Parallelen in der Pathogenese von rheumatoider Arthritis und Parodontitis
Die beiden chronisch entzündlichen Erkrankungen rheumatoide Arthritis (RA) und Parodontitis (PA) stehen schon seit geraumer Zeit unter dem Verdacht, in unmittelbarem bilateralem Zusammenhang zu stehen. Aktuelle wissenschaftliche Literatur zeigt mögliche Parallelen in der Pathogenese und Therapie beider Krankheiten auf und diskutiert konkret kausale Zusammenhänge [1‐3].
Grundlegend sind generelle Gemeinsamkeiten beider Erkrankungen zu nennen, wobei sich die multifaktorielle Genese aus den folgenden Faktoren zusammensetzt:
1.
genetische Faktoren: HLA-DRβ1-Expression, TNF-α- und Peptidyldesaminasepolymorphismen;
2.
Umweltfaktoren: Rauchen, Assoziation mit Komorbiditäten wie kardiovaskulären Erkrankungen;
3.
Bakterien: im Zentrum der Parodontalkeim Porphyromonas gingivalis;
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Resultierend aus dieser multifaktoriellen Genese deuten Studien darauf hin, dass Parodontitis ein Risikoindikator für rheumatoide Arthritis sein könnte. So dürften Patienten mit PA ein höheres Risiko haben, an RA zu erkranken, bzw. wurde eine höhere Prävalenz von PA in RA-Patienten sowie ein schwerer Verlauf der PA bei gleichzeitiger RA gezeigt [1, 2, 7].
Parodontitis könnte ein Risikoindikator für rheumatoide Arthritis sein
In den vergangenen Jahren wurde die Aufmerksamkeit der interdisziplinären Forschung (Rheumatologie, Zahnmedizin, Mikro- und Molekularbiologie) immer mehr auf Bakterien als möglichen zentralen Pathogenesefaktor gelenkt. Der Parodontalkeim Porphyromonas gingivalis (P. gingivalis) gehört zum „roten Komplex“ an Bakterien, die maßgeblich an der Progression der PA beteiligt sind [8].
Bakterielle DNA von diesem und weiteren PA-Keimen wurde in Synovialflüssigkeit von Patienten gefunden, sodass ein Transport aus parodontalen Taschen in Gelenke über das Blut, Phagozyten oder andere Nichtimmunzellen vermutet wird [9]. Im Blut von RA-Patienten wurden signifikant höhere Konzentrationen von Antikörpern gegenüber PA-Keimen wie P. gingivalis nachgewiesen als bei Gesunden [10]. Außerdem besteht eine Verbindung der beiden Erkrankungen über Antikörper gegen zitrullinierte Proteine und Gingipaine [11].
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Molekularbiologische Hintergründe pathogenetischer Parallelen
Die sog. zitrullinierten Proteine werden vom Körper im Parodont wie auf Gelenksschleimhäuten als fremd erkannt, was in einer Antikörperbildung resultiert [9, 12]. Gebildete Antikörper – „anti-citrullinated protein antibodies“ (ACPA) – gelten als höchst spezifische Biomarker zur Diagnosestellung von RA, da sie im Gelenk eine Entzündung und Gewebsdestruktion auslösen können (siehe Abb. 2; [13, 14]).
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Zitrullinierte Proteine entstehen während einer posttranslationalen Modifikation1, der Zitrullinierung. Dabei wird die Aminosäure Arginin durch Zitrullin von der Peptidylarginindeiminase (PAD) ausgetauscht. Die PAD ist in der äußeren Zellmembran von P. gingivalis lokalisiert und kann dort von dem parodontalen Leitkeim Aggregatibacter actinomycetemcomitans aktiviert werden [9, 15].
Des Weiteren befinden sich in der äußeren Zellmembran von P. gingivalis in unmittelbarer Nachbarschaft der PAD sog. Gingipaine (zysteinartige Proteasen, die von P. gingivalis sezerniert werden). Diese Nachbarschaft bringt einen Synergismus beider Enzyme mit sich: so können Gingipaine Arginin an Proteinen freilegen, woraufhin eine Zitrullinierung durch PAD stattfinden kann [16]. Neben der Aktivierung der Zitrullinierung durch A. actinomycetemcomitans wird der Mechanismus ebenfalls durch das Rauchen verstärkt, weshalb es als wesentlicher Risikofaktor für RA wie PA gilt.
Rauchen erhöht das Risiko, an einer Parodontitis zu erkranken, um bis zu 85 %. Gründe dafür sind beispielsweise die Veränderung der Mikrobiomzusammensetzung im Mund – eine höhere Infektionsrate mit P. gingivalis, Modulation der Immunreaktion, wie die verzögerte und aggressivere Neutrophilenmigration in das Parodont, sowie eine Störung der Wundheilung im Parodont durch verminderte Durchblutung und viele mehr [17, 18]. Serologisch konnte eine Korrelation von klinischen Parodontitisparametern und der Konzentration von Antikörpern gegen P. gingivalis sowie ACPA bei RA-Patienten gezeigt werden. So ist die Prävalenz von PA und P. gingivalis in ACPA-positiven RA-Patienten erhöht und das Risiko, an einer RA zu erkranken, dürfte steigen [19].
Rauchen erhöht das Erkrankungsrisiko für eine Parodontitis um bis zu 85 %
Neben der am besten untersuchten Zitrullinierung existieren 2 weitere posttranslationale Modifikationen von Proteinen, die eine neue Epitopbildung darstellen und die Bildung von Antikörpern veranlassen könnten: die Carbamylierung von Proteinen und Malondialdehyd-Acetaldehyd-Addukt-Formation. [20]. Proteine, gegen die nach den 3 Modifikationsmechanismen Antikörper gebildet werden, finden sich im Sulkusfluid, Speichel und in der Gingiva unter parodontalen Entzündungsverhältnissen, weshalb eine PA eine unmittelbare Quelle für weitere entzündliche Prozesse bietet, die die Progression eine RA vorantreiben könnte [21, 22].
Die Entzündungsreaktionen beider Erkrankungen sind durch erhöhte Konzentrationen der Zytokine: IL‑β, IL‑6, IL‑8, IL-17 und TNF‑α, die den Kollagenabbau fördern, gekennzeichnet. Das Zytokin IL-17 dürfte eine zentrale Rolle in der Progression von RA und PA spielen: Es wird von T‑Helfer-17(TH 17)-Zellen sezerniert und aktiviert die Osteoklastendifferenzierung, was sowohl in der RA als auch PA zur Verstärkung des Gewebeabbaus führt [23]. Verringert sind hingegen bei beiden Erkrankungen typischerweise antientzündliche Zytokine wie IL-10 und TGF‑β [3].
Darüber hinaus werden bakterielle Proteine von Autoantikörpern der RA-Patienten erkannt. Dabei führen Antigene von P. gingivalis durch molekulare Mimikry (große Ähnlichkeit zu körpereigenen Antigenen) zur Bildung von Autoantikörpern; beispielsweise ausgelöst durch die P.-gingivalis-Enolase, die der körpereigenen zitrullinierten α‑1-Peptidenolase stark ähnelt. Weiters sind das Hitzeschockprotein 60 aus P. gingivalis und das argininspezifische Gingipain Antigene, die zur Stimulierung der Autoantikörperbildung in RA-Patienten beitragen [24‐26].
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Zuletzt gibt es deutliche Hinweise auf einen therapeutischen Zusammenhang beider Erkrankungen. So wird im aktuellen Systematic Review von Inchingolo et al. (2023) zusammenfassend gezeigt, dass Basistherapeutika wie Biologika oder Januskinase-Inhibitoren oder z. B. Methotrexat, aber auch Glukokortikoide den Verlauf einer mechanischen PA-Therapie positiv beeinflussen und umgekehrt ebendiese Therapie auch günstig auf den Verlauf der RA-Therapie wirkt. Auch die Reduktion der Messbarkeitsgrenze von P. gingivalis mit Chlohexidinglukonat in Form einer Mundspüllösung führte zu einer Besserung von RA-Parametern. Ein positiver Einfluss der PA-Therapie durch subgingivale Kürettage, also Instrumentierung in den Zahnfleisch- und Knochentaschen der Parodontitis, auf den RA-Verlauf konnte auch ohne gleichzeitige medikamentöse RA-Therapie gezeigt werden [27].
Abschließend ist festzuhalten, dass die Parodontitis durch den Parodontalkeim P. gingivalis aus derzeitiger Sicht als ein möglicher ausschlaggebender Pathogenesefaktor für die Entstehung einer rheumatoiden Arthritis zu betrachten ist. Vor allem die molekularbiologischen Mechanismen und die darauffolgende Bildung gewebszerstörender Antikörper scheinen Parallelen in der Pathogenese zu begründen.
Wichtigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit von Rheumatologen und Parodontologen
Den erläuterten Zusammenhängen nach zu urteilen, ist eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Zahnmedizin und Rheumatologie wünschenswert. So sollte beispielsweise nach der Diagnose einer Erkrankung die Überweisung zum jeweils anderen Spezialisten erfolgen, um die Krankheitsverläufe beider Erkrankungen zu modulieren. Eine solche Überweisung könnte standardmäßig bei jedem neuerkrankten Patienten geschehen, um einen zentralen Pathogenesefaktor entweder feststellen oder ausschließen zu können.
Wie bereits aufgezeigt kann die Therapie der einen Erkrankung die der anderen positiv beeinflussen, weshalb beide bestenfalls gleichzeitig ablaufen, um dem Patienten möglichst schnell eine Besserung zu ermöglichen. Seitens der Zahnmedizin erfolgen Kontrollen des parodontalen Zustands je nach Schweregrad der Erkrankung zwischen einmal und 4‑mal im Jahr. Bestenfalls wäre eine entsprechende Kommunikation zwischen Rheumatologie und Parodontologie durchzuführen, um den Verlauf beider Krankheiten mitzuverfolgen und abzuschätzen, ob Therapieversuche anschlagen. Somit würde die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Rheumatologie und Zahnmedizin einen wichtigen Schritt weiter in Richtung personalisierter Medizin – die Medizin der Zukunft – darstellen.
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
J. Schwab und R. Puchner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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