Pflanzliche Therapieoptionen bei postviralen Symptomen und Long-COVID
- Open Access
- 29.10.2025
- übersicht
Zusammenfassung
Die Datenlage in Bezug auf die Erhebung und Wahrnehmung von Post-COVID-Beschwerden und Long-COVID-Fällen in Österreich ist unzureichend, obwohl diese Fälle in der Praxis häufig vorkommen [1, 2]. Konkrete Diagnosealgorithmen, klare Therapiealgorithmen und individuelle Behandlungsoptionen fehlen bis heute. Das österreichische Gesundheitsministerium verweist als erste Anlaufstelle auf die Primärversorgungseinrichtungen zur Abklärung und Differenzialdiagnose. Verlässliche Datenquellen für Fallzahlen gibt es nicht. Nach Schätzungen könnten in Österreich mindestens 300.000 Menschen an einer Long-COVID-Symptomatik leiden, wovon 20–30 % langfristig betroffen sein dürften, das hieße 60.000 nachhaltig erkrankte Menschen [2] für deren Behandlung derzeit nur wenige Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Zum einen gibt es die österreichische Leitlinie S1 „Long COVID: Differenzialdiagnostik und Behandlungsstrategien“, die von einem Team der Karl Landsteiner Universität in ein „Point-of-Care Tool“ verpackt wurde und laufend aktualisiert wird [3, 4]. Zum anderen bietet ein im Juni 2024 veröffentlichter Praxisleitfaden bei ME/CFS Anhaltspunkte für die Behandlung [5]. Als weiteres Tool existiert der Screening-Fragebogen „Post Covid Functional Score“ der Österreichischen Gesundheitskasse [6].
Die Therapie dieser Patienten ist eine große Herausforderung, wobei sich für die Praxis die Phytotherapie als eine hilfreiche Option etabliert hat. Um den Einsatz der Phytotherapie bei einer Long-COVID-Symptomatik wissenschaftlich zu untermauern, wurde von einer Arbeitsgruppe der Österreichischen Gesellschaft für Phytotherapie eine umfassende Literaturrecherche durchgeführt, und die Daten wurden zusammengefasst. Mit den Schlüsselwörtern „Post COVID, Fatigue, ME/CFS, Phytotherapie, Anwendung und Dosierung“ wurden die Datenbanken PubMed, PubPharm und Scopus durchsucht. Im vorliegenden Artikel werden jene Arzneipflanzen und Zubereitungen mit der größten Evidenz den für Long-COVID typischen Symptomenkomplexen zugeordnet, und deren therapeutischer Einsatz wird diskutiert. Wenn vorhanden, wurden die entsprechenden EMA-Monografien berücksichtigt und eingearbeitet. Ziel dieser Arbeit ist es, basierend auf den bisherigen wissenschaftlichen Befunden praktische Hinweise für den medizinischen Alltag zu geben.
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Definition postviraler Beschwerdebilder und Long-COVID
Bei Post-COVID und Long-COVID handelt es sich um einen anhaltenden oder wiederkehrenden Komplex von Symptomen, der bei Patienten auch noch mehrere Monate nach einer überstandenen akuten SARS-CoV-2-Infektion zu gesundheitlichen Problemen, Störungen des Wohlbefindens und der Lebensqualität führt. Dieses Phänomen ist auch von anderen Virusinfektionen bekannt. Eine konkrete Vereinheitlichung beider Terminologien und deren Klassifizierung ist bisher nicht erfolgt [4].
Aufgrund der medialen Präsenz der Themen COVID und Long-COVID sind das kollektive Bewusstsein und die gesellschaftliche Wahrnehmung postviraler Symptome im Verlauf der letzten 3 Jahre deutlich gestiegen. Untersuchungen zeigen, dass sich die Langzeitfolgen von COVID-19 in mehreren Körpersystemen (respiratorisches System, Herz-Kreislauf-System, Stresssystem, Nervensystem u. a.) manifestieren können. Das Auftreten der Beschwerden jenseits einer Zeitspanne von 4 Wochen ab Infektion wird als „Long-COVID“ oder „postakute Folgen von COVID-19 (‚post-acute sequelae of COVID-19‘)“, und bei Persistenz von mehr als 12 Wochen als „Post-COVID-Syndrom“ bezeichnet [7]. Somit handelt es sich um Folgen einer Akuterkrankung und Komplikationen davon, Verschlechterungen vorbestehender Grundkrankheiten, fortbestehende Symptome der Erkrankung selbst oder auch nicht zuordenbare Folgebeschwerden aus nicht vollständig geklärten Pathomechanismen und neu aufgetretenen Erkrankungen. Seit Oktober 2021 gibt es einen ICD-10-Code, U10.9, der jedoch rein deskriptiv ist [4, 8‐10].
Die S1-Leitlinien zu Long-COVID fassen den derzeitigen Erkenntnisstand zusammen [3, 4]. Es handelt sich demnach um eine Multisystemerkrankung mit weitreichenden und anhaltenden Auswirkungen und einer komplexen Konstellation von Symptomen, die, auch wenn sie nur selten auftreten, zu einer erheblichen chronischen Krankheitslast führen können. Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es keinen einheitlichen pathogenetischen Hintergrund. Es gibt erste Hinweise auf mögliche Biomarker für Long-COVID in Bezug auf neurologische Symptome [11]. Ein Nachweis von Post-COVID mittels validierter Testverfahren steht jedoch noch nicht zur Verfügung. Es sind unterschiedliche Krankheitsbilder, die individuell bewertet werden müssen [4]. Auch Spontanremissionen werden im Laufe der Zeit beobachtet [4, 12]. Derzeit deuten vorliegende Daten auf ein Verschwinden der Symptome bei ca. 50 % der Patienten nach 4 Monaten und bei 75 % der Patienten nach 15 Monaten hin [4, 13, 14]. Bei den restlichen 25 % persistieren die Beschwerden, und es sind weiterhin Behandlungs- und Betreuungsbedarf vonnöten [4].
Die am häufigsten berichteten typischen Symptome sind eine ausgeprägte Müdigkeit, Muskelschwäche, Dyspnoe, Schlafstörungen, Angstzustände oder Depressionen, verminderte Lungenkapazität, Gedächtnis- bzw. Kognitionsstörungen („brain fog“), Hyposmie bzw. Anosmie und die Unfähigkeit, sich normal zu bewegen oder zu arbeiten [15‐17]. Diagnosen in diesem Zusammenhang sind ME (myalgische Enzephalitis), CFS (Chronic-Fatigue-Syndrom), POTS (posturales Tachykardiesyndrom), PEM (Post-Exertional-Malaise), PESE (Post-Exertional-Symptom-Exacerbation) und PAIS (postakutes Infektionssyndrom). Die Pathogenese dieser Syndrome ist noch nicht vollständig geklärt. Mögliche Mechanismen sind persistierende Gewebeschäden, eine Persistenz von Viren oder Virusbestandteilen als Krankheitstrigger sowie eine chronische (Hyper‑)Inflammation und/oder Autoimmunphänomene. Auch wird eine nachgewiesene postvirale Koagulopathie als ursächlich für die Beschwerden vermutet [18].
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Therapeutisch empfiehlt die Medizin eine symptomorientierte Therapie. Bei Belastungsintoleranz wird „Pacing“ empfohlen, um eine Überlastung, die zur Zunahme der Beschwerden führt, zu vermeiden. Ein weiterer Ansatz in der Medizin ist der Einsatz von Immunglobulinen [4]. Ganzheitlich ausgerichtete Therapieansätze haben sich schon in der Behandlung von CFS und psychosomatischen Störungen bewährt und eignen sich daher auch gut zur Behandlung von systemisch dysregulierenden Krankheiten wie Long-COVID. Eine gesunde Lebensweise verbunden mit einer Optimierung der Ernährung sind bei CFS [17], Depression und chronischen Entzündungen wirksam [19‐21]. Vagusstimulation, Kraft- und Koordinationstraining, Aromatherapie [22], naturheilkundliche Verfahren, wie z. B. Kneipp-Anwendungen, sowie die Stimulation des Mitochondrienstoffwechsels werden in der Praxis eingesetzt [23].
Phytotherapeutische Therapieoptionen bei postviralen Zuständen und Long-COVID
Für eine Reihe von Symptomen, die im Rahmen von Long-COVID-Beschwerden auftreten können, stehen pflanzliche Wirkstoffe zur Verfügung. In dieser Übersicht wird der Fokus auf Arzneipflanzen im Hinblick auf ihre Wirksamkeit bei der Behandlung von Long-COVID und Post-COVID sowie postviralen Erkrankungen auf der Basis von wissenschaftlicher Forschung und Erfahrung in der Praxis gelegt. Es werden die häufigsten Post-COVID- und postviralen Symptome gelistet, für die pflanzliche Therapieoptionen bestehen. Die beschriebenen Pflanzen, deren Zubereitungsformen, Dosierungen sowie Kontraindikationen und zugrunde liegende Literatur sind in Tab. 1 am Ende des Artikels zusammengefasst.
Neurologische Beschwerden – ME/CFS
Bei den neurologischen Beschwerden dominieren Müdigkeit, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Biorhythmusstörungen, Angst oder Depression [4]. Jeder zweite Long-COVID-Patient berichtet von diesen Symptomen [4, 24, 25]. Daten der Statistik Austria zeigen innerhalb der Jahre 2021 bis 2023 einen exponentiellen Anstieg in der ICD-Diagnostik von chronischen Müdigkeitserkrankungen [26]. Dabei handelt es sich um eine Müdigkeit, die unabhängig von der Schwere der akuten Erkrankung oder dem Vorhandensein von Atemproblemen auftritt. Hier kann auf die Erkenntnisse und Erfahrungen mit dem chronischen Müdigkeitssyndrom (CFS) zurückgegriffen werden. Die myalgische Enzephalomyelitis (ME) ist eine komplexe Multisystemerkrankung mit ausgeprägter Müdigkeit, kognitiven Störungen, Schlafproblemen, autonomen Funktionsstörungen sowie Erschöpfung nach geringer Anstrengung. Sie ist des Weiteren durch die starke Beeinträchtigung der Fähigkeit der Patienten zur Durchführung von Aktivitäten des täglichen Lebens gekennzeichnet [27]. Die Ätiologie von CFS und ME ist noch nicht vollständig geklärt. Beides tritt sehr oft postinfektiös auf. Es gibt zahlreiche Theorien über die Beteiligung von Infektionen und das komplexe Zusammenspiel von Genetik und Immunsystem.
Die Diagnosestellung erfasst 3 Symptome über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten, wobei die Intensität der Symptome zu mindestens 50 % der Zeit mittelschwer oder schwer sein sollte: erstens Müdigkeit, zweitens postexertionales Unwohlsein und drittens unerholsamer Schlaf. Dazu kommt noch mindestens eine der folgenden Störungen: kognitive Beeinträchtigung, Schmerzen und/oder orthostatische Intoleranz [3, 4].
Adaptogene
Eine sehr wichtige Arzneipflanzengruppe für die phytotherapeutische Behandlung von Erschöpfungs- und CFS-Syndromen sind Adaptogene. Sie gehören zu den Stärkungsmitteln in unterschiedlichsten traditionellen Medizinsystemen. Kennzeichnend für diese Arzneipflanzengruppe ist ein breites Wirkspektrum. Sie adressieren 3 wichtige physiologische Steuersysteme des Körpers: das Nerven‑, Hormon- und Immunsystem. Ihr pharmakologisches Wirkungsspektrum ist Stress-modulierend, antioxidativ und die körperliche und mentale Ausdauer steigernd. Weiters sind nootropische, immunmodulatorische, kardiovaskuläre und radioprotektive Wirkungen beschrieben [28, 29].
Adaptogene wirken demnach besonders auf die komplexen Steuersysteme des Organismus und unterstützen die körpereigenen Regulationssysteme in Richtung Wiederherstellung der Homöostase. Sie gelten als wichtige pflanzliche Arzneimittel bei gestörten neuroendokrinen Funktionen und chronischen Schwächezuständen und stärken die individuelle Anpassungs‑/Adaptationsfähigkeit an chronisch negativen Stress [30, 31].
Bekannte Arzneipflanzen dieser Gruppe sind Panax ginseng (Ginseng), Eleutherococcus senticosus (Taigawurzel), Schisandra chinensis (Schisandra), Rhodiola rosea (Rosenwurz) und Astragalus membranaceus (Chinesischer Tragant). Withania somnifera (Ashwaghanda) zählt ebenfalls zu den Adaptogenen und wurde in letzter Zeit gut untersucht. Diese Pflanze wird hier jedoch nicht berücksichtigt, da keine Monografieempfehlung der EMA dafür vorliegt und Withania zumeist in Kombination mit anderen pflanzlichen Drogen verwendet wird.
Panax ginseng
Die Wurzel von Panax ginseng (Ren Shen) wird in der traditionellen Verwendung als Aphrodisiakum, Anti-Aging-Mittel und als Tonikum zur Steigerung des „Energieniveaus“ eingesetzt [29]. Laut TCM wirkt Ginseng auf alle Organsysteme des Körpers und wird v. a. zur Behandlung von Herz-Kreislauf‑, Nierenkrankheiten und Fruchtbarkeitsproblemen eingesetzt. Ginseng wirkt zentral aktivierend, zellschützend, entgiftend und hat v. a. bei älteren Personen mit nachlassenden Adaptationsfähigkeiten, in Phasen der Rekonvaleszenz oder als Roborans bei allen exogenen und endogenen Stressoren Bedeutung [32].
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Ginseng ist eine der am besten untersuchten Arzneipflanzen in Bezug auf die körperliche Leistungsfähigkeit des Menschen. Das phytopharmakologische Vielstoffgemisch bei Ginseng enthält Ginsenoside, Polysaccharide, Peptide, polyacetylenische Alkohole und hat eine neuroprotektive, immunmodulatorische, antioxidative und krebshemmende Wirkung. Die Ginsenoside wirken entzündungshemmend, antiapoptotisch und immunstimulierend [28, 29].
In jüngster Zeit wurde Ginseng in einer Reihe von randomisierten, kontrollierten Studien untersucht und seine Wirkung v. a. auf die körperliche und psychomotorische Leistungsfähigkeit, die kognitive Funktion, die Immunmodulation, Diabetes mellitus, kardiovaskuläre Risikofaktoren, die Lebensqualität sowie auf unerwünschte Wirkungen überprüft [33]. Für viele dieser Indikationen wurden uneinheitliche Ergebnisse nachgewiesen. Aufgrund der unzureichenden Qualität der meisten klinischen Studien zu Ginseng fehlen nach wie vor zuverlässige klinische Daten am Menschen [34].
Die ESCOP und EMA haben die vorliegenden wissenschaftlichen Daten zur Ginsengwurzel überprüft und Monografien publiziert [34, 35]. Für die Arzneidroge liegt ein aktueller Revisionsentwurf der Monografie von 2014 des Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) vor [35]. Entsprechend der Bewertung durch die ESCOP und den Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der EMA kann der Einsatz von Ginsengwurzelzubereitungen aufgrund der langjährigen Verwendung zur Behandlung von Müdigkeit und Schwäche und verminderter geistiger und körperlicher Leistungsfähigkeit empfohlen werden [29, 33‐37].
Panax quinquefolius
Panax quinquefolius, der „Amerikanische Ginseng“, stammt aus verschiedenen Regionen Nordamerikas und Asiens. P. quinquefolius (Xi Yang Shen) ist eine der weltweit am häufigsten verwendeten Heilpflanzen und wird seit Jahrzehnten intensiv erforscht. P. quinquefolii radix wird allgemein zur Stärkung des Körpers und in der Rekonvaleszenz ähnlich wie Ginseng eingesetzt [38].
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Die aktiven Inhaltsstoffe sind die ca. 70 Ginsenoside, die in allen Teilen der Pflanze reichlich vorhanden und in erster Linie für die gesundheitsfördernden Wirkungen verantwortlich sind. Die Wirkmechanismen sind noch nicht vollständig aufgeklärt [39]. Bisher durchgeführte pharmakologische Studien haben gezeigt, dass P. quinquefolii radix blutzuckersenkend, blutdrucksenkend, leistungsfördernd, oxidationshemmend, tumorhemmend, immunmodulatorisch und neuroprotektiv wirkt [40]. Panax quinquefolius wirkt entzündungshemmend, protektiv und regenerativ auf das Nervensystem, beeinflusst das Mikrobiom und damit die Darm-Hirn-Achse [40].
Aufgrund des langjährigen Gebrauchs und der bisherigen Forschungsergebnisse ist der Einsatz des Amerikanischen Ginsengs bei postinfektiösen bzw. Post/Long-COVID-Zuständen plausibel und empfehlenswert, v. a. bei Störungsbildern, welche die Lunge, das Herz und den Verdauungstrakt betreffen [40].
Eleutherococcus senticosus
Eleutherococcus senticosus, auch als Taigawurzel, Stachelpanax oder sibirischer Ginseng bezeichnet, gehört zur Familie der Araliaceae. Traditionell ist die stärkende Wirkung von Eleutherococci radix seit dem 3. Jh. bekannt. In der TCM und in Russland wurde die Taigawurzel als allgemeines Stärkungsmittel bei Stresskrankheiten, Erschöpfung und chronischen Krankheiten verwendet. In der TCM wird Eleutherococcus senticosus (Wu Jia Pi) als stärkende und schmerzstillende Arzneipflanze eingesetzt.
Obwohl die Wirkung ähnlich ist wie bei Ginsengwurzel, sind die Inhaltsstoffe unterschiedlich. Eleutherococcus enthält Eleutheroside, die unterschiedlichen Stoffklassen angehören – den Phenylpropanderivaten, Lignanen, Cumarinen, Polysacchariden und Triterpensaponinen. Sie binden an unterschiedliche Hormonrezeptoren und beeinflussen nachweislich die Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse. Sie wirken anabol und stimulieren das angeborene und erworbene Immunsystem. Eleutherococcus reduziert die Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin in der Alarmphase des allgemeinen Anpassungssyndroms. Die antientzündliche Wirkung wird darauf zurückgeführt, dass Eleutherococcus-Extrakt den NF-kB-Signalweg über Steuerungsgene sowie TNF-alpha und IL-6-Mediatoren, die an Entzündungen, Verletzungen und Stress beteiligt sind [41], herunterregulieren kann. Die Stärkung der Widerstandsfähigkeit, die Normalisierung der Immunreaktionen bei chronisch entzündlichen Erkrankungen und endokrinen Fehlregulationen sind gut belegt [42, 43]. Die therapeutischen Einsatzmöglichkeiten von Eleutherococcus senticosus umfassen somit die Stärkung und Modulation des Immunsystems, verbessern Gedächtnis und neurokognitive Prozesse und richten sich gegen neuroinflammatorische Prozesse [44, 45]. Der Einsatz bei Post-COVID- und Long-COVID-Beschwerden ist aufgrund dessen plausibel.
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Rhodiola rosea
Als Arzneidroge Rhodiolae rhizoma et radix (Hong Jing Tian) wird der getrocknete Wurzelstock der Rosenwurz (Rhodiola rosea) aus der Familie der Dickblattgewächse verwendet. Sie hat in skandinavischen Ländern und in Russland eine lange Tradition als adaptogene Arzneidroge. In pharmakologischen Versuchen zeigten sich antioxidative, entzündungshemmende, neuroprotektive, antidepressive, stressreduzierende, tonisierende und kardioprotektive Wirkungen, die auch für die Behandlung von Long-COVID interessant sein könnten [46, 47]. So wurde z. B. eine hemmende Wirkung auf MAO‑A und MAO‑B nachgewiesen [48]. Ein möglicher Wirkmechanismus könnte auch die im Tierversuch beobachtete verstärkte Synthese von ATP in Muskelzellen sein [49]. Borgonetti et al. konnten kürzlich zeigen, dass ein Rosenwurzextrakt mit 2,7 % Rosavin und 1 % Salidrosid die nukleare Translokation von NF-kB inhibiert und damit der neuroinflammatorischen Wirkung des Corticotropin-Releasing-Hormons (CRH) entgegenwirkt [50].
In mehreren klinischen Studien wurde gezeigt, dass Rosenwurzextrakte stressbedingte Erschöpfungszustände sowie Reaktionsgeschwindigkeit und Konzentrationsstörungen verbessern und die Stressresistenz erhöhen. [51‐56]. Neuesten Erkenntnissen zufolge werden Rosenwurzextrakte auch bei COVID-19-assoziierter Angst und Depression empfohlen [57]. Das HMPC hat den mit 67–70 % Ethanol hergestellten Trockenextrakt aus der Rosenwurz schon seit 2012 als traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Linderung von Stresssymptomen wie Erschöpfungszuständen (Fatigue) und Schwächegefühl eingestuft [58, 59]. Wegen fehlender Daten wird vom HMPC Rosenwurz erst ab 18 Jahren empfohlen.
Schisandra chinensis
Die Früchte von Schisandra chinensis aus der Familie der Schisandraceae werden seit der Antike in der chinesischen Medizin zur Stärkung verwendet. Schisandra gilt als Aufbaumittel für die Nieren, Nebennieren, Leber und Lunge. Aufgrund der langen traditionellen Erfahrung und zunehmend unterstützt durch Forschung wird Schisandrae fructus (Wu Wei Zi) hauptsächlich bei Erschöpfungszuständen eingesetzt. Schisandra wirkt nachgewiesenermaßen hepatoprotektiv, antiphlogistisch und antioxidativ [60]. Spezifische Symptome, bei denen Schisandra angezeigt ist, sind Durchfälle, die zu anhaltender Erschöpfung führen, spontane Schweißausbrüche, Inkontinenz, neuroendokrine Schwäche, Neurasthenie, Ein- und Durchschlafstörungen, CFS, Immunschwäche, Allergien und Autoimmunprozesse. Auch Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sowie Sinneswahrnehmungen (Hören, Sehen, Schmecken) werden durch Schisandra verbessert. Schisandra kann metabolische Störungen einhergehend mit Erschöpfung, Blutzuckerschwankungen bessern, insbesondere wenn diese mit Leberfunktionsstörungen verbunden sind. Die immunregulierende Wirkung von Schisandra ist noch nicht vollständig aufgeklärt, speziell die Down-Regulation von überschießenden Immunantworten bzw. allergischen Reaktionen [61]. Es wurde auch ein kardioprotektives Potenzial beschrieben [62]. Schisandra hemmt CYP3A und P‑gp, was zu unerwünschten Arzneimittelwechselwirkungen [63] führen kann.
In einer randomisierten, placebokontrollierten klinischen Studie zur Wirksamkeit eines Arzneimittels bei Long-COVID wurde eine Kombination aus 3 Adaptogenen (ADAPT-232, bestehend aus Rhodiola rosea, Eleutherococcus senticosus und Schisandra chinensis) untersucht mit dem Ergebnis, dass die körperliche Leistungsfähigkeit und zusätzlich die Nierenfunktion verbessert wurden [64].
Astragalus membranaceus
Astragali radix (Huang Qi) wird in der TCM als Stärkungsmittel eingesetzt und weltweit als immunmodulierende Arzneidroge verwendet. Untersuchungen zeigen, dass wässrige Extrakte die IgA-Produktion der Schleimhaut verbessern, Menge und Aktivität der Phagozyten erhöhen und die Reifung und Differenzierung der antikörperbildenden B‑Lymphozyten verbessern [65]. Als Wirkstoffe scheinen Triterpene und Polysacharide eine besondere Rolle zu spielen [66]. Speziell die Polysaccharidfraktion hat für die immunmodulierende Wirkung eine besondere Bedeutung [67]. Auch in Hinblick auf eine COVID-bedingte Lungenfibrose wird eine günstige Wirkung postuliert [68]. Als adaptogene Arzneidroge wird Astragali radix auch bei Fatigue-Syndrom eingesetzt. In einer Studie wurden Mäuse unter hypoxischen Bedingungen gehalten (experimentelle Simulation von 5000 m Seehöhe) und mit normoxischen Mäusen verglichen. Die Gabe eines wässrig-alkoholischen Extraktes (60 % Ethanol) via Magensonde führte bei den hypoxischen Mäusen zu einer deutlichen Verlängerung der Leistungsfähigkeit im Schwimmexperiment sowie zu einer Abnahme des Laktatblutspiegels [69]. Demnach verwundert es nicht, dass Astragalus in der Pandemie eine der am häufigsten zur Prävention verwendeten Drogen der TCM im Zusammenhang mit CFS war [70]. Aufgrund des breiten Wirkungsspektrums ist die Verwendung bei Long-COVID naheliegend.
Lycium barbarum
Die Früchte von Lycium barbarum, dem Bocksdorn, sind auch unter den Namen Goji-Beeren (Gou Zi Qi) und Wolfsbeeren bekannt. Lycium hat eine lange Tradition in der chinesischen Medizin als Tonikum und Augenmittel und wurde bereits intensiv wissenschaftlich untersucht. Aus pharmakologischer Sicht sind die Karotinoide von Bedeutung. Bocksdornfrüchte enthalten große Mengen an Zeaxanthin. Es wurden mehrere Studien in Bezug auf die positive Wirkung bei Retinopathien unterschiedlichster Genese durchgeführt [71]. Lycium ist reich an Vitamin B12, Vitamin C und Eisen. Es wirkt neuroprotektiv, angst- und stressmindernd. In der Praxis wird Lycium oft in Kombination mit Bittermitteln verwendet.
Ein mit Polysacchariden und Polypeptiden angereicherter Extrakt aus Lycium barbarum linderte in Mäusen effektiv angstähnliche und depressive Verhaltensweisen bei chronischem Fixierungsstress. Mechanistische Studien zeigten außerdem, dass die Behandlung mit diesem Extrakt oxidativen Stress und die Lipidperoxidation im medialen präfrontalen Kortex verminderte. Insbesondere wurde der Ferroptose-Signalweg gehemmt, was einen bisher unbekannten Mechanismus der anxiolytischen Wirkung von Wolfsbeerenextrakt darstellt [72]. In einer kürzlich durchgeführten doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Studie fand man, dass die Polysaccharidfraktion depressive Symptome bei Jugendlichen mit unterschwelliger Depression signifikant reduzierte. Die Autoren vermuten, dass die 6‑wöchige Verabreichung der Polysaccharidfraktion die Immunantwort unterdrückt, indem der Interleukin-17A-Spiegel gesenkt und dadurch eine antidepressive Wirkung bewirkt wird [73].
Für eine Polysaccharidfraktion aus Lycium barbarum wurden auch neuroprotektive Wirkungen beschrieben [74, 75]. Darüber hinaus sind immunmodulierende Wirkungen der Polysaccharide bekannt [76]. Die Polysaccharide hemmen den Eintritt mehrerer SARS-CoV-2-Varianten in die Wirtszellen, indem sie die Spike-Protein-ACE2-Interaktion beeinträchtigen [77]. Sowohl die Erfahrungspraxis als auch die Studienlage empfehlen Goji-Beeren zur Gabe bei Long-COVID.
Fazit: Adaptogene sind sowohl untereinander gut kombinierbar als auch mit beruhigenden und bitterstoffhaltigen Arzneipflanzen. Der Einsatz von adaptogenen Drogen bei Long-COVID wird grundsätzlich als sinnvoll eingestuft. Ein Nahrungsergänzungsmittel mit der Fixkombination Rhodiola, Eleutherococcus und Schisandra führte in einer randomisierten placebokontrollierten Studie zur signifikanten Abnahme von Schmerzen und Fatigue [56].
Nootropika und „cognitive enhancers“ bei neuroendokrinen Störungen
Nootropika sind Arzneimittel, denen eine pharmakologische Wirkung auf das zentrale Nervensystem zugeschrieben wird [78]. Einige wirken v. a. auf Gedächtnis und Kognition und werden deshalb auch als „cognitive enhancers“ bezeichnet. Diese kommen als Antidementiva bei Behandlung von nachlassender Gedächtnisleistung zum Einsatz. Ein Nootropikum sollte laut Definition eine neuroprotektive Wirkung haben und nicht toxisch sein. Als pflanzliches Nootropikum ist neben Ginkgo biloba auch Bacopa monnieri bekannt [79].
Bacopa monnieri
Das Kleine Fettblatt (Bacopa monnieri) stammt aus der ayurvedischen Medizin und ist auch unter dem indischen Namen „Brahmi“ bekannt. Die Blätter der Pflanze werden traditionell zur Verbesserung des Gedächtnisses und zur Steigerung der Gehirnfunktion verwendet. Sie werden auch als Adaptogen eingestuft und wirken stress- und angstlösend [80]. Als Inhaltsstoffe wurden u. a. Flavonoide, Saponine (Bacosid A und B) und Phytosterole nachgewiesen [81]. In-vitro- und In-vivo-Studien einzelner Inhaltsstoffe weisen auf eine immunmodulierende Wirkung hin (Regulation inflammatorischer Zytokine), wodurch neurologische Beschwerden (wie z. B. kognitive Beeinträchtigung, Depression, Angst) klinisch positiv beeinflusst werden können [80]. Studien mit definierten Extrakten und Einzelkomponenten in vitro zeigen auch eine Reihe von Wirkmechanismen, die von Bedeutung für die Behandlung von mit Long-COVID assoziierten neurologischen Beschwerden sein können [80‐83]. Auch klinische Studien (RCTs) mit standardisierten Extrakten (50 % Bacoside A und B) deuten auf eine für Long-COVID relevante Wirkung bei neurologischen Funktionsstörungen hin, insbesondere bei kognitiven Beeinträchtigungen (Evidenzgrad Ia) [84, 85].
Ginkgo biloba
Geistige Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten, Aufmerksamkeitsstörungen, Vergesslichkeit bis hin zu Verwirrtheit werden in aktuellen Beobachtungsstudien wiederholt mit Ginkgopräparaten therapiert [57]. Positive klinische Erfahrungen hierzu beschrieben kürzlich auch Zifko et al. von der neurologischen Long-COVID-Ambulanz des Evangelischen Krankenhauses in Wien [86]. In ihren Fallberichten beschreiben die Autoren die Behandlung neurologischer Defizite mit dem Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 mit der Standarddosierung von 3‑mal täglich 80 mg in Kombination mit bis zu 2‑mal täglich 500 mg Vitamin C. Die Anwendung eines in Österreich gut verfügbaren Ginkgo-Spezialextraktes in der zugelassenen Dosierung von 240 mg pro Tag bei neurologischen Defiziten erscheint den Autoren als eine rationale Therapieoption. Die Kombination mit Antioxidativa (z. B. Ascorbinsäure, Glutathion, Karotinoide, Tocopherole) erscheint sinnvoll im Rahmen der Rekonvaleszenz nach inflammatorisch vermehrt ausgelöster Ausschüttung oxidativer Stressoren. Eine zusätzliche Ergänzung mit Nervenzellsubstraten wie Lecithin, das vermutlich selbst das Eindringen von SARS-CoV-2-Viren in Zellen durch hydrophobe Interaktion inhibieren kann [87], scheint ebenfalls sinnvoll und wurde von Zifko et al. in der Long-COVID-Ambulanz etabliert [88].
Auch Kawakami et al. publizierten den positiven Einsatz von Ginkgo bei neurologischen Defiziten [89]. Dabei kam ein nicht näher spezifizierter, mit Plasmalogenen angereicherter Ginkgo-Extrakt zur Anwendung. Von diesen Etherlipiden erwartet man sich einen antioxidativen Effekt insbesondere für Nerven und Herzmuskelgewebe.
Lavandula angustifolia
Aus den frischen Blüten von Lavandula angustifolia, dem Arznei-Lavendel, wird durch Destillation ein standardisiertes ätherisches Öl (Silexan®) für ein zugelassenes pflanzliches Arzneimittel (80 mg/Kps.) gewonnen. Zu dessen Wirksamkeit bei Angststörungen und Depressionen liegen bereits zahlreiche Studien vor [90, 91].
Pharmakologisch nachgewiesen bewirkt Silexan® eine Regulation des Kalziumeinstroms im Gehirn und eine Regulation der Neurotransmitter Noradrenalin und Glutamat. In einer PET-Studie an gesunden Probanden zeigte sich nach 8‑wöchiger Einnahme das Bindungspotenzial des inhibitorischen Serotonin-1A-Rezeptors signifikant verringert im Vergleich zu Placebo. Besonders deutlich zeigte sich der Effekt im limbischen System [90]. Silexan® zeigte bei generalisierter Angststörung (GAD) eine vergleichbare Wirkung mit Lorazepam 0,5 mg/Tag [91]. In der multizentrischen Studie von Kasper et al. zeigte sich, dass Silexan® Placebo überlegen und bei einem besseren Nebenwirkungsprofil vergleichbar mit Paroxetin 20 mg/Tag ist. Demzufolge scheint Silexan® eine wirksame und gut verträgliche Alternative bei generalisierten Angststörungen zu sein [91, 92].
Zourek et al. belegen diese gute Verträglichkeit und Sicherheit bei Angsterkrankungen und depressiven Störungen im Zusammenhang mit COVID-19 und Long-COVID-Symptomatik an Beispielen aus der Praxis [57].
Melissa officinalis
Für die Blätter von Melissa officinalis liegen eine wissenschaftliche Beurteilung und eine Monografie der EMA vor [93, 94]. Es handelt sich um eine bereits sehr lange und weitverbreitet angewendete Droge. Die belegten therapeutischen Anwendungen bzw. Hauptwirkungen umfassen einerseits milde Symptome von mentalem Stress und Stimmungsschwankungen, Schlaflosigkeit, andererseits leichte gastrointestinale bzw. dyspeptische Beschwerden [93, 94].
Da gerade diese Kombination von Symptomen sehr häufig bei Long-COVID-Patienten beobachtet wird und wässrige Melissenextrakte zusätzlich gegen eine bestehende Virusbelastung mit z. B. Herpes- oder Influenza-Viren [4] wirken, ist ein unterstützender therapeutischer Einsatz durchaus sinnvoll. Die Melisse kann in Kombination mit Bacopa und Ginkgo verwendet werden.
Chronische Entzündungen und postvirale Reizzustände der Atemwege
Die folgenden Arzneipflanzen können einen sinnvollen Beitrag zur Behandlung lang anhaltender Erkältungssymptomatik leisten.
Glycyrrhiza glabra
Die Süßholzwurzel (Glycyrrhizae radix, Gan Cao) wird in vielen traditionellen Medizinsystemen zur Behandlung von viralen Infekten und Erkältungssymptomen eingesetzt. Dieser Droge kam daher gerade zu Beginn der Pandemie besondere Bedeutung bei der Behandlung von COVID-19 zu, was in der Literatur durch die Publikation einer Vielzahl von Reviews Niederschlag gefunden hat [95‐97]. Dem EMA-Assessment Report [98] zufolge liegen fundierte In-vitro- und klinische Daten für Extrakte und einzelne Inhaltsstoffe vor, die eine entzündungshemmende, antimikrobielle und expektorierende Wirkung belegen sowie eine Verbesserung der Symptomatik bei Halsentzündungen [99]. Darüber hinaus wurden Studien mit Glycyrrhizin-angereicherten Extrakten durchgeführt, die peroral bei Magen- und Duodenalulzera gegeben wurden. Ein 1 %iger Chloroformextrakt zeigte positive lokale Effekte bei Aphthen und Stomatitis [99].
Der Ausbruch von SARS Anfang der 2000er-Jahre, ausgelöst durch den Erreger SARS-CoV‑1, führte zu einer intensiven Untersuchung dieser Droge und deren Inhaltsstoffen, Glycyrrhizin und Derivaten hinsichtlich ihrer antiviralen Aktivität. Cinatl et al. (2003) stellten einen stark hemmenden Effekt dieses Triterpensaponins auf die Replikation von SARS-CoV‑1 in Vero-Zellen fest [99]. Klinische Versuche zeigten bei SARS-CoV-1-Patienten unter Glycyrrhizin-Behandlung eine deutliche Verbesserung der Atembeschwerden und eine schnellere Erholung geschädigter Lungen [100]. Die hohe Übereinstimmung der Gensequenzen von SARS-CoV‑1 und SARS-CoV‑2 gab Anlass zu einer Vielzahl an In-vitro-Untersuchungen, um mögliche Effekte von Glycyrrhizin bei einer Behandlung von COVID-19 zu beleuchten. Die Bindung an ACE2, Downregulation proinflammatorischer Zytokine, Induktion von endogenem Interferon, Hemmung der intrazellulären ROS-Akkumulation, Thrombinhemmung sowie die Hemmung einer exzessiven Produktion von Bronchialsekret wurden gezeigt [100]. Darüber hinaus belegen Versuche an SARS-CoV-2-infizierten Vero-E6-Zellen eine dosisabhängige Hemmung der viralen Replikation [101]. Dabei scheint die Hemmung der viralen Hauptprotease Mpro eine Rolle zu spielen [102, 103]. Dieses Enzym ist an der Bildung des Coronavirus-Replikationskomplexes und damit an der Vervielfältigung des Virus beteiligt. Sowohl für das Extrakt als auch für Glycyrrhizin wurden mit computergestützten Methoden Bindungsaffinitäten für Mpro vorhergesagt und diese experimentell in vitro bestätigt [104]. Die gute Kenntnis der Rezeptorbindungsdomäne von SARS-CoV‑2 erlaubt deren dreidimensionale Modellierung und die Durchführung einer Vielzahl von virtuellen Dockingexperimenten, die für Glycyrrhizin eine Hemmung des Spike-Proteins postulierten [105].
Klinische Studien mit der Monodroge oder der Reinsubstanz sind rar und im Zusammenhang mit Long-COVID nicht verfügbar. Gomaa et al. fassen 4 kontrollierte klinische Studien zusammen, die an COVID-19-Patienten mit akuter Infektion durchgeführt wurden [105]. Davon erscheinen die folgenden besonders erwähnenswert: Die perorale Gabe einer Kombination von Glycyrrhizin und einem Boswellia-Extrakt der 66 % Boswellia-Säuren enthielt, führte bei moderat erkrankten, aber hospitalisierten Patienten zu einer rascheren Erholung und zu signifikant besseren Werten von CRP und beim NLR („neutrophil-to-lymphocyte ratio“) [105]. Die Behandlung von 200 Patienten mit einem intranasalen und oropharyngealen Spray, der eine Kombination von Povidon-Iod und Glycyrrhizinsäure beinhaltete, führte zu einer rascheren Erholung der Patienten, Verbesserung der Laborwerte und geringerer viraler Belastung der Patientenumgebungen [106]. Eine Glycyrrhizinsäure-haltige flüssige Zubereitung verkürzte die Aufenthaltszeit hospitalisierter Patienten mit milden bis moderaten Symptomen [107]. Die Anwendung eines Süßholzwurzelextraktes in Form eines Gels, das mit Tupfern auf die Mundschleimhaut aufgebracht wurde, führte zur Eradikation des Virus, woraus die Autoren ein Potenzial für die prophylaktische Anwendung ableiten [107].
Vereinzelt gibt es auch Hinweise zur Anwendung bei kognitiven Einschränkungen infolge einer Virusinfektion. So zeigte ein Extrakt von Glycyrrhiza glabra eine Verbesserung der Lernfähigkeit von Mäusen nach 7 Tagen peroraler Applikation. In älteren Publikationen wird von einer sedativen Wirkung des Extraktes berichtet. Die Gabe von Ammoniumglycyrrhizinat an Mäuse zeigte, dass eine durch Amyloid-beta-42 induzierte kognitive Dysfunktion verhindert werden konnte [108].
In einer rezenten kontrollierten Studie an 13- bis 16-jährigen Heranwachsenden wurde der Einfluss eines nach speziellen Vorgaben hergestellten Extraktes von Glycyrrhiza glabra in Kombination mit Yoga auf die kognitive Leistungsfähigkeit überprüft. Der Anwendungszeitraum betrug 3 Monate. Die Auswertung basierte auf definierten Tests zur Beurteilung kognitiver und mentaler Fähigkeiten. Sowohl Verum- als auch Placebogruppe zeigten signifikante Verbesserungen im Vergleich zum Ausgangspunkt. Die Leistungen der Glycyrrhiza-Gruppe jedoch fielen im Vergleich zur Placebogruppe signifikant besser aus. Die Autoren sehen die Glycyrrhiza-Zubereitung in Kombination mit Yoga als geeignet, um Gedächtnis und kognitive Leistungen von Heranwachsenden zu verbessern [109]. Inwieweit dieser Befund bei der Erkrankung an COVID-19 bzw. von Long-COVID-Symptomen von therapeutischer Relevanz sein kann, bleibt vorerst noch offen.
Nigella sativa
Aus der Volksmedizin ist der Einsatz des Samenöls von Nigella sativa bei Erkältung, Bronchialerkrankungen, rheumatischen Beschwerden, Beschwerden des Magen-Darm-Trakts, Blähungen, Diarrhöen sowie Dysmenorrhö bekannt. Auch aus dieser Überlegung heraus kann der Einsatz bei Long-COVID einen Versuch wert sein, da die genannten Symptome gerade bei Long-COVID häufig auch in Kombination vorkommen können.
Seit dem Beginn der COVID-19-Pandemie wurden insgesamt 31 Studien zu Nigella sativa als möglicher Therapieoption veröffentlicht. Zwar handelt es sich dabei hauptsächlich um Studien, die eine Therapie in der akuten Phase der Erkrankung evaluieren, allerdings sind die Resultate dieser Studien gerade im Hinblick auf Husten und respiratorische Beschwerden, die im Rahmen von Long-COVID persistieren, interessant. Die Wirkung von Schwarzkümmelöl kann durch das Monoterpen Thymochinon, durch die Alkaloide Nigellon und Nigellin sowie durch den hohen Gehalt an der ω‑6-Fettsäure Linolsäure erklärt werden. Nigellon und Nigellin wirken antiphlogistisch und analgetisch [110, 111]. Beide hemmen die 5‑Lipoxygenase sowie die induzierbare Stickoxidsynthase (iNOS). Das Monoterpen Thymochinon hat ausgeprägte entzündungshemmende Eigenschaften über die Blockade von Prostaglandinen und Leukotrienen sowie über die Hochregulation antiinflammatorischer Zytokine wie IL‑4 und IL-10. Außerdem aktiviert Thymochinon T‑Zellen und erhöht die Produktion des antiviralen Zytokins IFN‑γ. Thymochinon schützt die Zellen vor Schädigung durch oxidativen Stress und wirkt neuroprotektiv [112]. Darüber hinaus hemmt es die Hauptprotease des SARS-CoV-2-Virus [113].
Ernährungsmedizinisch macht der Einsatz von Schwarzkümmelöl in der Rekonvaleszenzphase Sinn. Der hohe Gehalt (50–60 %) an Linolsäure kann bei korrektem Verhältnis zu aufgenommenen ω‑3-Fettsäuren entzündungshemmend wirken und hilft in der Rekonvaleszenz als essenzieller Nahrungsbestandteil beim Wiederaufbau geschädigter Biomembranen [114].
Die Summe dieser Studien deutet darauf hin, dass eine Schwarzkümmelölanwendung von ca. 1 g pro Tag sehr förderlich bei milder bis moderater COVID-Erkrankung sein kann. Eine Studie von 2022 legt nahe, dass selbst Long-COVID assoziierte Symptome wie Fatigue, Anosmie sowie lang anhaltender Hustenreiz signifikant reduziert werden können [115]. Im Vergleich zur Kontrollgruppe erhielten die Patienten in den Verumgruppen entweder 900 mg Schwarzkümmelöl, 2000 IE Vitamin D oder beides über einen Zeitraum von 14 Tagen. Die Kombination mit Vitamin D verstärkte die Wirkung von Schwarzkümmelöl, was auf einen synergistischen Effekt hindeutet. Diese Ergebnisse können aus phytotherapeutischer Sicht gut nachvollzogen werden und untermauern den Einsatz auch bei anderen viralen Infekten der Atemwege und in der Rekonvaleszenzphase.
Respiratorische Beschwerden und Husten
Protrahierter Reizhusten infolge von Long-COVID manifestiert sich häufig durch Trockenheit und festsitzenden Schleim. Zur Therapie eignen sich unter anderen die klassischen Teedrogen wie Eibischwurzel und -blätter, Malvenblätter, Spitzwegerichblätter, Süßholzwurzel und Isländisches Moos sowie Efeublätterextrakte. Entsprechende Teemischungen sind erprobt und offizinell im Österreichischen Arzneibuch. Sie stehen auf der Homepage der Österreichischen Gesellschaft für Phytotherapie (ÖGPHYT) zur Verfügung und können als Rezeptmuster heruntergeladen werden (https://phytotherapie.at/Rezepturen.html). Aufgrund der guten klinischen Datenlage für Eukalyptus wird hier speziell auf diese Arzneidroge eingegangen.
Eucalyptus globulus
Ätherische Eukalyptusöle standardisiert auf 1,8-Cineol besitzen eine sehr gute Evidenz. Auch ELOM-080, eine patentierte Mischung mit anderen ätherischen Ölen (s. unten) kann eine sehr gute klinische Datenlage vorweisen. Standardisierte Eukalyptuspräparationen fanden kürzlich auch Platz in den aktuellen Leitlinien zur Behandlung von Husten, (Rhino‑)Sinusitis, Bronchitis, COPD und Asthma. Wegen der gut dokumentierten Wirkung von Eukalyptusöl bei Erkrankungen des Atemtraktes scheint eine Anwendung bei lang anhaltender Irritation und postinfektiöser Schädigung der Atemwege eine probate Behandlungsoption zu sein.
Bei Husten bzw. einer akuten Bronchitis konnten Gillissen et al. 2013 zeigen, dass bei einer Gabe von 300 mg des Spezialdestillats ELOM-080 4‑mal täglich über 14 Tage eine absolute Risikoreduktion (ARR) von 12,3 % gegenüber der Placebogruppe möglich ist [116]. Bei dem Destillat handelt es sich um eine Mischung ätherischer Öle auf Basis von rektifiziertem Eukalyptus‑, Süßorangen‑, Myrten- und Zitronenöl (66:32:1:1). Eine Kapsel enthält je 120 mg. Ähnliches konnten Fischer und Dethlefsen 2013 für 3‑mal täglich 200 mg Cineol über 10 Tage zeigen. Dabei konnte der „Bronchitis Sum Score“ nach 4 Tagen im Vergleich zur Placebogruppe um ca. 22 % reduziert werden [117]. Auch die S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. berücksichtigt Eukalyptuspräparate zur Verkürzung von Dauer und Intensität des Hustens bei Bronchitis [118]. Selbiges gilt für die S2k-Leitlinie zur Rhinosinusitis, die auch Mischextrakte und definierte Eukalyptusextrakte zur Behandlung empfiehlt. Auch in der Langzeitbehandlung der chronischen Bronchitis kann ELOM-080 Exazerbationen und die Notwendigkeit eines Antibiotikaeinsatzes reduzieren [119, 120].
Gastrointestinale Beschwerdebilder
In den vergangenen Jahren gewann die Neurogastroenterologie immer mehr an Bedeutung. Sie beschreibt die Interaktionen zwischen sympathischem, parasympathischem und enterischem Nervensystem. Postinfektiöse Störungen des Mikrobioms und protrahierte intestinale Dysfunktionen wie Reizdarmsyndrom werden auch bei Long-COVID-Patienten beobachtet [121]. Als pflanzliche Therapieoptionen bei gastrointestinalen Beschwerdebildern in Kombination mit Störungen des Immunsystems und protrahierten Erholungsphasen bilden einerseits Bitterstoffdrogen und auch antiinflammatorische Arzneipflanzen eine praxistaugliche Option. Bitterstoffdrogen sind einerseits appetitanregend, sekretionsfördernd und darmmotilitätssteigernd und werden daher zur Behandlung von Appetitlosigkeit, dyspeptischen Beschwerden bzw. Magen-Darm-Beschwerden und teilweise auch bei Störungen des Galleflusses angewendet [122]. Darüber hinaus werden den Bitterstoffdrogen antidepressive und konstitutionsstärkende Wirkungen zugeschrieben, weshalb sie auch bei Müdigkeit, Erschöpfung, Stress oder allgemein somatoformen Störungen eingesetzt werden.
Bedeutende pflanzliche Bittermittel (Amara) sind die Wurzel des gelben Enzians (Gentianae radix) [123], Tausendgüldenkraut (Centaurii herba) [124] und Wermutkraut (Absinthii herba) [125]. Sie können als Tee oder Tinkturen eingenommen werden. Bei Wermutkraut ist auf einen niedrigen Thujon-Gehalt zu achten [126]. Weitere für Long-COVID interessante Arzneidrogen sind scharf schmeckende Roboranzien, die hyperämisierend, erwärmend und anregend wirken, wie Galgantrhizom (Galangae rhizoma) und Ingwerrhizom (Zingiberis rhizoma) [127].
Boswellia serrata
Die bekannten antiinflammatorischen Effekte der Boswellia-Säuren sind für eine lokale Entzündungshemmung im gastrointestinalen Bereich verantwortlich. In der Praxis können Extrakte, die auf Boswellia-Säuren standardisiert sind, bei entzündlichen Darmerkrankungen wie unspezifischer Kolitis als erster Therapieversuch neben Mesalazin empfohlen werden. Die Anwendung von Boswellia bei entzündlichen Darmerkrankungen ist in den S3-Leitlinien bereits enthalten [128‐130]. In In-silico-Studien konnte die Inhibierung der Oberflächenproteine des SARS-CoV-2-Virus durch Boswellia-Säuren nachgewiesen werden [131]. In klinischen Studien zeigte sich bei Behandlung mit einer Kombination von einem auf 36 % Boswellia-Säuren standardisiertem Boswellia-Extrakt mit Glycyrrhizin eine Verkürzung der Krankheitsdauer [105, 132, 133].
Curcuma und Curcumin
Charakteristische Inhaltsstoffe der Javanischen Gelbwurz (Curcuma zanthorrhiza) sowie der Indischen Gelbwurz (Curcuma longa) sind die gelb gefärbten Curcuminoide mit Curcumin als Hauptsubstanz sowie ätherisches Öl. In den letzten Jahren wurde die mögliche Anwendung von Curcumin bei entzündlichen Erkrankungen intensiver untersucht und in vitro eine Vielzahl möglicher Targets identifiziert. Curcumin moduliert NF-κB-Signalwege, die Bildung proinflammatorischer Zytokine sowie die Aktivität der Phospholipase A2, Cyclooxygenase‑2 (COX-2) und 5‑Lipoxygenase und hemmt die induzierbare NO-Synthetase [134]. In einer Studie wurden Lecithin-basierte Formulierungen von Curcuma longa (1000 mg/Tag) und Boswellia serrata (300 mg/Tag) bei 2 Patientengruppen mit Reizdarmsyndrom verabreicht. Eine Gruppe rekrutierte sich aus Patienten mit Long-COVID, die andere ohne COVID-Anamnese. In beiden Gruppen wurde die Reizdarmsymptomatik reduziert. Eine Verbesserung der Dysbiose konnte nur bei der Gruppe ohne COVID-Anamnese festgestellt werden [135].
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es sowohl für Boswellia serrata als auch für Curcuma und entsprechende Kombinationen Hinweise auf positive Effekte bei Reizdarmsyndrom gibt [136]. Eine Kombination von entsprechenden standardisierten Boswellia- und Curcuma-Extrakten erscheint auch in der infektiösen und in der postinfektiösen Phase von COVID-19 sinnvoll. Eine derartige Anwendung könnte auch präventiv gegen eine Reinfektion wirken [137].
In Österreich gibt es derzeit weder für Boswellia noch für Curcuma oder deren Kombinationen entsprechende zugelassene Phytopharmaka, sondern lediglich Nahrungsergänzungsmittel (NEM) unterschiedlicher Zusammensetzung.
Kreislaufbeschwerden
Crataegus-Arten
Für die Arzneidroge Crataegi folium cum flore, die getrockneten blühenden Triebspitzen verschiedener Crataegus-Arten, liegen ein „Assessment report“ und eine Monografie der EMA sowie eine Monografie der HMPPA vor [138‐140]. Es handelt sich um eine bereits sehr lange angewendete und gut erforschte Arzneidroge, die bei milden Herz- und Kreislaufbeschwerden Verwendung findet. Die traditionell belegten therapeutischen Anwendungen liegen bei temporären nervösen Herzbeschwerden und milden Symptomen von mentalem Stress sowie zur Schlafförderung. In einer neueren Literaturübersicht [141] wurden die durch klinische Studien belegten positiv inotropen Wirkungen der Droge hervorgehoben und im Hinblick auf ihre kreislaufunterstützende Wirkung bei Long-COVID diskutiert. Es gibt derzeit noch keine spezifische klinische Evidenz bei kardialen Symptomen im Rahmen von Long-COVID.
Rosmarinus officinalis
Für die Arzneidroge Rosmarini folium, die Blätter von Rosmarinus officinalis (syn. Salvia rosmarinus), liegt ebenfalls eine Monografie der EMA vor [142]. Es handelt sich um eine bereits sehr lange und weitverbreitet angewendete Droge, die auch als Gewürz und in Form des ätherischen Öls in der Balneotherapie eine große Rolle spielt [143]. Die traditionell belegten therapeutischen Anwendungen liegen bei gastrointestinalen Störungen (Dyspepsie, Krämpfe), Muskel- und Gelenksschmerzen, leichten peripheren Gefäßerkrankungen (Kreislauf-tonisierend) und Herzschwäche [144]. Eine koronare vasodilatatorische Wirkung und positiv inotrope Effekte wurden am Kaninchenherzen nachgewiesen [145]. Im Hinblick auf Long-COVID hat Rosmarin eine allgemein anregende Wirkung bei Erschöpfung und Fatigue, er wirkt unterstützend bei Kreislaufdysregulation sowie bei Depression. Dazu kommt für das Öl – ähnlich wie bei Melissenöl – eine antivirale Wirkung [146].
Salvia officinalis
Auch für die Blätter von Salvia officinalis, liegt eine EMA-Monografie vor [147]. Die traditionell belegten therapeutischen Anwendungen bzw. Hauptwirkungen liegen einerseits bei Entzündungen im Mund-Rachen-Bereich, bei kleineren Wunden und Hautproblemen, andererseits bei dyspeptischen gastrointestinalen Störungen und Hyperhidrosis [147, 148].
Traditionell wird Salbei auch bei allgemeiner Schwäche, Anämie und Fatigue eingesetzt. Zusammen mit der belegten schweißmindernden Wirkung ist Salbei daher eine sinnvolle Unterstützung bei Long-COVID. Eine neuere Literaturübersicht unterstützt seine Verwendung zur Rekonvaleszenz bei postinfektiösen Zuständen und nach COVID, weist allerdings auch auf die Notwendigkeit weiterer pharmakologischer und klinischer Studien hin [149].
Postinfektiöse Geruchs- und Geschmacksstörungen
Gemäß der österreichischen S1-Leitlinie zu Long-COVID wird ein Riechtraining zur Wiedererlangung von Geruch- und Geschmacksinn empfohlen [4]. Dazu sollen 4 ätherische Öle, vorzugsweise 1 bis 2 blumige, 1 harziger und 1 bis 2 fruchtige Düfte gewählt werden, an denen mindestens 6 Monate lang 2‑mal täglich für ca. 30 s gerochen werden soll. Isenmann et al. empfehlen die Verwendung von Rosen‑, Zitronen‑, Gewürznelken- und Eukalyptusöl. Zusätzlich empfehlen die Autoren eine adjuvante Medikation mit intranasalem Vitamin A und systemischer Gabe von ω‑3-Fettsäuren-Präparaten [150]. Derzeit läuft eine klinische Studie mit 100 Patient:innen mit COVID-19-assoziiertem Geruchsverlust an der Medizinischen Universität Innsbruck, die sich einem olfaktorischen Training mit den oben genannten 4 ätherischen Ölen unterziehen infolge COVID-19-assoziierten Geruchsverlusts [151]. Olfaktorische Dysfunktion korreliert mit geringerer Lebensqualität, eingeschränkter Gesundheit und dem Auftreten depressiver Symptomatik. Der Studie liegt die Hypothese zugrunde, dass diese Parameter durch olfaktorisches Training verbessert werden können, erste Resultate werden für die zweite Hälfte des Jahres 2025 erwartet.
Schlussfolgerungen
Die Therapie postviraler Zustände richtet sich in erster Linie nach dem vorherrschenden Symptomenkomplex. Die wichtigsten sind protrahierte postvirale Erschöpfungszustände, Kurzatmigkeit, neuropsychologische, kognitive und vegetative Störungen aufgrund von persistierenden Entzündungsvorgängen und immunologischen Fehlregulationen. Die komplexe und vielfältige Symptomatik erfordert eine differenzierte Diagnostik und eine entsprechende individuelle Therapie. Hier liegt die Stärke der Phytotherapie, die mit Vielkomponentengemischen unterschiedliche Targets im Organismus ansteuern kann.
Die Erfahrungen in der medizinischen Praxis zeigen, dass viele wichtige Symptome postviraler Zustände mit pflanzlichen Zubereitungen erfolgreich behandelt werden können. Diese Erfahrungen werden durch zahlreiche pharmakologische Arbeiten bestätigt. So zeigen Ginseng, Goji-Beeren sowie eine Kombination aus Rhodiola-Eleutherococcus-Schisandra eine Leistungsförderung der Patienten im Sinne einer adaptogenen Wirkung. Ebenso liegen für Bacopa und Ginkgo klinische Befunde vor, die zu einer Verbesserung von Kognition und neurologischen Funktionsstörungen bei Long-COVID-Patienten führen. Klinisch belegt sind die positiven Effekte eines Riechtrainings mit ätherischen Ölen von Rose, Zitrone, Gewürznelke und Eukalyptus bei Anosmie infolge von COVID-19. Weitere klinische Studien werden jedoch benötigt, um die Evidenzlage für die präsentierten Arzneipflanzen und Phytopharmaka zu verbessern.
Empfehlungen für die Praxis und entsprechende Literaturangaben sind in der Tabelle zusammengefasst. Dabei weisen wir darauf hin, dass bevorzugt registrierte bzw. zugelassene Arzneimittel verwendet werden sollten. Nur für diese liegt eine positive Bewertung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit und in vielen Fällen eine HMPC Monografie vor. Dies ist bei Nahrungsergänzungsmitteln nicht der Fall.
Danksagung
Die Autoren danken der Österreichischen Gesellschaft für Phytotherapie (ÖGPHYT) für die Übernahme der „Open-access“-Gebühren.
Interessenkonflikt
K. Krassnig, R. Bauer, S. Glasl, P. Haubenberger, H.J. Evanzin, K. Schneider und D. Margotti geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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