Bringen verpflichtende Computer-Auswertungen den niedergelassenen Ärzten Vorteile – oder machen sie bloß mehr Arbeit? Und kosten Zeit, die dann im Patientengespräch fehlt? Die ÖÄK warnt vor zu viel Euphorie. Und sagt, wie E-Health Medizinern und Patienten Vorteile bringen kann.
Zwei Dinge sind es, sagt Dr. Alexander Moussa, die das Kassensystem belasten: Immer mehr ältere Menschen bringen einen zunehmenden Versorgungsbedarf im niedergelassenen Bereich. Gleichzeitig wird die Kassenärzteschaft immer älter. Moussa: „In den nächsten zehn Jahren wird nahezu die Hälfte der Kolleginnen und Kollegen in Pension sein. Und selbst in fünf Jahren ist es immerhin ein Drittel. Und heute sind schon knapp 10 % im pensionsreifen Alter.“
Moussa sieht eine gefährliche Entwicklung auf uns zukommen: „Zwischen 3 und 5 Minuten ist in der Kassen-Allgemeinordination für einen Patienten Zeit. Wenn uns eine schlecht geplante Digitalisierungslösung hier 30 Sekunden stiehlt, dann haben wir für den einen oder anderen Patienten am Ende des Tages keine Zeit mehr. Umgekehrt kann uns sinnvolle Digitalisierung helfen, unsere Patienten au
ch in Zukunft gut zu versorgen.“ Der elektronische Impfpass sei ein gutes Beispiel dafür, wie Digitalisierung helfen kann. E-Medikation sei ein zweites Beispiel.
Digitale Medizin müsse den Workflow in den Ordinationen unterstützen, sagt Moussa. Ärztinnen und Ärzte stünden der Digitalisierung positiv gegenüber –, wenn sie darin einen Sinn erkennen. Wenn es einen Nutzen für sie hat, in der Patientenbetreuung und in ihrem Arbeitsalltag. Und wenn es sie entlastet. „Unsere Expertise muss anerkannt werden“, sagt Moussa. Dann werden Ärzte und Ärztinnen bei der Digitalisierung mitarbeiten. Aber: „Wir brauchen Tools, die uns gut und schnell arbeiten lassen.“ Mehrere Dinge seien nötig, um die niedergelassenen Ordinationen zukunftsfit zu machen:
Digitalisierung muss die ärztliche Tätigkeit unterstützen und die Arbeit erleichtern. An erster Stelle steht für Moussa die praktische Brauchbarkeit einer digitalen Lösung. Sie müsse zeiteffizient sein und sie müsse leicht bedienbare Benutzeroberflächen haben. Das könne durchaus auch ein destruktiver Schritt im Sinn einer besseren Lösung sein.
- Praktikable und anwenderfreundliche Lösungen unter Berücksichtigung der Ärzteschaft als Hauptusergruppe. Wir brauchen Lösungen, die den ärztlichen Alltag berücksichtigen, sagt Moussa. „Es muss hingeschaut werden, was wir machen.“ Für viele sei die Arztordination eine Blackbox. Es wird nicht verstanden, was dort funktioniert. Hinschauen, Mitarbeiten und Mitgestalten wären angesagt.
- Erstellen einer E-Health-Roadmap, abgestimmt mit allen Stakeholdern. Es käme ihm derzeit so vor, sagt Moussa, als hätten wir Digitalisierung der Digitalisierung wegen. Ganz schnell soll ganz viel gemacht werden. Moussa warnt: „Wenn wir zu viel gleichzeitig machen, rennen uns die Ärzte davon oder sie tun nicht mit – und am Ende des Tages haben wir weniger Versorgung, als wir anstreben. Deswegen Schritt für Schritt eingegliederte neue digitale Lösungen.“
- Bereitstellen von interoperablen und standardisierten Schnittstellen. Ohne dieses Mantra der Ärztekammer und der ÖG-Telemed werde es nicht gehen, sagt Moussa. Wenn im Patientengespräch ständig Programme gewechselt werden müssten, wenn verschiedene User Interfaces auf die Ärzteschaft einprasseln, werde es keine guten Lösungen geben können.
- Ausreichende Finanzierung und realistische Zeitachsen für E-Health-Projekte durch die öffentliche Hand. Moussa nennt als abschreckendes Beispiel für unrealistische Zielsetzungen die gesetzlich verordnete Einführung der Diagnosecodierung ab 1. Jänner 2025. „Wir sehen das als nicht machbar an und hoffen, dass die Politik einsieht, dass sie uns überfordert.“
- Gesetzliche Verpflichtung zur Anbindung der Wahlärzte an das E-Card-System. Die Wahlärzteschaft sei gesetzlich verpflichtet, Digitalisierungsinstrumente der Sozialversicherung zu benutzen. Aber die elektronische Krankmeldung über das E-Card-System funktioniere derzeit nur im Burgenland. In den anderen acht Bundesländern sei sie nicht freigeschaltet, obwohl es möglich wäre.
- Frühzeitige Einbindung der Ärzteschaft in Ausbau und neue Projekte. Die Ärzteschaft hätte gezeigt, dass sie positiv zur Digitalisierung eingestellt sei; dass sie mitarbeiten wolle; dass sie einen Beitrag zu einer sinnvollen E-Health-Zukunft im niedergelassenen Bereich leisten wolle.
Karl Lehner von der Oberösterreichischen Gesundheitsholding dazu: „Alle Krankenhausträger scheuen sich derzeit davor, ihre Krankenhaus-Informationssysteme auszutauschen.“ Bei den dann notwendigen Ausbildungsaktivitäten für bis zu zehntausende Beschäftigten sei man da sehr vorsichtig. Es gibt aber auch Reservationen, was die Menschen selbst betrifft. Lehner: „Es gibt junge Ärzte, die nicht in die Radiologie gehen, weil sie Angst davor haben, dass die Künstliche Intelligenz sie ersetzen könnte.“ Dabei existiert derzeit gerade wieder Pessimismus, was den Nutzen von KI & Co. betrifft.
Reinhard Riedl von der Fachhochschule Bern: „Die Realität ist, dass wir bereits mehr als 60 Jahre Erfahrung mit Künstlicher Intelligenz haben. Und immer wird versprochen, dass sie binnen zehn Jahren alle Probleme löst. Gerade jetzt raunzen aber alle – und Großunternehmen klagen, dass diese Technik viel kostet und eine endlose Kette von Fehlern produziert.“
Karl Lehner erläutert, gerade leicht bedienbare digitale Lösungen, welche die Arbeit der Benutzer erleichterten, würden den Ausschlag bezüglich Erfolg oder Misserfolg ausmachen. Jeder Beteiligte müsse einen „Win-Win“ lukrieren können.
Noch ein paar Sätze zur Codierung: Mittlerweile arbeiten Fachleute zum Beispiel bereits daran, die in Zukunft vorgeschriebene Krankheitscodierung und Dokumentation möglichst zu vereinfachen. So könnte zum Beispiel eine Codierung aus den verschriebenen Arzneimitteln abgeleitet werden, sagt Helmut Dultinger von der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM). Ohne eine Kontrolle und Wartung durch den jeweiligen Arzt werde es aber nicht gehen.
Mehr Informationen zur Haltung der Ärzteschaft zu e-Diagnose und zum Europäischen Raum für Gesundheitsdaten: https://www.oegtelemed.at/publikationen .