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Ärzte Woche

Open Access 10.10.2022 | Praxis und Beruf

Die Softskills von heute

verfasst von: Kerstin Mitternacht

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Kommunikation, Führung, Persönlichkeitsentwicklung – Themen, die in der Weiterbildung kaum berücksichtigt werden. Ärzte wie Podcasterin Dr. Nicole Hänse wollen das ändern und geben insbesondere jüngeren Ärzten Tipps. Ältere Kollegen wie Chefarzt Dr. Nikos Stergiou verstehen die Bedürfnisse der Jungkollegen, aber nur in Maßen.

In der ärztlichen Weiterbildung wird der Fokus im Klinikalltag auf fachliche Weiterbildung gelegt. Kommunikation, Führung oder Persönlichkeitsentwicklung kommen kaum vor, dabei wäre das laut Dr. Nicole Hänse, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, mindestens genauso wichtig. Aus diesem Grund hat sie vor drei Jahren, während ihrer Weiterbildung, einen Podcast ins Leben gerufen, der genau diese Themen behandelt. „Als ich vor dreieinhalb Jahren auf die Idee gekommen bin, hatte ich gerade die Klinik gewechselt, war zufrieden und fühlte mich fachlich sicher“, sagt Hänse. Die Ärztin habe auf einmal andere Themen, wie Stress, Struktur im Klinikalltag, Ärger mit Angehörigen oder Kollegen interessiert. „In meinen Augen steht und fällt damit die tägliche ärztliche Arbeit. Und diese Themen werden weder im Studium noch in der Weiterbildung besprochen“, sagt Hänse. Für einen guten Arzt oder Ärztin brauche es mehr als Diagnosen zu stellen, so ihre Einstellung.

Zeit und Prioritäten wahrnehmen

Konkret geht es in ihrem Podcast „ArztSein“ um Themen wie Selbstfürsorge, wie ich meinen Klinikalltag strukturiere, mir die Zeit einteile, priorisiere, Pausen nehme, auf mich achte und mich selbst nicht unter Stress setze. „Das bedeutet für mich zum Beispiel während der Visite im Moment zu sein, denn der Patient sieht mich nur einmal am Tag, da kann ich auch kurz das Telefon klingeln lassen, ihm aufmerksam zuhören und ihn ausreden lassen. Wir denken immer, dass wir unter Strom stehen, aber diese kurze Zeit haben wir für unsere Patienten“, sagt Hänse.

Beim Thema Führung gehe es nicht nur im klassischen Sinne darum, wie man Mitarbeiter führt, sondern das Thema betreffe jeden Arzt, denn man müsse auch Patienten anleiten und führen können. Hierarchie und Verantwortung seien wichtig, aber trotz allem müsse auch im Team gearbeitet werden und dabei sollte man immer den Menschen im Blick haben, sagt Hänse. Hier spielten auch Kommunikation und der respektvolle Umgang miteinander eine wichtige Rolle. Mittlerweile hat ihr Podcast 10000 regelmäßige Hörer, parallel betreibt sie auch einen Blog, für alle, die lieber lesen, wie Hänse sagt. Ihr gehe es darum, als Arzt zufrieden zu sein und am Arbeitsplatz in der Klinik langfristig einen Wandel anzustoßen.

Dabei behandelt sie auch Tabuthemen wie Trauer und Verlust. „Für uns als Ärzte in der Gynäkologie gehören beispielsweise Fehlgeburten zur täglichen Routine, aber für die betroffene Frau ist das anders, hier müssen wir uns Zeit nehmen und für unsere Patienten da sein.“ Außerdem könne es ja durchaus vorkommen, dass auch der Arzt oder die Ärztin einen Verlust erlebt haben, den sie verarbeiten müssen. Im schlechtesten Fall sitzen Arzt und Patient mit ähnlichen Erlebnissen und Trauer in einem Raum, da müsse man als Arzt wissen, wie man selbst mit seinen Gefühlen umgehe. „Ärzte werden immer noch oft als Götter in Weiß betrachtet, die keine eigenen Gefühle haben, über die Station schweben und natürlich auch keine Fehler machen“, sagt Hänse. Doch von diesem Bild müsse man wegkommen. Denn gerade aus Fehlern könne man lernen. „Meist wird nur gefragt, wer den Fehler gemacht hat und nicht, wie es dazu gekommen ist und wie man in Zukunft damit umgeht.“

Verantwortung und Einfluss nehmen

Ihr gehe es zudem darum, aufzuzeigen, dass man Verantwortung auch für sich selbst übernehmen muss. Es seien nicht immer nur die Chefs oder Strukturen schuld, sondern man habe auch selbst Einfluss. So habe Hänse an sich beobachtet, wenn sie schwierige Gespräche nachmittags auf der Onkologie führen müsse, diese Gespräche, ohne dass sie sich eine Mittagspause gegönnt hätte, meist nicht so gut verliefen. Und auch wenn die Zeit fehle oder man ein schlechtes Gewissen seinen Kollegen gegenüber hätte, müsse man sich Pausen nehmen oder zumindest seinem Chef eine Rückmeldung geben, dass Zeit dafür fehle, damit dieser Bescheid wisse. Da der Ärztin die Themen am Herzen liegen, bietet sie mittlerweile auch Webinare an, als Info-Workshop und auch zum Austausch untereinander. So merke man auch, dass man mit den Problemen nicht alleine sei. Mit ihrem Podcast verdient sie bisher kein Geld, allerdings hoffe sie, dass die Workshops dazu beitragen, den Podcast in Zukunft quer zu finanzieren.

© Andrii Yalanskyi / stock.adobe.com

Was denkt ein erfahrenerer Kollege?

Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung fordern heute mehr ein“, beobachtet Chefarzt Dr. Nikos Stergiou an der Asklepios Klinik in Seligenstadt, Frankfurt/Main, und wie zum Beispiel Angebote zur Arzt-Patienten-Kommunikation. Er berichtet, als er vor über 20 Jahren seinen Facharzt gemacht habe, dass die Weiterbildung aus Zuhören und Erleben bestand, und dies für sich selbst dann einzuordnen. Darüber habe er sein eigenes Wertesystem entwickelt. „Da wir damals noch länger gearbeitet haben und somit mehr vor Ort im Krankenhaus waren, gab es automatisch auch mehr Zeit für Gespräche und Erfahrungen“, sagt der Chefarzt und Weiterbilder.

Die heutige Generation profitiere davon, dass bessere Arbeitsbedingungen erstritten wurden, und sie weniger arbeiten muss als Ärztinnen und Ärzte vor ihnen. Aber dadurch fehle natürlich auch Zeit. Zeit, die dann letztlich der Weiterbildung fehle. Aus seiner Sicht müsste sich eigentlich die Weiterbildungszeit verlängern, damit wirklich alle Inhalte ausführlich erlernt werden könnten. Zudem komme die Weiterbildung im Alltag ohnehin oft zu kurz. Er hält Angebote, die sich mit Kommunikation, Arbeitsstruktur, Stress oder Umgang mit Fehlern beschäftigen für sinnvoll und sie gehörten grundsätzlich auch in die Aus- und Weiterbildung. Stergiou hat deshalb in seiner Abteilung ein Programm entwickelt, das neben einer Struktur für Weiterbildung unter anderem interne Kurse zu Sonografie, Endoskopie oder EKG vorsieht, aber auch schon Kommunikationstraining und Konfliktmanagement beinhalte. Seiner Meinung nach lernt man gute Kommunikation nicht nur über theoretische Kurse, sondern vor allem durch Übung und durch Vorbilder.

Nine-to-five – nicht im Arztjob

Was ihm als Weiterbilder allerdings auffalle, dass sich der Anspruch an sich selbst bei einigen jungen Ärztinnen und Ärzten verändert habe: „Ich erwarte ein Grund-Engagement von meinen Ärzten in Weiterbildung mit dem Ziel, besser zu werden als der Weiterbilder. Wenn jemand von Beginn der Weiterbildung eine Nine-to- five-Job-Garantie erwartet, dann finde ich diesen Gedanken befremdlich. Es gilt selbstverständlich, Überstunden zu vermeiden oder sie ausgleichen zu können, aber Umgang mit Menschen braucht Flexibilität.“

Auch in anderen Berufen müsse man das zeigen und hätte Stress, vor allem in den ersten Berufsjahren. Er nennt als Beispiel Piloten, die auch viel Verantwortung haben und Stress aushalten müssten. Hier die eigenen Grenzen zu erfahren und seine eigenen Fähigkeiten einschätzen zu lernen, aber auch Fertigkeiten zu erlangen, um außergewöhnliche Situationen zu bewältigen, sei gerade bei Ärzten wichtig. Denn Patienten verlassen sich darauf, dass Ärzte in Stresssituationen die richtigen Entscheidungen treffen. „Wenn ich heute höre, dass Nachtdienste anstrengend seien und man nicht so belastbar sei, muss man sich schon fragen, ob das der richtige Beruf für einen ist“, sagt Stergiou. Denn der Weiterbildungszeit folgen Jahrzehnte eigenverantwortlichen Handelns am und für Patienten, sei es in der Niederlassung oder in führender Position. „Darauf muss man vorbereitet sein. Oder das ganze ärztliche Versorgungssystem müsste sich ändern! Glauben Sie daran?“, fragt Stergiou.

Zudem sei ihm aufgefallen, dass immer mal wieder Zeit auf der Station zur Verfügung steht, gleichzeitig sich aber nicht alle Ärztinnen und Ärzte mehr Zeit für Patienten nehmen, was sich aber doch viele Ärzte wünschten. Kommunikation, Achtsamkeit und Empathie könne man sich zwar theoretisch aneignen, aber man müsse die Fähigkeit dazu dann auch im Berufsleben anwenden. In diesen hektischen und von empfundenem Dauerdruck und Getriebensein geprägten Zeiten nehmen sich nicht viele Zeit für intensive Gespräche und empathische Zuwendung, so Stergious Beobachtungen. Selbst wenn dazu Zeit sei. Das finde er traurig.

Metadaten
Titel
Die Softskills von heute
Publikationsdatum
10.10.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 41/2022

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