Heile, heile ...
- 30.09.2025
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Der Arzt, Buchautor und Kabarettist Ronny Tekal verfolgt ein Credo: Heilung gelingt am besten, wenn Arzt und Patient gemeinsam Verantwortung tragen. Sein Werk „Doppelt heilt besser – schneller gesund mit der Mitmachmethode“ ist aber weit mehr als ein herkömmlicher Ratgeber. Es ist eine Einladung zu einem Perspektivenwechsel. Mit seiner Kombination aus medizinischer Expertise und psychologischem Feingefühl plädiert Tekal für ein partnerschaftliches Verständnis von Medizin.
Wir alle kennen das Szenario: Man fühlt sich krank, hofft beim Arzt auf schnelle Heilung – und wünscht sich, den Körper wie ein defektes Auto in der Werkstatt abgeben zu können. Genau hier setzt Tekal an: Heilung sei kein rein ärztlicher Akt, sondern eine Wechselwirkung. Medikamente, Operationen und ärztliche Expertise auf der einen Seite, Eigeninitiative, Bewegung, psychische Haltung und Selbstwirksamkeit auf der anderen. „Mindestens die Hälfte der Genesung“, sagt er, „liegt bei den Patienten selbst.“
Diese Aussage ist provokant, denn das Bild des Halbgottes in Weiß sitzt tief. Doch Tekal kennt die Fallstricke aus seiner eigenen Praxis: Menschen, die auf das berühmte „Jauckerl“ – eine Injektion mit entzündungshemmenden Wirkstoffen – hoffen, statt sich zu bewegen und Eigenverantwortung zu übernehmen. Oder Patienten, die noch im Wartezimmer ihre Blutdruck-Tagebücher nachtragen, weil sie die Einträge nicht für sich, sondern für den Arzt machen. Medizin, so zeigt er, bleibt häufig ein Rollenspiel, bei dem beide Seiten an tradierten Mustern festhalten.
Zauber der Montur
Mit leichter Hand legt Tekal diese Muster offen, ohne zu moralisieren. Als Mediziner und Kabarettist hat er den Vorteil, Widersprüche nicht nur klinisch, sondern auch komisch zu sezieren. Humor dient ihm nicht als Flucht, sondern als Werkzeug, um das ernsthafte Anliegen zugänglich zu machen: Nur wer den eigenen Anteil an Gesundheit erkennt, kann die ärztliche Arbeit sinnvoll ergänzen. Sein Konzept knüpft an frühere Bücher wie „Die innere Apotheke“ an, in denen er die körpereigenen Ressourcen – Dopamin, Serotonin, Oxytocin – als Medikamente „aus dem eigenen Schrank“ beschrieben hat. Jetzt geht es um die „Mitmach-Methode“: Statt passive Konsumierende sollen Patientinnen und Patienten zu Mitgestaltenden werden. Der Arzt als Droge – auch dieses Bild taucht auf. Tekal verweist auf die „Zauberwirkung“ ärztlicher Autorität: das Placebo, das aus Ritualen, Vertrauen und Symbolen entsteht. Doch statt diesen Effekt auszuschalten, plädiert er für eine reflektierte Nutzung.
Scheinbare Wurstigkeit
Dabei spart er die Schwierigkeiten nicht aus. Mündige Patienten, die viel fragen und diskutieren, sind für Ärztinnen im vollen Praxisalltag manchmal ein Ärgernis. Die Informationsflut durch „Dr. Google“ oder KI-Chatbots stellt das alte Machtgefüge infrage. Tekal sieht darin weniger Bedrohung als Chance: Kommunikation müsse neu gelernt werden – kurz, klar, empathisch. Ein gutes Gespräch dauere nicht länger als ein schlechtes. Das Dreieck Empathie, Echtheit, Akzeptanz – entwickelt von Psychotherapeut Carl Rogers – dient ihm als Orientierung. Was banal klingt, ist in der Realität schwer umzusetzen. Denn Akzeptanz bedeutet, auch unvernünftige Entscheidungen der Patienten stehenzulassen, statt beleidigt zu reagieren. Tekal erzählt von Impfungen während der Pandemie, bei denen er bewusst ergebnisoffen blieb: „Es ist mir nicht egal, aber ich will niemanden bekehren.“ Paradoxerweise überzeugte genau diese Haltung.
Für Sabine
Auch an der Systemfrage kommt er nicht vorbei. Würde er Gesundheitsminister, so Tekal, stünden drei Dinge oben auf der Liste: mehr Ressourcen für Prävention, bessere Vergütung für ärztliche Gespräche – und eine echte Unterstützung chronisch Kranker im Alltag. Dass er die Rolle lieber den Berufspolitikern überlässt, betont er dennoch mit Nachdruck. Sein Buch adressiert beide Seiten – Ärzte wie Patienten. Als „Musterleserin“ stellte er sich beim Schreiben eine 48-jährige Lehrerin namens Sabine vor: informiert, kritisch, aber offen für neue Perspektiven. Dass am Ende auch Medizinerinnen und Mediziner schmunzeln, wenn Tekal die Chefvisite als „medizinischen Voodoo-Akt“ beschreibt, ist Teil seiner Strategie: Leichtigkeit als Türöffner für ernste Inhalte.
Ein Thema, das Tekal mit spürbarer Neugier verfolgt, ist die Rolle künstlicher Intelligenz in der Medizin. Wo Ärztinnen und Ärzte noch vor wenigen Jahren über „Dr. Google“ klagten, tritt heute ChatGPT hinzu – und überrascht mit erstaunlich präzisen, mitunter sogar empathischen Antworten. Tekal wollte in einer Radiosendung die Grenzen solcher Systeme vorführen und musste feststellen: Sie sind besser als gedacht, unterscheiden Dringendes von Unwichtigem, können sogar Trost spenden. Dass Patientinnen und Patienten in Wartezeiten digitale Assistenten befragen, sieht er pragmatisch: Wenn Maschinen Zwischenräume füllen, während Termine rar sind, dann sei das nicht Konkurrenz, sondern Ergänzung. Für die Ärzteschaft bedeutet das, das eigene Selbstverständnis zu überdenken: Autorität allein genügt nicht mehr, entscheidend ist die Qualität der Begegnung.
Mehr als bloße Folklore
Trotz aller technologischen Fortschritte bleibt Tekal fest mit der Erde verbunden. Im Gespräch für den Springer-Podcast „Hörgang“ schwelgt er in Erinnerungen an die Essigpatscherl seiner Kindheit – einfache Hausmittel, deren Wirkung wissenschaftlich kaum belegt ist, die jedoch Zuwendung und Fürsorge in ihrer reinsten Form verkörpern. Auch die Anekdoten seiner Kollegen, die eine Erkältung lieber mit zwei kalten Bieren bekämpfen, dürfen nicht fehlen. Für Tekal sind solche Geschichten weit mehr als bloße Folklore: Sie verdeutlichen, wie tief Heilung in kulturellen Traditionen verwurzelt ist. Anstatt dogmatisch auf wissenschaftliche Evidenz zu bestehen, plädiert er für eine Haltung der Offenheit. Wer auf Globuli, Kräuter oder Rituale setzt, sollte nicht vorschnell als unvernünftig abgestempelt werden. Vielmehr geht es darum, einen gemeinsamen Weg zu finden, der sowohl zur Lebensweise der Patienten passt als auch medizinisch vertretbar bleibt – ein Balanceakt zwischen Evidenz und Akzeptanz.
Bleibt die Frage, wie Tekal selbst als Patient ist. „Ein miserabler“, gibt er zu, halb im Scherz, halb im Ernst. Das Wissen um Symptome verstärke eher die Hypochondrie, Vorsorge betreibe er nur selektiv. Vielleicht liegt darin die Ehrlichkeit, die seine Bücher so zugänglich macht: Der Arzt predigt nicht von oben herab, er entlarvt sich selbst als Mensch, der ebenfalls zwischen Vernunft und Bequemlichkeit schwankt. „Doppelt heilt besser“ ist damit mehr als ein Gesundheitsratgeber. Es ist eine Einladung, Medizin als Beziehung zu begreifen: ein Zusammenspiel, das manchmal improvisiert, manchmal ritualisiert, manchmal von Humor getragen ist – und im besten Fall tatsächlich schneller heilt.
Lukas Beck
Lukas Beck