Rund um die Uhr: 62.000 Pfleger und vor allem Pflegerinnen aus Osteuropa sind derzeit als 24-Stunden-Betreuung in Österreich engagiert. Die Kinodoku 24 Stunden begleitet eine von ihnen: Sadina Lungu kümmert sich in Bad Vöslau um eine bettlägerige Frau. Monatelang. Eine einsame Arbeit mit viel Verantwortung.
Beim Abschied von ihren Eltern fließen Tränen. „Ihr wisst, ich muss gehen. Was soll ich hier machen?“ Sadina steht im Flur der elterlichen Wohnung in Vulcan, einer Bergbaustadt in Rumänien, und umarmt ihre Mutter. Der Abschied ist unvermeidlich. Die 50-jährige Sadina Lungu bricht zu ihrem nächsten Turnus in Österreich auf. Sie ist Personenbetreuerin, eine selbstständige Tätigkeit, die hierzulande unter dem Begriff 24-Stunden-Pflege bekannt ist.
Die fröhliche Abschiedsparty mit ihren Freundinnen tags zuvor – es gab Pizza in allen Sorten – kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie die Aussicht auf den monatelangen Aufenthalt in der Fremde belastend ist. Ein Turnus dauert für Sadina mehrere Monate. Und sie verbringt ihn fast ausschließlich im Haus der bettlägrigen Elisabeth Pöschl in Bad Vöslau.
Der Wagen, der sie und einige Kolleginnen nach Niederösterreich bringt, wartet mit laufendem Motor vor der Tür. Es ist Winter. Gegen Ende ihres Turnus wird sie im Garten der Pöschls die Blumen gießen.
Die Zeit dazwischen ist ein schwarzes Loch. Nur wenig ist über das Leben und den Arbeitsalltag der Personenbetreuerinnen in Österreich bekannt. Das liegt daran, dass sich ihre Tätigkeit fast auschließlich in den vier Wänden der Klienten abspielt. Der Film „24 Stunden“ gewährt einen seltenen, intimen Einblick in die Beziehung zwischen Sadina und der alten Dame, unter deren Dach sie wohnt. Die Rumänin ist Betreuerin und Freundin in einem.
Sadina löst eine Kollegin ab und tritt ihren Dienst an. Seit 12 Jahren kommt sie nach Österreich. Deutsch spricht sie hervorragend, bis hin zu komplizierten Medikamentennamen, selbst Hingenuscheltes versteht sie problemlos.
Die meiste Zeit ist Sadina dabei auf sich allein gestellt. Der Arbeitstag der 50-Jährigen ist eintönig und kräfteraubend. Morgenwäsche, Körperpflege, putzen, kochen, einkaufen, Gesellschaft leisten. Sie schläft im Untergeschoß, aber nur stundenweise. Über ein Babyfone kontrolliert sie die Atemgeräusche der 85-jährigen Frau im Stock über ihr. Hier unten macht sie auch ihre Turnübungen und telefoniert mit Familie und Freunden daheim. „Wie geht’s.“ „Gut.“ Auch wenn die Dialoge karg sind, die Zuneigung ist spürbar.
Sadina muss stark sein. Außer, wenn sie in die Apotheke oder zum Greißler geht, verlässt sie das Haus von Frau Pöschl praktisch nicht. Eine Kardinalschnitte mit Cappuccino beim Bäcker ums Eck ist das Höchste der Gefühle. Für die Bad Vöslauer bleibt Sadina praktisch unsichtbar.
Und das ist ein Problem.
Sozialpolitische Relevanz
Denn die Betreuerinnen leben und arbeiten in prekären Verhältnissen. Über ihre Online-Kontakte mit Kolleginnen erzählt der Film von den Gefahren und der Ausbeutung in der Pflegebranche, die sich nur wegen der extremen sozialen Schieflage in Europa so hartnäckig halten können. Dass manche Kunden arrogant sind und die Betreuerinnen wie Luft behandeln, ist erniedrigender Alltag für viele.
Es sind Erzählungen von großer sozialpolitischer Relevanz und Dringlichkeit. Denn Sadina steht in diesem Film nicht nur für sich allein, sondern für geschätzte 62.000 osteuropäische Pfleger, die in Österreich in einer arbeitsrechtlichen Grauzone arbeiten.
Dem Kampf gegen Scheinselbstständigkeit hat sich Anna Leder verschrieben, sie engagiert sich beim Verband IG 24 zur Förderung der Interessen der 24-Stunden-Betreuerinnen in Österreich . Die rumänischen und slowakischen Personenbetreuerinnen – 92 Prozent sind Frauen – haben sich zwar schon immer gegenseitig unterstützt und auch zu beschützen versucht vor Ausbeutung. „Dann ist aber das Jahr 2020 gekommen mit COVID und das hat die Probleme noch einmal auf ein anderes Niveau gehoben.“
Im Zentrum ihrer Arbeit stehe die Forderung nach Arbeitsrechten, sagt Leder, „denn die haben keine“. Dazu müsse man wissen: Sadina Lungu mache eben keine Pflege, sondern Personenbetreuung. „Und das ist ein freies Gewerbe. 24-Stunden-Betreuung ist ein Marketing-Gag der Agenturen, der sagen will: Ihr habt rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen.“ Und das tun die Frauen auch.
Für sie gibt es keine gesetzlichen Pausen-, Nachtdienst- oder Wochenend-Regelungen. Es existiert auch kein Arbeitsinspektorat, das für die Frauen zuständig wäre. Leder: „All dies fällt unter Arbeitsrechte, aber das kennen diese Frauen nicht.“
So viel verdienen sie
Daheim in Vulcan begegnet man Sadina mit gehörigem Respekt. Schließlich unterstützt sie ihre Verwandtschaft selbstlos und finanziell. „Du weißt, wenn du etwas brauchst, nimm es dir von meinem Konto“, sagt sie an einer Stelle. Als Selbstständige bekommt Lungu ein Honorar von 2 bis 5 Euro pro Stunde. Das macht ein Tageshonorar von 80 bis 100 Euro aus. „Wenn man gut verdient, kommt man auf 3.000 Euro im Monat. Wenn man mit einer Agentur arbeitet, werden noch bis zu 20 Prozent des Honorars abgezogen, die die Agenturen einstreifen. Die Sozialversicherung wird auch noch abgezogen.“
Heimfahrt nach Rumänien. Müde Gesichter. Sadina lehnt den Kopf an das Autofenster und schläft. Sie träumt vom Fliegen. Daheim in Transsilvanien kann sie sich einen Traum erfüllen. Einen Tandem-Drachenflug. Der Film endet mit einer vor Glück strahlenden Sadina.
Filmpräsentation mit dem Regisseur H. Friedl am 15. Dezember 2024, 17 Uhr, Retzer Land