu unterstützen“, unterstreicht der Hypnotherapeut. Außerdem scheint die Gefahr der Ablenkung geringer zu sein als bei einer herkömmlichen Sitzung. Wer nämlich vor einem Bildschirm sitzt, konzentriert sich normalerweise besonders stark; auch hier tritt das Phänomen auf, dass man alles um sich herum vergisst. Bei einer herkömmlichen Therapiesitzung hingegen kann die Aufmerksamkeit der Klienten durch einen Blick aus dem Fenster oder auf Gegenstände im Raum immer wieder abgelenkt werden.

„Ich selbst betreue bereits seit Jahren viele meiner Klienten online und möchte nicht mehr auf diese Möglichkeit verzichten“, bekräftigt Moughrabi. Ein Vorteil für die Klienten sei, dass sie sich ihren Wunschtherapeuten unabhängig vom geografischen Standpunkt aussuchen können. „Ich habe mehrere Klienten, die ich noch niemals persönlich getroffen habe“, betont der Hypnotherapeut. Auch für Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und deren Gesicht man kennt, ist es ein Riesenvorteil, wenn sie nicht beim Betreten einer therapeutischen Praxis gesehen werden. Dass die Online-Hypnose das physische Zusammentreffen zwischen Therapeut und Patient künftig obsolet machen könnte, glaubt Moughrabi nicht: „Es gibt Klienten, die Hypnose per Video-Call skeptisch gegenüberstehen und ausschließlich den direkten Kontakt wünschen. Und das ist auch völlig in Ordnung. Welche Methode man wählt, ist eine ganz individuelle Entscheidung.“

print
DRUCKEN
Metadaten
Titel
Standleitung ins Unterbewusstsein
Publikationsdatum
16.08.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 28-33/2022

Weitere Artikel der Ausgabe 28-33/2022