In Gesundheitseinrichtungen, sei es in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Arztpraxen, ist die Art und Weise, wie das Personal angesprochen wird, oft von festen Konventionen geprägt. Eine gängige Praxis, die häufig beobachtet wird, ist die informelle Ansprache von Pflegepersonen mit ihrem Vornamen, während andere Berufsgruppen, wie Ärzte und Ärztinnen oder Therapeutinnen und Therapeuten, mit ihrem Nachnamen und gegebenenfalls Titel angesprochen werden. Diese Unterscheidung in der Anrede wirft Fragen auf und wirft ein Licht auf die Dynamik und Traditionen innerhalb des Gesundheitswesens.
Vornamen bei Pflegepersonen in Österreich: Die veraltete Praxis
Eine DGKP steht im Aufzug ein kleiner Bub steigt hinzu. Der kleine Bub fragt: „Sind SIE Ärztin oder bist DU Schwester?“
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Seit vielen Jahren ist die Pflege mit der Frage nach der richtigen Anrede beschäftigt, die Diskussionen werden teilweise kontrovers geführt. Zahlreiche Argumente werden für und gegen die traditionelle Verwendung von „Schwester + Vorname“ oder „Pfleger + Vorname“ vorgebracht. Die Vielzahl der Vorstellungen, Wünsche und persönlichen Empfindungen und Bedürfnisse der unterschiedlichen Gruppen und Menschen verdeutlicht das grundlegende Problem der Pflege: man wird sich nicht einig, steht sich selbst im Weg. Agnes Karll, die Reformerin der deutschen Pflegeforschung beschreibt ihren Mitstreiterinnnen und Mitstreitern den Kern des Problems im Pflegeberuf bereits 1923: „Wir, die als selbstständige, selbstverantwortliche Menschen dem Leben gegenüberstehen, sind selbst schuldig, wenn wir nicht die rechten Wege suchen und bahnen helfen, um fähig für unsere Lebensaufgabe zu werden. Man hat uns wenig Möglichkeiten hierfür gegeben, das ist keine Frage. Aber wer soll uns denn unsern Beruf aufbauen, wenn wir es nicht selbst tun!?!!“ (Elster 2013).
Geschichtlicher Rückblick und Etymologie
Das altruistische Bestreben, Menschen zu helfen, die aufgrund von Alter, Krankheit, Verletzungen oder sozialen Schwierigkeiten Unterstützung benötigen, ist in allen Gesellschaften und Kulturen weit verbreitet. Diese Motivation führte dazu, dass Menschen sich um Kinder und ältere Menschen kümmerten, Bedürftige unterstützten und versuchten, Schmerzen zu lindern (Wolff 1997).
Die Notwendigkeit einer professionellen Pflege entstand im 18. und 19. Jahrhundert als Reaktion auf die Fortschritte in der naturwissenschaftlichen Medizin, die eine systematische Ausbildung von Assistenzpersonal erforderten. Ursprünglich als Hospitäler für Bedürftige konzipiert, entwickelten sich daraus spezialisierte Krankenhäuser, die sich auf die medizinische Versorgung konzentrierten. Kriege erhöhten den Bedarf an Pflegekräften, der nicht mehr allein von geistlichem Personal gedeckt werden konnte. Die Bedeutung einer formellen Ausbildung wurde zunehmend hervorgehoben, und im 19. Jahrhundert wurden neue Standards für eine konfessionsunabhängige Pflege von Florence Nightingale festgelegt (Stöcker 2002).
Der Begriff „Schwester“ leitet sich etymologisch von „Frau der eigenen Sippe“ ab. Damit wird eine Verwandtschaftsbeziehung gekennzeichnet (Kluge 1975). „Professionelle Pflegekräfte sind in der Regel nicht Mitglied der Lebenswelt der Patient:innen, sie haben Arbeitszeiten und werden bezahlt.“ (Thiersch 2007).
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Die vielfach verwendete Bezeichnung „Krankenschwester“ wird noch sehr häufig verwendet, geprägt durch die historischen und kulturellen Wurzeln. Es ist eine jahrzehntelange Tradition, dass weibliche Pflegepersonen mit „Schwester“ und deren Vornamen angesprochen werden. In der modernen Pflegelandschaft sollte dies jedoch ein Relikt aus vergangener Zeit sein. Einige Titulierungen und Anreden für Pflegepersonen können zum Nachdenken und auch Schmunzeln anregen (Abb. 1).
Abbildung 1
Sammlung, Wie Pflegepersonen Angesprochen Werden
„Schwester, Susi“ | „Pfleger Karl“ + „Sie“ |
„Schwester“ | „Karl“ + Du |
„Schwester, Maier“ | „Herr Diplompfleger Karl“ |
„Frau Schwester“ | „Sani“ (Kurzform Sanitäter) |
„Schwesterl“ (mit geringschätzenden „DU“ | „Pfleger“ |
Entschuldigen S‘ | „Herr Huber“ + Du |
„Hean S‘“, | |
„Frau Pfleger“ |
Die Art der Anrede zeigt an, wie die Pflegepersonen zur betreuten Personen, zu Patientinnen und Patienten oder zum anderen Gesundheitspersonal stehen und umgekehrt. Ob nun “Sie“ oder „Du“ gewählt wird, die Anredeform drückt aus, welches Nähe-Distanz-Verhältnis besteht.
Hierarchie im Gesundheitsbereich
Im Gesundheitsbereich zeigt sich noch immer aktuell eine klare Hierarchie. Ärztinnen und Ärzte mit akademischer Laufbahn werden traditionell mit „Sie“ angesprochen. Pflegepersonen, deren Ausbildung weniger prestigeträchtig war, werden oft mit „Du“ und ihrem Vornamen angesprochen. Diese unterschiedliche Behandlung schafft im Alltag der Teamarbeit und gemeinsamen Entscheidungsfindung eine nicht mehr zeitgemäße Barriere zwischen den Berufsgruppen. In der alltäglichen Zusammenarbeit zwischen Ärztinnen und Ärzten und Pflegekräften gibt es auch Situationen, in denen Ärztinnen und Ärzte dominante Verhaltensweisen zeigen, die auf den ersten Blick unbedeutend erscheinen können, wie die Festlegung von Visitenzeiten, Behandlungszeitpunkten oder den Besitzanspruch auf Patientenakten. Da jedoch keine klaren Regeln für die Interaktion und Kommunikation zwischen den beiden Berufsgruppen festgelegt sind und das Spiel von beiden Seiten immer wieder neu gespielt wird, hat sich dieses Muster seit mehr als 100 Jahren etabliert. Ein Beispiel hierfür ist das 1967 von Leonard Stein beschriebene Phänomen des „Doctor-Nurse Game“, das darauf hinweist, dass Pflegekräfte in der klinischen Praxis nur indirekt Ratschläge an Ärztinnen und Ärzte geben dürfen, ohne ihre Rolle im Behandlungssystem offensichtlich zu beeinflussen. Hier zu erwähnen ist der § 16 des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes (Kompetenzen im multiprofessionellen Versorgungsteam) „(2) Absatz. Im multiprofessionellen Kompetenzbereich haben Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege im multiprofessionellen Versorgungsteam das Vorschlags- und Mitwirkungsrecht.“ (GuKG 2016)
Die Professionalisierung der Gesundheits- und Krankenpflege
Im Gesundheits- und Krankenpflege wird zunehmend danach gestrebt, das Handeln nicht ausschließlich auf unstrukturierte Wissensquellen wie Intuition, Tradition und Erfahrung zu gründen, sondern bezieht sich auf empirisches Wissen, das vor allem durch Forschung gewonnen wird. Zusätzlich verlangen das österreichische Gesundheits- und Krankenpflegegesetz sowie das Gesundheitsqualitätsgesetz, dass die Pflegepraxis auf fachliche und wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt wird und die Versorgung der Patientinnen und Patienten auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand erfolgen muss (GuKG 2016). Interventionen, Maßnahmen und Pflegeaufgaben sind zunehmend komplexer geworden, Pflege umfasst längst nicht nur Körperhygiene und Verbandswechsel. Leider begrüßen nicht alle Pflegekräfte die Akademisierung positiv; einige bleiben in alten Strukturen verhaftet. Dies und die mangelnde Anerkennung der Bedeutung professioneller Pflege in der Gesellschaft tragen dazu bei, dass der Weg zur Professionalisierung mühsam und langwierig ist.
Fazit
Verwendung von Vornamen bei Pflegepersonen in Österreich steht an einem Wendepunkt. Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen sollen als kompetent und professionell wahrgenommen werden. Die Verwendung von Vornamen könnte die Grenze zwischen persönlicher und professioneller Interaktion verwischen. Es sollte eine kritische Auseinandersetzung in der Praxis erfolgen, denn Sprache schafft Realität. Die Entscheidung, keine Vornamen für Pflegepersonen zu verwenden, könnte auch dazu beitragen, den Respekt zu den anderen Berufsgruppen zu fördern, professionelle Grenzen zu wahren und kulturelle Normen zu respektieren. Ganz nach dem Motto von Agness Karll: „Wer, wenn nicht wir selber, sollten für Änderungen eintreten??“
Fallbeispiel: Die Auswirkungen der Anrede auf die wahrgenommene Professionalität im Krankenhaussetting
Im Krankenhaus wird das Pflegepersonal routinemäßig von Patientinnen und Patienten, Angehörigen und teilweise auch vom restlichen Krankenhauspersonal mit dem Vornamen angesprochen. Ärztinnen und Ärzte und andere medizinische Fachkräfte und Therapeutinnen und Therapeuten werden hingegen fast ausnahmslos mit ihrem Nachnamen und gegebenenfalls mit ihrem akademischen Titel angesprochen.
Lena, eine engagierte und erfahrene DGKP, wurde kürzlich die Leitung eines neuen Projekts zur Verbesserung der interdisziplinären Zusammenarbeit im Krankenhaus übertragen. Eine präoperative Pflegevisite sollte im Krankenhaus implementiert werden. Während der ersten Besprechungen fällt auf, dass die unterschiedlichen Anredeformen zu einer subtilen, aber spürbaren Hierarchie zwischen dem Pflegepersonal und den Ärztinnen und Ärzten führen. Lena bemerkt, dass ihre Vorschläge und Beiträge nicht mit der gleichen Ernsthaftigkeit behandelt werden wie die der Ärztinnen und Ärzte, was sie teilweise auf die informellere Art und Weise zurückführt, wie sie angesprochen wird.
Während einer Besprechung argumentiert Lena für die pflegerische Aufklärung in der perioperativen Pflegevisite, die den gleichen Stellenwert wie die ärztliche Visite hat. Die Vorteile der Implentiertung für die Patientinnen und Patienten und den Mehrwert für das Krankenhaus wird von ihr zur Sprache gebracht. Lena bemerkt im Gespräch, dass sie von den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen nicht ernst genommen und ihr große Skepsis entgegen gebracht wird. Erst als Dr. Schmidt ihren Vorschlag bekräftigt und bei seinen Kolleginnen und Kollegen argumentiert, wird das Konzept der Implementierung der „präoperativen Pflegevisite“ angenommen.
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Fazit
Dieses Fallbeispiel unterstreicht die Notwendigkeit einer ausgewogenen Ansprachekultur in der Pflege. Es zeigt auf, dass eine zu informelle Ansprache die wahrgenommene Professionalität und Autorität von Pflegefachkräften beeinträchtigen kann.
Fallbeispiel: die Grenzen der informellen Anrede von Patientinnen und Patienten
Herr Müller war es gewohnt, Autoritätspersonen in seiner Umgebung formal anzusprechen und von ihnen mit dem gleichen Respekt behandelt zu werden. Als er Anna ausschließlich beim Vornamen hörte, nahm er fälschlicherweise an, dass sie eine Hilfskraft ohne Entscheidungsbefugnis sei. Infolgedessen ignorierte er ihre fachlichen Ratschläge und Anweisungen, was seine gesundheitliche Situation unnötig verschlechterte.
Schlussfolgerung
Eine informelle Anrede kann eine freundliche familiäre Atmosphäre fördern, sie birgt jedoch auch das Risiko, dass die fachliche Autorität und Kompetenz des Pflegepersonals in den Augen der Patient:innen und auch der Angehörigen mindern könnte