Einleitung
Die WHO definiert „Gesundheit“ nicht nur als Fehlen von Krankheit, sondern als einen Zustand von körperlichem, mentalem und sozialem Wohlbefinden. Durch eine nahezu lebenslange Arzt/Ärztin-Patientin-Beziehung kommt dem Gynäkologen/der Gynäkologin in der Gesundheitsvorsorge der Frauen eine besondere Rolle zu, da er/sie die Patientin von der Jugend an über die reproduktive Phase bis zum Alter begleitet, für die langfristige Gesundheit im Sinne dieses biopsychosozialen Modells relevante lebensphasenspezifische Veränderungen kennt und die entsprechenden gesundheitsförderlichen Maßnahmen individuell in die Wege leiten kann.
Sensible Lebensphasen
Es gibt im Leben besondere Entwicklungsstadien, die auch als „sensible Zeitfenster“ („programming windows“) bezeichnet werden, in denen ein nachteiliger Gesundheitszustand einen nachhaltig negativen Einfluss auf den Organismus ausüben kann. Diese Lebensabschnitte bieten aber auch die Chance, Risiken zu erkennen und vorsorglich gesundheitsförderliche Maßnahmen zu ergreifen, um eine unerwünschte Prägung abzuwenden und eine nachhaltig positive Gesundheitsentwicklung zu erzielen („window of opportunity“). Zu diesen Phasen zählen die intrauterine Entwicklung, das Neugeborenen- bzw. Kindesalter und die Adoleszenz bzw. frauenspezifisch die Menarche, die reproduktive Periode des Kinderwunschs, Schwangerschaft und Stillzeit sowie auch die Menopause.
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Frauenspezifische Risikofaktoren langfristiger Gesundheitsentwicklung
Die Menarche, das Einsetzen der ersten Regelblutung, ist nicht nur von genetischen Faktoren bestimmt. Ein niedriges Geburtsgewicht oder höherer BMI erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine frühe Menarche (< 11 Jahren), welche wiederum mit einem erhöhten Risiko für ein metabolisches Syndrom und kardiovaskuläre Erkrankungen im Erwachsenenalter assoziiert ist.
Die Adoleszenz sollte nicht nur als Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter gesehen werden, sondern als eine Schlüsselphase im Leben, in der sich prägende körperliche, psychische und soziale Entwicklungen vollziehen und bis ins Erwachsenenalter manifestieren können [1].
Der Beginn der Pubertät ist genetisch bedingt, jedoch haben auch äußere Faktoren bedeutenden Einfluss. Zuverlässig nachgewiesen ist beispielsweise die Assoziation der Zunahme von Fettleibigkeit und anderen Stoffwechsel- und/oder Essstörungen mit Veränderungen der Pubertätsentwicklung [2]. Eine Reihe potenziell beeinflussbarer Prozesse, die während der Adoleszenz geprägt werden, wirkt sich letztlich nicht nur auf die eigene Gesundheit, sondern im weiteren Verlauf auch auf die ihrer zukünftigen Nachkommen aus [1].
Eine weitere sensible Lebensphase stellt zweifellos die Zeit der Reproduktion dar. Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) ist mit einer Prävalenz von 10 bis 13 % die häufigste Endokrinopathie bei Frauen im gebärfähigen Alter und birgt ein erhöhtes Risiko für verschiedenste langfristige negative Effekte von der Adoleszenz bis nach der Menopause. Es ist mit einem erhöhten Risiko für ein metabolisches Syndrom bereits im jungen Lebensalter und Infertilität bzw. während der Schwangerschaft mit einem erhöhten Risiko für Fehlgeburten, Gestationsdiabetes und hypertensive Schwangerschaftserkrankungen sowie für kardiovaskuläre Erkrankungen in der Postmenopause und für das Endometriumkarzinom bereits prämenopausal assoziiert. Zudem wurden negative Auswirkungen des PCOS auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität gezeigt.
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Frauen mit primärer Sterilität weisen häufiger kardiovaskuläre Risikofaktoren auf als gesunde Frauen, was möglicherweise auf gemeinsame zugrunde liegende pathophysiologische Ursachen hinweisen könnte. Eine Schwangerschaft nach assistierter Reproduktionstherapie hat ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen wie schwangerschaftsassoziierten Bluthochdruck und Gestationsdiabetes, welche wiederum das Risiko für spätere kardiovaskuläre Erkrankungen steigern [3].
Fehlgeburten gehören zu den häufigsten geburtshilflichen Komplikationen, wobei unter vielen anderen höheres Alter und Adipositas zu den Risikofaktoren zählen. Frauen mit habituellem Abortgeschehen (≥ 3 Aborte) haben ein höheres Risiko für thrombembolische Erkrankungen sowohl peripartal als auch Jahre später unabhängig von einer vorbekannten Thrombophilie [4].
Die Schwangerschaft und insbesondere auch die Stillzeit sind als sensible Lebensphasen langfristiger Gesundheitsentwicklung nicht nur für das Kind, sondern auch für die Mutter entscheidend. Die Schwangerschaft kann auch als „Stresstest“ für den mütterlichen Organismus verstanden werden, da sie die Manifestation einer zugrunde liegenden bisher unerkannten Erkrankung bewirken oder das Fortschreiten bereits bestehender chronischer Erkrankungen beschleunigen kann.
Die Stillzeit ist eine Chance für eine nachhaltig günstige Gesundheitsprägung für Mutter und Kind. Ergebnisse epidemiologischer Studien haben die Vorteile des ausschließlichen Stillens als wirksame Maßnahme zur Verringerung des Risikos zur Entwicklung von Fettleibigkeit und Diabetes für Mutter und Kind dargestellt sowie für mütterlichen Eierstock- und Brustkrebs [2].
Rezente Studie zeigen ein ansteigendes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen in der mittleren Lebensphase rund um die Menopause, wobei Frauen mit frühem Menopausenalter (< 45 Jahren) ein signifikant höheres Risiko für koronare Herzerkrankung und Herzinsuffizienz haben als jene mit späterem Eintritt in die Menopause (> 50 Jahre; [5]).
Nichtübertragbare Erkrankungen: „a global health tsunami“
Nichtübertragbare Erkrankungen („non-communicable diseases“ [NCD]) sind chronische Erkrankungen, deren Entstehung von genetischen Faktoren, Geschlecht, Alter, Ethnizität, Umweltfaktoren und dem Verhalten geprägt sind. Die vier wichtigsten sind kardiovaskuläre Erkrankungen, Tumorerkrankungen, chronische respiratorische Erkrankungen und Diabetes. Unter ihnen stellen die kardiovaskulären Erkrankungen die Hauptursache für vorzeitige Todesfälle dar. Zu den NCD zählen auch das metabolische Syndrom, zerebrovaskuläre, rheumatische und neurodegenerative Erkrankungen, Osteoporose/Sarkopenie und kognitive Störungen sowie Depression [6]. 74 % aller Todesfälle weltweit sind auf dieses Erkrankungsspektrum zurückzuführen. Die WHO stellt aktuell fest, dass 80 % der vorzeitigen Todesfälle aufgrund von Herzerkrankungen, Schlaganfall und Diabetes vermeidbar wären. Diese Todesfälle sind oft das Ergebnis gesundheitlicher Probleme oder gesundheitsbezogener Verhaltensweisen, die ihren Ursprung in früheren Lebensabschnitten, wie z. B. Kindheit und Jugend, haben. Daher ist die Verbesserung der Gesundheitskompetenz bei Jugendlichen ein entscheidendes „window of opportunity“ zur eigenen langfristigen Gesundheitsvorsorge und jener ihrer Kinder, um die Fortführung des Kreislaufs der nichtübertragbaren Krankheiten zu durchbrechen [1].
„Maternal-fetal medicine“ und NCD
Die medizinische Betreuung von Frauen rund um Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett bzw. auch zwischen Schwangerschaften, im sogenannten „interpregnancy interval“, soll vorbestehende, chronische Erkrankungen bzw. nachteilige Gesundheitszustände, wie z. B. präexistente NCD, erfassen, um eine angemessene, individuelle Behandlung einzuleiten. Präkonzeptionell bestehende NCD sind zum einen Risikofaktoren für ein mögliches ungünstiges Schwangerschaftsoutcome für Mutter und Kind. Zum anderen stellen Komplikationen der Schwangerschaft bzw. schwangerschaftsspezifische Erkrankungen Risikofaktoren für die spätere Entwicklung von chronischen Erkrankungen wie NCD dar.
Das etablierte Konzept „Developmental Origin of Health and Disease (DOHaD)“ stellt den Zusammenhang zwischen äußeren Faktoren und ihren Einfluss auf die Entwicklung des Organismus während verschiedener sensibler Lebensphasen dar („developmental programming“). Zu diesen zählen die Zeit vor der Empfängnis, die Schwangerschaft, die Stillzeit und die Pubertät, die das Risiko eines erwachsenen Individuums beeinflussen, chronische, z. B. metabolische und kardiovaskuläre, Erkrankungen zu entwickeln [2]. Die Beobachtung der frühen Gesundheitsprägung durch ein Zusammenwirken von angeborenen und durch Anpassungsprozesse erworbenen Eigenschaften besteht schon seit fast 100 Jahren. Durch die rasante Zunahme an NCD in jüngerer Zeit und die Erforschung ihrer Entstehung und Entwicklung zur Etablierung zielgerichteter prädiktiver und präventiver Maßnahmen erlangt dieses Konzept erneut an Bedeutung.
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Risiko für NCD nach „adverse pregnancy outcomes“
Plazentaassoziierte Schwangerschaftserkrankungen, wie Präeklampsie bzw. hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, Frühgeburtlichkeit, fetale Wachstumsrestriktion, vorzeitige Plazentalösung sowie schwangerschaftsassoziierte metabolische Störungen wie Gestationsdiabetes gehen mit einer erhöhten kurz- und langfristigen Morbidität und Mortalität sowohl für die Mutter als auch für das Neugeborene einher. Sie gehen nicht nur mit einem Wiederholungsrisiko für die Folgeschwangerschaft einher, sondern führen zu einem vielfach erhöhten Risiko für verschiedene NCD im weiteren Leben sowohl der Mutter als auch des Kindes.
Bei Frauen nach Präeklampsie ist das Risiko für ischämische Herzerkrankungen verdoppelt, für Herzinsuffizienz um das 3,5-fache erhöht, für Insult und für chronische Nierenerkrankungen um rund 70 % erhöht sowie für vaskuläre Demenz verdreifacht und für thrombembolische Erkrankungen verdoppelt [7].
Frauen, die einen Gestationsdiabetes in der Schwangerschaft entwickeln, weisen ein 10-fach höheres Risiko für die Entwicklung eines Diabetes Typ II im Vergleich zu jenen ohne diese Erkrankung auf. Eine Nachsorge mit postpartalem Screening und Anleitung zu lebensstilmodifizierenden Maßnahmen ist bei diesen Frauen essenziell, um die Manifestation eines Diabetes Typ II zu verhindern oder zu verzögern [8].
Frauen, die einen intrauterinen Fruchttod erleiden, weisen ein um 50 % erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre und ein um 25 % erhöhtes Risiko für chronische Nierenerkrankungen auf. Das Auftreten von Demenz und thrombembolischen Erkrankungen ist verdoppelt. Es ist nicht abschließend geklärt, ob diese Risikoerhöhung auf allgemeine Risikofaktoren, eine zugrunde liegende Veranlagung, eine ursächliche Störung durch die Plazentaerkrankung bzw. Schwangerschaftskomplikation oder eine Kombination mehrerer Faktoren zurückzuführen ist [7].
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Die Plazenta, als zentrales und komplexes Versorgungsorgan des Fetus mit kurzer, begrenzter Lebenszeit, ist von entscheidender Bedeutung für die Entstehung und Entwicklung des Lebens [9, 10]. Eine physiologisch aufgebaute und gut funktionierende Plazenta ist Voraussetzung für ein gesundes Kind und seine lebenslange Gesundheit. Eine abnormale Plazentation führt zu einem gestörten intrauterinen Milieu, welches die Entwicklung und Funktion der wachsenden Organe dauerhaft verändern und die Anfälligkeit für Krankheiten im späteren Leben steigern kann [11]. Metaanalysen zeigen negative Auswirkungen auf die kardiovaskuläre, neurologische/verhaltensbezogene und immunologische Gesundheit von Kindern, deren Mütter hypertensive Schwangerschaftskomplikationen erlitten haben. Eine abnorme Plazentaimplantation, generalisierte inflammatorische Prozesse, mütterliche Stoffwechselveränderungen sowie genetische und epigenetische Faktoren werden dafür verantwortlich gemacht [12].
Auch metabolische Erkrankungen wie Gestationsdiabetes und Adipositas können eine nachteilige Entwicklungsprägung für das Kind bewirken. Im Vergleich von Kindern jener Mütter mit versus jener ohne Gestationsdiabetes zeigen im Alter von 7 Jahren erstere häufiger eine abnorme Glukosetoleranz, Adipositas und Bluthochdruck in der frühen Kindheit, unabhängig von mütterlicher Adipositas, Makrosomie bei der Geburt und Übergewicht im Kindesalter. Dies bedingt wiederum insgesamt ein erhöhtes kardiometabolisches Risiko, das während der gesamten Adoleszenz bis ins Erwachsenenalter weiter zunehmen kann [13].
Transgenerationale Prägung
Die ersten 1000 Tage menschlichen Lebens werden auch als „sensibles Zeitfenster“ der menschlichen Entwicklung bezeichnet. Sie umfassen das gesamte intrauterine Leben und die ersten zwei Lebensjahre außerhalb der Gebärmutter und bestimmen Wachstum und Entwicklung durch verschiedenste miteinander kommunizierende genetische, umweltbedingte und soziale Faktoren. Kein anderer Zeitraum dieser Dauer im weiteren Leben prägt die Entwicklung von Gesundheit und Lebensqualität so unmittelbar und nachhaltig [14].
Auch schon die Zeit vor der Empfängnis wird als „sensibles Zeitfenster“ definiert. Die weibliche Gesundheit und Lebensqualität dieser Phase sind bereits für die Gesundheit der Nachkommen entscheidend. Die Entwicklung einer rezeptiven Dezidua und eines funktionierenden Corpus luteum ist unerlässlich für einen gesunden Schwangerschaftsverlauf [15]. Die Embryonalphase wird als Grundlage für lebenslange und sogar generationenübergreifende Gesundheit beschrieben, da Einflüsse ungünstiger Lebensumstände bzw. Lebensstilfaktoren der Eltern während dieser entscheidenden Phase zu dauerhaften Entwicklungsanpassungen in der Struktur und Funktion von Organsystemen führen bzw. Embryonen beispielsweise ihr volles Wachstumspotenzial nicht erreichen können [16].
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Am Beispiel von mütterlichem Übergewicht und Adipositas kann die Gefahr des sogenannten transgenerationalen Zyklus nachteiliger Gesundheitsprägung dargestellt werden. Im Körper einer übergewichtigen oder adipösen Schwangeren können veränderte metabolische Bedingungen, wie chronisch-inflammatorische Prozesse und herabgesetzte Insulinsensitivität, zu einer (epigenetischen) fetalen Fehlprogrammierung führen, die wiederum die Entwicklung von Übergewicht oder Adipositas im Kindes- und Jugendalter begünstigt. Diese Nachkommen geben wiederum die nachteilige metabolische Prägung an die übernächste Generation weiter. So ergibt sich ein Teufelskreis („vicious cycle of disease“), der in relativ jungem Alter erkannt und unterbrochen werden kann.
Die globale Zunahme an Fettleibigkeit, als wesentlicher Risikofaktor für kardiovaskuläre NCD, wird in den kommenden Jahrzehnten entscheidende generationenübergreifende Folgen für die Gesundheit der gesamten Bevölkerung, Frauen wie Männer, haben [17].
Prävention von NCD in der Geburtshilfe
Die Notwendigkeit der Implementierung von Präventionsmaßnahmen insbesondere für Frauen rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett wird durch die steigende Zahl an NCD und die große Anzahl an überzeugenden Studiendaten, die deren Zusammenhang darstellen, in der Öffentlichkeit zunehmend wahrgenommen. Die letzten Jahre und Jahrzehnte haben vielversprechende Forschungsergebnisse zum Zusammenhang mütterlicher und kindlicher Programmierung mit dem Genom, Epigenom, Metabolom und Proteom gezeigt. Durch das wachsende Verständnis bisher ungeklärter Zusammenhänge konnten einige konkrete, praktische Konzepte und Empfehlungen zu Prävention und Prophylaxe erstellt werden [18].
Ein stufenweises Programm zur Prävention von Schwangerschaftskomplikationen beginnt bereits präkonzeptionell. Vorbestehende Erkrankungen bzw. Risikofaktoren sollen erkannt und noch vor Eintreten einer Schwangerschaft optimiert werden, wie z. B. die Reduktion des Körpergewichts bei Übergewicht und Adipositas. Die zweite Stufe in der Frühschwangerschaft beinhaltet die Prädiktion mittels Screening-Tests und ggf. das Einleiten personalisierter, präventiver Maßnahmen. Die dritte umfasst die Schwangerschaftsnachsorge zur Vermeidung sowohl kurz- als auch langfristiger Komplikationen [19]. Die nachgeburtliche Phase der Betreuung wird auch als das „4. Trimester“ bezeichnet, das als „window of opportunity“ zur nachhaltigen, langfristigen Gesundheitsvorsorge für Mutter und Kind erkannt wurde.
Die AWMF-Leitlinie „Adipositas und Schwangerschaft“ enthält die Empfehlung, frühzeitig im reproduktiven Alter über die schwangerschaftsspezifischen Folgen von Adipositas für die Fertilität und die Schwangerschaft aufzuklären, sowie die Abklärung und Behandlung von Folgeerkrankungen. Vorbestehender Diabetes mellitus, Schilddrüsenerkrankungen oder arterieller Hypertonus sollten präkonzeptionell erkannt und medikamentös eingestellt werden. Im reproduktiven Alter soll eine bestehende Dauermedikation hinsichtlich ihrer Verträglichkeit während der Schwangerschaft überprüft werden.
Die 2024 erschienene AWMF-S2e-Leitlinie „Ersttrimester Diagnostik und Therapie @ 11-13+6 Schwangerschaftswochen“ wurde, zu den bekannten Screening-Tests (i.e. frühe Fehlbildungsdiagnostik, „combined test“ und Präeklampsie-Screening), um die Empfehlung zur Evaluierung von Risikofaktoren hinsichtlich Plazentationsstörungen, Glukosestoffwechsel und Makrosomie sowie Frühgeburt ergänzt.
Die aktuelle AWMF-S2k-Leitlinie „Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft (HES): Diagnostik und Therapie“ enthält einen Nachsorgepass, um jenen Frauen, die Schwangerschaftskomplikationen (i.e. Präeklampsie, Gestationsdiabetes, vorzeitige Plazentalösung, fetale Wachstumsrestriktion, ungeklärte Frühgeburt vor der 37. SSW) erlitten haben, eine praktische Anleitung zur aktiven Vorsorge für Herzerkrankungen anzubieten. Dieser enthält einen konkreten Zeitplan für Gesundheitsuntersuchungen sowie Tabellen für die eigenständige arztunabhängige Überwachung von Gewicht, Taillenumfang, Blutdruck und körperlicher Aktivität.
Ein weiteres Format für eine langfristige Gesundheitsvorsorge nach Schwangerschaftskomplikationen oder bei vorbestehenden Risikofaktoren ist beispielsweise auch der „pregnancy passport“ der FIGO (https://www.figo.org/figo-resources/postnatal-health/pregnancy-passport).
Ein weiteres Instrument zur organisierten, zielgerichteten Nachsorge bietet das kanadische „The MotHERS ProgramTM“, mit dem Ziel, durch Awareness-Programme zur Reduktion des mütterlichen kardiovaskulären Risikos beizutragen. Eine strukturierte Vorgabe einiger weniger Untersuchungen entsprechend einem praktikablen Zeitplan soll eine einfache und ressourcenschonende Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen ermöglichen. Es wird geraten, den mütterlichen Gesundheitspass gemeinsam mit dem Impfpass des Kindes aufzubewahren, um so während der kindlichen Vorsorge auch die mütterliche Vorsorge zu verfolgen (https://www.themothersprogram.ca/postpartum-health/postpartum-health-record).
Im Rahmen der Risikoevaluierung für kardiovaskuläre Erkrankungen werden in neueren Leitlinien auch schwangerschaftsspezifische Ereignisse in die Risikokalkulation miteinbezogen. Dementsprechend wird eine Vorgeschichte spezifischer Schwangerschaftskomplikationen, einschließlich Schwangerschaftshypertonie, Präeklampsie, Schwangerschaftsdiabetes, Frühgeburt, einer oder mehrerer Totgeburten und wiederholter Fehlgeburten, als neuer, additiver Risikomodifikator für kardiovaskuläre Erkrankungen miteinbezogen. Frauen mit erhöhtem Blutdruck werden somit auf ein höheres Risikoniveau eingestuft, um eine adäquate Bewertung und dementsprechende Behandlung zu gewährleisten [20].
An der klinischen Abteilung für Geburtshilfe der Universitätsfrauenklinik Graz wird seit Herbst 2023 im Rahmen einer prospektiven, longitudinalen Studie eine exakt und detailliert charakterisierte Kohorte an Frauen, Müttern und Neugeborenen aufgebaut. Ziel dieses Projekts ist es, im Sinne nachhaltiger Gesundheitsforschung Zusammenhänge früher und nachteiliger mütterlicher und fetaler Prägung zu identifizieren und zu beschreiben und entsprechende Biomarker dafür zu etablieren („Pregnancy cohort study: Pregnancy as Window to Future Health, PregWin“).
Zusammenfassung und Ausblick
Umfangreiche Studien zeigen, dass verschiedenste unvorteilhafte Zustände und Erkrankungen während sensibler Lebensphasen entscheidend für die Gesundheit im späteren Leben sein können.
Die Schwangerschaft stellt unter diesen in mehrerlei Hinsicht einen entscheidenden Lebensabschnitt dar. Der weibliche Organismus wird durch außergewöhnliche Anpassungs- und Umstellungsprozesse maximal gefordert, wodurch zugrunde liegende, bislang unerkannte Krankheitsbilder demaskiert werden oder schwangerschaftsspezifische Komplikationen auftreten können, welche langfristig die mütterliche Gesundheit negativ beeinflussen können. Auch der Fetus kann durch ein schädliches intrauterines Milieu eine nachteilige Gesundheitsprägung sowohl kurz- als auch langfristig erfahren. Die reproduktive Lebensperiode, von der Kinderwunschzeit über die Schwangerschaft bis zur postpartalen Zeit, ist kein Einzelereignis, sondern ein Kontinuum einer langfristigen Gesundheitsentwicklung.
Die sensiblen Phasen im Leben der Frauen bieten die Chance einer nachhaltigen Gesundheitsförderung. Prävention bei Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen im reproduktiven Alter bewirkt nicht nur die eigene positive Gesundheitsentwicklung, sondern auch für die Nachfolgegeneration, womit der transgenerationale Zyklus nachteiliger Prägung unterbrochen werden kann.
Ziel ist, durch Reduktion der Inzidenz nichtübertragbarer Krankheiten Gesundheit bis ins hohe Alter zu erhalten. Im Bereich der Frauengesundheit scheint diese Vorgabe durch neue, zielorientierte Vorsorgeprogramme in interdisziplinärer Zusammenarbeit und gesundheitspolitischer Unterstützung praktikabel und umsetzbar [21].
Fazit für die Praxis
Es gibt im Leben der Frau „sensible Zeitfenster“, in denen nachteilige gesundheitliche Zustände oder Erkrankungen einen nachhaltig negativen Einfluss auf den Organismus ausüben können. Der reproduktive Lebensabschnitt, vom Kinderwunsch bis zur Stillzeit, hat dabei besondere Bedeutung, da sich für das ganze weitere Leben prägende Entwicklungsschritte sowohl für die Mutter als auch für das Kind ereignen. Präventive gesundheitsförderliche Maßnahmen haben hier die Chance, nachhaltig über Generationen hinweg die Gesundheitsentwicklung von Frauen und Männern positiv zu beeinflussen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
C. Stern gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
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